Die Geschichte der Klingenverriegelungen:
Fragt sich, wann die erste Klingenverriegelung auftauchte. Fachbücher zu Klappmessern bieten meistens Auflistungen, für Sammler mit Fleiß akribisch sortiert nach Hersteller, Fertigungszeit und -ort, nach Ausstattung und Zweck. Aber ernüchtert stellt man fest, dass Fragen nach den Anfängen der Klappmesser-Riegelsysteme meist offen bleiben: weder erfährt man wer noch exakt wann. Mit aller Vorsicht und in der Aussage daher unpräzise: Erste simple Riegelelemente verbreiteten sich im Mittelalter.
Zum einen eine spornartige Verlängerung am Klingenfußrücken, die beim Arbeiten mit der geöffneten Klinge am Griffrücken und dadurch im Handinnern oder unter dem Daumen lag. Zum anderen am Griff ein Metallstück (oft Bronze), das bei offener Klinge auf deren Angel drückte und sie so stützte. Eine modernisierte Form davon gibt es bei dem Traditionsmesser Lierenaar von Windmühlenmesser, zu erkennen an der blau gepließteten Klinge im Buchengriff mit der unverwechselbaren, weil auf dem Rücken montierten Eisenspange zum Arretieren der Klinge.
Die Stützfeder im Griff, geschmiedet und elastisch, kam um 1650. Massenproduktionstauglich wurde das gut 100 Jahre später, 1742, durch Benjamin Huntsmans Erfindung des per Schmelzverfahren hergestellten Fließgussstahls. Damit wären die zwei Grundriegelarten von Klappmessern beschrieben: Bei dem Metallstück erfolgte das mechanisch via Form, das wirken der Stützfeder basierte auf Kraft. Logisch, dass man beides verband und so das vielfach variierte Prinzip heutiger Folder-Verriegelungen schuf.
Dass das dauerte, hatte Gründe: Bis zur Industrialisierung war schon das Anfertigen von Stützfedern preistreibend. Deswegen kamen die bis dahin dominierenden Bauern-Klappmesser meist ohne aus. Dennoch gab es eine Klappmesser-Familie, bei der sich früh ein Verschluss zeigte, der Mechanisches mit Federkraft koppelte: das spanische Navaja. Bei einigen Stücken gab es (spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts) an der Stützfeder ein Element, das beim Klingenöffnen von der Rückenseite her selbsttätig in einem formmäßig korrespondierenden Teil der Angel rastete und so das Klingenblatt sicherte. Wollte man dieses einklappen, zog man die Feder samt Rastelement per Ring hoch. Dann konnte die Klinge wieder frei drehen. Bis heute wird dieses bekannte Prinzip genutzt und variiert. Anstelle des Ringes liftet dann zum Beispiel ein gefederter Kipphebel die Stützfeder an.
Entwicklungsstufen der Klingenarretierungen:
Mit der Industrialisierung des 18. Jahrhunderts kam zweierlei. Erstens handelte es sich dabei um eine Technisierung des Klappmessers. Etwas, das US-Autor Bernard Levine in dem Buch "Pocket Knives" so beschrieb: "(…) nirgends mehr als in Paris, Frankreich. Viel vom grundlegenden Design und der Technologie der modernen Schneidwaren wurde da damals entwickelt, großenteils von einem Mann, dem Messerschmiedemeister Jean-Jacques Perret. Mit Bedacht veröffentlichte Perret eine detaillierte und durchgängig illustrierte Aufzeichnung seiner Arbeit in drei Folio-Bänden, die Kunst des Messerschmiedes [original: L'art du coutelier, d.Red.], veröffentlicht 1771, und auch in seiner Autobiographie. Über ein Jahrhundert danach bekamen 'Erfinder' in Amerika, Britannien und Deutschland regelmäßig Patente für Schneidwarenmechanismen, die sie Zeile für Zeile aus Perrets Büchern kopiert hatten."
Zweitens kamen Klingen, bei denen man die Stützfedern samt Riegelelement per Druck auf ein Federende löste. Vorteil: Diese Bauweise kam ohne störende externe Elemente wie den Ring aus. Weil das Riegelstück im Griffrücken wie eine Wippe oder ein Schaukelstuhl werkelte, kam es zum Begriff "Rocker/Rocking Bar". Daraus entwickelte sich (vereinfacht gesagt), was man als "Backlock/Lockback" oder auf Deutsch als "Klingenrückenverschluss" kennt. Britische Hersteller haben derart Verriegelbares schon früh hergestellt.
In Deutschland gebührt wohl einem seriellen Messer das Verdienst, erstmals diesen Verschluss salonfähig gemacht zu haben: dem seit 1867 gebauten Mercator-Messer, entwickelt von Heinrich Kaufmann & Söhne Indiawerk; die Rechte an dem geschichtsträchtigen Messertyp liegen heute beim Solinger Traditionalisten Otter-Messer. Sie entwickelt den Klassiker durch neue Materialien weiter. Anfangs gab es zum Eindrücken der gefederten Riegelwippe einen Höcker, der oben aus dem Griffrückenende ragte. Bald wandelte man das ab, indem man hinten in den Griffrücken eine wannenartige Vertiefung setzte, über die sich die Wippe samt Feder per Daumendruck nach unten pressen ließ. 1962 stellte die US-Hersteller Buck Knives mit ihrem 110 Folding Hunter das Klappmesser-Modell vor, das durch Aufbau, Design und eben den Backlock-Verschluss weltweit kopierte und variierte Maßstäbe setzte.
Aber den seither üblichen verriegelbaren Taschenmessern war eins gemeinsam: Man brauchte zwei Hände, zum Öffnen wie zum Schließen. Dazu gab es von jeher die als "Nagelhau" bekannte Klingenkerbe. An ihr setzte man den Fingernagel ein und konnte so beim Klingenöffnen die Kraft der Finger besser gegen die Federkraft einsetzen. 1981 ersann Sal Glesser, Gründer der Spyderco-Werke, eine Klinge mit einem Höcker und darin einem kreisrunden Loch: Das Messer packen, dass die Daumenkuppe in das Loch kommt, dann lässt sich die Klinge ohne Umgreifen und ohne zweite Hand öffnen.
Alternativ dazu versahen andere Hersteller ihre Klingen mit seitlich abstehenden Stiften oder auf dem Klingenrücken montierten Mini-Scheiben mit demselben Zweck wie Glessers genial simplem Klingenloch.
Diffiziler die Arbeit am Verschlusstyp, der sich neben Backlock/Lockback als gebräuchlichstes System erwies – das Linerlock: Im Griff ruht längs neben der Klinge eine Stützfederplatine. Dreht sich die Klinge heraus, biegt sich die Platine selbsttätig in den nun leeren Bereich und stützt sich unten gegen die Angel. Mit etwas Geschick kann man die Platine mit einer Hand wegdrücken und die Klinge einklappen. In aktueller Form basiert das auf dem Amerikaner Michael Walker, der sich seit 1980 damit befasst hat.
Vorläufer innenliegender Stützplatinen gab es aber, der US-Hersteller Cattaraugus hat so ein griffinternes Stützsystem entwickelt (liner locking patent, 825 093). Solche Messer gab es auch im Zweiten Weltkrieg, etwa das bei Elektrikern verbreitete Camillus TL-29. Auch auf den Namen des Deutschen O. Altenbach erging 1929 ein solches Patent; so informiert ein älterer Thread auf der deutschen Web-Plattform "Messerforum". Aber Walkers – unter Messerfans heiß diskutierte – Leistung besteht darin, das Platinensystem so optimiert zu haben, dass es sich allgemein durchsetzte, namentlich durch den berühmten US-Messermacher Bob Terzuola (bekannt auch dafür, entscheidend die Messerfamilie des "Tactical Knife" geprägt zu haben).
Weitere Riegelsysteme für Klappmesser:
Jenseits Backlock und Linerlock gab es seit dem 19. Jahrhundert massig Klappmesser-Sperrsysteme. Hierzu lässt sich via Recherche in den etwa bei Google niedergelegten Patenten einiges zutage fördern, längst nicht alles kam aber übers Patentstadium hinaus. Hier einige (nicht alle) Systeme:
- Der Griff-Drehring Virobloc stützt die Klinge und blockiert den Verwahrschlitz im Griff, ist das Messer zu, lässt sich die Klinge im Griff auch sichern. Ersonnen hat das 1955 Messerhersteller Marcel Opinel.
- Auch rein mechanisch: Bei den italienischen Old-Bear-Messern von Antonini in Maniago gibt es in der Griffzwinge einen patentierten seitlichen Kipphebel, der ent- und verriegelt.
- Beim Frame Lock stützt nicht ein Teil der innenliegenden Platine, sondern einer des entsprechend längsgeschlitzten Griffes; zugeschrieben wird das Knifemaker Chris Reeve und seinem Sebenza-Messer.
- Das Mid Lock ist ein Klingenrückenverschluss, dessen Druckbereich in der Griffrückenmitte liegt.
- Bei Benchmades Axis-System drückt innen ein Querbolzen per Feder auf die Angel. Lösen lässt sich das über zwei Handhaben im Griff, ist das Messer zu, sorgt der Federdruck des Riegels dafür, dass die Klinge nicht versehentlich ausklappt.
- Ähnlich das Arc Lock von SOG Specialty Knives, hier aber läuft das Stützelement in einer Bogenbahn.
- Compression Lock nennt sich Spydercos Version, die mit einem gesplitteten Liner arbeitet, der zwischen Angel und Klingenanschlagbolzen im Griff eingreift.
- Deadbolt heißt das von Flavio Ikoma ersonnene System, bei dem der Riegel von der Seite durch Platine und Klingenangel greift und sich auf seitlichen Druck zum Einfahren der Klingen anhebt, so zu finden bei einigen neuen CRKT-Messern.
- Bei Spydercos Ball Bearing Lock von 2002 rastet eine Kugel in der Klingenangel. Apropos Kugellager, auch damit haben diverse Hersteller die Liner ihrer Klappmesser verfeinert.
- Nicht zu reden von der Linerlock-Kipphebelsicherung "Lake and Walker Knife Safety System" (LAWKS), die sich Michael Walker und der legendäre Messermacher Ron Lake ausgedacht haben.
Dies als kleine Übersicht zu einer Thematik, die auch Riegelarten wie das Tri-Ad Lock von Cold Steel oder das Rolling Lock von CRKT umfasst. Es ist nur ein erster Überblick: Das Thema der Klappmesser-Verriegelungen harrt gründlicher Aufarbeitung, mit Blick aufs Technische wie aufs Historische.
Die Artikel stammt aus dem VISIER Special 96 "Messer V", darin erhalten Sie noch viele weiterführende Infos zum Thema Messer und zahlreiche Tests aktueller Produkte.
Das aktuelle Messerrecht in Deutschland und Europa behandeln wir in diesem Artikel.