Geplante Verschärfung des Waffenrechts: Wie konnte es soweit kommen – warum gibt es überhaupt noch legal bewaffnete Reichsbürger?

Die vergangenen Tage und Wochen überschlugen sich die Ereignisse: Eine Razzia historischen Ausmaßes bei Reichsbürgern fördert den Versuch des Umsturzes unseres politischen Systems zutage. Dabei werden auch legale Schusswaffen gefunden. Kurz darauf verkündet Bundesinnenministerin Faeser (SPD), sie wolle den Besitz von halbautomatischen Schusswaffen für Privatpersonen verbieten (wir haben berichtet, was technisch dahinter steht), zumindest teilweise begründet mit der vorhergehenden Razzia. Und zu alledem taucht kurz danach dann auch noch ein Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium (BMI) auf, der Schlimmes für den Legalwaffenbesitzer erahnen ließe. Das sorgt natürlich zurecht für Aufregung in der gesamten Branche, bei Sportschützen, Jägern, Sammlern und den Verbänden. Was konkret in diesem Entwurf steht, möchten wir an dieser Stelle jedoch nicht vertiefen. Wir waren nicht in der Lage, die Authentizität des Dokuments zu überprüfen und nehmen deshalb Abstand von konkreten Bezügen zu Inhalten dieses Papiers. Es könnte authentisch sein, oder aber eben nicht, wir wissen es schlicht (noch) nicht. Es bestünde die Gefahr Fake-News zu verbreiten, das wollen wir ausschließen, denn die braucht in der aktuellen Lage niemand.

Die Echtheit und Inhalte des im Internet zirkulierenden Papiers spielen für eine der wichtigsten Frage in diesem Komplex aber auch überhaupt keine Rolle. Denn die setzt viel früher an: Warum konnten überhaupt legal besessene Schusswaffen bei Angehörigen der Reichsbürgerszene gefunden werden? Denn bereits mit einer der letzten Verschärfungen des Waffengesetzes (WaffG) zum 20. Februar 2020 – also vor mehr als zweieinhalb Jahren – hat man die notwendigen Weichen im Waffenrecht gestellt, um dieses Klientel effektiv zu entwaffnen. Vorweg: Schon damals hatten wir übrigens auf potenzielle Probleme beim Vollzug hingewiesen.

Wer oder was sind Reichsbürger überhaupt?

Der Versuch einer kurzen Definition: Reichsbürger, oft auch "Selbstverwalter" genannt, eint die grundsätzliche Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als Staat, ihrer verfassungsmäßigen Ordnung und damit häufig einhergehend auch die Ablehnung von Repräsentanten des Staates, also von Beamten, Richtern und gewählten Mandatsträgern. Oft dienen als Legitimation für diese Ablehnung wirre juristische Thesen, regelmäßig gepaart mit Geschichtsklitterung und Esoterik. Der Großteil ist dem rechtsradikalen bis rechtsextremen politischen Spektrum zuzuordnen, entsprechend ist häufig auch Antisemitismus und Holocaustleugnung ein Teil der Ideologie. Einige Gruppen zeigen dabei eine gewaltbereite Militanz. 

Entwaffnung von Reichsbürgern: Die Werkzeuge dafür stehen schon lange im Gesetz!

Dass Angehörige dieser Szene unter keinen Umständen legale Waffen besitzen dürfen, versteht sich ohne weitere Erklärung von selbst. Deshalb ist die oben genannte Änderung des Waffengesetzes, von ihrer Intention her richtig gewesen. Davor begründete lediglich die Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein oder einer verbotenen Partei die Regelunzuverlässigkeit, hier entstand durch das Aufkeimen beziehungsweise Erstarken der Reichsbürger-Ideologie in den 2010er-Jahren eine Regelungslücke. Damals wurde die Regelunzuverlässigkeit um folgende Punkte ergänzt:


"[Personen die, d.Red.] Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die

aa) gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind, 
bb) gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind oder
cc) durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 
b) Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, oder 
c) eine solche Vereinigung unterstützt haben …"


Zudem hat man unter anderem die Abfrage bei den Verfassungsschutzämtern in das geltende Waffengesetz aufgenommen.

Das zeigt ganz klar: Die Werkzeuge zur Entwaffnung der Reichsbürgerszene stehen bereits seit geraumer Zeit im Waffengesetz. Auch benutzt wurden sie offenbar schon, grundsätzlich funktionieren sie also: Am 7. Dezember 2022, nach der o.g. Razzia, erklärte Innenministerin Faeser gegenüber der "Bild am Sonntag", bereits 1.050 Reichsbürger seien schon entwaffnet worden. Doch dann stellt sich eben die wichtige Frage: Warum konnten dann Legalwaffen bei einer solchen Razzia gefunden werden? Die Erlaubnisse hätten doch längst entzogen sein müssen, die Waffen einkassiert! Und was ist mit dem Rest der waffenbesitzenden Reichsbürger?

Und da kommt wieder dasselbe, leidige Thema in den Fokus, wie so häufig in waffenrechtlichen Fragen: Es genügt eben nicht, einfach etwas ins Gesetz hineinzuschreiben. Damit alleine lösen sich keine Probleme. Es braucht immer eine effektive Umsetzung bestehenden Rechts. Und das ist seit langer Zeit im Waffenrecht nicht mehr gegeben. Die kaum noch zu bewältigenden Umsetzungsprobleme fangen auf kommunaler Ebene bei den lokalen Waffenbehörden an und ziehen sich über die Landesebene (Polizeien und Landesverfassungsschutzämter) bis auf Bundesebene zum Bundeskriminalamt. Und mit jeder Änderung im Waffengesetz der letzten Jahre hat man die Behörden nicht entlastet, sondern das Gegenteil erreicht: Man hat ihnen noch mehr Arbeit gemacht – und sie weitgehend alleine gelassen. Hier wäre das Bundesinnenministerium in der Pflicht, den Kommunen und Ländern in der Umsetzung der bestehenden Gesetze unter die Arme zu greifen. Die beiden FDP Bundesminister Buschmann und Lindner hatten in den letzten Tagen aus gutem Grund mehrfach darauf hingewiesen.

Zwei Ansätze für ein effektives Waffenrecht und mehr Sicherheit: WaffG vereinfachen und mehr Unterstützung für Behörden

Ordner mit Dokumenten.
Die aktuellen Regelungen im WaffG führen zu enormem Verwaltungsaufwand. Die wichtigen Überprüfungen kommen scheinbar zu kurz.

Es gibt zweierlei Ansätze für eine effektivere Durchsetzung der waffenrechtlicher Regeln: Entweder man entlastet die für den Vollzug des WaffG zuständigen Behörden, oder aber man stattet sie technisch und vor allem personell deutlich besser aus. Am besten wäre beides! Für eine Entlastung könnte die längst überfällige und im Koalitionsvertrag versprochene Evaluierung des Waffengesetzes sorgen. Praktiker wissen: Viele Regeln sind verwirrend, überflüssig und haben schon logisch keinen Effekt auf die innere Sicherheit. Beim Waffengesetz handelt es sich mittlerweile um ein Konstrukt von Regelungen mit Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen, häufig mit Bezugnahme auf (auch für Experten) komplizierte, technischen Definitionen. Seit September 2022 ist das WaffG übrigens in seiner Grundstruktur ein halbes Jahrhundert alt. Eine echte Reform gab es nie, jede Änderung hat im Wesentlichen die Regelungsdichte gesteigert. Jede Wette, die meisten Legalwaffenbesitzer könnten aus dem Stehgreif mindestens fünf, selbst für den Laien sofort als unsinnig erkennbare Regelungen aufzählen. Zusätzlich ein, zugegebenermaßen etwas polemisches, Beispiel zur Umsetzungsproblematik: Es kann nicht sein, dass ein Beamter damit beschäftigt ist, die Schießkladden eines Sportschützen zu durchforsten um zu überprüfen, ob er nun elf- oder zwölfmal im Jahr mit einer bestimmten Waffengattung trainieren war, wenn er stattdessen einem Reichsbürger mit Gewaltfantasien die WBK und Waffen abnehmen sollte. Der Beamte kann da nichts dafür, das Gesetz kennt hier keine Priorität. Und auch das Thema Ausstattung ist klar: Das BMI unterstützt die Kommunalen- und Landesbehörden in der Umsetzung offenbar nicht genug. Nur ein geringer Teil der Umsetzung fällt in direkt untergeordneten Behörden (BKA und BVA) an. Statt zu Entlasten hat das BMI als federführendes Ministerium mit den überwiegend unsinnigen Verschärfungen der letzten Jahre immer mehr "Druck in den Kessel" der Verwaltungen gegeben.

FDP hat das Problem als scheinbar einziger Koalitionspartner in der Ampel erkannt 

"Wir haben in Deutschland strenge Waffengesetze", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Und fügt hinzu "aber selbst die strengsten Waffengesetze helfen nicht wirklich, wenn sich Menschen illegal Waffen beschaffen. Wir müssen unser geltendes Recht besser durchsetzen". Noch klarer wird FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle, er sagte der "Tagesschau": "Wir dürfen nicht wieder den Fehler machen, dass in Berlin das Recht geändert wird, aber in der Fläche diese Rechtsänderung überhaupt nicht gelebt wird.“  Damit trifft Kuhle den Nagel direkt auf den Kopf. Warum wieder das Recht ändern, die Regelungs- und damit Bürokratiedichte noch einmal erhöhen, wenn die aktuellen Regelungen offenbar überhaupt nicht umgesetzt werden konnten? Bleibt also einstweilen für den Waffenbesitzer zu hoffen, dass die Freien Demokraten ihre Koalitionspartner von SPD und Grünen von der Unvernunft weiterer Änderungen im Waffengesetz überzeugen können.