So verbessert ihr eure Fähigkeiten im IPSC-Schießen: Trainingstipps und Inspirationen von einer Top-Schützin

Was trainiere ich heute? Was bringt mich weiter? Schon wieder dasselbe? Beim letzten Wettkampf hatte ich so viele Mikes (Fehlschüsse), was muss ich trainieren, damit das nicht wieder vorkommt? 

Wenn dir diese oder ähnliche Fragen durch den Kopf gehen, habe ich vielleicht ein paar Tipps und Inspirationen, die dein Schießtraining noch effektiver machen. Selbstverständlich sind diese nicht nur etwas für IPSC-Schützen, sondern können abgewandelt jeden dynamischen Schützen weiter bringen. Aber erstmal zu mir: Ich bin Samantha Wendel und IPSC-Team-Schützin im österreichischen Nationalteam. Letztes Jahr bin ich bei der Weltmeisterschaft in Thailand gestartet (darüber habe ich einen WM Vlog auf YouTube gemacht und hier bei all4shooters.com auch schon einige Artikel geschrieben, zuletzt einen mit Tipps zum Wiederladen für IPSC-Schützen). Ich schieße nun bereits seit 10 Jahren IPSC, doch einen riesigen Leistungssprung habe ich erst gemacht, als ich nach Österreich gezogen bin und angefangen habe, mit meinem jetzigen Verlobten, Horst Holzinger, zu trainieren.  

Woher das kommt? Da kommen wir schon zum Punkt: Die Größe und Zusammenstellung der Trainingsgruppe

In meinen Anfängen in Deutschland habe ich gemeinsam mit meinen Eltern einmal pro Woche in einer Trainingsgruppe bestehend aus 10-15 Personen etwa 1,5 Stunden lang trainieren können. Mit Auf- und Abbau eines Parcours war ich bei jedem Training froh, wenn ich einmal alle meine Magazine leer schießen konnte. Mehr als 100 Schuss bzw. mehr als viermal den Parcours durchschießen war damals einfach nicht drin. In Österreich gingen Horst und ich drei- bis viermal die Woche nur zu zweit trainieren und wir schossen bei jedem Training so um die 500 Schuss. Allein diese Mengensteigerung bringt natürlich schon einiges.

Samantha Wendel mit ihrem Verlobten Horst Holzinger bei der IPSC-WM in Thailand 2022.
Samantha Wendel mit ihrem Verlobten Horst Holzinger: Beim Wettkampf (hier bei der Weltmeisterschaft in Thailand) ein eingespieltes Team. Im Training pushen sich die beiden gegenseitig, für Fehlschüsse müssen Straf-Liegestütze gemacht werden.

Eine optimale Trainingsgruppe besteht aus 2 bis 4, aber maximal 5 Personen. UND: Das Training richtet sich immer nach dem Schwächsten. Ist also ein blutiger Anfänger dabei, der mal eben so "gerade aus Laufen kann" ohne sich in den Fuß zu schießen, kann man keinen hoch komplexen Parcours aufbauen. Vorzugsweise sind also alle Mitglieder der Trainingsgruppe auf einem Level und pushen sich gegenseitig, um noch besser, schneller oder präziser zu schießen. Ist ein Besserer dabei, der das Training übernimmt und als Vorbild fungiert, ist das für alle anderen enorm hilfreich, doch muss einem auch bewusst sein, dass der bessere Schütze nur besser wird, wenn er mit jemandem trainiert, der wiederum besser ist als er selbst. Nun werden einige von euch sagen: "Schön und gut, aber ich habe nicht die Möglichkeit mir auszusuchen, mit wem ich trainieren gehe, mein Verein bietet nur einmal in der Woche Training an, und da kommen nun mal alle".

Daher kommen wir jetzt zum nächsten Punk. Samantha empfiehlt: Erst Basics trainieren - KEINE Parcours schießen! 

Was?! Ich trainiere für Wettkämpfe auf Parcours und jetzt soll ich keine Parcours schießen?! Doch zerlegen wir mal jeden Parcours in seinen Einzelteile. In der Regel besteht ein solcher aus einem Start, bei dem entweder erst geschossen wird und man sich dann weiterbegibt, oder andersherum. In jedem Parcours gibt es Positionen, in die ich von vorne, hinten, links oder rechts rein komme, schieße, und dann nach vorne, hinten, links oder rechts wieder wegrenne. Scheiben, die ich in der Bewegung oder statisch beschießen kann, Scheiben die ich sehr präzise beschießen muss oder über die ich drüber rattern kann, bewegliche Ziele oder Stahlziele, und verschiedene Schießpositionen und das Ganze mit beiden Händen, mit und ohne Magazinwechsel, Stronghand oder Weakhand und so weiter. Bestimmte Taktiken, wie man einen Parcours am besten auflöst, den besten Weg findet, kann man nur schwer trainieren, wenn man den Parcours selber aufbaut und beim Aufbauen schon einen speziellen Weg im Kopf hat. Zudem kostet der Auf- und Abbau wertvolle Trainingszeit, die kaum einer von uns hat. Die Magische Formel lautet also: Basics trainieren.

IPSC Training Übung Nr. 1: Das Zahlenspiel in Bewegung

Grafik zur Übung "Zahlenspiel in Bewegung".
Das Zahlenspiel in Bewegung (designed with PractiSim Designer).

Fangen wir mal mit Bewegungen an. Eine meiner liebsten Übungen ist es, Bewegungen isoliert zu trainieren, da ich mich so maximal darauf konzentrieren kann, wie ich in eine Position hineinsteige, um beim Abbremsen und Ausrichten möglichst schnell wieder schussbreit zu sein. Und mich unmittelbar nach dem letzten Schuss schon wieder wegbewegen kann. Hierzu markiere ich mir drei Positionen in einem Dreieck am Boden. Das kann mithilfe von Tonnen, Markierungen am Boden, Scheibenständer oder ähnlichem sehr einfach gemacht werden. Es soll euch lediglich einen Anhaltspunkt geben. Danach hängt ihr euch eine oder drei Scheiben auf. Ihr könnt aus den drei Positionen immer nur auf eine Scheibe schießen, oder für jede Positionen eine eigene Scheibe nutzen. Zu Beginn sollte das Ziel recht einfach sein, eine Vollscheibe auf 10 bis 15 m Distanz. Sitzen die Bewegungen, können die Ziele schwerer werden. Dann nummeriert ihr euch gemeinsam mit eurem Trainingspartner gedanklich die Positionen. Gedanklich! Macht es euch nicht zu einfach und markiert die Positionen, ihr müsst sie euch merken. Jetzt schießt ihr erstmal die Positionen 1, 2, 3 und 1. Aus jeder Positionen werden 2 Schuss gemacht. Ihr startet auf der 1, feuert 2 Schuss, rennt zur 2 (Vorwärtsbewegung), feuert 2 Schuss, rennt zur 3 (Rückwärtsbewegung), macht 2 Schuss und rennt nun noch zurück zur 1 (seitliche Bewegung) wo ihr wieder 2 Schuss abfeuert.

Und jetzt wird es lustig:

Nach dem "Load And make Ready" sagt euch euer Trainingspartner eine wahllose Zahlenkombination. Zum Beispiel 1, 3, 2, 3. Ihr prägt euch diese kurz ein, "Standby" und los geht’s. Bei der 1 zweimal schießen, zur 3, dort zweimal schießen, zur 2, zweimal schießen und wieder zur 3, zweimal schießen. Fertig. So trainiert ihr alle Variationen von Bewegungen und euer Kurzzeitgedächtnis. Und nicht vergessen: pusht euch gegenseitig. Horst und ich pöbeln uns gegenseitig spaßhaft an, wenn die Reihenfolge der Positionen nicht richtig eingehalten wird, und für jedes Delta müssen wir 5 Liegestütze machen. Macht einfach etwas, was euer Herz zum Pumpen bringt und das Stresslevel hoch hält. Eure Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. "Start auf der 1, rennen zur 2, 2 Schuss, rennen zur 3, dabei Magazinwechsel, 2 Schuss, um die 1 rennen und bei der 2 wieder 2 Schuss…."

IPSC Training Übung Nr. 2 : Das Zahlenspiel Statisch

Genug physischen Sport gemacht? Dann bringen wir mit der nächsten Übung den Kopf auch noch auf Trab. Für die nächste Übung hängen wir uns verschieden große und entfernte Scheiben auf. 5 bis 6 Stück, aber auch das bleibt euch überlassen.  Versucht sie möglichst weit auseinander aufzuhängen. Wenn ihr mobile Kugelfänge habt baut sie auf fast 90 Grad links und rechts von euerer Startposition auf. Wenn das nicht geht, geht auf ca. 10 Meter an den Kugelfang heran und nutzt die volle Breite des Kugelfangs aus. Im Idealfall habt ihr eine möglichst große Transition, eine oder zwei sehr nahe und einfache "Drüberratter"-Scheiben und ein oder zwei sehr weite, kleine, schwere Scheiben. Diese nummeriert ihr wieder gemeinsam gedanklich durch. Gedanklich! Macht es euch nicht zu einfach! Zum Aufwärmen schießen wir wieder die Scheiben 1 bis 6 durch. Und dann darf euch euer Trainings Partner wieder mit Zahlenkombinationen quälen.

Was wir dadurch trainiert?

Grafik zum "Zahlenspiel statisch".
Das Zahlenspiel Statisch (designed with PractiSim Designer).
  1. Eine Reihenfolge merken und nicht immer die erste Scheibe schießen, die man sieht. Im Wettkampf ist es häufig sinnvoll, eine Ausweichscheibe zu übergehen, erst den Auslösestahl zu schießen, dann die Ausweichscheibe und dann den Swinger.
  2. Transition: Wenn zwei Scheiben weit auseinander sind, ich aber in derselben Position stehen bleiben muss, muss ich einen sehr großen Schwenk von der einen zur anderen Scheibe machen. Dies birgt oft die Gefahr, die zweite Scheibe zu überfahren, schon abzudrücken, wenn du noch gar nicht richtig auf der Scheibe bist, und so den ersten Schuss auf die zweite Scheibe daneben zu setzen.
  3. Wie schnell kann ich welche Scheibe schießen? Eigentlich logisch, nahe Scheiben schnell schießen, weite Scheiben bedürfen mehr Präzision und somit auch mehr Zeit. Doch wenn man bespielsweise zwei schnelle Scheiben schießt, dann eine weite, schwierige dazwischen hat und dann wieder eine schnelle, wird es auf einmal verdammt schwer, sich genügend einzubremsen, um die schwere Scheibe sauber zu treffen, nur um anschließend wieder genügend zu beschleunigen und die einfachen Scheiben mit maximaler Geschwindigkeit zu schießen.  Da dies so schwierig sein kann, jedoch so unglaublich wichtig ist, gibt es dazu noch eine eigene Übung.

Den Kopf rauchen lassen. Schießen ist Kopfsache. Ist man mit den Gedanken woanders, oder denkt noch über die Mikes auf dem vorherigen Parcours nach, wird man wieder Fehler machen. Ist der Kopf selbst schon so überfordert mit dem Schießen, hat man keine Hirnkapazität übrig, um auf Unvorhergesehenes zu reagieren, wie etwa Waffenstörungen oder nötige Nachschüsse. 

IPSC Training Übung Nr. 3: Decelerate & Accelerate

Beschleunigen & Entschleunigen. Wie bereits gesagt, sind Tempowechsel unglaublich wichtig, jedoch auch sehr schwierig. Oft genug hört man, dass Schützen sich beim Schießen "verbrannt" haben. Sie haben also eine Scheibe deutlich schneller geschossen, als es ihnen möglich gewesen wäre und daher haben sie die Scheibe nicht gut oder überhaupt nicht getroffen. Besonders oft passiert das, wenn man zum Bespiel vorher seine Strecke sehr schnell sprinten konnte und nun mit rasendem Herz und voller Adrenalin eine weite Scheibe schießen muss. Oder, wenn man sehr leichte kurze Scheiben sehr schnell geschossen hat und nun auf eine weite oder schwierigere Scheibe wechseln muss. Anders herum kann dies jedoch genauso passieren. Nach dem man sehr schwere Scheiben schießen musste, sieht man oft, dass Schützen leichte Scheiben danach noch immer zögerlich und zurückhaltend schießen. Ja, die Treffer auf diesen kurzen Scheiben werden perfekt sein. Doch hätte man sie deutlich schneller schießen können und hat durch das Zögern zeit verloren. Daher hängen wir uns in der nächsten Übung mehrere Scheiben von leicht zu schwer auf. Von nah zu weit und von groß zu klein. Und jetzt Schießen wir diese von leicht zu schwer und wieder zurück durch. Klingt zunächst banal und einfach, doch mit stetiger Wiederholung lernt ihr, wie schnell ihr die jeweiligen Scheiben schießen könnt, wo eure Grenzen liegen, und ob ihr über eure gedachten Grenzen nicht vielleicht doch noch ein Stück hinaus gehen könnt. Aber ACHTUNG! Ihr wollt Alphas schießen. MAJOR-Schützen dürfen auch ein paar Charlies dabeihaben, aber insbesondere wenn ihr 9 mm MINOR schießt, dürft ihr im Training keine Charlies schießen. Warum? Weil aus Charlies im Training, erfahrungsgemäß Deltas im Wettkampf werden. Und aus Deltas im Training werden Mikes im Wettkampf. Wenn ihr diese Übung statisch in einem guten Tempo und mit guten Treffern hinbekommt, rennt in die Position, aus der ihr die Scheiben schießt. Macht genau das, was so oft im Wettkampf für Probleme sorgt. Sprintet in die Position, bleibt stehen und schießt die weite Scheibe, um dann wieder auf nahe zu beschleunigen. Und andersherum. 

Das Foto verdeutlicht die Scheibenanordnung für die Übung "Rhythmusschießen im Target Array".
Beim Rhythmus schießen im Target Array trainiert man das schnelle und gleichmäßige Beschießen von mehren Zielen mit gleichmäßig getakteten Doubletten in einer zuvor festgelegten Reihenfolge. Neben dem Array mit der No-Shot-Scheibe in der Mitte werden auch die beiden äußeren Scheiben in die Übung einbezogen.

IPSC Training Übung Nr. 4: Rhythmus schießen im Target Array

Jetzt wird es musikalisch. Doubletten schießen, aber mit Rhythmus! Diese Übung ist ein wahrer Munitionsfresser (mein Verlobter nennt mich ja nicht um sonst ein "munitionsfressendes Monsterchen" bringt aber unglaublich viel, wenn es darum geht, Scheiben die nah beieinander sind, wahnsinnig schnell schießen zu können. Hierfür hängen wir uns ein Target Array (Anordnung von Zielen) aus vier Scheiben auf, mit einem No Shoot (Scheibe, die nicht beschossen werden darf) in der Mitte und jeweils noch einer Scheibe links und rechts davon. Nun Schießen wir erst eine der beiden äußeren Scheiben, dann das Target Array und dann die andere äußere Scheibe. Die Faustregel besagt, dass man immer zuerst die untere Scheibe schießen soll und dann die Scheibe oben drüber, da man so nicht gegen den Rückstoß arbeiten muss. Wenn ich diese Übung schieße und beispielweise auf der linken äußeren Scheibe anfange, schieße ich zuerst die linke untere Scheibe, dann die rechte untere, dann die Rechte obere und dann die linke obere. Ich bleibe also in einem flüssigen Kreis. Dies ist aber natürlich nicht der einzig wahre Weg. Wichtig ist, dass ihr auf jede Scheibe zwei saubere ALPHAS schießt, und nicht einfach nur in einem Kreis drüberstreut. Und jetzt kommt das Spannende: Beim Schießen der vier Scheiben soll man KEINE Doubletten hören. Es soll ein gleichmäßig getaktetes Knallen sein, ohne Unterbrechungen. Also: Bam Bam Bam Bam und nicht BamBam, Pause, BamBam Pause…

Im ersten Moment denkt man sich jetzt: ´OK, dann schieße ich einfach langsamer, dann habe ich mehr Zeit zum Wechseln der Ziele und es hört sich nach einem gleichmäßigen Rhythmus an.´ Doch jetzt ziehen wir das Tempo etwas an, und sehr schnell wird man wieder mit maximaler Geschwindigkeit schießen und das Wechseln zwischen den Scheiben wird immer schneller und schneller geschehen. Und so trainiert man, solche Target Arrays unglaublich schnell zu schießen, keine Zeit zu verschwenden und dennoch sauber zu schießen. Zum Schluss kann ich nur jedem ans Herz legen, seinen letzten Wettkampf genau zu analysieren und die Fehler, die man gemacht hat, möglichst zu isolieren. Nur, wenn ihr diese kleinen Bewegungen, Zielwechsel, Schüsse auf schwere oder leichte Scheiben immer und immer wieder bewusst richtig macht, werdet ihr das große Puzzle im nächsten Wettkampf zusammensetzen können und ohne darüber nachzudenken alles richtig machen. 

Wie genau man einen Parcours im Wettkampf am besten angeht und was die richtige Taktik ist, dass verrät euch Samantha  demnächst hier bei uns auf all4shooters.com.


Vom 24. bis 30. September findet im griechischen Korinth die Europameisterschaft im IPSC-Kurzwaffen-Schießen 2023 statt. Natürlich werden wir euch hier auf all4shooters.com aktuell über diese EM auf dem Laufenden halten.

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