Im folgenden Bericht beschreibt unsere Autorin die Unterschiede, die sie selbst erfahren hat und oftmals auch bei Neulingen im Schießsport beobachtet. Zudem gibt sie Ratschläge, wie Vorteile genutzt werden können und welche geschlechterspezifischen Nachteile hartes Training erfordern, damit man sie überwinden kann.
Im Detail führt Samantha Wendel aus: Natürlich muss dazu gesagt werden, dass die folgenden Tipps auf meinen persönlichen Erfahrungen beruhen. Ich empfehle jedem einfach verschiedene Trainingsansätze auszuprobieren und herauszufinden, was für einen selbst am besten funktioniert. Denn natürlich ist jeder – egal ob Mann oder Frau –unterschiedlich und empfindet daher unterschiedliche Tipps als hilfreich oder auch sinnlos für sich selbst. Oftmals ist es jedoch auch sehr zielführend, die Probleme des Partners besser zu verstehen, der eventuell ganz andere Hindernisse überwinden muss, als man selbst. Und sich die eigenen Stärken bewusst zu machen, ist zudem eine Eigenschaft, die nicht nur im Schießsport äußerst nützlich sein kann.
Ich habe mit 15 angefangen IPSC zu schießen, mittlerweile schieße ich also seit über 10 Jahren. Vor über 6 Jahren habe ich dann meinen Verlobten auf einem Wettkampf in Österreich, kennengelernt. Er hat zu dieser Zeit erst im zweiten Jahr IPSC geschossen, allerdings war er bereits damals schon deutlich besser als ich.
Sind Männer im Schießsport wirklich besser?
Der Hauptfaktor hierfür war der Ehrgeiz meines Partners – also sein männlicher Anspruch nicht nur mehr zu trainieren, sondern vor allem um explosiv zu rennen und abrupt zu stoppen. Wenn wir gemeinsam trainiert haben, hat er immer spaßeshalber gesagt, dass wenn ich schieße man die Einhörner über die Stage hüpfen sieht. Das war keineswegs als Beleidigung gedacht, allerdings war es eine sehr zutreffende Beschreibung meines Schießstiels. Denn ich habe sehr glücklich und entspannt geschossen. Ich bin nicht richtig gerannt, eher zügig gejoggt, habe sanft abgebremst, habe mein Ziel aufgenommen, habe dann geschaut, dass ich wirklich perfekt visiere und einen perfekten Schuss auf die Scheibe abgegeben. Anschließend neu visiert und einen perfekten zweiten Schuss. Und dann bin ich wieder ganz glücklich weiter zum nächsten Ziel gejoggt. Genauso langsam und langweilig wie Ihnen das jetzt beim Lesen vorkommt war das Ganze auch….
Jedoch bin ich kein Einzelfall. Denn dies ist ein Phänomen, das ich im Training bei sehr vielen Frauen beobachte. Frauen tendieren dazu, eher perfekt schießen zu wollen und zwar glücklich und entspannt zu joggen, allerdings nicht mit dem Elan voll los zu sprinten und voll abzubremsen, auch wenn das vielleicht etwas in den Gelenken weh tut.
Männer hingegen bekommen diesen Elan, dieses Engagement mit der Zeit von selbst. Die meisten Männer fangen von selbst an, irgendwann mal mit Vollgas los zu sprinten und zu schauen was passiert. Einfach mal auf eine Scheibe draufzuhauen, einfach mal "die Schüsse fliegen zu lassen" und zu schauen, wo sie dann treffen. Viele Männer kämpfen eher damit, zu schnell zu rennen und zu unpräzise zu Schießen. Ihnen fällt es ausgesprochen schwer, sich nach einem schnellen Sprint wieder zu versammeln und mit einem angemessenen Tempo auf die Scheiben zu schießen, ohne durch überhastetest Zielen Fehlschüsse zu riskieren.
Viele Frauen müssen sich antrainieren, dass es nicht immer der "perfekte Schuss" sein muss. Ein Alpha ist ein Alpha, egal ob es jetzt ein tiefes, ein angekratztes, oder ein perfekt mittiges ist. Allerdings mal mit vollem Engagement wegzurennen, voll los zu sprinten und voll abzubremsen, das ist etwas, was sich sehr viele Frauen erst durch hartes Training erarbeiten müssen. Ich persönlich muss mir dies vor jeder Stage wieder in den Kopf rufen. Ich stelle mir bildlich vor, an welchen Stellen ich Vollgas geben kann, sowohl beim Rennen als auch beim Schießen, und bei welchen Targets ich mich zusammenreißen muss und wie genau ich visieren muss, damit die Schüsse dort hingehen, wo ich sie haben möchte.
Anfängern im Schießsport gebe ich immer eine Checkliste
In unregelmäßigen Abständen gebe ich auch Anfängertrainings. Neulingen erkläre ich das Schießen immer anhand von folgender Checkliste.
- Punkt A: Sich richtig hinstellen
- Punkt B: Die Waffe richtig in die Hand nehmen
- Punkt C: Finger weg vom Abzug
- Punkt D: Ordentlich atmen
- Punkt E: Richtig visieren
- Punkt F: Sanft den Druck erhöhen
Diese Checkliste soll dann vor jedem Schuss abgearbeitet werden. A B C D. A B C D ….
Frauen tun sich in der Regel recht leicht, diese Checkliste abzuarbeiten. Manche Punkte werden eventuell übersprungen oder nicht in der richtigen ausgeführt, aber im Großen und Ganzen wird die Checkliste abgearbeitet.
Männern gebe ich dieselbe Checkliste an die Hand, doch fällt mir immer wieder auf, dass sie wohlmöglich einen Adrenalinschub bekommen, wenn sie das erste Mal die Freuden des Schießens für sich entdecken und somit wird vergessen, dass nach A und B C kommt und man nicht gleich zu X Y und Z springen kann. Es wird immer schneller und mit mehr Freude geschossen und "unwichtige" Punkte wie atmen, sanft abdrücken oder nicht in Rückenlage wandern, werden völlig vergessen.
Das ist natürlich schön und macht Spaß, allerdings ist es extrem schlecht für das Trefferbild und oftmals leidet auch die Sicherheit in der Waffenhandhabung. Ein absolutes No-Go – der Finger musss IMMER weg vom Abzug sein, wenn nicht geschossen wird und die Waffe wird IMMER in die sichere Richtung gehalten, egal in welchem Ladezustand sie sich befindet.
Ich halte daher viele Männer dann eher etwas ruppiger dazu an, sich wieder zu sammeln, zu konzentrieren und wieder brav die Checkliste abzuarbeiten.
Auch wenn man bereits in der Lage ist, manche Punkte unterbewusst abzuarbeiten, ohne bewusst darüber nachdenken zu müssen, sollen diese trotzdem sauber ausgeführt werden. Wenn die Griffhaltung miserabel ist, dann wird sich auch der schnellste und beste Schütze mit einem perfekten Visierbild schwertun, die Scheibe zu treffen. Frauen hingegen müssen oftmals dazu angehalten werden, die Checkliste immer zügiger und flüssiger abzuarbeiten.
Als ich anfing mit Horst gemeinsam zu trainieren, stellte er fest, dass ich bei jeder Scheibe innehalte und visiere. Egal ob sie 50 Meter entfernt ist oder nur 5 Meter. Ich habe immer Kimme und Korn kontrolliert und erst dann abgedrückt. Dass kostet natürlich eine Menge Zeit, insbesondere bei 5 Meter Scheiben. Also hielt er mich an, viel Trockentraining zu machen und klebte mir im Training die Visierung mit einem Schusspflaster ab. Ich war entsetzt. "Ohne Visierung kann ich doch nicht schießen!!" "Doch, natürlich. Dein Muskelgedächtnis ist so gut, Du musst auf 5 Meter Scheiben nicht visieren. Jetzt denk nicht drüber nach und mach einfach." Und tatsächlich. Es geht.
Er hingegen läuft öfter Gefahr, vor lauter Elan sich selbst zu überholen und nicht nur kurze Distanzen mit Vollgas zu schießen, sondern auch weitere. Dies birgt das Risiko, die Scheibe nicht zu treffen und kostet Punkte. Und die beste Zeit ist nichts wert, wenn man zu viele Punkte verloren hat. Während ich also trainieren muss auf kurzen Scheiben Gas zu geben, muss er trainieren, auf weiteren Scheiben zu bremsen.
Wie in allen Lebenslagen lautet das Mantra beim Schießen: "Finde den Mittelweg"
Es gilt also, wie in den meisten Lebenslagen, dass richtige Mittelmaß zu finden. Sich in der Mitte zu bewegen zwischen vollem Elan und durchdachtem Zurücknehmen. Und genau das ist, wie in den meisten Dingen, genau das Schwierigste.
Sehr hilfreich um diese Fähigkeiten zu erlernen ist es, einen Trainingspartner zu haben, der die eigenen Schwächen und Stärken genau kennt. Der genau weiß, ob man eher dazu tendiert, zu perfekt schießen zu wollen und dadurch eher zögerlich zu rennen ob man eher dazu neigt, sich selbst zu überholen und vor lauter Elan und Energie Mikes zu kassieren.
Fragen Sie sich also selbst: Neigen Sie eher zu überstürztem, schnellem Handeln oder zu zögerlicher Zurückhaltung. Beides hat seine Vorteile, und die Nachteile und beiden Eigenschaften kann man, wenn man sich dessen bewusst ist, gut trainieren und minimieren.