Die größte Gefahr für das leibliche Wohl droht nicht daheim, sondern im öffentlichen Raum. Körperverletzung, Raubüberfälle und dergleichen gehören leider inzwischen zur alltäglichen Berichterstattung in den Medien, sei es der U-Bahntritt in Berlin, der Tod von Dominik Brunner in München oder eben alle weiteren, nicht so präsenten Vorkommnisse. Doch wie reagiert die Bevölkerung darauf? Glaubt man den Medien, so bewaffnet sich das Volk, um das Sicherheitsdefizit auszugleichen, das die Stellenkürzungen im Bereich der Polizei hinterlassen haben. Ein gutes Beispiel dafür sind die Zahlen zu den Kleinen Waffenscheinen, die laut Medien geradezu explodiert sind. Schaut man aber näher hin, erscheint alles in einem weniger dramatischen Licht. Nun ist es aber gang und gäbe – dem wird wohl auch keiner ernstlich widersprechen wollen – dass die Bevölkerung in welchem Maß auch immer "aufgerüstet" hat, um im Duktus der Massenmedien zu bleiben. Seien es Pfeffersprays, Schreckschusswaffen oder Schrillalarme, alles was erlaubt und einfach zu bekommen ist, scheint seinen Markt zu finden. Zwar befinden sich die Zahlen, wie man aus der Branche hört, nicht mehr auf einem solchen Hoch wie noch zu Beginn des Jahres 2016, doch infolge der allseits verbreiteten Unsicherheit tummeln sich auf dem Markt für Selbstschutz immer mehr Anbieter, die ihren Teil des Kuchens abhaben wollen. Wobei – wiederum eine Stimme aus der Branche – man nicht mehr nur von einem trockenen Kuchen spricht, sondern gleich von einer "mehrschichtigen Sahnetorte" mit allem Drum und Dran. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was im Notfall Sinn machen kann und wie man damit umgeht.
Allerlei Nützliches zur Selbstverteidigung
Auf dem Markt gibt es allerlei kleine Helfer, die Sie im Falle eines Falles schützen können, wenn Sie diese richtig bedienen können. Das kann aber nur der letzte Ausweg sein. Es geht nicht darum, sich beispielsweise mit einem Kubotan so stark zu fühlen, so dass man die Konfrontation geradezu sucht oder überhaupt erst nicht versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Eine Weisheit, die man allerorten von Trainern immer wieder hört, lautet: "Ein vermiedener Kampf ist ein gewonnener Kampf." Deswegen soll es jetzt darum gehen, wie man im öffentlichen Raum Gefahren erkennt, diese vermeidet, sich deeskalierend verhält und nur als allerletztes Mittel zur Gewalt greift. Außerdem: Wer mit Stichschutzweste, Messer, Schreckschussrevoler, Kubotan, Abwehrstock und so weiter herumläuft, von dem geht schon eine feindselige Haltung aus – wenn auch vielleicht unbeabsichtigt. Aber das muss einem bewusst sein.
Was trägt zur Sicherheit im Alltag bei?
Wer kennt das nicht? Abends auf dem Volkfest steht man am Bierstand, unterhält sich angeregt und dann sucht jemand, der zu tief ins Glas geschaut hat, Streit. Ein unbedachter Blickkontakt, flugs fühlt sich der andere provoziert. Schon fliegen Beleidigungen durch die Luft. Lassen Sie sich erst gar nicht auf das verbale Kräftemessen ein. Geben Sie klein bei, auch wenn es schwer fällt. Ihr Gegenüber versucht Sie ja gerade dazu zu verleiten. Moralische Überlegenheit siegt vor stumpfer Gewalt. Brechen Sie den Kontakt ab, bewegen Sie sich weg, aber so, dass Sie nicht von hinten überrascht werden können. Verwirrung können Sie auch einsetzen – sagen Sie ein Gedicht auf. Durchbrechen Sie, oder versuchen Sie es zumindest, die sich aufschaukelnde Situation. Achten Sie auch darauf, dass Sie immer einen sicheren Abstand zu dem Aggressor haben. Kommt er auf Schlagdistanz heran, sinken Ihre Chancen erheblich, aus dieser Situation heil herauszukommen. Halten Sie den möglichen Angreifer von sich weg. Strecken Sie die Arme aus und rufen Sie "STOP!", wenn er auf Sie zukommt. Dieses Signal dürfte jeder verstehen. Dies war jetzt aber nur ein kleines Beispiel. Derer gibt es viele, je nach Örtlichkeit.
Gefahren lauern an vielen Orten
Die sogenannten No Go Areas existieren mittlerweile in vielen Großstädten. Doch damit bezeichnete man nicht nur die "Problembezirke", sondern auch Örtlichkeiten, die man, wenn es möglich ist, zu einer bestimmten Zeit nicht mehr aufsuchen sollte, Parkhäuser oder große Wohnanlagen wären zwei Beispiele dazu. Führt jedoch kein Weg daran vorbei und man muss dorthin, gilt es, immer wachsam zu bleiben. Auf dem Smartphone Nachrichten schreiben, dazu über die Ohrstöpsel laut Musik hören, das alles setzt die Aufmerksamkeit herab und wirkt auf einen potentiellen Angreifer geradezu wie eine Einladung, zuzuschlagen. Um beim Beispiel Parkhaus zu bleiben: Diffuse Beleuchtung, viele Winkel, viele Autos als Deckung. Alles ein Tummelfeld für Aggressoren, die auf unaufmerksame Bürger lauern. Die Gefahr, von Betrunkenen angegangen zu werden, wer sollte es auch anders vermuten, dürfte vor allem nachts in den bekannten Vierteln lauern, sei es in Hamburg auf der "Schanze" oder in Frankfurt am Main in Sachsenhausen. Seien Sie immer darauf gefasst, dass es dort unter Umständen zu Handgreiflichkeiten kommen kann. Oder auch, dass Sie als Unbeteiligter mit hineingezogen werden. Schnell landet ein geworfenes Glas an der falschen Stirn. Aber auch, wenn Sie selbst dem Alkohol zusprechen, achten Sie darauf, dass Sie immer noch Herr Ihrer Sinne sind. Wehrlose oder in ihrer Motorik eingeschränkte Personen eignen sich perfekt als Opfer für Straftaten, da sie sich im besten Fall noch nicht einmal an die Tat erinnern können. Merke: Was daheim statthaft erscheint (abgesehen von der Gesundheit natürlich), kann in der Öffentlichkeit schnell zu einem Problem werden. Das bildet auch den Übergang zum nächsten Punkt: der Umgebung.
Bitte stets die Umgebung im Auge behalten
Vermeiden Sie es, alleine durch dunkle unbeleuchtete Straßen zu gehen oder durch unbeleuchtete oder schlecht erhellte Unterführungen. Dunkelheit und Abgeschiedenheit bieten potentiellen Angreifern das passende Umfeld für ihre Handlungen. Haben Sie Ortskenntnisse, sollten Sie wissen, wo man sich relativ gefahrlos bewegen kann. Fehlt Ihnen dieses Wissen, suchen Sie Orte auf, an denen viele Menschen sind. Allgemein kann man sagen, dass man immer gut fährt, wenn man folgende Tipps beherzigt:
Tipp 1: Gehen Sie mit offenen Augen durch die Welt und nehmen Sie Ihre Umgebung bewusst war. Kein Starren auf das Smartphone oder Musik auf den Ohren – außer, Sie befinden sich an einem definitiv sicheren Ort oder eben in einem sicheren Umfeld.
Tipp 2: Wenn Sie einen der genannten Orte passieren müssen, meiden Sie die Ecken. Gehen Sie in einem weiten Bogen an diese Stellen heran. Wartet dort ein Angreifer, haben Sie schon eine gewisse Distanz zu ihm, die Ihnen ermöglichen kann, wegzulaufen oder sich zur Wehr zu setzen.
Tipp 3: Signalisieren Sie Stärke. Schleichen Sie nicht gebeugt mit hängenden Schultern und einem unsicheren Blick umher. Das signalisiert Schwäche. Ein Räuber oder Aggressor sucht keine ebenbürtigen Gegner, sondern jemanden, den er einfach berauben oder an dem er sein Ego aufrichten kann.
Tipp 4: Wissen Sie um Gefahrenstellen auf Ihrem Weg? Dann schlagen Sie lieber einen Umweg ein. Aggressoren denken mitunter nicht logisch, deswegen nehmen Sie lieber den längeren Weg in Kauf, anstatt sich in eine Konfrontation hineinziehen zu lassen. Geraten Sie dennoch in eine Situation, in der es fast zwangsläufig zu einer ernsten Konfrontation kommt, kommen als nächstes die vier Ds ins Spiel.
Die 4 Ds des Selbstschutzes:
Wie erwähnt, beginnt eine Konfrontation meist mit einem Dialog, Beleidigungen und dergleichen. Bleiben Sie ruhig, sachlich und nehmen Sie Druck aus der prekären Situation. Erstes D: Dialog.
Fruchtet dieses Vorgehen nicht, halten Sie, wie beschrieben, den Aggressor auf Abstand und geben Sie klare Anweisungen wie "STOP!" oder "HALT!" oder "NICHT WEITER!" Gepaart mit einer festen und lauten Stimme, ziehen Sie eine verbale Grenze und geben klare Anweisungen. Das zweite D: Direktive.
Überschreitet der Aggressor aber auch diese imaginäre Linie, kommt es fast unweigerlich zur Konfrontation. Sollte allerdings noch die Möglichkeit zur Flucht bestehen, ist diese Option vorzuziehen. Allerdings sollte sie gelingen. Eine missglückte Flucht kann den Angreifer noch zusätzlich in Rage versetzen. Erst wenn auch diese Variante ausscheidet, sollten Sie an eine körperliche Gegenwehr denken. Dazu eignen sich viele kleine Helfer, die aber auch mitunter nichts als Zeit verschaffen sollen. Wie dem auch sei – wenn der Angriff erfolgreich abgewehrt ist und vom Angreifer keine Gefahr mehr ausgeht, müssen Sie ihm im Zweifelsfall Erste Hilfe leisten, auch wenn das vielen schwer fallen mag. Besteht immer noch Gefahr, flüchten Sie und verständigen Sie die Polizei, die sich dann der Sache annehmen wird. Sollten Sie aber beim Täter bleiben, greift gleich das dritte D: Deeskalation.
Ebenso wichtig wie die Deeskalation ist aber auch das letzte und vierte D: die Dokumentation. Versuchen Sie, Zeugen des Vorfalls zu finden, die Ihre Angaben bestätigen können, dass Sie nicht der Aggressor waren. Das ist für eine eventuell später stattfindende rechtliche Auseinandersetzung unerlässlich, wenn Sie nicht auf einmal im sprichwörtlichen Regen stehen wollen. Wenn Sie sich aber an die vier Ds gehalten haben, dann sollten Sie auf alle Fälle auf der rechtlich sicheren Seite sein und einem Verfahren entspannter entgegensehen können.
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