In den meisten Fällen ist es das Ziel des Aggressors, uns durch die Drohung mit der Waffe um Geldbörse, Kreditkarten, Schmuck oder andere möglichst teure Gegenstände zu erleichtern. Wie auch immer, selbst wenn wir sofortige Kooperationsbereitschaft signalisieren und die gewünschten Objekte herausrücken ist dies keine Garantie dafür, dass er davon absieht, uns dennoch verletzen zu wollen. Offensichtlich ist es der klügste Weg sich gegen solcherart von bewaffneten Raubüberfällen zu verteidigen, indem man möglichst wachsam durchs Leben schreitet und Gefahren so frühzeitig erkennt, dass man ihnen einfach aus dem Wege gehen kann. Bester Schutz: Frühwarnsystem! Umso aufmerksamer man das Treiben um sich herum in jeder Lebenslage registriert, desto höher ist die Chance, Probleme oder Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.
Ist keine Früherkennung möglich, folgt eine Abwehrsequenz
Hat man allerdings diese Möglichkeit bereits verpasst und sieht sich mit einem bewaffneten Räuber in Kontaktdistanz konfrontiert, sollten unsere Abwehrmaßnahmen auf einer simplen, logischen Sequenz von Aktionen basieren:
- Maximale Nähe suchen: Auch, wenn es befremdlich klingen mag, wird man von einer bewaffneten Person in Kontaktdistanz bedroht, ist nächste Nähe besser. So lange man nicht so nah ist, dass man die Waffe beziehungsweise die Hand, die sie hält, berühren kannt, hat man der Bedrohung wenig entgegenzusetzen. Sollte es nötig und vor allem möglich sein, bewege man sich noch näher zum Aggressor hin.
- Kommunikation starten: Um die Gelegenheit zu schaffen, unsere Abwehr überhaupt ausführen zu können, müssen wir Zeit gewinnen, indem wir idealerweise das Gegenüber dazu bringen, über etwas anderes nachzudenken als uns zu schaden. Wir fordern ihn dazu auf, sich zu entspannen und cool zu bleiben, versprechen ihm Geld oder Kreditkarten und stellen ihm dann als Ablenkung eine Frage. Beispiel: Bleib locker, ich habe 50 Euro in meiner Tasche, ist das genug? Während er darüber nachdenkt "genug für was?" machen wir unsere Bewegung.
- Wir führen unsere Hände so nahe wie möglich an den Waffenarm heran. Die Hände anzuheben verstärkt den Eindruck für unser Gegenüber, dass wir kooperativ agieren wollen. Unsere Bewegungen führen wir möglichst subtil und besänftigend aus. Während wir uns in eine möglichst günstige Position bringen, sprechen wir die ganze Zeit auf den Straßenräuber ein.
- Wählen Sie eine Richtung aus: Falls der Aggressor eine Waffe auf den Körper ausgerichtet hat oder gegen einen presst – wie zum Beispiel ein Messer an der Halsseite – wählt man eine Bewegungsrichtung, welche die Waffe von einem in eine sichere Richtung wegbringt. Sollte das Gegenüber mit einer Schusswaffe bewaffnet sein, entscheidet man sich für eine Richtung, in der man seine Waffe bewegt und die den eigenen Körper aus der Schusslinie bringt.
- Lenken Sie die Waffe vom Körper weg: Bewegen Sie die Waffe schnell und effizient vom Körper weg. Man nutzt natürliche schlagende, klatschende Bewegungen mit der Handinnenfläche und konzentriert sich dabei auf die Waffen führende Hand des Gegenübers.
- Kontrollieren Sie so schnell wie möglich den bewaffneten Arm: Der beste Weg, dies zu erreichen, ist es, den Arm oberhalb des Ellbogens zu greifen und ihn kraftvoll unterhalb der eigenen Armachsel zu ziehen und einzuklemmen. Dies schränkt die Bewegung seines Armes bis zum Schultergelenk ein und erlaubt uns die Kontrolle über die Waffe, ihrer Bewegung und Ausrichtung.
- Schlagen Sie zu, bis das Gegenüber handlungsunfähig ist: Wenn man sich mit leeren Händen gegen einen bewaffneten Angreifer verteidigen muss, ist es weitaus entscheidender, ihn auszuschalten als ihn zu entwaffnen. In vielen Kampfkünsten und Selbstverteidigungssystemen fokussiert man sich darauf, die Waffe aus der Hand des Angreifers zu entfernen. Dies ist nahezu unmöglich, wenn der Kontrahent eine kleine Waffe wie ein Teppichmesser oder eine subkompakte Schusswaffe führt. Stattdessen führen wir mit Schlägen und Tritten Angriffe auf besonders empfindliche Ziele wie Augen, Hals, Unterleib, Knie- oder Fußgelenke aus. Unser wichtigstes Ziel ist es, die Kampffähigkeit des Angreifers zu zerstören.
- Entwaffnen, falls es nötig ist: Sollte der Aggressor mit einer Schusswaffe ausgerüstet sein, entwaffnet man ihn, bevor man den Kontakt abbricht, um sicherzustellen, dass er nicht doch noch die Waffe während Deiner Flucht abfeuern kann.
- Suchen Sie das Weite: Wenn der Angreifer handlungsunfähig ist, schafft man Distanz und sucht die Möglichkeit zur Flucht.
Abwehr eines Straßenräubers mit Messer
Um die beschriebenen Handlungsabläufe zu illustrieren, gehen wir an dieser Stelle von einem Straßenräuber aus, der uns mit einem vor unserem Bauch gehaltenen Messer bedroht. Weil er uns bereits mit der Klingenspitze berührt, befinden wir uns schon in der nahen Kontaktdistanz, so dass unsere Bewegungsrichtung nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Wir sprechen besänftigend auf unser Gegenüber ein und bewegen langsam unsere Hände mit beruhigenden Gesten, um näher an das Messer zu gelangen. Wir stellen ihm eine Frage, um ihn zu verwirren, und ohne unsere Bewegung zu "telegraphieren" schlagen wir mit unserer rechten Hand in einer klatschenden Aktion auf die Waffenhand. Während wir das machen, ziehen wir unseren Bauch ein und von der Klingenspitze weg, um unsere linke Hand auszufahren und seinen Armrücken oberhalb des Ellbogens zu ergreifen. Wir ziehen seinen Arm zu uns hin und klemmen ihn unter unserer linken Achsel ein, um die Kontrolle über den Waffen führenden Arm zu gewinnen. Zeitgleich schlagen wir mit der rechten Hand oder dem rechten Unterarm auf die Halsseite des Gegenübers. Diese Zug-Schlag-Kombination sollte simultan ausgeführt werden, um höchste Effizienz zu erreichen. Der Schlag gegen den Hals sollte auf die Halsschlagader ausgerichtet sein, der Punkt, an dem man sonst auch die Finger auflegt, um den Puls zu überprüfen. Sofort nachdem der Schlag den Hals getroffen hat, haken wir unsere Hand im Nacken des Aggressors ein und beugen ihn nach vorne, um Kniestöße in den Unterleib abzufeuern. Beachten sollte man hierbei, dass man die eigenen Ellbogen Richtung der Rippen einzieht, um die zusätzliche Kraft der Rückenmuskulatur nutzen zu können. Um unsere Abwehr abzuschließen, führen wir unseren rechten Arm über seinen Waffenarm und drücken unsere Hand kraftvoll gegen unseren Bauch, um seinen Waffenarm zu sichern. Dann gleiten wir mit unserer linken Hand nach unten, um sein Handgelenk zu greifen. Führe beide Hände zusammen, um einen Armhebel auszuführen, der beispielsweise im klassischen Judo als "ude garami" bezeichnet wird. Eine Drehung nach rechts ausführend, bewirken wir nach unten ausgerichteten Druck mit der Rückseite unserer rechten Schulter, indem wir unsere Hände und somit die Waffenhand des Gegners für die Vollendung des Armhebels nach oben fahren. Mit Beendigung unserer Drehung lassen wir multiple Kniestöße zum Kopf des Angreifers folgen, um endgültig für seine Handlungsunfähigkeit zu sorgen. Waffen im Nahbereich abzuwehren, erfordert logisch aufgebaute Techniken sowie korrektes und konstantes Training. Trainiere hart und bleibe sicher!
Die anderen Teile unserer Serie lesen Sie hier:
- Grundlagen der Selbstverteidigung und die Abwehr des "Schwingers"
- Die Abwehr eines würgenden Angreifers
- Die Standardsequenz als Fundament erfolgreicher Selbstverteidigung
- Abwehr eines üblichen Straßenangriffs: Des Kragengriffs
- Bewaffnete Selbstverteidigung: Improvisierte Waffen.
- Selbstverteidigung am Boden, wenn der Gegner auf uns sitzt.
- Abwehr von mehreren Gegnern, die auf uns am Boden liegend eintreten.
- Grundtechniken der Stockabwehr
- Stockabwehr für Fortgeschrittene
- Grundlagen der Messerabwehr
- Messerabwehrtechnik: "Split-X"
- Improvisierte Schilde gegen Messer
- Den bewaffneten Angreifer kontrollieren
Mehr zum Thema Selbstverteidigung lesen Sie im VISIER Special 85 Selbstschutz & Sicherheit.
Tipps zum Thema: Wie schütze ich mich vor Übergriffen? Haben wir Ihnen auch schon hier gegeben.