Schon im letzten Teil 6 befassten wir uns mit der Materie des Bodenkampfes unter realistischen Straßenbedingungen. Dieses Thema wollen wir hier fortführen und vertiefen.
In Selbstverteidigungs-Situationen gilt: Aufrecht bleiben!
Es gilt die goldene Regel, bei einer Straßenattacke unter allen Umständen zu versuchen, auf den Beinen zu bleiben. Aufrecht stehend ist die beste, vielseitigste Kampfplattform, die uns den Vorteil der Mobilität verschafft. Sollte man in einer Auseinandersetzung zu Boden gehen, muss man so schnell wie möglich versuchen, wieder auf die Beine zu kommen. Bei diesem Versuch darf man zeitgleich aber auch seine Deckung nicht vernachlässigen, um zu vermeiden, harte Tritte einzustecken.
So verhält man sich am Boden
Am besten erreichen lässt sich dies mit folgendem Bewegungsablauf: Man rollt sich auf die linke Hüftseite, zieht beide Beine an den Körper und winkelt die Knie an, um sich zu schützen. Dabei platziert man die linke Hand auf dem Boden, den rechten Ellbogen auf dem rechten Knie und presst die rechte Handfläche kräftig an seinen Schläfenbereich am Kopf. Diese Haltung oder Struktur bildet einen "Rahmen" vom rechten Fuß bis zum Kopf und ermöglicht es uns, auf unseren Kopf gezielte Tritte abzublocken, indem wir unseren Rahmen in die jeweilige Trittrichtung drehen. Außerdem ermöglicht diese Abwehrhaltung eine schnelle Rückkehr in die aufrecht stehende Position, indem man sich mit der linken Hand vom Boden abstößt, um nach oben zu gelangen. Hat man keine Chance, in eine stehende Abwehrposition zu gelangen, muss man vorübergehend vom Boden aus kämpfen. Um dies möglichst effektiv zu gestalten, sollten wir die Angriffsziele, die wir bieten, limitieren.
Welche Selbstverteidigung sonst gelehrt wird
In vielen Selbstverteidigungssystemen wird gelehrt, eine Seitenlage auf dem Boden einzunehmen und seitliche Tritte auszuteilen. Versucht der Angreifer uns zu umkreisen und dadurch unseren Abwehrtritten zu entgehen, dann sollen wir unseren Körper mit auf dem Boden abgestützten Händen zur jeweiligen Position des Kontrahenten drehen, um unsere Verteidigung mit den Füßen beibehalten zu können. Gegen einen einzelnen Angreifer mag dies funktionieren. Doch bei einer Abwehr mehrerer Aggressoren bedeutet die Seitenlage gleichzeitig immer auch, dass wir die verletzliche Wirbelsäule für Angriffe präsentieren. Darüber hinaus verhindern die auf dem Boden positionierten Hände für die Körperdrehungen einen Schutz des Kopfes. Beides ist nicht gut für uns. Eine andere, oftmals gelehrte Technik ist der "bicycle kick". Hierbei handelt es sich um kreisende Tritte, die in der Bewegung ähnlich sind als würde man in die Pedale eines Fahrrades treten. Weil man hierbei auf dem Rücken liegt, wird die Wirbelsäule geschützt. Doch um einen uns umkreisenden Aggressor im Blick behalten zu können, brauchen wir für die Körperdrehungen immer noch die Hände am Boden und so bleibt der Kopf ungeschützt. Man ist außerdem sehr verwundbar hinsichtlich seitlicher Attacken durch mehrere Angreifer.
Die Boden-Technik nach Michael Janich
Nach vielen Experimenten (und blauen Flecken) besteht meine bevorzugte Technik darin, mit dem Rücken auf dem Boden liegend, mein linkes Bein anzuwinkeln und den linken Fuß flach auf dem Untergrund abzustützen. Mein rechtes Bein ziehe ich in eine "schussbereite" Position an und drehe die Zehenspitzen des rechten Fußes nach außen, um mit einer größeren Fläche bei reduziertem Risiko des Abrutschens vom Ziel zutreten zu können. Die bevorzugten Ziele sind die Schienbeine und Knie meiner Gegner. Um meinen Kopf zu schützen, führe ich einen leichten "Crunch" (Bauchpresse) aus, um ihn vom gefährlichen Boden abzuheben und lege meine Hände um den Kopf, um mit meinen Unterarmen und Ellbogen einen "Helm" zu bilden. Aus dieser Position heraus kann ich schnelle, harte Kicks in Richtung der Schienbeine und Kniegelenke der Aggressoren abfeuern, um sie von mir fern zu halten. Hierbei sollte man keine hohen Tritte ausführen, weil dies dem Angreifer ermöglichen würde, näher an uns heranzukommen und unseren Fuß leichter abzuleiten oder zu greifen. Versucht das Gegenüber durch Umkreisen unsere Fußabwehr zu überwinden, können wir mit unserem fest auf dem Boden abgestellten, linken Fuß schnelle Drehungen mit unserem Körper vollführen. Dies klappt sogar schneller, einfacher als wenn wir die Drehbewegungen mit unseren Händen unterstützen – die bleiben dort, wo sie hingehören, als Schutz an unserem Kopf. Tritt der Angreifer schnell und hart, nutzen wir unser Trittbein, um gegen das Schienbein seines Trittbeines zu treten, sobald es sich in Reichweite befindet. Nicht nur blocken, sondern treten! Es folgt sofort ein möglichst kraftvoll ausgeführter Tritt gegen das Knie oder die Innenseite des Fußgelenks seines Standbeines. Tritt er langsamer zu oder nutzt eine sehr weite Ausholbewegung bevor er zutritt, warten wir nicht, sondern feuern direkt einen Kick gegen das Knie oder den Fußknöchel seines Standbeines ab.
Nähert sich ein Angreifer von der Seite und versucht uns in die Rippen oder gegen den Kopf zu treten, heben wir unser Knie auf der Angriffsseite an, stellen Kontakt zu unserem Ellbogen her und drücken die Handfläche gegen den Kopf, um den bereits erläuterten "Rahmen" von Kopf bis Fuß herzustellen. Kurz bevor der Tritt des Angreifers auf uns einwirken kann, rollen wir ihm entgegen und stoppen mit unserem Rahmen einen Großteil seiner Wucht. Nach dieser Abwehr umklammern wir mit unserer Hand sofort seinen Fuß und halten ihn auf dem Boden gefangen. Darüber hinaus pressen wir mit dem Schienbein unseres Blockierbeins gegen das Schienbein seines Trittbeines, was den Angreifer bei richtiger Ausführung auch aus dem Gleichgewicht bringen kann. Aus dieser Position heraus treten wir mit dem anderen Bein und der Hacke des Fußes hart in seinen Unterleib. Zusätzlich zur Wirkung des Tritts treiben wir seinen Hüftbereich nach hinten, was wiederum Einfluss auf seine Balance hat.
Den Angriff beenden
Entweder geht er rücklings flach zu Boden und bricht sich unter Umständen das Steißbein oder unser Kick in die Leistengegend zwingt ihn dazu, seinen Oberkörper und Kopf vorzubeugen, was dann das Ziel unseres nächsten und wohl abschließenden Tritts wäre. Geht der Angreifer zu Boden, nutzen wir dies, um selbst aufzustehen. Entweder flüchten wir nun oder – sollte noch Gefahr vom Angreifer ausgehen – beenden die Auseinandersetzung mit einem stampfenden Tritt auf sein Fußgelenk. Selbstverständlich sollte man diese Bodenkampftechniken einstudieren, um sie im Falle eines Falles schnell und effektiv einsetzen zu können. Man sollte den Abwehrrahmen auf beiden Seiten schnell einnehmen können und mit einem Sparringspartner vor allem das Rollen in den Tritt hinein, um dessen Wirkung zu dämpfen, oder die Fußangel, mit dem wir den Aggressor festnageln, trainieren. Hat man jedoch einmal die Prinzipien verinnerlicht, kann man selbst in der schwachen Position auf dem Boden einen Straßenkampf überstehen.
Die anderen Teile unserer Serie lesen Sie hier:
- Grundlagen der Selbstverteidigung und die Abwehr des "Schwingers"
- Die Abwehr eines würgenden Angreifers
- Die Standardsequenz als Fundament erfolgreicher Selbstverteidigung
- Abwehr eines üblichen Straßenangriffs: Des Kragengriffs
- Bewaffnete Selbstverteidigung: Improvisierte Waffen.
- Selbstverteidigung am Boden, wenn der Gegner auf uns sitzt.
Mehr zum Thema Selbstverteidigung lesen Sie im VISIER Special 85 Selbstschutz & Sicherheit.
Tipps zum Thema: Wie schütze ich mich vor Übergriffen? Haben wir Ihnen auch schon hier gegeben.