Bei der Entwicklung eines CBC-Systems geht es nicht darum, dass Kampfkunstausbilder uns in bestimmter Art und Weise im Sparring agieren lassen, um sicherzustellen, dass ihre Techniken funktionieren und gut aussehen. Nach dem Studium von Unmengen an Filmmaterial von echten, aufgezeichneten Messerangriffen konnte der Verfasser die Gemeinsamkeiten solcher Taten ergründen. Unabhängig von Herkunft und Kultur greifen mit einem Messer bewaffnete Menschen prinzipiell nach dem gleichen Handlungsmuster an. Die am häufigsten zu beobachtende Methode sieht folgendermaßen aus: Das Messer wird in einem Standardgriff gehalten (die Klinge ragt also auf der Daumenseite aus der Hand heraus) und es wird versucht, mit der anderen Hand das Gegenüber zu greifen und/oder die Distanz einzuschätzen, um dann in einem nach oben verlaufenden, auf die Körpermitte ausgerichteten Bewegungswinkel in den unteren Torso zu zustechen. Weil diese Form des Messerangriffs also weltweit dominiert, liegt auch das Hauptaugenmerk der CBC auf geeigneten Abwehrmaßnahmen. Im vorherigen Teil zeigten wir eine Defensivtechnik, die darauf basierte, dass wir den ausgefahrenen, unbewaffneten Arm des Aggressors kontrollierten. Streckt der Angreifer aber seinen nicht messerführenden Arm nicht aus oder wir sind nicht in der Lage, diesen Arm unter Kontrolle zu bringen, dann sind wir dazu gezwungen, die Messerhand abzuwehren. Um dies wiederum zu tun, verwenden wir eine CBC-Technik mit der Bezeichnung "Split X".
Kreuzabwehr – Der Bezug zu traditionellen Abwehrtechniken
"Split X" ähnelt den klassischen "X" Blocktechniken aus verschiedenen traditionellen Kampfkünsten, bei denen die ausgefahrenen Arme vor dem Körper übereinander gekreuzt werden, um einen Angriff abzuwehren. Hierbei findet aber keine Berührung der gekreuzten Arme im Handgelenkbereich statt. Eine Blocktechnik mit gekreuzten Armen/Fäusten reduziert den Aktionsradius unserer Abwehr und macht es für das Gegenüber relativ einfach, beide Arme außer Gefecht zu setzen, indem er einfach unsere Hände nach unten drückt. Randnotiz: Aus diesem Grunde mag der Autor auch nicht die "Harries-Technik" beim Nachteinsatz von Kurzwaffe und Taschenlampe – speziell dann nicht, wenn sie mit der "Low Ready" (tiefe Bereitschaftsposition) kombiniert wird.
Die Sequenz zur Selbstverteidigung
Setzt der Angreifer mit dem Messer in der rechten Hand zu einem Stoß an, fahren wir unseren linken Arm nach unten und leicht rechts innen aus, so dass die Außenseite unseres Unterarms den Unterarm des Gegenübers berührt. Zeitgleich bewegen wir unseren rechten Arm nach oben, so dass die Außenseite dieses Unterarms Kontakt mit dem Arm des Aggressors oberhalb des Ellbogens aufnimmt. Im voll ausgefahrenen Zustand sollten sich beide Arme bei geöffneten Fingern und nach oben zeigenden Daumen leicht überkreuzen. Dadurch entsteht eine formstabile Verriegelung der anatomischen Knochenstruktur unserer Arme und somit ein extrem kraftvoller Block. Während man diese Blocktechnik ausführt, wird man sich automatisch "aushöhlen", also Hüfte und Bauch in rückwärtiger Richtung aus dem Gefahrenbereich der Klingenspitze bringen. Nachdem wir also den ersten Angriffsstoß überstanden haben, müssen wir sofort die Kontrolle über den Messer führenden Arm des Aggressors gewinnen, um sicherzustellen, dass er keinen zweiten Stich anbringen kann. Dies ist der besonders kritische Teil unserer Abwehr, weil die meisten Attacken erfahrungsgemäß wiederholende Stichbewegungen enthalten. Aus der "Split X" Blockposition heraus drehen wir einfach unsere rechte Hand von der Position, in die der Daumen nach oben zeigt, in eine Stellung, in die der Daumen nach unten zeigt, und haken unsere Finger hinter dem Ellbogen des Angreifers ein. Dies hindert ihn daran, mit dem Arm Schwung zu nehmen, um erneut eine Stichbewegung auszuführen. Wenn wir seinen Ellbogen gegriffen haben, nutzen wir vor allem unsere Rückenmuskulatur, um unsere beiden Arme/Ellbogen in Richtung unserer Rippen zurückzuziehen. Hierbei wird der Arm des Angreifers in Richtung unserer Brustmitte gezogen, so dass unsere Hände und sein Ellbogen vor unserem Brustbein landen. Korrekt ausgeführt, wird diese Bewegung den Arm des Angreifers an der Schulter drehen, ihn nach vorne ziehen sowie seinen Oberkörper nach vorne beugen lassen. Diese Technik könnte auch mit einem zeitgleichen Kniestoß in den Unterleib kombiniert werden, um sicherzustellen, dass sich der Oberkörper des Angreifers nach vorne beugt. Die nächste Bewegung ist sehr subtil aber mindestens genauso effektiv. In der Position vor unserer Brust öffnen wir unsere rechte Hand und drehen sie so, dass der Daumen nach oben zeigt. Den Ellenknochen unseres Armes nutzend "sägen" wir über die Trizepssehne kurz oberhalb des Ellbogens des Armes des Angreifers. Ordentlich vollführt, ist diese Technik sehr schmerzhaft und wird den Kontrahenten dazu zwingen, den Kopf nach vorne über zu beugen und den Arm komplett auszustrecken. Am Ende dieses Bewegungsablaufs sollten sich unsere beiden Hände geöffnet und mit gen Himmel gerichtetem Daumen oberhalb des Arms des Kontrahenten in einer Position befinden, als ob man in die Hände klatschen wollte. Die Hände werden zusammengeführt, was einen extrem stabilen Hebel ergibt, der nicht nur auf Muskelkraft, sondern auch auf der Skelettstruktur unserer Arme basiert.
Weiterhin an die eigene Sicherheit denken
Um die Technik abzuschließen, führen wir mit dem rechten Bein einen kleinen, kreisförmigen Schritt nach hinten aus. Dadurch bringen wir uns selbst beziehungsweise unsere empfindlichen Körperpartien wie den Unterleib aus dem Zugriffs- und Gefahrenbereich seiner linken Hand. Trägt man beispielsweise eine Pistole oder andere Waffen auf der rechten Körperseite, werden diese Instrumente ebenfalls aus dem Zugriffsbereich des Aggressors gebracht. Zudem wird er dazu gezwungen, seinen Kopf noch weiter nach vorne über zu beugen und einen Ausfallschritt mit dem linken Fuß zu machen, um das Gleichgewicht zu halten. Diese Aktionen zusammen mit unserem rechten, bereits "durchgeladenen" Bein machen es sehr einfach, das Gegenüber mit nun folgenden Kniestößen zum Kopf oder stampfenden Tritten auf die Innenseite seines linken Fußgelenkes endgültig außer Gefecht zu setzen.
Andere Vorgehensweise durch Polizisten
Behördenvertreter, deren Dienstvorschrift eine Festnahme zwingend erforderlich macht, können die Drehung nach rechts weiter fortführen, was den Aggressor mit dem Gesicht voran auf den Boden treibt, um ihm Handfesseln anlegen zu können. "Split X" kann eine wahrhaft lebensrettende Selbstverteidigungstechnik sein. Nachdem der Autor diese Technik einem Polizeitrainer in Kanada beigebracht hatte, meldete der sich ein Jahr später und schilderte, dass sie das Leben von zwei Polizeibeamten im Diensteinsatz gerettet hatte. Probieren Sie "Split X" aus und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Technik ein fester Bestandteil ihres persönlichen Selbstverteidigungstrainings wird.
Die anderen Teile unserer Serie lesen Sie hier:
- Grundlagen der Selbstverteidigung und die Abwehr des "Schwingers"
- Die Abwehr eines würgenden Angreifers
- Die Standardsequenz als Fundament erfolgreicher Selbstverteidigung
- Abwehr eines üblichen Straßenangriffs: Des Kragengriffs
- Bewaffnete Selbstverteidigung: Improvisierte Waffen.
- Selbstverteidigung am Boden, wenn der Gegner auf uns sitzt.
- Abwehr von mehreren Gegnern, die auf uns am Boden liegend eintreten.
- Grundtechniken der Stockabwehr
- Stockabwehr für Fortgeschrittene
- Grundlagen der Messerabwehr
Mehr zum Thema Selbstverteidigung lesen Sie im VISIER Special 85 Selbstschutz & Sicherheit.
Tipps zum Thema: Wie schütze ich mich vor Übergriffen? Haben wir Ihnen auch schon hier gegeben.