Selbstverteidigung und waffenlose Abwehr Teil 10 −  Messerabwehr mit bloßen Händen

Einem mit einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand bewaffneten Angreifer im Ernstfall gegenüberzustehen, ist eine der schrecklichsten Situationen, die man sich nur vorstellen kann. Auch wenn viele Vertreter von Kampfkunstsystemen gerne verlautbaren, dass sie gegen Messerattacken wirkungsvolle Abwehrtechniken lehren können, muss man – umso intensiver man sich mit der brutalen Realität von Messerangriffen beschäftigt – leider zur Kenntnis nehmen, dass es keinerlei Garantien für den Erfolg irgendwelcher unbewaffneter Defensivmaßnahmen gibt.

Die Entwicklung der Abwehrtechniken gegen Messer

Ich begann mit dem Studium von waffenlosen Selbstverteidigungstechniken gegen Messerattacken vor mehr als 30 Jahren. Die Defensivmechanismen, die ich damals lernte, entstammten meistens dem Aikido und basierten darauf, weit ausholende, übertriebene Messerangriffe abzuwehren, die sehr wenig mit den heute vorherrschenden, dynamischen "Straßenmethoden" gemeinsam haben. Als meine Trainingspartner und ich die gelehrten Techniken mit realistischer Geschwindigkeit und Kraft ausprobierten, mussten wir feststellen, dass sie im echten Leben nicht viel taugen würden. Enttäuscht von dem System, das ich bis dato studierte, begann ich mich nach Kampfkünsten umzusehen, die tatsächlich praktische, realitätsnahe Messerkampftechniken lehrten, um zu sehen, welche Messerabwehrtechniken sie vorzuweisen hatten. Wer gut schneiden kann, dürfte wohl auch wissen, was man am besten unternimmt, um nicht geschnitten zu werden. Schließlich entdeckte ich die philippinischen und indonesischen Kampfkünste, die einige der effektivsten Messerkampftechniken enthalten, die je entwickelt wurden. Sie bieten außerdem einen großen Wissensschatz rund um Abwehrmaßnahmen gegen Hieb- und Stichwaffen und dienten somit als Ausgangsbasis für mein weiteres Studium. Auch wenn die traditionellen Techniken dieser Künste eine signifikante Verbesserung demgegenüber darstellten, was ich bis dahin gelernt hatte, waren sie doch nicht die Ideallösung für moderne Selbstverteidigung. Zum einen waren sie oftmals auf die Kultur und Gesetze asiatischer Gesellschaften abgestimmt und zum anderen erforderten die oftmals komplizierten, sehr anspruchsvollen Bewegungsabläufe und Techniken Jahre des intensiven Trainings, um im Kampf wirkungsvoll sein zu können. Was ich anstrebte, war also, die bewährten Messerabwehrtechniken der Kampfkünste aus Indonesien und den Philippinen zu einem einfach zu erlernenden, realistischen Verteidigungssystem zu destillieren, das auch den rechtlichen Rahmenbedingungen der modernen, zivilisierten Welt gerecht wird. Mit diesem Ziel in Gedanken entwickelte ich CBC (Counter-Blade Concepts).

Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
Wir blocken seine leere Greifhand mit der rechten Hand...
Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
...und packen sein Handgelenk mit unserer Linken.

Scharfe Realitäten − Messerangriffe heute

Auf dem Weg dorthin ging es aber erst einmal darum, zu verstehen, wie echte Messerangriffe heutzutage funktionieren und ablaufen. Ich sammelte und analysierte Film- und Videoaufzeichnungen aus der "Law Enforcement Community" von unzähligen Messerattacken, die auf dieser Welt geschehen sind. So war ich in der Lage, die gemeinsamen Elemente aller Messerangriffe, die auf instinktiven Körpermechaniken beruhen, zu definieren. Die "Anatomie" einer typischen Attacke mit einer Blankwaffe enthält folgende sechs Elemente:

  1. Messerangriffe beginnen auf Nahentfernung;

  2. typischer Weise wird die Waffe vor der Attacke nicht offenbart;

  3. die meisten Menschen sind Rechtshänder, also verlaufen auch die meisten Messerangriffe mit der rechten Hand;

  4. Angreifer wenden meistens grobmotorische Fähigkeiten an, die vorwiegend aus in Vorwärtsrichtung geführten Handbewegungen bestehen;

  5. ein Angriff wird meistens mehrfache Wiederholungen der Bewegungen enthalten, nicht nur einen einzigen Schnitt- oder Stichversuch;

  6. die unbewaffnete Hand wird dazu genutzt, um zu greifen oder Distanz abzuschätzen.

Welches Selbstverteidigungssystem man auch wählt, es muss funktionierende Gegenmaßnahmen gegen diese Realitäten eines Messerangriffs vorweisen können. Tut es dies nicht, wird es auf der Straße versagen. Das CBC System nutzt eine logisch aufgebaute Sequenz an Bewegungsabläufen als Basis für alle Abwehrtaktiken. Diese Sequenz besteht aus folgenden Handlungsanweisungen oder Schritten:

  1. reduziere das Risiko, verletzt zu werden;

  2. kontere und deaktiviere die Bedrohung sofort und/oder probiere deine eigene Waffe zu ziehen;

  3. kannst Du die Gefahr und Waffenhand nicht direkt ausschalten, halte Kontakt, kontrolliere den Angriffsarm und schränke seine Bewegungsfreiheit bis zum Schultergelenk ein;

  4. wird der nicht Waffen führende Arm zuerst ausgestreckt und präsentiert, probiere ihn zu kontrollieren und als Barriere gegen die Messerhand zu nutzen;

  5. schaffe eine möglichst ideale Ausgangstellung, um kraftvoll zur Gegenattacke übergehen zu können, die den Aggressor ausschaltet;

  6. als Polizist oder Sicherheitsfachkraft wird das Gegenüber gebändigt, kontrolliert und entwaffnet;

  7. als Zivilist tritt man die kontrollierte Flucht an.

Wie schon erwähnt, gehört es nach der Analyse vieler, echter Messerangriffe zu einer sehr häufigen Angewohnheit, mit der nicht Waffen führenden Hand nach dem Gegenüber zu greifen, bevor mit der Messerhand zugestochen wird. Menschen greifen, kontrollieren oder berühren zumindest ihr Ziel instinktiv mit der leeren Hand, um es zu stabilisieren oder zu lokalisieren, bevor mit der Messerhand angegriffen wird. Weil dies eine so weit verbreitete, gebräuchliche Praxis ist, stellt sie einen guten Ausgangspunkt für den Einstieg in die "Counter-Blade Concepts" dar. Gehen wir also davon aus, dass wir einem Aggressor gegenüberstehen, der versucht, uns mit der linken Hand zu greifen, um mit der rechten Messerhand zuzustoßen. Wenn wir seinen linken Arm greifen und am Schultergelenk in seiner Bewegungsfreiheit einschränken können, haben wir die Möglichkeit, seinen gesamten Oberkörper zu kontrollieren. In diesem Sinne können wir den kontrollierten, linken Arm auch als Schild oder Barriere nutzen, um uns vor dem Messer zu schützen.

Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
Mit unserem rechten Ellbogen stoßen wir oberhalb seines Ellbogengelenks zu, ...
Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
...um seinen Arm gefangen zu nehmen und als Barriere gegen sein eigenes Messer zu nutzen.
Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
Mit einem rechten Vorwärtsschritt drehen wir unseren Unterarm parallel zum Boden, um einen Armriegel aufzubauen, ...
Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
...der ihn mit dem Gesicht zuerst nach unten zwingt.
Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
Abgeschlossen wird die Abwehr mit einem kräftigen Fußstampfer auf sein Fußgelenk, ...
Zwei Männer demonstrieren die Abwehrfolge zur Abwehr eines Messerangriffs mit bloßen Händen.
...um seine Mobilität zu zerstören und eine sichere Flucht antreten zu können.

Die Abwehrfolge gegen Messerangriffe

Wenn der Angreifer mit seiner linken Hand nach uns greift, fangen wir sie in einer instinktiven, schnellen und nahezu schlagenden Bewegung mit unserer rechten Handinnenfläche ab und leiten sie nach links. Unmittelbar nach dem wir seine Hand geblockt haben, ergreifen wir sein linkes Handgelenk mit unserer linken Hand. Schnell ausgeführt, wird diese Bewegung gepaart mit seiner Ausholaktion dazu führen, dass sein Arm komplett gestreckt wird. Den kraftvollen Griff an seinem Handgelenk haltend, schlagen wir mit unserem rechten Ellbogen auf die Rückseite seines linken Armes knapp oberhalb seines Ellbogengelenks. Im Training wird diese Technik langsam und behutsam ausgeführt. Im Ernstfall ist es allerdings unser Ziel, durch einen kräftigen Ellbogenstoß das Armgelenk zu überdehnen oder zu brechen und den Angreifer mit einem Armriegel weiterhin zu kontrollieren. Während wir sein Ellbogengelenk weiterhin gefangen halten, machen wir mit unserem rechten Fuß einen Vorwärtsschritt. Zeitgleich wird der Druck mit unserem rechten Ellbogen auf seinen linken Arm beibehalten und unser rechter Unterarm parallel zum Boden gedreht. Dies zwingt unser Gegenüber nach unten und hindert ihn daran, sein Messer gegen uns nutzen zu können. Korrekt und mit der ganzen Kraft unseres Körpers ausgeführt, wird der Angreifer mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gezwungen. Als Polizeibeamter oder Sicherheitsfachkraft kann man nun auf seinem Trizeps knien, um ihn zu kontrollieren und Handschellen anlegen zu können. Als Zivilist könnte man abschließend schnell auf sein Fußgelenk aufstampfen, um seine Mobilität zu zerstören und so sicher die Flucht antreten zu können. Einen Messerangriff mit leeren Händen abzuwehren, dürfte immer der schlimmste anzunehmende Vorfall sein. Doch mit dem Verständnis rund um echte Attacken mit Messern und der Anwendung von CBC Taktiken kann man zumindest seine Chancen signifikant erhöhen, solch einen Angriff zu überleben.

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