Die Vorbereitungen für mein erstes IPSC Match
2019 war es endlich für mich so weit. Ich hatte mich für die IPSC European Handgun Championship mit dem österreichischen Standard Lady Team qualifiziert! Zwei Jahre lang hatten mein Freund, Horst Holziger und ich im Sommer an jedem Wochenende einen Wettkampf geschossen, hatten trainiert, gekämpft, gezweifelt und uns gegenseitig zu Bestleistungen angetrieben. Und dann bekam ich endlich die erlösende Nachricht: Die IPSC Austria schickt uns beide auf die Europameisterschaft. Ein Traum ging für mich in Erfüllung! Ich hatte meinen Freund 2017 bereits auf die Weltmeisterschaft nach Frankreich begleitet, daher war ich mit dem Prozedere schon halbwegs vertraut. Und dennoch war es ganz anders als erwartet.
Meine allererste IPSC European Handgun Championship als Teilnehmerin
Die European Handgun Championship (kurz EHC) fand im September 2019 in Belgrad, Serbien statt. Aus der Weltmeisterschaft in Frankreich hatten wir bereits gelernt, in ein besseres Hotel mit integriertem Restaurant zu investieren, da so die Regenerationszeit maximiert werden kann. Nach dem Schießen kann man so direkt ins Hotel, etwas essen, Waffen putzen, etwas Trockentraining machen und direkt ins Bett gehen. Zwar sind solch große Wettkämpfe als alternierende Halbtages-Matches organisiert, das heißt, man schießt einen halben Tag, z.B. vormittags, hat dann den restlichen Tag frei und schießt am nächsten Tag dann erst nachmittags. Am Tag darauf dann wieder vormittags. Und in der Regel hat man sogar einen ganzen Tag frei. Dennoch bleibt einem am Ende doch wenig Zeit für abseits der Shooting Range. Denn in der Zeit, in der man frei hat schaut man sich die Stages an, die man in den nächsten Tagen schießen wird, man schaut sich die Konkurrenz an und insbesondere die "Cracks", die Vollprofis, wie Eric Grauffel und versucht sich Ihre Stage-Lösungen genau zu merken und auf sich selber anzuwenden. So fällt man eigentlich jeden Tag erledigt ins Bett und ein erholsamer Schlaf ist das A und O für einen erfolgreichen Wettkampf.
Da mein Freund für das österreichische Open Team startete, schossen wir nicht zusammen in einem Squad. Dies war eine große emotionale Belastung für mich, da wir alle anderen Wettkämpfe zusammengeschossen hatten und ich es somit gewohnt war, meinen Trainer und Coach immer bei mir zu haben. Auch wenn ich absolut in der Lage bin, einen Wettkampf völlig alleine zu schießen, ist es doch ungewohnt und insbesondere mental eine große Stütze, die dann eben fehlt.
Bei Level 4 (Kontinental) und Level 5 (Weltmeisterschaft) Matches ist es nämlich vorgeschrieben, dass alle Starter in ihren Teams gegen ihre direkte Konkurrenz schießen. So schießen alle Open Overall Teams zusammen und auch alle Standard Lady Teams. Dies macht das Match nicht nur interessanter, sondern vor allem fairer. Alle konkurrierenden Schützen erleben zeitglich die gleichen Bedingungen (z.B. Regen) auf den gleichen Stages.
Tag 1 & 2: Wie alles beginnt für das IPSC Lady-Team
Ich schoss also mit meinem Lady-Team zusammen mit den deutschen, russischen, schwedischen und norwegischen Teams. Eine Premiere für mich, ich hatte noch nie in einer reinen Frauen Squad geschossen. Normalerweise war ich immer die einzige Frau oder es waren 1-2 weitere dabei, die aber meist keine direkte Konkurrenz waren.
Im Endeffekt war es ein fantastisches Erlebnis! Auch wenn wir alle Konkurrentinnen waren, haben wir uns gegenseitig unterstützt und aufeinander geachtet. Insbesondere die deutsche Sabine Wurster merkte meine mentale Unsicherheit, die bei mir oft zu hektischem, zu schnellem Schießen und damit schlechten Treffern führte. Sie und ihr Lebensgefährte, der bekannte Nürnberger IPSC-Schütze Patrick Kummer, nahmen mich bei der Hand und halfen mir, mich zu fokussieren. Zwar machte ich dennoch ein paar Flüchtigkeitsfehler, trotzdem schoss ich am ersten und zweiten Tag so gut, dass bereits gemunkelt wurde, dass ich Aussichten auf das Treppchen und als beste Österreicherin hätte.
Während einem Wettkampf schaue ich nie auf die Ergebnisse. Meine Strategie ist es, mein bestmögliches Ergebnis zu schießen, auf saubere Treffer zu achten und bei jeder Stage "gegen mich selbst" zu schießen, nicht "auf der Kampflinie" gegen andere - und dann gegebenenfalls ein Miss zu kassieren. Die Schnelligkeit kommt durch den Wettkampfdruck von selber. Auf die Treffer kommt es an. Ein Miss tut viel mehr weh, als eine minimal langsamere Zeit.
Dennoch merke ich natürlich schnell aufgrund der Aufmerksamkeit der anderen Schützinnen und ihrer Trainer, dass ich vorne mitspielte. Nachdem ich eine Stage besonders gut geschossen hatte, wurde geklatscht, meine Konkurrentinnen beobachteten meine Stage-Lösungen im Walk-Through, der Phase bevor man eine Stage (Parkour) absolviert, in der sich alle Schützinnen aus der Squad (Gruppe) die Stage anschauen und trocken, ohne Waffe durchgehen und versuchen den bestmöglichen Weg für sie zu finden. Allgemein merkte ich, wie der Wettkampfdruck stieg und dies spornte mich noch mehr an.
Tag 3: Erst voll dabei und auf Kurs und dann der Rückschlag
Am 3. Tag hatte mein Freund seinen freien Tag, daher begleitete er mich. Bei der 3. Stage des Tages, einem Medium Course, der 120 Punkte bringt, passierte es: Ich schoss 2 Scheiben aus der ersten Position, wechselte zur nächsten Position, gab den ersten Schuss ab, BOOM, wollte den zweiten Schuss machen, und es machte nur CLICK. Der Schuss löste sich nicht, ich hörte nur wie der Hammer auslöste. OK, einmal CLICK ist nicht schlimm, wahrscheinlich eine Patrone, die nicht zündet. Automatisch repetierte ich und drückte wieder ab. CLICK. Scheiße! Gar nicht gut - aber kann passieren, kostet nur Zeit. Magazin raus, neues rein, durchrepetieren.
CLICK. Ab diesem dritten CLICK wusste ich, dass es etwas Gravierenderes ist. Dass eine Patrone mal nicht zündet passiert, in schlimmen Fall verklemmt sich das Magazin oder man hat eine andere Waffenstörung. Diese kosten natürlich Zeit aber man darf sie selber beheben innerhalb von 2 Minuten und solange man die Sicherheitsregeln einhält. Doch nach dem es auch Geklickt hat, als ich das Magazin wechselte, wusste ich, dass es weder an einer Patrone oder am Magazin lag, sondern etwas Grundlegendes an der Waffe kaputt ist, was ich nicht beheben kann. Ich wusste, dass ich die Stage abbrechen werden muss. Also werde ich leider die 120 Punkte für diese Stage verlieren, einen neuen Versuch gibt es nicht.
Natürlich probierte ich verzweifelt noch alles. Ich repetierte ein Magazin nach dem nächsten durch, schaute mir die Waffe flüchtig an, ich versuchte alles. Der Range Officer, der Schiedsrichter der einen durch die Stage begleitet und auf die Einhaltung der Sicherheitsregel achtetet, rückte näher an mich heran und flüsterte mir über die Schulter zu, dass ich ganz ruhig bleiben soll und ich eh 2 Minuten Zeit habe. Doch ich wusste, dass es nichts mehr bringt! Ich wusste, dass es vorbei war.
Nach dem dritten CLICK hatte auch mein Freund sofort gewusst, dass etwas an meiner Waffe kaputt ist. Er tippe auf den Schlagbolzen. Die Waffe repetierte noch sauber, der Hammer löste aus, doch die Patrone wurde nicht gezündet. Er spurtete sofort zu unserem Freund Patrick Kummer und schilderte ihm das Problem, in der Hoffnung, dass er einen Ersatz Schlagbolzen dabeihatte. Ohne zu zögern baute Patrick den Schlagbolzen aus seiner Ersatzpistole aus und gab ihn meinem Freund. Dieser rannte zurück zu mir, wo ich gerade endgültig abgebrochen hatte und benommen die Stage verließ. Die Range-Officer, meine Mitschützinnen und auch ihre Coaches sprachen mir ihr Mitleid aus und boten mir ihre Hilfe an. Ersatzteile oder Werkzeug. Auch wenn ich noch nicht ganz realisiert hatte, was passiert war und wie viel mich dieser Abbruch gekostet hatte, war mir sofort unterbewusst klar, dass es emotional einfach schlimm für mich war.
Mein Freund schleifte mich sofort in die Safety Area, die einzige Zone in der Munition verboten ist und an den Waffen hantiert werden darf, ohne das Beisein eines Range-Officers. Er nahm mir meine Waffe ab, hielt den Ersatzschlagbolzen hoch, doch nach wenigen Blicken ließ er ihn wieder sinken. Er hatte das Problem entdeckt, dass mir entgangen war. Meine verstellbare Kimme, welche durch eine Welle und eine Feder im vorderen Bereich gehalten war, war an der Welle gebrochen. Dadurch drückte die Feder sie vorne hoch. Der hintere Teil rutschte nach unten und leicht nach hinten, wodurch der Hammer nun auf die Kimme schlug und den Schlagbolzen nicht mehr erreichte. Horst wusste, dass er dies nicht auf die Schnelle reparieren konnte. Er drückte mir meine Ersatzpistole in die Hand und schob mich zum nächsten Range-Officer, um den Waffenwechsel anzumelden und schob mich gleich weiter zur nächsten Stage.
Frust pur: Ich wollte nicht mit meiner Ersatzpistole weiterschießen
Zwar war es, wie auch meine Hauptpistole, eine 2011er, also gleiche Bauart, gleicher Griffwinkel, Abzug. Im Grunde sehr ähnlich. Doch wenn man so viel mit einer Pistole trainiert hat, baut man natürlich eine gewisse emotionale Bindung zu ihr auf. Meine Hauptpistole war leichter und führiger als meine Ersatzpistole. Diese hatte zwar ein besseres Schussverhältnis, doch aufgrund meiner geringeren Muskelkraft fühlte ich mich einfach wohler mit meiner Hauptpistole. Doch natürlich gab es keine andere Möglichkeit und mein Freund ließ mich nicht mal den Mund öffnen um meine Bedenken zu äußern, geschweige denn Zeit geben um nachzudenken. Er erklärte mir die Stage, sagte mir wie ich sie zu schießen habe, worauf mich achten soll und schob mich an den Start.
Punkte verloren, Kampfgeist verloren und am Ende ein 13. Platz
Ich startete und weil ich keine Zeit hatte nachzudenken, schoss ich einfach. Und ich schoss gut. Ich machte keine Fehler, schoss die Stage sauber durch. Das letzte Ziel war ein Swinger, auf dem ein Plate (ein Stahlziel das umfällt, wenn es getroffen wird) montiert war. Es schwang hin und her, ich visierte es an, schoss einen Schuss BOOM - PLING. Das zufriedenstellende Geräusch, das bedeutet, dass das Plate getroffen ist. Die Stage ist beendet, und sie war gut. Und es herrschte Stille. Keiner klatschte. Und das war der Moment, als ich realisierte, was ich alles verloren hatte.
Wenn man eine Stage abbrechen muss, sind die Punkte, die man auf dieser Stage hätte holen können, verloren. Und diese Punkte wieder aufzuholen ist fast unmöglich. Und dass wussten meine Mitschützinnen. Sie wussten, dass ich keine Konkurrenz mehr darstellte. Und ab diesem Moment wusste ich es auch.
Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, schoss ich sehr passabel weiter. Aber mein Kampfgeist war endgültig verloren. Ich dachte darüber nach, was ich hätte anderes machen können. Hätte ich die Kimme mit einem Magazin abschlagen können und ohne Kimme die Stage beenden können? Natürlich total kontraproduktive Gedanken. Man kann nichts mehr ändern, sondern muss sich immer nur auf die Stage, die gerade vor einem liegt, konzentrieren. Im Endeffekt wurde ich 13. Und zweitbeste Österreicherin. Noch immer ein passables Ergebnis, doch weit unter dem, was realisierbar gewesen wäre.
Was ich für die kommende Weltmeisterschaft mitnehme:
Im November 2022 werde ich bei der IPSC Weltmeisterschaft in Thailand starten. Dieses Mal in der Open Division. Egal wie gut man sich vorbereitet, die Möglichkeit, dass einem die Waffe kaputt geht besteht immer. Insbesondere in der Open Division, die vergleichbar ist mit Formel 1 beim Autorennen. Allerdings kann ich mich mental besser vorbereiten, so dass ich nicht aus meinem Mindset gebracht werden kann und mein Kampfgeist bestehen bleibt, komme was wolle.
In den vergangenen Jahren habe ich noch mehr gelernt, für mich selbst zu schießen und weniger für den Sieg. Ich kann besser abschalten und die Welt um mich herum ausblenden. Wenn ich die Stage betrete, gibt es nur mich, meine Waffe und meinen Stage-Plan. Alles was davor oder danach ist existiert nicht mehr. Ich freue mich schon, meine Erfahrungen, die ich in Thailand sammeln werde, mit euch zu teilen und hoffe, dass auch ihr aus meinen Erfahrungen lernen konntet.
Eure Samantha
Samantha Wendel auf Social Media:
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