Der olympische Schießwettbewerb mit dem Luftgewehr, das ist Präzisionssport auf höchstem Niveau: Geschossen wird zwar "nur" auf 10 Meter, aber das Ziel, der höchste Ringwert Zehn, misst gerade 0,5 Millimeter, so klein wie ein Stecknadelkopf. Die Zehn muss, wie jeder andere der drumherum liegenden neun weiteren Ringe, "sichtbar berührt" werden. Dabei treffen die weltbesten Sportler (das Geschlecht macht hier leistungsmäßig keine Unterschiede) diese Zehn so oft, dass vor Jahren schon eine feinere Unterteilung zur Ergebnismessung notwendig wurde: Es wird nicht wie früher auf Papierscheiben geschossen, sondern jedes Diabolo durchfliegt am Ziel einen Stahlkasten mit einem engmaschigen Vorhang aus Lichtstrahlen, und der dabei kurzzeitig auftretende Schatten markiert den "Treffer". Dieser lässt sich optisch-elektronisch bis auf einen Zehntelring genau und unbestechlich messen. Das Ergebnis jedes Schusses, als dicker Ring auf einer stilisierten Zielscheibe dargestelt, wird direkt auf den Monitor bei jedem Schützen, aber auch auf die Anzeigetafeln für die Zuschauer übertragen. Das macht die Wettkämpfe auch für das Publikum spannend. Da schon eine nur tangierte Zehn eine Zehn ist, wird auch sie in Zehnteln gewertet: Der höchste einzelne Ringwert beim Luftgewehr-Schießen ist demnach eine 10,9.
Der Ablauf der Luftgewehr-Wettkämpfe bei Olympia 2024
Das Wettkampfprogramm für die Frauen und Männer beginnt jeweils mit der Qualifikation aller zugelassenen Sportler (44 Frauen aus 31 Ländern sowie 49 Männer aus 32 Ländern): Zunächst gibt es 15 Minuten Zeit zur Vorbereitung und zum Probeschießen. Danach müssen in 75 Minuten 60 Wertungsschüsse abgefeuert werden, die in Zehntelringen ausgewertet und als Zehn-Schuss-Serien angezeigt werden. Bei Ringgleichheit entscheiden zunächst die besten Zehn-Schuss-Serien, dann würden die einzelnen Schüsse miteinander verglichen, in beiden Fällen von hinten nach vorn. Die Zehntelringwertung hat sich hier übrigens bewährt; die Ergebnislisten sind deutlich entzerrter als früher, es gibt nur wenige Ringgleichstände mehr.
Die besten Acht aus dieser Vorrunde gehen in das bei Olympia am nächstfolgenden Tag angesetzte Finale über mindestens 24 weitere Schüsse. Finalwettkämpfe bei internationalen Schießwettkämpfen des Weltverbands ISSF werden schon lange speziell für TV-Übertragungen und Zuschauer inszeniert. Es gibt Einlaufmusik für die Finalisten, die ganze Wettkampfzeit ist Musik als Begleitung zu hören, alle Starter werden den Zuschauern einzeln und mit Zwischenapplaus vorgestellt. Meist übernehmen das bekannte Moderatoren, die auch die jeweilige Rangfolge und mögliche Veränderungen im Teilnehmerfeld kommentieren.
Jetzt beginnen alle Finalisten wieder bei Null und mit einer fünfminütigen Zeit für Vorbereitung und Probeschüsse. Dann schießen alle mit Startkommando zweimal fünf Schuss in je 250 Sekunden, dann noch einmal zwei Schuss (jeweils 50 Sekunden) mit gemeinsamem Start. Erst dann, nach zwölf Schuss, scheidet nach jeweils zwei weiteren Schüssen der Athlet mit dem dann schlechtesten Ergebnis aus. Gold gewinnt der- oder diejenige der beiden verbleibenden Schützen mit dem höchsten Ergebnis – bei Ringgleichheit wird das Match Schuss für Schuss fortgesetzt.
Erstmals bei Olympia werden 2024 am Austragungsort in Chateauroux auch Mixed-Teams um Medaillen kämpfen, und dies direkt am ersten Entscheidungstag, dem 27. Juli 2024: Alle Zweierteams (für Deutschland starten Anna Janssen und Maximilian Ulbrich) schießen zunächst jeweils 30 Wertungsschüsse mit Zehntelwertung in maximal 30 Minuten, die beiden Resultate werden addiert. Die besten vier Duos qualifizieren sich für das Finale.
Hier erfolgt eine völlig neue Art der Wertung mit Punkten statt Ringen: Die Teams auf den Vorkampf-Plätzen 3 und 4 treten gegeneinander im sogenannten Stage 1 zum Kampf um Bronze an, ebenso die beiden bestplatzierten Teams in Stage 2, um über Gold und Silber zu entscheiden. Jede Nation feuert nacheinander je einen Schuss in 50 Sekunden ab, nach jeder Runde erhält das Team mit dem höheren Ringwert zwei Punkte, bei Gleichstand bekommt jedes Team einen Punkt, bis ein Team 16 Punkte erreicht hat. Der ständige Führungswechsel (zumindest in den meisten Fällen) garantiert auch einen spannenden Wettkampf für die Zuschauer.
Olympia 2024: Die Luftgewehre und die Ausrüstung
Was vor über 500 Jahren mit den Windbüchsen unserer Vorfahren begann, hat sich im 21. Jahrhundert zu Hightech-Präzisionsgeräten entwickelt: Die einschüssigen Wettkampfluftgewehre von heute arbeiten durchweg mit Pressluft aus einem parallel unter dem Lauf angebrachten Tank, aus dem jeweils Luft für den nächsten Schuss abgezapft wird. Die Läufe im Kaliber 4,5 mm sind meist nur zwischen 42 und 49 cm lang, sie verbergen sich aber unter längeren Laufmänteln, um eine möglichst lange Visierlinie zu erreichen. Die maximal erlaubte Mündungsenergie beträgt 7,5 Joule, alle Gewehre müssen das aus Deutschland stammende Prüfsymbol "F im Fünfeck" aufweisen, das die Einhaltung der Energiegrenze belegt. Die meist aus Aluminium oder auch Schichtholz gearbeiteten Schäfte sind an der Schaftbacke und -länge und unter dem Vorderschaft stufenlos auf die Körpermaße einstellbar. Die meisten Starter verwenden mechanische Druckpunktabzüge mit nur geringem Vorzug oder "direkt" auslösend. Elektronisch auslösende Abzüge sind im Kommen, sie erlauben kleinste Abzugswiderstände bei absoluter Gleichmäßigkeit. Als Visierung sind nur Diopter und Ring- oder Balkenkorne (im Korntunnel) ohne vergrößernde Linsen erlaubt. Das Gesamtgewicht des Luftgewehrs muss unter 5.500 Gramm bleiben.
Spezielle Schießkleidung wie etwa Schießjacken und -hosen aus steifem Material (meist Leder, oft auch Baumwoll-Canvas) unterstützt den Schießanschlag und beugt (vor allem bei jüngeren Schützen) auch Haltungsschäden vor. Es wird ein Schießhandschuh eingesetzt, um die das Gewehr stützende, nicht schießende Hand zu schonen. Auch Schießschuhe mit steifer Sohle sind erlaubt, aber alle Kleidungsgegenstände müssen innerhalb gewisser Beweglichkeitsregeln bleiben und werden vor dem Start mit speziellen Geräten geprüft.
Olympia 2024: Ohne präzise Munition gibt es keine Medaillen. RWS ist eine der führenden Marken bei den Olympischen Spielen
Auf speziellen Maschinen hergestellte Blei-Diabolos und eine sorgfältige Auslese und Verpackung sind der Grundstock für jeden Erfolg mit Druckluft- und Kleinkaliberwaffen. Niemand weiß das besser als die Fachleute bei RWS, auf deren Testschießstand in Fürth seit mehr als einem Vierteljahrhundert die weltbesten Schützen regelmäßig die "Lose" mit den engsten Schussgruppen ermitteln lassen – "indoor" und damit witterungsunabhängig. Über den Fachhandel können die Waffenbesitzer dann eine für die nächsten Monate ausreichende Munitionsmenge kaufen. Getestet werden können:
- Gewehre im Kaliber .22 long rifle (Sorten RWS R50, RWS R100 und RWS Special Match)
- Pistolen/Revolver in .22 long rifle (RWS Special Match SR und RWS P25 Rapid Fire)
- Luftgewehre und Luftpistolen in 4,5 mm (RWS R10 Match)
Für Luftgewehre und Luftpistolen bietet RWS die berühmten R10-Match-Luftgewehrkugeln an, die in 500er Dosen, Stangen mit je zehn 500er Dosen oder in der praktischen Competition Box (R10 Match Plus) für je 100 einzeln herausnehmbare Geschosse lieferbar ist. Dabei werden die R10 Match in zwei Gewichtsklassen (0,45 und 0,53 Gramm) angeboten sowie mit verschiedenen "Kopfmaßen" zwischen 4,48 und 4,51 mm – je nach Lauf und Waffenhersteller kann man hier experimentieren und die Sorte mit dem engsten Schussbild wählen (um das Einschießen aus der Einspannung kommt man nicht herum, da es immer gilt, Toleranzen zwischen Geschoss und Laufinnendurchmesser auszugleichen). Ein Video mit den Vorzügen der RWS R10 Match finden Sie hier, und hier gibt es alle Produktinfos im Detail auf der RWS-Website. Übrigens: auch Robin Walter, der deutsche Starter mit der Luftpistole bei Olympia 2024, startet seit Jahren mit RWS-Luftgewehrkugeln – bei all4shooters.com gab er bereits ein Interview.
Auch mit den Top-Sorten an Kleinkaliber-Patronen ist RWS natürlich auch bei Olympia 2024 vertreten. Erfolgreiche Schützen vertrauen auch bei den 50-Meter-Disziplinen auf die Marke aus Fürth. Die RWS R50 ist seit Jahrzehnten für Höchstleistungen bekannt und war an zahllosen internationalen Erfolgen beteiligt, hier wird die KK-Patrone im Produktvideo vorgestellt. Die ballistischen Daten dazu: Bleigeschoss von 2,6 g, v0 330 m/s (Lauflänge: 65 cm).
Für das Kurzwaffenschießen auf 25 Meter, speziell für die Olympische Schnellfeuerpistole, hat RWS die Patrone RWS P25 entwickelt. Sie liefert die nach dem Regelwerk vorgeschriebene Mindestenergie, wobei die Geschosse mit einem speziellen Wachs und somit weniger Schmierfett für sauberes, benutzerfreundliches Laden überzogen wurden. Sie schafft mit dem Bleigeschoss von 2,6 Gramm (40 grs) eine Anfangsgeschwindigkeit v0 von 260 m/s bei 130 mm Lauflänge und war der Star in diesem Produktvideo.
Für die nur für Damen ausgeschriebene olympische Disziplin Sportpistole 25 Meter werden für Deutschland Josefin Eder (28) aus Müllrose und Doreen Vennekamp (29) aus Steinbach-Hallenberg in Chateauroux starten. Beide dürfen auch mit der Luftpistole mitmischen, und eine von ihnen auch (gemeinsam mit Robin Walter) im Mixed-Team Luftpistole.
RWS ist übrigens auch einer der Sponsoren des ISSF Hauses in Chateauroux – da die Schießwettkämpfe nicht in Paris stattfinden, bietet der Weltverband ISSF eben am Austragungsort, zwei Autofahrstunden südlich von Paris, einen gut ausgestatteten Treffpunkt für die Schützen, Servicemitarbeitern, Sponsoren und die Presse an.
Olympia 2024: Die Favoriten mit dem Luftgewehr
Die Leistungsdichte mit dem Luftgewehr ist weltweit extrem hoch, weil fast alle Länder der Internationalen Schießsport-Föderation (über 190) dort teilnehmen. Nach der aktuellen Rankingliste der ISSF steht bei den Männern der Österreicher Martin Strempfl auf Rang 1, es folgen Lihao Sheng aus China (der beim Weltcup in München sowohl im Vorkampf wie im Finale einen neuen Weltrekord aufstellte und bei Olympia 2021 in Tokyo Silber holte) und der Inder Divyansh Singh Panwar – seit Abhinav Bindra 2008 in Peking mit dem Luftgewehr die erste Goldmedaille für Indien überhaupt gewann, hat dies einen Boom mit zahlreichen weltweit erfolgreichen Gewehrschützen ausgelöst. Währenddessen sind die bei früheren olympischen Spielen erfolgreichen russischen Schützen wegen des Ukraine-Kriegs ja nicht startberechtigt; die Medaillenverteilung wird sich auch dadurch verändern.
Bei den Frauen führt wie erwähnt die Deutsche Anna Janssen die Weltrangliste an. Aber auch die nachfolgenden Platzierten werden aufs Siegertreppchen wollen: Aneta Stankiewicz aus Polen, Mary Tucker aus den USA und zahlreiche Schützinnen aus Indien, China oder Korea. Die aktuellen Weltrekorde, die vermutlich bei Olympia nochmals verbessert werden, werden bei den Herren von Lihao Sheng aus China gehalten (254,5 Ringe, München 2024), bei den Damen ist es die Chinesin Jiayu Han (254,0, 2023 in Baku).
Für die Statistik: Das Luftgewehr gehört seit 1984 zum olympischen Schießprogramm, letzte Olympiasieger von 2021 sind William Shaner (USA) bei den Herren und Yang Qian aus China bei den Damen. Übrigens: Olympia-Medaillen mit dem Luftgewehr für Deutschland holten 1988 Silvia Sperber und 1996 Petra Horneber, bei den Herren war nur Johann Riederer mit zweimal Bronze 1988 und 1992 erfolgreich – da würde es vielleicht einmal wieder Zeit für Edelmetall aus Frankreich...
Abschließend noch ein Video-Portrait von Anna Janssen, das im Auftrag des Rheinischen Schützenbundes erstellt wurde:
VIDEO: "Anna Janssen – Mein Weg nach Paris"
ACHTUNG: Da aus organisatorischen Gründen Verschiebungen im Zeitplan auftreten können, finden Sie hier den stets aktuellen Zeitplan für alle olympischen Schießwettbewerbe in Chateauroux (in deutsch)!
Die bisherigen Artikel der Serie "Road to Paris" finden Sie hier:
- Road to Paris, Teil 1: Das sollten Sportschützen über die Olympischen Spiele 2024 in Paris wissen
- Road to Paris, Teil 2: Die Schießwettbewerbe bei den Olympischen Spielen Paris 2024 vom 27. Juli bis 5. August in Châteauroux
- Road to Paris, Teil 3: Olympische Schießwettbewerbe, Medienberichterstattung und Zeitplan
- Road to Paris, Teil 4: Interview mit Luciano Rossi, ISSF-Präsident
- Road to Paris, Teil 5: Schießwettbewerbe bei den Olympischen Spielen: 10 Meter Luftpistole
- Road to Paris, Teil 6: Trap – anfangs waren es gläserne Zielkugeln, die sich in Tontauben verwandelten
- Road to Paris, Teil 7: Das ISSF-Haus in Chateauroux, Treffpunkt für Sportler, Trainer, Ausstatter und Presse
- Road to Paris, Teil 8: Schnellfeuerpistole und Sportpistole, beides auf 25 Meter
- Road to Paris, Teil 9: Kleinkaliber-Gewehr Dreistellung auf 50 Meter
- Road to Paris, Teil 10: Die drei Skeet-Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris. Alles über die Disziplin "Skeet" und die Favoriten
- Road to Paris, Teil 11: So qualifizierten sich die Starter für die olympischen Schießwettbewerbe 2024
- Road to Paris, Teil 12: Die deutsche Top-Schützin Kathrin Murche spricht über Krieghoff und die Jugendarbeit des DSB