Glaubt man der Werbung, haben wir dem gesellschaftlichen Ideal auf Gesundheit, körperliche Fitness und vor allem ewige Jugend zu folgen, um uns damit selbst verwirklichen zu können. Dass dem nicht so ist, verdrängen wir nur zu gerne. Krankheit oder Behinderung sind in dieser medial geschaffenen Lebenswirklichkeit etwas, was Anderen widerfährt, aber eben nicht uns selbst. Ganz ähnlich ging es auch Thomas Höfs. Bis der erfolgreiche Außendienstmitarbeiter im September 2016 in Dänemark einen Arbeitsunfall erlitt – und im Schießsport etwas fand, das ihm wieder Lebensfreude gab. Doch das sei nun der Reihe nach erzählt.
Ein Schicksalsschlag ändert das Leben radikal
Schicksalsschläge müssen erstmal verdaut werden. Das Leben von Höfs änderte sich nach dem Unfall radikal, wie der zweifache Vater erzählt: "Ich fiel in ein tiefes Loch, war vollkommen verzweifelt und wusste mit mir selber nichts mehr anzufangen." Beinahe verzweifeln ließen ihn einerseits bis heute andauernde Rechtsstreitigkeiten mit den Versicherungen, die die Zahlungen verweigerten, andererseits aber die Umstellungen in seinem Alltag. "Ich war regelrecht depressiv, konnte nachts nicht schlafen. Ich saß auf dem Sofa und schaute im Fernsehen 'Al Bundy'." Um sich zu beschäftigen, baute er kleine Modelle von Schiffen und wurde zum Aquarianer. Sein Arbeitgeber in Hessen versuchte noch seine Eingliederung, doch dies gelang nicht, Höfs hätte hierfür umziehen müssen. Finanziell unmöglich zu leisten, so der Endvierziger: "Ohne die Berufsunfähigkeitsversicherung wäre ich ein Sozialfall geworden." Solche Entwicklungen sind dabei normal.
Immerhin bilden derart schwere Schicksalsschläge einen Bruch im bisherigen Lebenslauf und erfordern eine völlige Neuorientierung im Leben. Nicht wenige Menschen geben sich in solchen Situationen auf, verfallen Alkohol und Medikamenten, wenn sie nicht gar den Suizid als vermeintlichen Ausweg einschlagen. Und auch für die Angehörigen der betroffenen Personen erweisen sich solche Zeiten als ausgesprochen schwer. Häufig zerbricht der familiäre Zusammenhalt ob derartiger Schläge binnen kurzer Zeit und die Beteiligten stehen vor dem Nichts. Hinzu kommen finanzielle Probleme, von denen auch Thomas Höfs zu berichten weiß: "Unsere Ersparnisse waren schnell aufgebracht. Man macht sich vorher keine Vorstellung, was da für Kosten auf einen zukommen, aber allein schon der Umbau für den Treppenlift und das Badezimmer kostete ein Vermögen. Ich bin glücklich, dass mich in dieser Zeit Familie und Arbeitgeber auch finanziell unterstützt haben."
Höfs findet den Weg zum Para-Trap
Aber dann: Über ein lokales Anzeigenblatt erfährt er von einem Schützen im Rollstuhl. Er nimmt Kontakt zu dem Mann auf und schafft es in kurzer Zeit, über die Disziplin Luftgewehr in den Landeskader aufzusteigen. Durch Gespräche mit den Verantwortlichen und dem Landestrainer erfährt er so schließlich von der Möglichkeit, sportlich Trap zu schießen. Zusammen mit dem Verein kann er so das Wurfscheibenschießen ausprobieren. Bereits nach dem Probetraining ist Höfs begeistert, er hatte einen Sport gefunden, der ihn regelrecht aufblühen lässt. Das "Para-Trap" wird zu seinem neuen Lebensinhalt, geradezu zu seinem Lebensmittelpunkt, um den herum er sein zweites Leben aufzubauen beginnt. Aus der Lebenskrise wird so eine für Thomas Höfs als Betroffenen positive Entwicklung. Er schafft es aus eigenem Antrieb aus dem emotionalen und psychischen Loch heraus und gewinnt neuen Lebensmut: Begegnet man dem Flintenschützen heute, ist man erstaunt, wie positiv und lebensbejahend er wirkt. Auch seine Waffenrechtsbehörde zog anstandslos mit und erteilte ihm die Erlaubnisse für seine Sportwaffen. Die schwere Behinderung ist hier kein Thema gewesen, betrifft sie doch seinen Unterleib und stellt keine Einschränkung seiner Eignung dar. Die schweren Beeinträchtigungen seiner Beine wurden hier gar nicht erst hinterfragt, vielmehr begegnete man seiner Entscheidung mit Respekt und Wohlwollen.
Barrierefreiheit im Schießsport bisher kaum ein Thema
Probleme bereitet Thomas Höfs also weniger das Schießen als die in Deutschland weit verbreitete Verdrängung. Behinderte sind im Großkaliberschießsport nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung. Entsprechend selten gibt es von Seiten der Standbetreiber oder Vereine Hinweise auf die notwendige Barrierefreiheit: "Auf Internetportalen wären Hinweise für mich wirklich wichtig. Ruft man dann an, stelle ich nicht selten fest, dass man sich bis dahin nie mit dem Problem auseinandergesetzt hat." Häufig habe er mit Vereinen und Schießständen zu tun, wo man erstaunt sei, dass Behinderte am Großkaliberschießen teilnehmen wollen.
Inklusion: Die Zukunft im Sportschießen
Erfahrungen wie die von Thomas Höfs können dabei nicht nur ausgesprochen wichtig sein für Vereine und Standbetreiber, sie werden es sogar unvermeidlich werden müssen. Denn sie geben wertvollen Einblick in die Zukunft des Schießsports in Deutschland. So warnte bereits 2010 eine Untersuchung der Rettungsdienstkooperative in Schleswig- Holstein (RKiSH) vor den dramatischen Entwicklungen, die der demographische Wandel verursachen werde. Allein bis 2025 stiege die Zahl der Bevölkerungsanteile über 75 Jahren um bis zu 55 % an – bei gleichzeitig massiv gesunkenen Geburtszahlen. Und diese Zahlen verstehen sich inklusive der alterstypischen Erkrankungen, gerade auch des Bewegungsapparates. Der körperlich beeinträchtigte Sportschütze wird also nicht mehr lange eine Randerscheinung beim Schießsport bleiben können, wollen die Vereine überleben und dem zunehmenden Mitgliederschwund begegnen, der wesentlich durch solche Entwicklungen bei Krankheiten und Behinderungen mitverursacht wird.
Bauliche Veränderungen auch auf Schießständen notwendig
Dazu gehören auch bauliche Veränderungen, wie Thomas Höfs aus seinen persönlichen Erfahrungen berichtet: "Schwere Metalltüren an den Ständen sind für mich als Rollfahrer nur schwer zu bewältigen. Kommen dann noch Absätze dazu und sind die Türen zu eng für meinen Rollstuhl, dann kann ich eine Teilnahme am Schießen faktisch vergessen, das ist einfach nicht möglich. Ich würde mir da schon wünschen, dass für mich und auch andere Behinderte in Zukunft etwas mehr auf einen barrierefreien Zugang geachtet wird bei Umbaumaßnahmen." Ein ganz erhebliches Problem, an das man im ersten Blick gar nicht denken würde, ist dabei die Hygiene. "Behindertentoiletten dienen ja nicht unserer Bequemlichkeit als Rollstuhlfahrer. Wir haben tatsächlich besondere körperliche Herausforderungen, wenn wir zur Toilette müssen und da bestehen ganz eigene Ansprüche, die Gesunde nur schwerlich nachvollziehen können." Führten etwa Treppen zu den Örtlichkeiten in einem Keller, sei dies ein wesentliches Kriterium für eine Schießstandauswahl: "Ich kann in solchen Fällen dann eben nicht teilnehmen und bedauere das sehr."
USA und europäische Nachbarn sind gutes Stück weiter
Anders seine Erfahrungen aus dem europäischen Ausland und den USA, wo die Einbindung Behinderter in den Schießsport eine Selbstverständlichkeit sei. "In den USA sieht man das vollkommen anders als bei uns, dort sind es auch häufig Veteranen aus den zahlreichen Kampfeinsätzen, die sich als Kriegsversehrte engagieren und wo die Gesellschaft etwas für ihre persönlichen Opfer zurückzugeben versucht, indem man auf ihre Bedürfnisse eingeht." Und auch in Italien sei ein solches Vorgehen vollkommen normal, wie er bei mehreren Para-Trap-Wettkämpfen miterlebt hat. Man muss sich tatsächlich vergegenwärtigen, dass sich durch schwere Unfälle oder Erkrankungen jeder Sportschütze in einer solchen Lebenssituation wiederfinden kann und quasi von heute auf morgen auf den Rollstuhl angewiesen sein würde. Die Gründe hierfür sind vielfältig, angefangen von Alterserkrankungen und Krebs, aber auch Verkehrsunfälle oder angeborene Behindeungen. Im Leben von Thomas Höfs gehören solche Erfahrungen inzwischen zum Alltag. Doch während man in Deutschland noch einen regelrechten Dornröschenschlaf führt, sieht die Realität im europäischen Ausland überraschend anders aus: "Beim Para-Trap in Italien habe ich gesehen, dass viele Schützen amputiert sind und trotzdem problemlos ihren Sport ausüben. Ja, sogar Contergan-Geschädigte schießen dort mit speziell umgebauten Waffen und erringen erstaunliche Erfolge."
Viele Fragen, kaum Antworten für Schützen mit Behinderungen
In Deutschland sind solche Erfahrungen faktisch Neuland, kaum ein Verband, kaum eine Behörde beschäftigt sich mit den notwendigen Fragestellungen zu einer so umfassenden Inklusion in den Schießsport. Während diese bei Kleinkaliber oder Druckluft auf breiter Ebene realisiert wird, ist das Para-Trap so weitestgehend unbekannt. Da Deutschland über keinen Nationalkader für diese Disziplin verfügt, sind Anmeldungen zu solchen Veranstaltungen schwierig, zum Teil sogar überhaupt nicht möglich. Andere Länder in Europa sind hier deutlich weiter. Die regionale Unterstützung des Schützenverbandes in Niedersachsen und dem Schützenverband Hamburg und Umgebung ist also etwas ausgesprochen Besonderes, die Höfs etwa bei Reisen zu Wettkämpfen und dem Training unterstützt haben. Doch nach wie vor fehlt es an Sponsoren für diese Wettkampfdisziplinen und die Sportler. Wichtig sind diese Erfahrungen auch für die Waffenrechtsbehörden in Deutschland, denn weder in der WaffVwV noch im Gesetz selbst finden sich Hinweise auf den Widerspruch zwischen den Anforderungen an die persönliche Eignung und dem Behindertensport. Es ist vielmehr dem jeweiligen Sachbearbeiter selbst überlassen, wie er hier das Verwaltungsrecht interpretiert und dies kann noch immer zu Missverständnissen führen.
"Nur, weil wir behindert sind, bedeutet das ja nicht, dass wir hier ausgeschlossen werden müssen", zeigt Thomas Höfs auf. Der gesellschaftlich bestehende Anspruch auf Inklusion, abgeleitet vom verfassungsrechtlichen Grundsatz auf Gleichbehandlung, ist dabei aber selbst für die Vereine gegenwärtig noch ein völliges Neuland. So musste Höfs zunächst die Ansprechpartner für seine Anliegen mühsam suchen, die auf seine Anfragen manchmal auch ausgesprochen erstaunt reagiert haben. "Meine Familie unterstützt meinen Sport und wir fahren auch gemeinsam zu Wettkämpfen, etwa nach Italien, ich werde durch meine Ärzte und Therapeuten darin unterstützt und mache sogar zielgerichtetes Training für meine Muskulatur und Beweglichkeit für meinen Sport. Während ich aber über das Internet viele Sportler aus dem Ausland kennengelernt habe, komme ich mir in Deutschland derzeit als Ausnahme vor. Und das möchte ich ändern. Mir hat das unglaublich viel gegeben und ich wünsche mir für die Zukunft, dass es mir gelingt, das Thema hier in Deutschland weiter zu etablieren und so auch anderen Menschen Hoffnung zu geben."
Text: Lars Winkelsdorf und Matthias S. Recktenwald