Mit nur einer Bronzemedaille im Bogenschießen (Team Frauen) kehrten die zwölf Olympiastarter des Deutschen Schützenbundes aus Tokio von "Olympia 2020" zurück. Die Starter mit Gewehr, Flinte und Pistole konnten zwar in einigen Finalkämpfen antreten, kamen aber über mehrere fünfte Plätze nicht hinaus. Seit London 2012 (19 Starter) und Rio (17) schrumpfte das DSB-Team nochmals auf ein Dutzend Teilnehmer zusammen.
Die Quotenregelung bestimmt die Teamgröße bei den olympischen Schießdisziplinen
Da die Starter sich vorher international für die Quotenplätze qualifizieren mussten, ist das zugleich eine aktuelle Sichtmarke des weltweiten Stellenwerts im DSB-Spitzensport. In Zahlen: 3x Bogen Frauen, 1x Bogen Männer, 2x Schnellfeuerpistole Männer, 2x Sportpistole Frauen, 1x Luftpistole Frauen, 1x KK 3x40 Frauen, 1x Skeet Frauen und 1x Trap Männer traten in Japan an, kein einziger männlicher Gewehr-Starter hatte sich qualifiziert. Die wegen Corona um ein Jahr verschobenen Olympischen Sommerspiele fanden zeitversetzt praktisch nur zu deutschen Nachtzeiten statt, Zuschauer waren vor Ort ohnehin wegen der Corona Pandemie nicht zugelassen. Schützenmedaillen zählen erfahrungsgemäß allenfalls zu Beginn von Olympischen Spielen, solange noch keine "attraktiveren Sportarten" entschieden wurden. Andererseits übertrugen ARD, ZDF und Eurosport so gut wie alle Medaillen-Entscheidungen im Schießsport mit deutscher Beteiligung auch live und ausführlich – aber eben meist zwischen 3 und 5 Uhr morgens.
Nur das abschließende Finale der Schnellfeuerschützen begann um 7:30 Uhr. Ausgerechnet da schied der Olympiasieger von Rio, Christian Reitz, nach schwachem Beginn mit 18 Treffern in fünf Serien auf Platz 5 aus, nachdem er die Qualifikation noch gewinnen konnte. Im Finale beginnen aber alle Starter mit null Punkten - das war noch vor wenigen Jahren anders und galt nun auch für die anderen deutschen Sportschützen, die den jeweiligen Endkampf erreicht hatten: Reitz hatte auch mit der Luftpistole den 5. Platz erkämpft, Florian Unruh kam mit dem Recurvebogen auf den gleichen 5. Rang und schied im Viertelfinale aus. Als Team jubelten Michelle Kroppen, Charline Schwarz und Lisa Unruh nach dem 5:1-Sieg (55-48, 53-51, 55-55) gegen Weißrussland über Bronze, es blieb die einzige Medaille für das DSB-Team.
Skeet-Spezialistin Nadine Messerschmidt konnte sich ins Finale vorkämpfen und dort ebenfalls den 5. Rang belegen. Jolyn Beer kämpfte als einzige DSB-Starterin mit dem KK-Gewehr um Edelmetall und wurde Sechste. Etwas Pech hatte Andreas Löw im Trap-Vorkampf: Ihm fehlte nur ein Treffer, um in das Shoot-off um den sechsten und letzten Finalplatz zu kommen. So landete er auf Rang 15.
Und wie schoss der Rest der Welt bei den Olympischen Spielen?
Die Schützen aus anderen Ländern kamen offenbar mit den Bedingungen besser zurecht. Erfolgreichste Sportlerin war die unter der neutralen Flagge des Russischen Olympischen Komitees (ROC) startende Vitalina Batsarashkina, die mit der Luftpistole und der Sportpistole zweimal Gold gewann und im Mixed-Team Luftpistole noch einmal Silber. Ihr Landsmann Sergey Kamensky hatte das Pech, soweit man dies so sagen kann, dass er im Finale KK 3 x 40 Schuss erneut wie schon 2016 in Rio mit Silber abschloss, diesmal hinter dem international noch unbekannten Chinesen Changhong Zhang mit nur 1,6 Ringen Abstand - nach immerhin 165 Wertungsschüssen (davon 3 x 15 im Finale, alle mit Zehntelring-Wertung). Ebenso bisher unbekannte Sieger: Der iranische Luftpistolen-Gewinner Javad Foroughi, William Shaner (USA), der das Luftgewehr-Finale der Herren gewann oder die Chinesin Quian Yang, die mit dem Luftgewehr sowohl die Damenwertung wie auch das Mixed-Team mit Gold abschließen konnte (dies gemeinsam mit Haoran Yang). Im Skeet siegte mal wieder Gold-Abonnent Vincent Hancock (USA), und unsere Schweizer Nachbarn konnten überraschend mit Nina Christen feiern: Die Gewehrschützin aus Magglingen gewann das KK-Schießen 3 x 40 Schuss mit neuem olympischen Rekord, mit dem Luftgewehr hatte sie bereits zuvor eine Bronzemedaille für die Eidgenossen gesichert. Für eine positive Überraschung sorgte der Franzose und RWS-Schütze Jean Quiquampoix am letzten Tag der Schießsportbewerbe am 02. August: Er holte Gold im Bewerb Schnellfeuerpistole Männer.
Die deutsche Olympia-Bilanz nach den letzten Schüssen
International betrachtet landete das DSB-Team in der Medaillen-Statistik nicht einmal unter den ersten 20 Nationen, wenn man der inoffiziellen Statistik glaubt, die der Bulgare Georgi Nekhaev in Zusammenarbeit mit dem Schießsport-Weltverband ISSF seit Jahren zuverlässig führt. Seine komplette Übersicht über die Schießwettbewerbe von Tokio (im PDF-Format) bietet viele zusätzlichen Informationen. Der Schützenbund indes scheint die früheren Bestrebungen aufgegeben zu haben, den Anschluss an die weltbesten Nationen wiederzufinden - dies lässt sich fast aus den Worten des DSB-Sportdirektors Heiner Gabelmann herauslesen, die er in einem Interview nach Abschluss der Schießwettbewerbe gab. Zitat: „Die mit zwölf Sportlerinnen und Sportlern bei diesen Spielen recht kleine Olympiamannschaft des DSB hat sich gut behauptet und vom ersten bis zum letzten Start um die Medaillen gekämpft. Das Team war durch die Quotenplatz-Situation nicht so stark einzustufen wie vor Rio 2016. Ein bis zwei Medaillen waren das Ziel - das haben wir auch erreicht. Dennoch ist es natürlich enttäuschend, dass wir trotz zahlreicher Finalteilnahmen im Kugelbereich ohne Medaille rausgehen.“
Gegenüber dem Sport-Informationsdienst SID wurde er am 2. August 2021 etwas deutlicher: "Das ist natürlich nicht so gut und erinnert an London oder Sydney, wo es ähnlich war. Es ist schon eher ein schlechtes Abschneiden." Die früheren Erklärungen der DSB-Spitze zum jeweiligen Olympia-Abschneiden lautete oft, dass alle besseren Länder meist über Profi-Schützen verfügen, während die deutschen Nationalteam-Starter meist Amateure mit entsprechend weniger Training seien. Angesichts der hohen Quote von Polizei- und Bundeswehr-Angehörigen im DSB-Team, die zu Wettkämpfen und zum Training weitgehend freigestellt werden, muss dies in Frage gestellt werden. Gabelmann, der schon seit den 80er Jahren als DSB-Sportdirektor fungiert und im nächsten Jahr in Rente geht, kündigt baldige Trainerwechsel "aus Altersgründen" und eine bereits eingeleitete Verjüngung der Teams an - diese Methode hat sich beim DSB schon seit Jahrzehnten bewährt, allerdings selten zu Erfolgen geführt. Immerhin sind private Trainer, besonders im Gewehr-Bereich, mit ihren Schützlingen inzwischen erfolgreicher, weil sie unkonventioneller arbeiten als ein Verband von 1,3 Millionen Mitgliedern das kann. Zudem kämpft das Sportschießen in Deutschland gegen einen starken Mitgliederschwund und mangelnde Unterstützung (wenn nicht sogar Ablehnung) in der Gesellschaft an. Das zeigt sich nicht zuletzt im Verschwinden von Schießanlagen, womit dem Nachwuchs die Trainingsmöglichkeiten entzogen werden. In drei Jahren schon steht Olympia 2024 in Paris an, dann wird man sehen, ob der DSB wieder ans Weltniveau angeknüpft hat.
Mehr Informationen gibt es beim Deutschen Schützenbund
Der Deutsche Schützenbund hat auf seiner Website einen eigenen Sonderteil zu Tokyo2020NE veröffentlicht (Hinweis: International wird die japanische Hauptstadt Tokio mit y geschrieben, für die Jahreszahl hat das Internationale Olympische Komitee IOC die 2020 aber trotz der Verschiebung belassen und nur ein "NE" für "next edition" angehängt). Die Olympischen Spiele 2020 fanden wegen der Corona-Pandemie vom 23. Juli bis 08. August 2021 statt.
Ebenfalls lesenswert: DSB-Sportdirektor Heiner Gabelmann gab im Rahmen dieses Olympia-Sonderteils ein Interview zu den Ergebnissen der deutschen Starter, das dort komplett nachzulesen ist.
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