Wie ich bereits in Artikel über meine Vorbereitung erwähnt hatte, hat sich die Match Organisation überaus viel Mühe gemacht, um die Schützen maximal zu unterstützen. Da die Schützen nur 5 kg Munition im Flugzeug mitnehmen dürfen, bot die Matchorganisation vor Ort eigene Ladungen an Match Munition an.
Neben den herkömmlichen Ladungen wie 9 mm MINOR wurden von THAI ARMS eigene Ladungen für die IPSC Weltmeisterschaft produziert, die normalerweise nur unter den privaten Wiederladern zu finden sind. Beispielsweise .40er MAJOR Ladungen oder für die OPEN Division .38 Super Comp für Läufe mit oder auch ohne Port-Holes im Lauf und mit Flach- oder Rundkopfgeschossen. Es ist mehr als bemerkenswert, dass so viele verschiedene Ladungen vor Ort angeboten wurden.
Exkurs: Open Pistolen und .38 Super Comp-Munition: Der Unterschied zwischen der .38 Super Comp und der 9 mm Luger ist, dass beide Patronen zwar den gleichen Durchmesser besitzen, die .38er aber länger ist. Statt 9x19 also 9x23. Somit funktioniert die Patrone zuverlässiger aus 19- und 2011er Systemen, da diese ursprünglich für Kaliber .45 konzipiert wurden. In den hoch gezüchteten Open-Pistolen könnte es daher sonst zu Waffenstörungen kommen. Der Unterschied zwischen .38 Super Auto und .38 Super Comp ist der Rand der Patrone. De .38 Super Auto Patronen haben einen Rand, der Hülsenboden hat einen größeren Durchmesser als der restliche Hülsendurchmesser, somit kann die Hülse vom Auszieher besser erfasst werden. Das birgt allerdings die Gefahr, dass sie sich im Magazin "füßeln", das heißt, dass sich die Ränder zweier Patronen verhaken und nicht mehr richtig zugeführt werden können. .38 Super Comp Hülsen besitzen wie auch 9 mm Hülsen eine Rille. Der Hülsenboden hat den gleichen Durchmesser wie die Hülse selbst.
Handgun World Shoot 2022: Eigene Munition mitbringen oder vor Ort kaufen?
In der IPSC-Welt, insbesondere in der OPEN-Overall ist die Konkurrenz extrem eng, es ist nicht unüblich, dass der Zweitplatzierte mit wenigen Zehntel Prozent verliert. Eine einzige Waffenstörung − und sei es nur, weil durchrepetiert werden muss − kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Daher ist die Funktionalität von Waffe und Munition für IPSC-Schützen ein enorm wichtiger Faktor. Wir hatten uns Matchmunition bestellt, waren uns allerdings sehr unsicher, ob diese gut funktionieren würde. Wir hatten beide je 5 kg eigene Munition dabei, womit wir ungefähr drei Viertel des Wettkampfs schießen konnten. Zwei Tage vor dem Wettkampf buchten wir uns einen Schießstand und probierten dort die lokale Matchmunition aus. Wider Erwarten funktionierte sie einwandfrei. Aber die Munition fühlte sich minimal anders an. Sie hatte einen geringeren Powerfaktor, daher weniger Gasdruck und weniger Rückstoß. Für Horst nicht störend. Doch ich bin sehr empfindlich was das angeht und tue mich mit Veränderungen bei meiner Pistole immer sehr schwer. Wenn sie auch nur ein bisschen weniger gut steht, irritiert mich das schon und ich kann nicht mit maximaler Geschwindigkeit schießen.
Daher entschied Horst, dass er den Wettkampf mit unserer gekauften Matchmunition schießen wird und ich mit meiner uns selber mitgebrachten Munition schießen kann. Für uns ging diese Taktik genial auf, wir hatten den gesamten Wettkampf keine einzige, der Munition geschuldete, Störung. Bei anderen Schützen war die Zufriedenheit mit der lokalen Matchmunition eher durchwachsen. Manche hatten keinerlei Probleme, andere kämpften mit Waffenstörungen. So beispielsweise auch die STANDARD Lady Schützin Margaux Nycz, die mit nur 0,9 % Abstand Zweite wurde – und das nur aufgrund von Waffenstörungen.
Internationales IPSC-Match in Thailand 2022: Durchmischte Squads, neue Schützenbekanntschaften verteilt über den Globus
Horst und ich hatten das riesige Glück, in derselben Squad zu schießen. Noch mehr freute es uns als wir sahen, dass in unserer Squad kaum Europäer waren. Denn nur selten hat man außerhalb einer Weltmeisterschaft die Möglichkeit, Schützen von anderen Kontinenten kennenzulernen. Wir schossen gemeinsam mit Australiern und Kanadiern, die mit strengen Waffengesetzen zu kämpfen haben und sich daher von uns lange Magazine ausliehen, da sie nur 10 Schuss Magazine besitzen dürfen. Und mit einem Schützen aus Hong Kong, der uns erzählte, dass er bei der Heimreise sogar einige Tage in eine staatliche Quarantänestation muss. Es ist nicht nur interessant sich auszutauschen, sondern man sieht auch, dass unterschiedliche Länder auch unterschiedliche Schießstile haben. Das hängt oft davon ab, wie die Matches dort aufgebaut sind und was man als Schütze gewohnt ist. Während wir Europäer in der Regel versuchen, alles flüssig in Bewegung zu schießen, bevorzugen Asiaten es, statisch zu schießen, sich aber in "Lichtgeschwindigkeit" von einer Position zur nächsten zu bewegen.
Bei der Kurzwaffe-IPSC-WM 2022 in Thailand: Die aufgehende und untergehende Sonne – ein Albtraum für jeden Schützen
Die Weltmeisterschaft wird in alternierenden Halbtages-Abschnitten geschossen. Wir starteten in der Area 2 am Morgen, schossen am nächsten Tag Area 3 am Nachmittag, Area 4 am Morgen und immer so weiter. Wir hatten ein ungeheures Glück mit unserer Einteilung, denn wir mussten kein einziges Mal gegen die aufgehende oder untergehende Sonne starten. Andere Squads hatten da weniger Glück. Ihnen schien die Sonne direkt ins Gesicht und sie wurden extrem geblendet und konnten kaum die Ziele erkennen. Doch auch das kann Schützen nicht aufhalten. Kurzerhand wurden mit Scheiben improvisierte Kappenverlängerungen gebastelt.
IPSC World Shoot 2022: Einfache Wege, anspruchsvolle Ziele und wirklich interessante Stage-Designs
Wie bereits erwähnt, hatte jede Area ein eigens, Thailand-spezifisches Thema, von Thai-Food über Thai-Sweets bis hin zu Thai-Festivals. Auf keiner Stage wurde den Schützen vorgegeben nur mit einer Hand zu schießen. Doch das Stage-Design und die Deko zwangen die Schützen stellenweise sowohl Strong-Hand als auch Weak-Hand zu schießen. Auf einer Stage musste eine Klappe mit einer Hand offengehalten werden, auf einer anderen mussten sich die Schützen an einer Barrikade festhalten und um diese herum schießen. Dann mussten sie die Waffe von der einen in die andere Hand übergeben und auf der anderen Seite einhändig um die Barrikade herum schießen.
So gab es auf dem World Shoot 2022 wenig Möglichkeiten eine Stage mit unterschiedlichen taktischen Wegen zu schießen. In der Regel gab es nur einen sinnvollen Weg und die einzige Variation bestand in der Reihenfolge – also von links nach rechts oder doch eher von rechts nach links? Allerdings gab es auch Scheiben, die ich in diesem Schwierigkeitsgrad von Europa her so noch nicht gekannt habe.
Red Dot kaputt – Samanthas IPSC Albtraum wird wahr
Dritter Tag: Die letzte Stage des Tages. Die Stage mit dem Sliding Swinger. Bis dahin lief es sehr gut für mich. Ich hatte nur ein paar kleinere Fehler gemacht, doch nichts Dramatisches. Im Großen und Ganzen war ich sehr glücklich mit meiner Leistung. Auf der Europameisterschaft 2019 ging mir beim Schießen die Waffe kaputt, sodass ich abbrechen musste. Das nahm mich emotional sehr mit. Darüber habe ich auch in einem Artikel hier bei all4shooter geschrieben.
Bei der Weltmeisterschaft 2022 wiederholte sich das Drama erneut: Ich ging an den Start bei eben jener Stage mit dem schweren Swinger, der in der letzten Position geschossen werden muss. Zuerst schoss ich einige kurze Scheiben und als ich die Position wechselte, da geschah es: Mein Red Dot fiel einfach von meiner Waffe. Im IPSC gibt es nur zwei Möglichkeiten. Abbrechen oder weitermachen. Den Versuch zu wiederholen gibt es nicht. Und ich wollte auf gar keinen Fall abbrechen, wie ich es auf der EM 2019 machen musste. Ich wollte weiter schießen, weiterkämpfen, einfach nicht aufgeben.
Ich richtete meine Pistole auf die nächste Scheibe und schoss einfach ohne zu visieren. Und ich sah die Einschusslöcher auf der Scheibe. Ich konnte zwar nicht mehr mit dem Red Dot visieren, aber ich konnte noch Schießen. Also tat ich das. Die nächsten 3 nahen Scheiben schoss ich ohne zu zögern, die nächste Scheibe, ca. 15 Meter entfernt, beschoss ich mit 4 Schuss, bis ich das Gefühl hatte, dass ich getroffen hatte. Wechsel in die nächste Position. Die letzte Position, die mit dem Swinger.
Zuerst den Auslöse-Popper, der den Swinger in Bewegung setzt. Für den brauchte ich 4 Schuss bis ich traf und er fiel. Dann einen weiteren Popper und eine Scheibe. Den Popper traf ich mit dem ersten Schuss, auf die Scheibe musste ich mehrere Schuss abgeben, bis ich sie traf. Nur der Swinger, den probierte ich nicht mal. Hier musste ich dann doch aufgeben. Denn ohne Visierung war mir das Risiko zu groß, dass ich das No-Shoot treffe.
Wie ich nach meinem Waffendefekt bei der EM 2019 geschrieben hatte, wollte ich mir vornehmen mein Nervengerüst noch weiter zu stärken, damit ich nicht noch einmal so emotional reagiere. Und genau das habe ich auch getan. Denn Schießen ist Kopfsache und das habe ich trainiert. Ich bin noch immer nicht die mental Stärkste, doch bin ich schon viel stärker geworden als noch vor einigen Jahren.
Als ich also sah, wie mein Red Dot von der Waffe herunterfiel, war ich entsetzt und wütend, doch ich blieb "im Game", wie die Amerikaner sagen. Ich schoss weiter und ließ mich nicht irritieren. Ich suchte nach Alternativen und behielt einen klaren Kopf. Ich kämpfte, bis es schließlich doch klüger war, aufzugeben. Im Endeffekt zahlte sich diese Entscheidung für mich aus. Meine Zeit war durch die vielen Nachschüsse schlechter und mir fehlten die Punkte für die Swinger, doch so war es wenigstens keine Stage, für die ich gar keine Wertungspunkte mehr erhielt. Also keine totale Katastrophe.
Das Video zu dieser Stage findet ihr auf meinen Social Media Kanälen: Instagram: samantha_pewpew, Facebook: Samantha Wendel – competitive IPSC shooter
Eine Herausforderung war es, den Schaden am Red Dot zu reparieren: So ging es für Samantha und Horst weiter...
Horst erkannte, dass die original Schrauben nur bis zur Hälfte in das Gewinde der Montage hineingereicht hatten und dort die ersten 3 Gewindegänge abgenutzt hatten. Wir hatten das ehrlich gesagt nie überprüft, doch die OPEN-Pistole mit einem Power Faktor von 175 ist nun mal eine enorme Belastung für das Material. Wir hatten auch eine Ersatzpistole dabei, doch ebenso empfindlich wie ich bei der Munition bin, bin ich auch bei meiner Pistole. Wie schon 2019 konnte ich zwar mit der Ersatzpistole schießen, wollte es aber nicht…
Horst war zuversichtlich, dass mit neuen, längeren Schrauben, das Red Dot wieder auf der Montage befestigt werden könnte. Und Senkkopf-M4-Schrauben kann man doch wirklich überall kaufen, dachten wir zumindest. Zwei thailändische Baumärkte später, 30 Minuten dolmetschen mit 4 Taxifahren mit Händen und Füßen, Google Maps, Übersetzer und herzeigen der alten Schrauben fanden wir endlich M4 Schrauben. Viel zu lang, kein Senkkopf und silber. Doch auch davon lässt sich Horst nicht aufhalten. Das passende Werkzeug wurde gekauft und im Hotelzimmer wurden die Schrauben gekürzt und eingepasst. Und so hatte ich am Abend "mein Pistölchen" zurück und musste nicht mit der (baugleichen) Ersatzpistole schießen.
Im Endeffekt wurde ich 15. bei den OPEN-Ladies. Horst wurde 47. bei den OPEN-Overall. Ein Ergebnis mit dem wir beide zufrieden sind, auch wenn natürlich mehr drin gewesen wäre.
Interessant ist für uns nun die kommende Europameisterschaft 2023 in Griechenland (Korinth 11. bis 17. September 2023), denn unter den europäischen Damen war ich in Thailand auf Platz 5. Und das trotz meines Defekts am Red Dot! Es bleibt also spannend und ich werde natürlich weiterhin hier bei all4shooters darüber berichten!
Hier finden Sie alle Matchergebnisse zum IPSC World Shoot 2022.