Am 24. Januar 2022 betritt gegen 12:20 Uhr in Heidelberg der 18-jährige Biologie-Student Nikolai G. den Hörsaal der Ruprecht-Karls-Universität. Er zielt mit einer Schrotflinte Akkar Churchill 512 auf den Kopf seiner 23 Jahre alten Kommilitonin und schießt. Die Studentin wird dabei tödlich getroffenen, drei weitere Studenten werden durch Geschossteile verletzt. Anschließend flüchtet der Täter aus dem Gebäude ins Freie. Nur wenige Meter entfernt nimmt er einen Unterhebelrepetierer des Typs Chiappa 1892 Alaskan aus seinem Rucksack und erschießt sich selbst.
Kaum, dass die ersten Nachrichten zu dieser Wahnsinnstat online gehen, wird in sozialen Netzwerken bereits nach der Herkunft der Tatwaffen gefragt. Es hat den Anschein, dass die Politik geradezu gierig darauf wartet, dass bei passender Gelegenheit eine erneute Diskussion um das Waffenrecht geführt werden könnte, dass man geradezu auf einen weiteren Fall wie Erfurt (2002) oder Winnenden (2009) lauert.
Diskussionen, die dem Waffenrecht gelten, sind dabei geprägt von einer erstaunlichen Doppelmoral, die nur selten dem Wert menschlichen Lebens gelten. Geführt werden sie dabei in aller Regel immer nur dann, wenn sich darauf ein politisches Kapital schlagen lässt, das der Agenda mancher Politiker und Journalisten in das gewünschte Schema passt. Eine Agenda, welche die ursprünglich guten Absichten dabei nicht selten pervertieren lässt und die Opfer von Waffenmissbrauch befremdlicherweise immer nur dann thematisiert, wenn daraus überhaupt eine Waffenrechtsdiskussion abgeleitet werden kann.
Schräge Diskussion um das Waffenrecht: Beispiele gefällig?
In Dänischenhagen bei Kiel erschoss im Mai 2021 ein Zahnarzt seine Ehefrau und ihren Liebhaber in der Haustür mit einer schallgedämpften Maschinenpistole Uzi, also einer in jedem Fall illegal besessenen Waffe. Dabei leerte er die zwei Magazine mit jeweils 25 Patronen in durchgehenden Feuerstößen aus gerade mal knapp einem Meter Entfernung. Kurz vor Weihnachten löschte ein Vater bei Königs Wusterhausen südlich von Berlin seine ganze Familie aus. Er bediente sich dabei ebenso einer illegal besessenen Pistole wie ein Vater, der an Weihnachten seine beiden Kinder und sich selbst erschoss und seine Ehefrau dabei schwer verletzte. Und auch in Ostfildern bediente sich ein 55-Jähriger im August letzten Jahres einer illegalen Pistole, um seine Ehefrau zu ermorden. "Femizid" nennen es Frauenrechtsaktivisten, wenn ein Mann durchdreht und die Partnerin tötet. Mag man sich trefflich streiten können über eine solche Formulierung, als "niederer Beweggrund" aber handelt es sich rein rechtlich um ein klassisches Mordmerkmal – was an sich dazu führen sollte, dass Politik und Medien Engagement zeigen sollten und die zu den Tatausübungen verwendeten illegalen Waffen thematisieren müssten. Doch stattdessen herrscht geradezu eisernes Schweigen zu solchen Tatumständen. Gleichsam, als seien die Opfer solcher Delikte weniger wert, weil sich aus solchen Tötungsdelikten kein politisches Kapital für eine Waffenrechtsdebatte ziehen ließe, bekundet dieses Schweigen die Scheinheiligkeit der Diskussion. Bei Redaktionsschluss war das Motiv der Schüsse von Heidelberg noch nicht bekannt, doch das gezielte Einwirken auf die junge Studentin und der sofortige Abbruch der Tat lassen darauf schließen, dass es sich eben gerade nicht um einen klassischen Amoklauf gehandelt haben dürfte, sondern vielmehr um einen gezielten Mord an der jungen Frau. Und auch diese Tat wurde wieder mit einer illegalen Waffe verübt.
Erstaunen bei Verantwortlichen: Der Student hatte die waffenrechtlichen Regelungen in Deutschland einfach umgangen, indem er die Tatwaffen in Österreich frei erworben hatte. Als Waffen der Kategorie C sind diese – vereinfacht beschrieben – in der Alpenrepublik frei ab 18 Jahre erhältlich, wenn man dort einen festen Wohnsitz nachweisen kann und die Waffen anschließend ordnungsgemäß angemeldet werden. Nichts anderes hatte der junge Mann getan und extra hierfür einen Wohnsitz in Österreich bezogen. Anschließend schmuggelte er die Waffen augenscheinlich nach Deutschland: Zwar unbedingt strafbar, aber dank der eher legeren Kontrollen im Schengenraum recht problemlos für den Täter durchzuführen.
Geradezu verwundert rieb man sich die Augen ob der ersten politischen Reaktionen auf den Wahnsinnstag von Heidelberg: Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) bekundete etwa, "fassungslos" und "ratlos" zu sein angesichts des Tötungsdeliktes. Als sei erst aus eben diesem Tötungsdelikt die Erkenntnis gekommen, dass a) Straftäter sich ohnehin nicht an Gesetze zu halten pflegen und b) Waffengesetze irgendeine Garantie dafür bieten könnten, dass sich Waffen nicht missbrauchen ließen für derartige Taten. So ging die bekannte Diskussion in eine neuerliche Runde. Der Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich (Bündnis 90/ Die Grünen) etwa schlug eine grundlegende Verschärfung des Waffenrechts in Europa vor, um solche Taten zukünftig unmöglich zu machen, indem ein Zugang zu Waffen verhindert würde. In das gleiche Horn stieß auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) und bekundete sein Entsetzen darüber, wie „leicht“ es noch immer sei, in Europa an Waffen zu kommen.
Derweil fluten albanische Kalaschnikows zu Dumping-Preisen ab 200 Euro über den Hafen von Marseille in die Europäische Union. Ohne dass hier irgendeine waffenrechtliche Handhabe auch nur noch im Ansatz realisiert werden könnte, bieten die Schwarzmärkte nie zuvor gekannte Dimensionen illegaler Kriegswaffen, wo Maschinenpistolen à la vz61 Škorpion oder à la Uzi inzwischen palettenweise vertrieben werden.
Angesichts der immer leichteren Möglichkeiten einer unerlaubten Waffenbeschaffung in Deutschland und der zunehmenden Professionalisierung der illegalen Märkte ist die tragische Tat von Heidelberg eher als Artefakt zu betrachten als ein strukturelles Problem – letzteres basiert vielmehr auf dem weitestgehend ausbleibenden Vollzug der waffenrechtlichen Regelungen in Deutschland.
Schmuggelproblem von illegalen Waffen wird bei Diskussion um das Waffengesetz immer wieder geflissentlich übersehen:
Dabei allerdings blendet man recht leicht aus, dass ausländische Waffengesetze deutsche Innenpolitiker zunächst einmal herzlich wenig angehen und sich hier auch "Forderungen" verbieten, so sich diese gegen andere Staaten richten: Dies ist Aufgabe der Außenpolitik. Was man viel eher in einem solchen Zusammenhang diskutieren sollte, sind die Kontrollmöglichkeiten, um einen eben solchen Waffenschmuggel zu ver- oder wenigstens behindern, wenn dieser schon behördlich bekannt ist. Denn das Problem war nicht, dass ein im Ausland lebender Deutscher dort nach den dort geltenden Gesetzen eine Handlung vornehmen oder unterlassen darf. Vielmehr liegt das eigentliche Problem darin, dass ihm der Grenzübertritt mit diesen Waffen derart problemlos möglich gewesen ist. Wenn die Gesellschaft nicht ausreichend Kontrollmöglichkeiten für die Durchsetzung der geltenden Gesetze hat und nicht einmal verhindern kann, dass diese über das Ausland umgangen und infolgedessen problemlos geschmuggelt werden kann, welche Lösungsoptionen sollen sich dann im Detail bieten? Nikolai G. wurde ja gerade nur deswegen bekannt, weil er die Waffen für seine Tat verwendet hat. Ohne diese Tatausübung hätte aber niemand jemals von dem erfolgreichen Schmuggel erfahren. Und genau darin stellt sich auch das eigentliche Problem dar:
Statt eine einzige der zahllosen Quellen für illegale Waffen im Ausland als isoliertes Problem lösen zu wollen, sollte vielmehr das tatsächliche Problem eines ungehinderten Schmuggels aufgegriffen werden und so etwas gegen die Vielzahl möglicher Waffenbeschaffungen unternommen werden. Doch fehlt es massiv an Personal und Finanzmitteln, um das Risiko für Waffenschmuggler zu erhöhen. Und es ist einerlei, ob nun Waffen der Kategorie C zunächst legal erworben und dann geschmuggelt werden oder ob dies illegal bei Kriegswaffen der Kategorie A erfolgt, Schmuggel ist Schmuggel.
Frage allerdings ist, wie lange sich die Gesellschaft solche schrecklichen Taten noch bieten lassen wird und als Placebo statt mehr verdachtsunabhängiger Kontrollen im Grenzgebiet reine Gesetzestexte auf dem Papier noch akzeptieren kann. Dass die immer neuen "Verschärfungen" nichts bringen können, ist allerdings noch nicht bei allen Teilnehmern der rechtspolitischen Diskussion angekommen: Was nutzt derlei, wenn es am Vollzug fehlt oder wenn die Regelungen gleich am Problem vorbeigehen? Schmuggel, Totschlag und Mord sind bereits verboten – wer das bewusst ignoriert, den erreicht auch keine ordnungsrechtliche Regelung. Aber in Ignoranz dessen wird bei solchen Taten munter weiter nach Verschärfungen gerufen.
Das Ganze markiert vielmehr auch ein Behördenversagen – ein strukturelles: Hierfür zeichnet weniger der zuständige Beamte vor Ort verantwortlich, als vielmehr die von mancherlei Medien sich treiben lassende Politik, die dauernd neue Regelungen erlässt, aber nur wenig dazu tut, dass dafür auch genügend geschultes und geeignetes Personal zur Verfügung steht. Ganz zu schweigen davon, dass diese Regelungen oft weithin ungeeignet für den Zweck daherkommen und/oder überreguliert sind – Stichwort: Nationales Waffenregister.
all4shooters.com hat in loser Folge das sich aus dieser Gesamtsituation ableitende Behördenversagen aufzeigen, es zeichnet sich aktuell ab, dass das auch für die Polizistenmorde nahe Kusel gilt. Diese Artikel von namhaften Autoren wird es an dieser Stelle auch deshalb immer wieder geben, um einmal mehr darauf hinzuweisen, dass mancher Vorfall nicht durch noch mehr Gesetze oder strengere Waffengesetze zu verhindern wäre, sondern mitunter oft schon dadurch, indem man die gegebenen Regeln und geltenden Gesetze anwendet und sich innerbehördlich sowie Länder übergreifend besser miteinander koordiniert.