Für Ian Fleming, den geistigen Vater von 007, war die Sache erst klar, nachdem er sich von dem britischen Waffenexperten Geoffrey Boothroyd hatte beraten lassen: Der monierte die von Fleming für die ersten ab 1953 erschienenen 007-Novellen ausgewählte und betextete Beretta-Pistole M1934 im Kaliber 6,35 mm und schlug ihm stattdessen zunächst einen durchschlagkräftigen Revolver vor. Schließlich einigten sich beide, die seither ein eifriger Briefwechsel verband, auf die damals schon klassische Walther PPK in 7,65 mm. Boothroyd wurde später im Waffenmeister Q ein Leinwand-Denkmal gesetzt, auch wenn er über die filmische Aussage Qs, dass PPK-Schüsse angeblich wie ein Ziegelstein durch eine Glasscheibe gingen, ballistisch sicher anderer Meinung gewesen wäre. Sei‘s drum: Seit dem Erstling „James Bond jagt Dr. No“ zog sich Bonds Walther PPK wie ein lockerer roter Faden durch fast alle Filme.
Locker deshalb, weil es immer wieder kinotechnische Abweichungen gab. Offenbar nahmen es die Filmausstatter nicht ganz so waffentechnisch genau, erwähnt wurde eine PPK, benutzt hat 007 Sean Connery die etwas größere Walther PP. Auf dem Filmplakat zu „Liebesgrüße aus Moskau“ hält Connery sogar eine Walther-Luftpistole in der Hand: Man hatte 1963 beim Fototermin die PPK nicht parat, und der engagierte, damals schon berühmte Fotograf David Hurn steuerte kurzerhand seine eigene LP 53 bei, die er sonst hinten im Studio zur Entspannung nutzte. Die Grafiker im Bearbeitungsstudio sollten halt hinterher den zu langen Lauf retuschieren, das würde den PPK-Eindruck ergeben, niemand würde das Double bemerken.
Natürlich vergaß man die Retusche, das Foto mit der eventuell vom Ruf einer 08-Pistole profitierenden Federdruckpistole wurde zur Ikone der 007-Reihe und noch mehrfach auf Plakaten bis „Man lebt nur zweimal“ wiederbelebt. Die LP 53 indes mit der Seriennummer 054159 hat man später mit anderen Bond-Requisiten gleich zweimal teuer versteigert: Im Jahr 2010 über Christie‘s für unglaubliche 437.000 Dollar und im Juni 2013 noch einmal für knapp 250.000 Dollar, stets mit einem Zertifikat Hurns, dass dies tatsächlich die echte falsche Bond-Luftpistole sei. Die Walther PP aus Dr. No kam dann als Requisite im Jahr 2020 in Beverly Hills unter den symbolischen Auktionshammer. Ein (wie meist) anonymer Bieter bekam den Zuschlag für 256.000 Dollar.
Aber auch Agent 007 musste filmisch an den Zeitgeist angepasst werden. Für die einzigartige Situation, als 1983 gleich zwei unabhängige Bond-Filme in die Kinos kamen, wurde die PPK von der damals zeitgemäßigeren Walther P5 abgelöst, die sowohl Roger Moore in „Octopussy“ wie auch Alt-Bond Sean Connery in „Sag niemals nie“ im Holster trugen. Der P5 hat der Agenteneinsatz verkaufstechnisch wenig geholfen, auch das war wohl dem Zeitgeist der Jahres des Kalten Kriegs geschuldet. Auch das futuristische Selbstladegewehr Walther WA 2000 hatte 1987 einen kurzen Gastauftritt im 13. Bond-Streifen "Der Hauch des Todes".
Das sah dann 1997 bei „Der Morgen stirbt nie“ wieder anders aus. Im Jahr 1994 hatte der Umarex-Konzern das damals finanziell angeschlagene Unternehmen Walther übernommen (siehe Einführung) und durch die neue P99 mit ihrem Polymer-Griffstück quasi ins nächste Jahrtausend beschleunigt. Bond büßt in Saigon seine geliebte PPK im Kampf ein und darf sich in der geheimen Waffenkammer der Agentin Wai Lin eine neue Pistole aussuchen. „Ah, die neue Walther P99! Ich hatte Q auch schon gebeten, mir eine zu besorgen“, ruft er erfreut aus – besser kann es kein Marketing-Profi planen. Natürlich profitierte der Hersteller Carl Walther seit den 60er Jahren vom Filmruhm rund um die PPK, auch wenn nach Angaben des Unternehmens bis heute keine Sponsorgelder, sondern nur „Naturalien“ genossen seien.
Seniorchef Wulf-Heinz Pflaumer, der die Firmengruppe Umarex/Walther von 1994 bis 2012 gemeinsam mit Mitgründer Franz Wonisch führte, freute sich stets schwäbisch-typisch darüber, dass alle anderen Sponsoren vom Autohersteller bis zur jeweiligen 007-Uhr immense Summen investierten, um verkaufsfördernd per Product Placement im Streifen zu erscheinen. An Walther wurde, so heißt es zumindest, lediglich jeweils vor Drehbeginn eine Anfrage der Film-Waffenmeister gestellt, ein gutes Dutzend Walther-Pistolen zum Drehort zu liefern. Diese wurden teilweise originalgetreu für Nahaufnahmen eingesetzt, andere Exemplare dann zu „Film-Props“ umgearbeitet, also Filmwaffen ohne Schussfunktion, aber mit entsprechendem Mündungsfeuer und herausfliegenden Hülsen (wie so etwas geht, erfahren Sie im Detail im VISIER Special Nr. 50 „Filmwaffen“).
Umarex als Weltmarktführer für freie Waffen nutzte den 007-Ruhm der hauseigenen Marke Walther konsequent aus: Zu jedem Filmstart gab es Sonderausführungen als Schreckschuss- oder CO2- Pistole, zuweilen mit Schalldämpferattrappe und einem besonderen Aufdruck, der ans Agenten-Image erinnerte (aber nie den ja geschützten Originaltitel). Selbst als die frei verkäufliche Walther PPK aus dem Umarex-Programm genommen werden musste (die jahrzehntelang benutzten Formen waren unbrauchbar geworden), ließ die Nachfrage (dann nach gebrauchten Modellen) kaum nach. Als 2014 der französische Autor Dennis Collette eine PPK für das Cover seines Buchs über 007-Waffen benötigte, wurde von Umarex eine private Sammlerwaffe organisiert und nach Paris geschickt. Collette war offenbar so begeistert, dass die Leihwaffe nie zu Umarex und zum ehemaligen Besitzer zurückfand...
Mit dem Wechsel zu Daniel Craig als 007 in „Casino Royale“ wurde 2006 zwar ein Zeitsprung zurück in die früheren Bond-Jahre gewagt (im berühmten Vorspann mit der Pistolenlauf-Sequenz wird Bonds erster lizensierter Mord gezeigt, durch den er die Agentennummer 007 bekam). Dennoch trug Craig hier noch die P99, erst in den Nachfolgefilmen ab „Ein Quantum Trost“ griff er wieder zu einer PPK, mit der er schon mal einen Helikopter abschießt, in „Skyfall“ bekommt die nun zur PPK/S mutierten Pistole einen Sensor, der nur Bonds Hand das Auslösen erlaubt.
Ohnehin sollte man gar nicht erst versuchen, die verschiedenen Handlungsstränge der mittlerweile 25 Bond-Filme zeitlich zu ordnen und die diversen Einsätze der Walther-Waffen zu verstehen. Greift der Held mal zu einem anderen Fabrikat (etwa einer Heckler & Koch wie in „Spectre“), hat er die nur einem Schurken entwendet und wirft sie nach Gebrauch weg. Einen erstklassig recherchierten Waffen-Überblick nicht nur über Bond-Filme liefert übrigens die englische Internet Movie Firearms Database unter – hier sind zudem viele Detail-Fotos der Waffen im Einsatz zu finden.
Noch steht freilich nicht fest, wie James Bond nach seinem Tod in „Keine Zeit zum Sterben“ wiederbelebt und wie er wiederbewaffnet wird, von seinem nächsten Darsteller oder auch seiner Darstellerin mal ganz abgesehen. 007-Schöpfer Ian Fleming hatte das wohl nicht soweit vorgeplant, aber solange Barbara Broccoli weiter an EON-Film und an den Bond-Streifen beteiligt ist, wird sicher auch mindestens eine Walther-Pistole mitspielen. In Arnsberg und in Ulm bei Walther wartet man also wieder auf den berühmten Anruf vom Set.
Dieser Artikel stammt (mit vielen weiteren Fotos) aus dem VISIER Special 105 "Walther-Pistolen", das Sie hier kaufen können – dort finden Sie auch eine Leseprobe und das Inhaltsverzeichnis.