Der Zielpunkt wandert langsam auf die Scheibe, noch einmal tief durchatmen. Der Zeigefinger wechselt von seiner Position lang am Abzug nun auf das Züngel. Der Wind bläst etwas von links. Leicht den Punkt korrigiert – wie man es gezeigt bekommen hat. Langsam geht der Finger zurück bis zum ersten Widerstand. Alles passt. Der Schuss bricht. Sofort wandert der Finger wieder lang an den Abzug, während das rechte Auge an der Optik bleibt, um die Flugbahn des Geschosses abzuschätzen. Dann der Einschlag im Ziel, schnell repetiert und ruhig einen Schuss hinterhergeschossen. Wieder ein Treffer. Der Wind nimmt zu, wieder etwas korrigiert. Schuss. Treffer.
So geschah es mir im September 2018 beim MINOX Long Range Shooting Masterclass. Die Distanz: 1.065 m. Die Freude darüber lässt sich kaum beschreiben, als die Treffer auf der Wildschwein-Silhouette landeten. Denn diese Art des Schießens lässt sich so wie in Wales in unseren Breiten nicht durchführen. Bis es aber auf die 1.065 m ging, stand noch viel Schützen-Arbeit an. Doch der Reihe nach…
Long-Range-Schießen in Wales: MINOX und WMS Firearms Training
Der Optikspezialist MINOX aus Wetzlar richtete gemeinsam mit WMS Firearms Training aus Wales ein Long-Range-Seminar eben in Wales aus. Da mir das Unternehmen von Andrew Venables noch von meinem Besuch vor 3 Jahren in Erinnerung war, sagte ich kurzerhand zu, als es darum ging, einen Kurs bei ihm zu besuchen. Das Ziel: Die Teilnehmer sollten in die Lage versetzt werden, auch auf größere Distanzen ihre Ziele zu treffen. 5 Teilnehmer – inklusive mir – trafen sich in Frankfurt am Main am Flughafen, um mit den beiden Mitarbeitern von MINOX, Jürgen Wagner und Peter Leinweber, nach Manchester zu fliegen. Von dort ging es dann etwas mehr als 3 Stunden in das beschauliche und verschlafene Tregaron. Nach der Ankunft wurde kurz besprochen, was am nächsten Tag anstehen würde.
Auf die Frage, warum MINOX und WMS diese Seminare veranstalteten, sagte Jürgen Wagner: "Wir wollen den Leuten zeigen, was mit einem guten Zielfernrohr und einer guten Waffe möglich ist. Hat man beides zur Verfügung und weiß damit umzugehen, steht auch weiten Schüssen, etwa bei der Gebirgsjagd, nichts mehr im Wege. Wir wollen eben, dass unsere Kunden auch die Möglichkeit haben, unsere Produkte praktisch auszuprobieren und sich davon selbst überzeugen können." Das klingt für einen Optikhersteller natürlich logisch. Und Andrew Venables scheint dafür die richtige Wahl zu sein.
MINOX Long-Range-Seminar: day of rifle shooting
Am nächsten Morgen erschien Andrew Venables und es ging auf die Range. Da alle Teilnehmer Schützen und /oder Jäger waren, dachten viele, dass es gleich ans Eingemachte ging. Weit gefehlt! Wir fuhren zu einer Hütte, an der uns der Schotte Neil Parks, ein Teammitglied von WMS, erwartete. Nach der obligatorischen Begrüßung sagte Andrew, dass er sich bewusst sei, dass hier alle schon geschossen hätten. Trotzdem wolle er erst einmal sehen, wie es um die Fähigkeiten der einzelnen Schützen stand. So wanderten nach der Sicherheitseinweisung erst einmal andere Waffen auf die Schießtische, nämlich Kleinkaliber mit Zielfernrohren und Zweibeinen. Damit sollte auf 100 m geschossen werden – auf festgelegte Ziele. Dabei sollten die Schützen schon einmal üben, den Kopf am Zielfernrohr zu lassen. Auch ging es darum, erst einmal trocken zu üben, um ein Gefühl für die Waffe zu bekommen. Erst dann ging es an den scharfen Schuss. Wie schon zu erwarten war, absolvierten diesen Teil alle ohne Probleme. Also ging es weiter mit dem größeren Kaliber .308 Winchester.
Blaser R8, Mauser M12, HS Precision und Steelcore Cyclone – alle mit MINOX-Zielfernrohren des Typs ZP 5-25x56 und ebenfalls mit Zweibeinen ausgestattet – tauschten mit den Kleinkalibern die Plätze. Andrew Venables erläuterte dann, wie sich das ZP einstellen lässt. Ein Blatt Papier einige Zentimeter vor das Okular halten, an der Dioptrien-Verstellung drehen, bis es scharf wird, dann ins Ziel gehen und am linken Seitenturm drehen, bis das Ziel scharf wird. Dabei ist es ebenfalls wichtig, wie Andrew betonte, nicht die maximale Vergrößerung einzustellen. 15-fach wäre optimal – später erklärte er auch warum.
Es blieb bei der Distanz von 100 m, doch diesmal mit Zielansagen. Auch hier wechselten sich "Peng" und "Ping" wie in einem Uhrwerk ab. Es gab Lob von Andrew und Neil, die sagten, dass es mitunter auch Leute gab, die mit der .308 Winchester schon auf 100 m Probleme hatten, etwa die Fuchssilhouette zu treffen. So hielt sich die Ergänzung von Andrew im Rahmen, die sich auf das Verkanten der Waffen oder das richtige Abzugsverhalten bezogen. Denn auf 100 m fällt das zwar nicht ins Gewicht, doch bei 1.000 m sieht es da schon anders aus.
Immer weitere Schussentfernungen beim MINOX Long-Range-Seminar...
Danach landete die ganze Ausrüstung in den Fahrzeugen. Die 200 m standen auf dem Plan. Liegend und vom Stock aus galt es mit den Gewehren zu schießen. Eine Schwierigkeit kam hinzu: Andrew sagte die Ziele erst kurz vorher an, die dann so schnell wie möglich beschossen werden sollten. Es ging los mit den ersten 3 Schützen in einer Linie. 3 Ziele mit unterschiedlichen Zielzonen standen parat. Nach Ansage, etwa "Alex, rechtes Ziel, oben links" ging es an die Ausführung. Aus diesem Grund sollte auch nicht die volle Vergrößerung eingestellt werden. 15-fach genügte, um alle 3 Ziele im Auge zu behalten und sich entsprechend darauf einzustellen. 3 Waffen à 5 Schuss hieß Spaß, aber auch Nervosität, da der Schütze eben nicht wusste, welches Ziel als nächstes aufgerufen wurde. Dennoch klappte es auch hier. Es schepperte am laufenden Band. Es folgte die Einweisung ins Schießen vom Schießstock, was für mich doch gewöhnungsbedürftig war. Andrew Venables zeigte sich durchweg von den Fähigkeiten angetan und wechselte in der Ansprache zu "Team" und "Gang". Nach den 200 m ging es ohne Unterbrechung weiter...
Als vorletzte Etappe stand das Schießen vom Tisch und liegend auf 850 m Distanz auf dem Plan: Nun sollte es darum gehen, wie man den "Christbaum" der MINOX ZPs nutzt. Die Schützen sollten nach dem ersten Schuss eben nicht an den Verstelltürmen hantieren, sondern mittels des Absehens den neuen Haltpunkt ermitteln und so schnell wie möglich einen weiteren Schuss hinterher setzen. Dazu kam, dass der Wind von hinten oder ab und an von schräg hinten oder von rechts kam. Diesmal sollte auch gespottet werden und nur 2 Schützen nacheinander ihre Schüsse abgeben. Das erste Duo hatte dementsprechend die undankbare Aufgabe, die Bedingungen für die anderen zu testen. Als Ziel diente eine Wildschweinsilhouette. Spotter und Schützen arbeiteten sehr gut zusammen. An die Aufgabe, das MINOX ZP nicht zu verstellen, musste man sich gewöhnen, aber mit den entsprechenden Ansagen lief es gut.
Wie sehr die Umwelt das Schießen beeinflusst, erfuhr ich am eigenen Leib: Ich lag im Ziel, schoss zweimal und landete auch Treffer. Dann war der Rückenwind auf einmal weg und schon ging der Schuss zwischen die Läufe. "Immer die Umwelt im Auge behalten", sagte Andrew mit einem Augenzwinkern. Notiert und abgespeichert.
Die Königsklasse beim Long-Range-Schießen!
Dann stand er an: der Schuss über 1.000 m. Mit dem Rangefinder noch einmal nachgemessen, ergab sich, dass es sogar vom Schießplatz bis zum Ziel 1.065 m waren. Der Wind pfiff über die Berge, aber keiner zeigte Ermüdungserscheinungen. Wie schon auf der vorherigen Station fand auch hier der Windmesser Verwendung. Neben dem Kaliber .308 kam nun auch eine Steelcore Cyclone im Kaliber .338 Lapua Magnum zum Einsatz. Hier, auf dem Berg in Wales, mit dem Stahlwildschwein als Ziel, sollten die Schützen nun alles zusammenführen, was sie auf den anderen Stationen gesammelt hatten. Also auf der Matte eingerichtet, das MINOX ZP eingestellt – ohne die maximale Vergrößerung, um nach dem Schuss das Ziel im Auge behalten zu können. Trocken abschlagen, die Waffe nicht verkanten, ruhig atmen usw. ...
Der erste Schuss ging knapp über den Kopf. Zielpunkt mit Hilfe des MINOX ZPs korrigiert und schon lief es wie am Schnürchen. Der Wind blies dann etwas stärker. Nach Gefühl etwas weiter rechts auf Höhe der Hinterläufe angehalten und wieder ein Treffer. Alle zeigten sichtlich Freude an dem Abschluss des Schießens. Die meisten Treffer landete Peter Leinweber von MINOX, dem die Teilnehmer gleich den Spitznamen "Sniper-Peter" verliehen. Danach war es dann auch soweit, dass sich dieser lehrreiche, aber auch erfreuliche Tag dem Ende zuneigte. Mein Erfahrungsschatz hatte auf alle Fälle zugenommen.
Es folgte noch das Abendessen und der Erfahrungsaustausch der Schützen: Alle Teilnehmer waren begeistert und hatten sichtlich Spaß an dem Tag und am Schießen mit den Waffen auf die unterschiedlichen Entfernungen. Mich persönlich freute es sehr, getroffen zu haben und am eigenen Leib zu erleben, wie die Umwelt, vor allem in Form des Windes, die Flugbahn des Geschosses beeinflusst. Wenn dann noch etwa Hitzeflimmern oder andere Faktoren hinzutreten, steigt die Schwierigkeit weiter. Deswegen wuchs auch mein Respekt vor Scharfschützen nochmals an.
Zudem konnte ich endlich mal in die praktische Benutzung des "Christbaums" eingewiesen werden und ihn auch entsprechend nutzen, ohne am Zielfernrohr herumklicken zu müssen. Dementsprechend freute ich mich auch über mein Zertifikat, das die Teilnehmer bekamen. Diese Urkunde steht nun gerahmt bei mir. Man kann wirklich sagen, dass Andrew Venables und MINOX das geschafft haben, was sie mit solchen Veranstaltungen bezwecken – dass die Teilnehmer besser schießen und auch auf Distanzen sichere Schüsse abgeben können, die in Deutschland schwer zu trainieren sind.
Der Beitrag stammt aus der VISIER 11/2018. Die Ausgabe können Sie ganz bequem im VS Medien Online-Shop bestellen.
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