Durch die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro rückte in Deutschland der Schießsport mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Insgesamt drei Gold- und zwei Silber-Medaillen errangen die Schützinnen und Schützen und übertrafen damit die Forderungen ihres Verbandes. Henri Junghänel ist einer unserer Goldsportler.
Junghänel kam am 5. Februar 1988 in Leipzig zur Welt. Seit 1998 frönt er dem Schießsport und gehört seit 2004 zur deutschen Nationalmannschaft. Aktuell wohnt er in Berlin, schießt jedoch für den SV Rai-Breitenbach in Hessen. Er startet in der Disziplin „60-Schuss-Liegend“ mit Walther-Kleinkalibergewehren des Modells KK300 und mit Eley-Patronen der Sorte Tenex.
Für den Hessischen Schützenverband arbeitet er parallel auch noch als Honorartrainer mit B-Lizenz. Zahlreiche Erfolge liegen auf seinem Weg. Neben dem Olympiasieg 2016 in Rio gehört der Sieg bei den 1. EuroGames in Baku 2015 zu seinen größten Erfolgen. Außerdem war er 2013 ISSF-Weltschütze des Jahres – in diesem Jahr gewann er sogar einen Weltcup in Changwon/Südkorea im KK-Dreistellungskampf, eigentlich nur eine seiner Nebendisziplinen (wie auch Luftgewehr).
all4shooters.com im Interview mit Henri Junghänel
all4shooters.com: Ein Olympiasieg ist für immer, sagen die, die es erlebt haben. Ist denn der Gewinn der Goldmedaille nach der Rückkehr aus Rio auch schon innerlich angekommen?
Junghänel: In Rio habe ich nach der Siegerehrung gedacht, ich bräuchte sicher noch eine Nacht, um das alles zu verarbeiten. Dann eine Woche später glaubte ich, ein paar weitere Tage daheim würden das schon richten – und eigentlich habe ich erst Ende August erstmals seit Rio vier Stunden Zeit privat mit meiner Freundin verbringen können. Erst im Oktober konnte ich ausgiebig Urlaub machen und abschalten. Ich hatte nicht einmal Zeit, mir das Finale selbst zur Nachbereitung anzuschauen. Es dauerte also seine Zeit, bis der Sieg auch innerlich ankam.
all4shooters.com: Die Vorbereitung auf Olympia ist ja schon eine komplizierte Sache. Jetzt kam fast parallel noch der Studienabschluss als „Master of Engineering“ im Maschinenbau hinzu. Wie bekommt man das alles organisiert?
Junghänel: Es war ja schon im Herbst 2015 klar, dass ich in Rio starten durfte. Ich musste also keine Ausscheidung überstehen, die im Sommer gewesen wäre. So habe ich die Winterzeit für Materialtests genutzt, um meine drei Kleinkaliber-Läufe zu testen und das jeweils am engsten schießende Munitionslos zu ermitteln, also um die technischen Voraussetzungen für einen Erfolg zu schaffen. Die Master-Arbeit und damit auch die Doppelbelastung begann im Dezember, von Februar bis Juni waren das im Durchschnitt öfters gute 60 Stunden pro Woche. Dabei war es wichtig, alles genau aufeinander abzustimmen.
all4shooters.com: Wie lief die Olympia- oder überhaupt eine Wettkampfvorbereitung denn konkret ab?
Junghänel: Ich habe mit Bundestrainer Claus Dieter Roth und meinem Heimtrainer Bill Murray abgesprochen, wie ich das Schießtraining und das Studium jeweils in Blöcken absolvieren kann. Mit meiner Professorin konnte ich während der Master-Arbeit in Darmstadt etwa alle drei Wochen den Stand der Dinge klären und entsprechend das Training steuern: mehr schießen, wenn ich gut im Zeitplan für die Masterarbeit lag, und weniger trainieren, wenn ich wieder etwas für den Abschluss machen musste und ein paar Nachtschichten anstanden. So konnte ich im März mit Bill eine Woche nach Sydney ins Trainingslager fliegen. Dies wurde von der hessischen Sporthilfe und teilweise auch privat finanziert, hat aber ziemlich viel gebracht.
Das technische Training war eigentlich im April abgeschlossen, als ich den Weltcup in Rio gewann – quasi die Generalprobe für Olympia. Danach ging es darum, das Niveau in verschiedenen Wettkämpfen zu halten. Diese Balance war bei der Doppelbelastung immens wichtig. Akribie ist in der Vorbereitung ein Hauptpunkt, um sich gezielt vorbereiten zu können. Ich brauche stets mehrere anspruchsvolle Aufgaben parallel. Es wäre sehr gefährlich, wenn ich mich zu 100 Prozent aufs Schießen konzentriere und dann dort etwas nicht so gut läuft. Insofern sind solche Ablenkungen durch andere Dinge, auf die man sich konzentrieren muss, sehr wertvoll.
all4shooters.com: Im Vorfeld von Olympia gab es Diskussionen, ob „Liegend“ olympisch bleibt. Hat Dich das irgendwie beeinflusst?
Junghänel: Nein. Mein Ziel war einzig und allein, mich bestmöglichst auf den Olympiastart vorzubereiten. Was in der Zukunft passiert, spielte erst am Tag nach dem Wettkampf wieder eine Rolle, allerdings ist auch jetzt noch nichts entschieden worden. Für den Deutschen Schützenbund ist wichtig, dass ich die Geschicke ja als Sprecher der Athletenkommission mitbestimmen kann. Zum Beispiel wäre mehr Transparenz bei solchen Entscheidungen wünschenswert. Es war geplant, während der Weltcups 2016 schon den einen oder anderen Test-Event anzubieten und Erfahrungen zu sammeln. Das ist leider nicht geschehen.
all4shooters.com: Angesichts des in der IOC-Agenda 2020 festgelegten Image-Wechsels von Disziplinen zu medientauglichen „Events“ hätte man vor Olympia das Liegendschießen nicht hinzu gerechnet, weil sich da optisch wenig tut. Allerdings zeigten die TV-Zuschauerquoten bei allen Schieß-Finalkämpfen, dass man das durchaus spannend darstellen kann. Aufregung gab es bei den Schießsportfans natürlich auch wegen einiger Fernsehkommentare, wie etwa Gerhard Dellings Frage im Interview mit Dir in der ARD, als er den Amoklauf von Winnenden ansprach.
Junghänel: Da muss ich Gerhard Delling in Schutz nehmen. Er hatte das im Vorgespräch angekündigt, aber mit dem Ziel, um unseren Sport ins richtige Licht zu rücken, und ich habe zugestimmt. Im Nachhinein fand ich, dass er mich und den Schießsport durchaus fair behandelt hat und klargestellt wurde, mit welcher hohen Verantwortung jeder Schütze mit seinem Sportgerät umgeht.
all4shooters.com: Wie motiviert man sich als Olympiasieger, EuroGames-Gewinner und Weltschütze des Jahres für die kommenden Jahre, wenn der Alltag wieder eintritt?
Junghänel: Wir wissen ja noch nicht, ob und wie das Liegendschießen olympisch weitergeht. Als Olympiasieger kann man sich, wie etwa Niccolo Campriani nach 2012, auch damit motivieren, unter neuen Finalregeln den Erfolg zu wiederholen, und bei ihm hat es gleich zweimal in Rio geklappt. Es bleibt die Frage, inwieweit man bereit ist, die Strapazen des Trainings noch ein weiteres Mal auf sich zu nehmen.
In der BILD-Zeitung ließ Junghänel kurz nach seinem Olympia-Sieg durchblicken, dass er eventuell mit dem Schießsport aufhören möchte. Doch dieser Plan ist mittlerweile wieder fallen gelassen worden. Er wird weiterschießen. Wir wünschen ihm viel Glück auf dem weiteren Weg.
Henris Gold-Disziplin:
Eine der ältesten und weltweit beliebtesten Disziplinen für KK-Einzellader ist „50 m Gewehr liegend“. Maximal 8 kg schwer darf die Waffe sein, inklusive offener Visierung (Diopter/Korn), Hakenkappe und Wasserwaage. Schießriemen sind erlaubt. Schießzeit: 15 Minuten Probe, dann 50 Minuten bei elektronischer Auswertung (Papierscheiben, 60 Minuten) für 60 Wertungsschüsse mit Zehntelring-Wertung. Die acht besten aus dem Vorkampf kommen ins Finale (20 Schuss, Zehntelwertung), das bei null beginnt. Ab dem achten Schuss scheidet der jeweils schlechteste Schütze der Runde aus.
Mehr über ihn und seine Erfolge gibt‘s auf seiner offiziellen Website www.henrijunghaenel.de.
Erfahren Sie hier die Änderungen im olympischen Schießsport des ISSF.
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