Auf einem unterirdischen Schießstand irgendwo im Tauberfränkischen riecht es ausnahmsweise einmal nicht nur wie gewohnt nach verbranntem Treibladungspulver, sondern zwischendurch immer wieder auch extrem nach Ozon. Dieser typische Geruch entsteht, wenn Luft quasi verbrennt und sich die darin enthaltenen Sauerstoffatome neu gruppieren. Hier entsteht dieser Duft im Zusammenhang mit der Videographie. Darunter verstehen Fachleute das Erstellen von "Filmaufnahmen unter Berücksichtigung von künstlerischen oder wissenschaftlichen Aspekten", wie etwa zur Dokumentation oder zu Analysezwecken. Letztgenanntes geschieht in diesem Fall mit der digitalen Hochgeschwindigkeitskamera Photron Fastcam SAZ-1 2100K, die bei den hier gefilmten kleinen Objekten rund 70.000 Bilder pro Sekunde schafft. Es handelt sich um Highspeed-Aufnahmen von Geschossen aus Schusswaffen.
Aber woher kommt nun der stechende Ozongeruch? Der stammt von dem beim Filmen eingesetzten Fotoblitz. Der kommt immer dann zum Zuge, wenn das Licht der vorhandenen Studioscheinwerfer nicht ausreicht. Denn wie auch beim Fotografieren, können auch beim Filmen winzige Details nur scharf abgebildet werden, wenn ausreichend Licht von den betreffenden Objekten in die Kamera reflektiert wird. Dafür, dass genügend Licht im Fokus der Kamera bereit steht, sorgt hier neben einigen anderen leistungsstarken Lampen ein Fotoblitz, der pro Auslösung eine Energie von 6.000 Wattsekunden (1 Ws = 1 Joule) abgeben kann.Nur zum Vergleich: 6.000 Joule entsprechen ungefähr dem, was eine Großwildpatrone wie die .375 Holland & Holland an Mündungsenergie aufbringt.
Um den Blitz mit der nötigen Spannung zu versorgen, braucht es einen entsprechenden Kondensator. Der insgesamt über 17 Kilogramm schwere Quadererinnert eher an ein großes Tower-PC-Gehäuse als an handliches Fotozubehör und lässt bei jedem Ladevorgang zunächst einmal den Sicherungsautomaten im Schaltkasten der Schießanlage ansprechen. Kein Wunder also, dass der für die Sicherheit Verantwortliche hier jedes Mal ruft: "Augen zu!", wenn der geübte Schütze und Waffensachverständige Axel Manthei zum Schuss bereit ist. Das Kommando gilt natürlich auch für den Schießenden selbst, so dass dieser die Position der Waffe danach nicht mehr verändern darf.
High-Speed-Geschossaufnahmen: Bis ins kleinste Detail
Der Start der Aufnahme erfolgt je nach Waffentyp per Bewegungssensor, per Mikrofon oder mit Hilfe einer Lichtschranke, durch die das Geschoss fliegt. Da es bei dem Zeitfenster für den Geschossdurchflug um Sekundenbruchteile geht, steckt der Teufel aber manchmal im Detail. So sind manchmal durchaus mehrere Probedurchgänge erforderlich, bis die richtigen Einstellungen für Kamerastart, Blende und Blitzauslösung gefunden sind. Ändert sich, etwa bei einem Wechsel der Munitionssorte, die Geschossgeschwindigkeit, geht das ganze Spiel von vorne los. Kurz gesagt: Auch bei solch kurzen Aufnahmen steckt viel mehr Aufwand, aber auch Technik, dahinter, als ein Außenstehender zunächst vermuten mag.
Solche Lichtschrankengeräte gehören im Bereich der Geschossballistik zu den seit langem etablierten Messinstrumenten. Wenn es unter Ballistikern und Wiederladern um diese Apparate geht, fällt unweigerlich auch der Name Werner Mehl. Seit Jahren zählen die Lichtschrankenmessgeräte der BMC-Serie der Firma Mehl Kurzzeittechnik zu den Topmodellen dieser Gattung. Nur wenige wissen aber, dass Mehl auch von ihm speziell für die Highspeed-Kameras des britischen Herstellers Photron entwickeltes Zubehör anbietet. Oder dass er technische respektive ballistische Gutachten erstellt, die auf Basis der Aufnahmen mit solchen Kamerasystemen entstehen. Zu seinen Kunden zählen dabei nicht nur ballistische Institute – national und international – aus dem Bereich Militär, Polizei und Forschung, sondern etwa auch Jagd- und Sportwaffenhersteller, Rüstungsbetriebe, aber etwa auch die Luftfahrt- und die Automobilindustrie.
Obwohl Mehl im Laufe der Jahre bereits zig verschiedene Projektile aus Handfeuerwaffen zumindest auf einem Teil ihrer Flugbahn gefilmt hat, sind die Aufnahmen für ihn und das Kamera-Team nicht nur immer wieder faszinierend, sondern bringen nicht selten auch Überraschendes zu Tage.
So auch diesmal, als der Fokus der Aufnahmen unter anderem auf verschiedenen Typen von Flintenlaufgeschossen lag. Darunter auch sogenannte Sabot-Slugs. Das sind unterkalibrige Flintenlaufgeschosse, die mit Hilfe von Treibspiegeln aus Kunststoff auf höhere Geschwindigkeiten beschleunigt werden können als kalibergroße Slugs – eine Technik, die auch bei Geschossen von Kampfpanzern angewendet wird.
Im Gegensatz zu den extrem schnellen Panzergeschossen fliegen die Flinten-Projektile jedoch eher gemächlich durch die Luft. Manche offenbar so langsam, dass sie sich nicht hinreichend durch den dabei auftretenden Luftwiderstand stabilisieren lassen und beim Schuss aus einer glattläufigen Waffe zu trudeln beginnen. Das aber nicht wie mancher vermuten mag, um ihre horizontale, sondern um ihre vertikale Achse.
Höchste Konzentration bei den High-Speed-Geschossaufnahmen
Doch auch wenn sich Geschosse genauso verhalten wie erwartet, sind die Bilder meist phänomenal. So tat ein im zirka 45-Grad-Winkel aus einer SIG Sauer GSR 1911 auf eine am Boden liegende Stahlplatte abgefeuertes 45er Frangible-Geschoss genau das, was es sollte und zerlegte sich beim Aufschlag in winzige Fragmente. Um den visuellen Effekt zu erhöhen, hatte Ballistikexperte Mehl Versuchsaufbau für den Schuss am Einschlagspunkt eine kleine Zündkapsel positioniert. Solche Zünder werden auch bei elektronischen Feuerwerkszündanlagen für den privaten Bereich verwendet.
Mindestens genauso beeindruckend wie die aus den Geschossfragmenten bestehende Staubwolke, die die Mini-Detonation der Zündpille verursachte, war jedoch auch die Leistung des Schützen: Axel Manthei traf freihändig die nur etwas mehr als einen Streichholzkopf große Kapsel zur Begeisterung der Anwesenden bereits mit dem ersten Schuss – und das auch hier wieder mit beim Brechen des Schusses geschlossenen Augen.
Bei einem anderen Beschussversuch durfte der mächtige Hensel-Blitz dann pausieren. Für das nötige Licht bei der Aufnahme eines Gelatinebeschusses sorgte diesmal ein unter einer Panzerglasplatte in Position gebrachter 1500-Watt-Halogenstrahler. Das dicke Panzerglas diente dabei aber weniger dem Schutz des Scheinwerfers denn als Hitzeschild für den wohl ansonsten davonschmelzenden Gelatineblock. Auch diesmal traf Manthei mit einem 9-mm-Projektil aus einer GLOCK 17 auf Anhieb. Und: Noch bevor der getroffene Block mit einem Salto von der Platte sprang, hatte die Kamera die gewünschten Bilder von der Kavernenbildung und den Verformungen beim Durchgang des Geschosses durch die Ballistische Gelatine für die Nachwelt festgehalten.
Wer jetzt noch mehr Lust auf spektakuläre Aufnahmen von fliegenden Projektilen hat, kann sich diese im Internet auf der Homepage von Werner Mehl – und dort natürlich auch in bewegten Bildern – anschauen. Öfter mal reinzuschauen lohnt sich hier, da Mehl die Videos regelmäßig gegen andere austauscht.
Den ausführlichen Artikel mit weiteren sehenswerten Bildstreckenn finden Sie in der VISIER Ausgabe 6/2018. Im VS Medien Online-Shop können Sie die Ausgabe bequem nachbestellen.
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