Eine der einfachsten Formen von optronischen Zielfernrohren ist eben jenes mit einem beleuchteten Absehen. Doch wie viel Wissen und Technik steckt überhaupt in so einem länglichen optischen Gerät? Um das zu klären und auf die Expertise von Fachleuten zurückzugreifen, haben wir Dipl.-Ing. Michael Holzmann (Forschung und Entwicklung) und Dr. Jörg Hennemann (Marketing Polizei, Militär & Sport) von Schmidt & Bender und Lars Backes (Systemmanager System und Zubehör) bei RUAG Ammotec interviewt. Wir stellten ihnen die folgenden Fragen zum Thema Optronik bei Zielfernrohren:
Was ist das Absehen im Zielfernrohr?
Michael Holzmann: "Das Absehen ist das Herzstück des Zielfernrohrs und muss entsprechend behandelt werden. Moderne Absehen bestehen dabei aus einem Glasplättchen, auf das eine metallische Struktur aufgebracht ist, welche nachher im Zielfernrohr als Absehen wahrgenommen wird. Diese metallischen Strukturen haben Strichstärken im Bereich von 6-20 μm. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von etwa 80 μm. Entsprechend vorsichtig und staubfrei muss deswegen damit umgegangen werden. Deshalb wird es unter einem Mikroskop im staubfreien Laminar Flow in das Umkehrsystem eingebaut. Die große Herausforderung ist hier, Mikropartikel, welche auf das Absehen geraten können, fern zu halten. Denn schon feinste Partikel von wenigen Mikrometern Durchmesser werden durch die Vergrößerung des Zielfernrohrs sofort in gleichem Maße wie die Absehen-Struktur wahrgenommen."
Welche Arten von Absehen und Beleuchtungsmethoden gibt es?
Dr. Jörg Hennemann: "Die ältesten Arten sind die mechanischen Absehen. Sie bestehen aus gespannten Metallfäden und werden bis heute immer noch von Hand hergestellt. Daher kommt auch der umgängliche Begriff "Fadenkreuz" für das Absehen. Diese Art von Absehen bietet jedoch keine Möglichkeit, eine ordentliche Beleuchtung zu realisieren.
Heutzutage werden, wie eingangs erwähnt, hauptsächlich Glasplättchen verwendet, auf die in einem Mikrostrukturierungsprozess die metallische Absehenstruktur aufgetragen wird. Des Weiteren ist es möglich, spezielle Partikel gezielt in das Absehen einzubringen, die durch seitliche Beleuchtung mit LEDs zum Leuchten angeregt werden können. So ist es möglich, ganze Bereiche bis hin zu sehr feinen Strukturen des Absehens zu beleuchten, wie Punkt oder Kreuz etc. Neben dem Einbringen von Partikeln besteht auch die Möglichkeit, beispielsweise einen Leuchtpunkt über ein Prisma in das System einzuspiegeln. Bei Schmidt & Bender nennt sich diese Technologie Flash Dot. Ein großer Vorteil dieser Technik ist, dass der Leuchtpunkt tageslichttauglich ist und nach dem Ausschalten vollständig verschwindet.
Technologisch am anspruchsvollsten sind diffraktive Absehen, bei diesen wird mit einem speziellen Druckverfahren ein Beugungsgitter auf eine Glasoberfläche aufgebracht. Dieses reflektiert das seitlich eingestrahlte Licht, so dass Teile des Absehens leuchtend erscheinen. Bei diesem Verfahren sind sehr feine beleuchtete Strukturen möglich. Das neue Absehen von Schmidt & Bender "Long Range Reticle (LRR)" ist etwa ein diffraktives Absehen, bei dem der frei stehende Leuchtpunkt in der Mitte des Absehens auf 1000 Meter Distanz eine Abdeckung von lediglich einem 1-Cent-Stück (1,6 Zentimeter) besitzt."
Welche Verstellmöglichkeiten gibt es in elektronischem Sinn?
Michael Holzmann: "Elektronisch kann man die Beleuchtungsstärke des Absehens stufenweise anpassen. Dies hat den großen Vorteil, dass man im Dunklen mit einer geringeren Leuchtintensität das Auge nicht zu sehr belastet und den Rest des Bildes im Zielfernrohr überstrahlt. Zum anderen kann man die Intensität am Tag aber auch erhöhen. Die Beleuchtungseinheit besteht daher etwa in unserem Haus aus einem drehbaren Knopf mit verschiedenen Helligkeitsstufen."
Lars Backes: "Es gab in der Vergangenheit unterschiedliche Initiativen, eine elektromechanische Absehenverstellung in Zielfernrohren zu realisieren. Man hat im Laufe der Jahre aber festgestellt, dass die Nachteile gegenüber den Vorteilen überwiegen. Deswegen beschränkt man sich nun auf die Standards wie etwa die Beleuchtungsintensität."
Wie gelangt die Technik in das Zielfernrohr und welche Einstellmöglichkeiten bietet es?
Michael Holzmann: "Es sind viele Schritte dazu notwendig, um High-End-Technik in das Zielfernrohr zu bekommen. Ähnlich wie bei dem Auto, wo Karosserie und Motor verheiratet werden, so wird bei einem Zielfernrohr das Umkehrsystem (UKS) mit dem Rohrkörper verheiratet. Der Rohrkörper ist außerdem mit der Absehenschnellverstellung bzw. der Parallaxeverstellung und einer Beleuchtungsverstellung ausgestattet. Schmidt & Bender bietet dem Kunden etwa eine Vielzahl an Türmen für die Absehenschnellverstellung für die unterschiedlichsten Anwendungen wie Jagd, Sport, Polizei oder Militär an. Die Verstellung pro Klick reicht dabei von 1/8 MOA/Klick bis hin zu 1 cm/Klick. Eine andere Verstellmöglichkeit bietet die Parallaxe. Diese kann jedoch nicht bei allen Zielfernrohren vom Kunden verstellt werden. Im jagdlichen Bereich ist oft eine Fokussierung des Zielfernrohrs auf 100 m gewünscht.
Ist der Rohrkörper soweit fertig, kann das Umkehrsystem mit dem darin vorhandenen Absehen eingebaut werden. Das Umkehrsystem besteht dabei aus einer Vielzahl verschiedener Linsen, die es unter anderem ermöglichen, das gewünschte Ziel zu vergrößern. Ist nun das UKS mit dem Rohrkörper verheiratet, so werden der Vergrößerungswechsel sowie das Okular eingebaut. Anschließend kommt das Objektiv hinein und die Endjustage der Parallaxefreiheit wird vorgenommen."
Wo liegen die Grenzen der Technik bei der Zielfernrohrkonstruktion?
Michael Holzmann: "Grenzen sind uns momentan in der Schussfestigkeit hochkomplexer Elektronikbauteile gesetzt. Es wirken starke Kräfte bei einem Schuss auf die Bauteile. Dabei sind die Bauteile und die empfindliche Elektronik kurzzeitig einem Zigtausendfachen der Erdbeschleunigung ausgesetzt. Die Herausforderung in der nahen Zukunft wird sein, die hochkomplexen Teile schussfest zu bekommen."
Lars Backes: "Die Grenzen sind dehnbar, sofern es die Entwicklung und der Materialmix hergeben. Aber derzeit hängt es vor allem an der erwähnten Schussfestigkeit."
Welche technischen Eigenschaften werden Zielfernrohre in Zukunft haben?
Dr. Jörg Hennemann: "In der Zukunft wird, wie in fast allen Bereichen, auch der Anteil von Elektronik und Sensorik zunehmen. Dies beginnt bei der inzwischen schon weit verbreiteten Abschaltautomatik der Absehenbeleuchtung. Es gibt aber auch schon Zielfernrohre, welche elektronisch die Verkantung und den Schusswinkel erkennen, sowie mit externen Geräten kommunizieren. Schmidt & Bender hat in diesem Bereich das "Digital". Bei diesem Zielfernrohr können neben der Kommunikation mit anderen Geräten die empfangenen Daten auch in das Sehfeld eingespiegelt werden, wie beispielsweise ballistische Korrekturen. Besonders hier werden sowohl im privaten als auch im Behörden- Sektor die Vernetzung und der Informationsaustausch stark zunehmen."
Lars Backes: "Die Zukunft wird den einzelnen Bereichen der Digitalisierung folgen und in diesen Bereichen wird man weiter auf konventionelle Optik setzen. Digitalisierung wird nie ein optisch qualitativ hochwertiges Bild ersetzen können. Zudem ist Elektronik einer schnellen Entwicklung unterworfen, was den Produktlebenszyklus verkürzt."
Was muss ein Basis-Zielfernrohr heute können? Was ein Spitzenprodukt?
Dr. Jörg Hennemann: "Ein Basis-Zielfernrohr sollte dem Schützen heutzutage eine gute Performance für einen guten Preis bieten. Große Tauchtiefen sowie raue Umgebungen (Wüste, Arktis) muss nicht unbedingt jedes Zielfernrohr im privaten Gebrauch aushalten müssen. Jedoch sollte die Optik über eine gute Transmission, eine gute Farbwiedergabe und eine geringe Randunschärfe verfügen, damit der Anwender bei widrigen Situationen stets ein optimales Bild zur Verfügung hat.
Im Bereich Polizei & Militär sowie in Ländern mit raueren klimatischen Bedingungen sieht dies schon anders aus. Hier kann man dann recht schnell den Unterschied zwischen einem Standard- und einem Spitzenprodukt feststellen. Neben exzellenten Werten bei den vorangegangenen Kriterien erkennt man eine gute Optik auch in der Dämmerung bzw. im Morgengrauen. Wo ein Standard-Produkt beispielsweise an seine Grenzen kommt, bietet das Spitzenprodukt hier immer noch beste Ergebnisse. Hinzu kommt auch die Funktionssicherheit über einen Temperaturbereich von -43°C bis hin zu +70°C sowie eine Unempfindlichkeit gegen 25m Tauchtiefe."
Was sind die Voraussetzungen für Schussfestigkeit der Elektronik?
Michael Holzmann: "Um eine Elektronik schussfest zu machen, sind gute Lötstellen, unempfindliche Kleinstbauteile und sehr gut gekrimmte also verbundene Steckverbindungen, zwingend notwendig. Das hört sich alles leicht an, ist jedoch bei den hohen Kräften eine sehr große Herausforderung. Auch die geforderten Temperaturbereiche (-43°C bis +70°C) stellen keine leichte Aufgabe an die Elektronik dar. Um einen bestmöglichen Witterungsschutz zu bekommen, sind qualitativ hochwertige Komponenten notwendig, so wie genaue Passungen, in denen modernste O-Ringe mit modernsten Fetten laufen."
Lars Backes: "Die Voraussetzungen für die Schussfestigkeit einer Elektronik sind qualitativ hochwertige Bauteile. Dies betrifft insbesondere die Platine, aber auch die weiteren darauf verbauten Bauteile wie CPU und Sensoren. Zudem müssen diese Teile hochwertig verlötet werden und alle anderen Kontakte müssen ebenfalls den enormen Belastungen bei der Schussabgabe standhalten. Schussfestigkeit reicht aber nicht alleine aus, da diese Bauteile, wie z.B. der Flex-Leiter, auch beweglich sein müssen. Die Kunst besteht also darin, die Elektronik schussfest, aber auch mit beweglichen Bauteilen den Anforderungen anzupassen."
Eine Einführung in das Thema Optronik haben wir bereits für Sie auf all4shooters.com veröffentlicht.
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