Übersicht & Technik: Carry-Optics-Pistolen

Neu ist das Konzept nicht unbedingt: Die Kombination von Kurzwaffen mit Zielfernrohren und Rotpunktvisieren gibt es seit Jahrzehnten. Jedoch hatte das Konzept nie durchschlagend Erfolg. So ausgerüstete Waffen wurden fast nur in hochspezialisierten Sportdisziplinen, (wo erlaubt) zur Jagd und als Spaß- und Freizeitwaffen benutzt. 

Eigentlich kein Wunder. Denn die über der Waffe thronenden, teils auch schweren Optiken beeinflussen wie kein anderes Ausstattungsmerkmal (mit Ausnahme von Schaftsystemen) die wichtigste Eigenschaft von Kurzwaffen – die Handlichkeit. 

Dies scheint sich mit dem zunehmenden Aufkommen von ultrakompaktenRotpunktvisieren (englisch: Red Dot Sight, kurz: Red Dot oder Dot) stetig zu ändern. Neuerdings bieten zig Pistolenhersteller Modelle an. Sie kommen ab Werk vorbereitet für die Aufnahme eines kleinen Reflexvisieres im Schlitten.

Glock 19 M.O.S. in 9 mm Luger auf dem Industry Day at the Range im Rahmen der SHOT Show 2018.
Glock 19 M.O.S. in 9 mm Luger auf dem Industry Day at the Range im Rahmen der SHOT Show 2018.

Carry-Optics-Pistolen: Höherer Zielkomfort und mehr Präzision

Dabei geht es nicht nur um Sport. In den USA experimentierten engagierte Schützen und Schießausbilder bereits seit Jahren, ob sich die mit einem kompakten Rotpunktvisier im Schlitten bestückten Pistolen nicht auch zur Selbstverteidigung oder für behördliche Zwecke eignen. 

Die Vorzüge einer optoelektronischen Visierung liegen gegenüber Kimme und Korn klar auf der Hand: Ein hell leuchtender roter Punkt ist leichter und schneller präzise ins Ziel zu bringen, als das Korn sorgfältig in die Mitte des Kimmenausschnitts einzufädeln und dann passend aufs Ziel zu richten. Heute stellt das Rotpunktvisier bei modern ausgerüsteten Streitkräften und der Polizei für Langwaffen nun den Standard dar. Mechanische Visierungen dienen für den Notfall. 

Solange die kleinen Reflexvisiere auch unter widrigen Umständen und unter Dauerbelastung auf Pistolen durchhalten, wäre bei offen getragenen Dienstwaffen (und teilweise auch bei verdeckt geführten Pistolen) der moderate Zuwachs an Bauhöhe und Gesamtgewicht gegenüber einem klassischen Visier zu verschmerzen.

Die Verwendung von Carry-Optics-Pistolen im Sportschützenbereich

Mit Doctersight C bewehrte Walther Q5 Match, typisch der skelettierte Fünf-Zoll-Schlitten und das blaue Abzugszüngel.
Mit Doctersight C bewehrte Walther Q5 Match, typisch der skelettierte Fünf-Zoll-Schlitten und das blaue Abzugszüngel.

Sportlich ist man durch die mit einem Red Dot ausgerüsteten Pistolen hierzulande nicht zwingend auf reine Action-Disziplinen wie die neueProduction-Wertungsklasse beim IPSC festgelegt. So bietet etwa der BDS mehrere Disziplinen im Bereich 25 Meter und Mehrdistanz an, die entsprechende Visiere ebenfalls erlauben. Dort tritt man dann teilweise aber auch gegen reinrassige, ganz auf Wettkampf getrimmte Sportpistolen an, die oftmals größer, schwerer und teurer sind als eine weitgehend konventionelle Dienstpistole mit Reflexvisier.

Neue Wertungsklasse "Production Optics" der IPSC für Carry-Optics-Pistolen:

Momentan läuft die Wertungsklasse Production Optics als Testlauf bis Ende 2020 – dann wird entschieden, ob die Division regulär ins internationale Sportprogramm der International Practical Shooting Confederationübernommen wird. In Deutschland steht der IPSC-Sport unter der Ägide des Bund Deutscher Sportschützen (BDS), der kürzlich beim Bundesverwaltungsamt (BVA) die neue Disziplin Production Optics beantragt hat. 

Im Regelwerk orientiert sich die Production Optics Division an der normalen Production-Klasse. Das bedeutet etwa, dass es sich um Serienwaffen mit einer maximalen Lauflänge von 127 mm handeln muss, die auf der entsprechenden Production-Modellliste explizit aufgeführt sind. Dies gilt bereits für diverse, ab Werk mit Red Dots bestückbare Pistolen – in der normalen Production Division können letztere mit Kimme und Korn antreten, während die Production Optics ein hinten im Schlitten befestigtes Rotpunktvisier verlangt. 

Canik TP9 SFX mit Red Dot der Marke Nikko Stirling Diamond XT4.
Canik TP9 SFX mit Red Dot der Marke Nikko Stirling Diamond XT4.

Als Aufnahme für die optoelektronische Visierung dürfen nur werksseitig angebrachte Ausfräsungen oder Schwalbenschwanzfräsungen im Schlitten benutzt werden. Für Production-Pistolen typisch ist das Kaliber 9 x 19 mm und der Mindestfaktor der Munition von 125. Diesen knacken die meisten handelsüblichen Munitionssorten aus einem mindestens vier Zoll (102 mm) langen Rohr locker. 

Bei DA-/SA-Waffen im BDS muss die Pistole in Production Optics vor dem Startsignal entspannt sein. Ein Mindestabzugsgewicht gibt es hier aber nur für den Spannabzug in Höhe von 2,27 kg (5 Pounds). Anders bei Pistolen mit stets gleichem Abzugsauslösewert im Stil einer Glock: hier legt das Regelwerk 1,36 kg (3 Pounds) als Mindestgewicht fest. 

Reine Single-Action-Pistolen dürfen in der Production Division nicht antreten. Tabu sind auch Kompensatoren oder Gasentlastungsbohrungen. Die Magazine dürfen nicht mit mehr als 15 Patronen geladen werden. Bis auf die Visierungen unterscheiden sich die Regeln beider Production-Klassen nur sehr wenig.

Im Folgenden stellen wir Ihnen die für Reflexvisiere designeten Pistolenmodelle der jeweiligen Hersteller genauer vor:

Canik: TP9 SFX Carry-Optics-Pistole

Aktuell fertigt Canik nur eine Pistole, die ab Werk für die Aufnahme von Reflexvisieren eingerichtet ist, die TP9 SFX. Der türkische Hersteller hat auch mehrere Pistolen im Sortiment, die laut Liste in der Production Division zugelassen sind. 

Das Polymer-Modell TP9 SFX gehört aber leider nicht dazu. Es wird im Gegenteil sogar explizit als nicht zulässig aufgeführt. Ein Grund dafür könnte die Lauflänge der Longslide-Pistole sein – 132 mm wäre in der Production-Klasse zu lang. 

Schade, denn die mattgrau beschichtete TP9 SFX bietet ansonsten für 779,- Euro ein preisgünstiges Komplettpaket, das in Technik und Detailausstattung ein wenig an die fünfzölligen Polymer-Matchmodelle von Walther erinnert.

Glock: Carry-Optics-Varianten mehrerer Modelle

Dreimal Glock: Unten eine Glock 41 Gen 4 M.O.S. von oben, um die Montage von Abdeck- und Adapterplatten zu zeigen. Oben links eine Glock 17 Gen 4 M.O.S. mit Doctersight C, rechts eine Glock 19 Gen 4 M.O.S. mit Doctersight III.
Dreimal Glock: Unten eine Glock 41 Gen 4 M.O.S. von oben, um die Montage von Abdeck- und Adapterplatten zu zeigen. Oben links eine Glock 17 Gen 4 M.O.S. mit Doctersight C, rechts eine Glock 19 Gen 4 M.O.S. mit Doctersight III.

Glock deckt mit einer Palette von M.O.S.-Modellen die gängigsten Bereiche ab, in denen Schützen zu einer Pistole mit Reflexvisier greifen. Für den typischen Action-Sportbereich stehen die Modelle 34 und 35 in 9 mm Luger und .40 Smith & Wesson zur Verfügung. Bei beiden Waffen handelt es sich im Prinzip um Pistolen in Standardgröße mit moderat auf 135 mm verlängertem Lauf und passend verlängertem Schlitten, also für IPSC Production auch zu lang. 

Für die neue Production Optics empfiehlt sich die Glock 17 im Kaliber 9 x 19 mm. Wer es für Jagd oder Sport gern eine Nummer größer hätte, für den gibt es die Varianten 40 und 41 in .45 ACP respektive 10 mm Auto. 

Auch die Selbstverteidigung klammert Glock nicht aus: Die handliche Glock 19 in 9 mm Luger wird auch als M.O.S.-Version produziert und baut selbst mit montiertem Reflexvisier nicht so schwer oder hoch wie viele gängige Dienstpistolen anderer Firmen. Preislich liegen die M.O.S.-Varianten mit jeweils 927,- Euro deutlich über den Standardversionen der Gen4 von Glock.

Heckler & Koch: HK SFP9 OR Carry-Optics-Pistole

Die erste Pistole für Reflexvisiere aus Oberndorf gehört zur Baureihe Striker Fired Pistol (SFP). Sie trägt das Kürzel OR für Optics Ready und findet sich bereits auf der Liste zulässiger IPSC-Production-Pistolen. Technisch orientiert sich die SFP grundsätzlich in vielen Bereichen an der bewährten Baureihe USP. Allerdings erinnern die komplett beidseitige Bedienbarkeit und das Griff-Design mit mehreren auswechselbaren Platten und Griffrücken an das verbesserte Modell P 30. 

Heckler & Koch SFP 9 OR, bestückt mit einem Red Dot des Typs Leupold Delta Point Pro.
Heckler & Koch SFP 9 OR, bestückt mit einem Red Dot des Typs Leupold Delta Point Pro.

Anders als alle USP/P 30 besitzt die SFP keinen außenliegenden Hahn, sondern ein vorgespanntes Schlagbolzenschloss. Zu den Markenzeichen der SFP gehört der im Vergleich angenehm knackige, stets gleichbleibende Abzug. Bei diesem fallen auch Wegstrecke und Rückstellweg des Züngels schön knapp aus, ohne die Eignung als Dienstwaffe in Frage zu stellen. 

Entsprechend der Technischen Richtlinie der deutschen Polizei beträgt der Abzugswiderstand regulär rund 30 bis 35 Newton. HK bietet aber auch einen "Special Forces"-Abzug an, bei dem der Abzug etwa zehn Newton leichter bei etwa 2 bis 2,5 Kilogramm auslöst. 

Mit einem Listenpreis von 829,- Euro überzeugt die OR-Version der SFP angesichts der gebotenen Qualität als günstig. Ein kleiner Haken findet sich aber: Bei HK gibt‘s ab Werk leider nur die Abdeckhaube serienmäßig. Die vier verschiedenen OR-Montageplatten kosten jede für sich stolze 50,- Euro extra.

HS Produkt: XDM 4.5 OSP Carry-Optics-Pistole

HS Produkt XDM-9 4.5 OSP, einmal mit abgeschraubter Abdeckplatte, einmal mit montiertem Doctersight 2plus.
HS Produkt XDM-9 4.5 OSP, einmal mit abgeschraubter Abdeckplatte, einmal mit montiertem Doctersight 2plus.

Der kroatische Hersteller bietet mit der XDM 4.5 OSP ein Modell mit 19-schüssigem Magazin an, das sich bereits auf der Liste der Production Division wiederfindet. In den USA wird es als Springfield Armory XDM OSP verkauft. Technik, Ausstattung und Abzugscharakteristik ähneln bei HS Produkt weithin den Glock-Pistolen. 

Ein Markenzeichen ist aber die extra Handballensicherung. Über eine Adapterplatte lassen sich Reflexvisiere von Herstellern wie Vortex, Docter, Insight oder Meopta montieren. Alternativ gibt es laut Importeur Crogun aber auch eine Platte für das RMR von Trijicon. Mit 788,- Euro Listenpreis stellt die XDM OSP aktuell so ziemlich die preisgünstigste Option dar, in Production Optics zu starten.

SIG Sauer: P 226 X-Five Allround Carry Optics und P 320 RX

SIG Sauer bietet mit der P 226 X-Five Allround Carry Optics und der P 320 RX gleich zwei Basismodelle für Mini-Optiken an, die sich technisch klar voneinander unterscheiden. Die DA-/SA-Pistole X-Five Allround mit Stahlgriffstück basiert auf der bewährten P 220er Baureihe mit außenliegendem Hahn, während die Polymer-Pistole P 320 mit Schlagbolzenschloss bei den US-Streitkräften die Beretta 92 F ablösen wird. Bis auf die Aufnahme für ein Reflexvisier und die extrahohe Werksvisierung unterscheidet sich die modular aufgebaute RX nicht groß von einer normalen P 320.

Heribert Bettermann übersandte dieses SIG-Sauer-Duo, oben P 320 Fullsize, unten P 226 X5 Allround, beide jeweils mit SIG Sauer Red Dot Romeo1.
Heribert Bettermann übersandte dieses SIG-Sauer-Duo, oben P 320 Fullsize, unten P 226 X5 Allround, beide jeweils mit SIG Sauer Red Dot Romeo1.

Smith & Wesson: M&P C.O.R.E. Carry-Optics-Pistole

Die US-Firma erkannte als erstes großes Werk das Potenzial der Kombination von Gebrauchspistolen mit einem direkt aus der Schachtel leicht zu montierenden Mini-Reflexvisier. In Technik und Ausstattung basieren diese Varianten namens C.O.R.E. auf der Military & Police (M & P), einer der Glock nicht unähnlichen Pistolenbaureihe.

Zu den Eigenheiten der M & P gehören neben der Kombination von Polymer-Griffstück, teilvorgespanntem Abzug und Browning-Verriegelung die komplett beidseitige Bedienbarkeit und auswechselbare Griffschalen. Inzwischen wurde diese C.O.R.E-Baureihe mehrfach erweitert. Eine gewöhnliche M & P im Standardformat oder als leicht verlängertes L-Modell kostet in 9 mm Luger wie in .40 S & W als C.O.R.E-Variante rund 1150,- Euro.

Zudem werden auch in beiden Kalibern für 1347,- Euro mehrere "Ported"-Modelle aus dem hauseigenen Performance Center als C.O.R.E.-Version offeriert. Letztere dürfen aber aufgrund der Gasentlastungsbohrungen im Lauf nicht in den beiden IPSC-Production-Divisionen starten. Die Stahlvisierung fällt bei den C.O.R.E.-Modellen deutlich höher aus als bei einer normalen M & P.

Smith & Wesson M & P C.O.R.E., oben die M & P 9L, unten die M & P 40, beide jeweils mit Doctersight 2plus. Rechts: Comp-Tac-Holster, passend für Carry-Optics-Pistolen.
Smith & Wesson M & P C.O.R.E., oben die M & P 9L, unten die M & P 40, beide jeweils mit Doctersight 2plus. Rechts: Comp-Tac-Holster, passend für Carry-Optics-Pistolen.

Carl Walther: Q4 Match und Q5 Match Carry-Optics-Pistolen

Walther fertigt derzeit neben der brandneuen Q4 auch die beiden Wettkampfmodelle Q5 Match und Q5 Match Champion; alle drei zeichnet die abnehmbare Haube hinter dem Auswurffenster aus, unter der sich alternativ auch eine Montageplatte für Reflexvisiere befestigen lässt. Anders als bei anderen Herstellern sitzt bei Walther die Kimme auf der Abdeckung – wer ein Red Dot montiert, muss auf eine Kimme verzichten. 

Technisch orientieren sich alle drei an der Baureihe PPQ, Walthers moderner Polymer-Pistole mit stets gespanntem Abzug, auswechselbaren Griffrücken und beidseitiger Bedienbarkeit. Die PPQ und ihre Match-Modelle kennzeichnet der exzellente Abzug. Er simuliert ein besonders fein justiertes, teilvorgespanntes System mit niedrigem Abzugswiderstand, trockenem Auslösen und ultrakurzem Reset (Rückstellweg). 

Mit 969,- Euro fällt die vierzöllige Q4 deutlich günstiger aus als die Q5 Match. Letztere besitzt aber für 1199,- Euro neben dem verlängerten Lauf und skelettierten Schlitten auch drei Visier-Adapterplatten ab Werk sowie einen nochmals leicht optimierten Sportabzug. Die neue Q4 Match steht noch nicht auf der Liste der für die Production-Klasse zugelassenen Modelle. Das dürfte sich aber sehr schnell ändern, denn die Q4 Match ist ja noch ganz neu und die ähnlich konzipierte Q5 Match ist bereits zugelassen.

Wollen Sie mehr über das IPSC-Schießen erfahren? Hier finden Sie eine Einführung zu dem dynamischen Schießsport.


Interessieren Sie sich für großkalibrige Sportpistolen? Hier stellen wir Ihnen die Vertreter dieser Waffengruppe vor.

Die umfangreiche Übersicht zum Thema Carry-Optics-Pistolen finden Sie in der VISIER Ausgabe 3/2018. Im VS Medien Online-Shop können Sie die Ausgabe bequem nachbestellen.

Hier kommen Sie zur digitalen Version der VISIER 3/2018.


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