Warum die Munition für Scharfschützen entscheidend ist

Die Patronen .338 Lapua Magnum, .375 Swiss P, .375 CheyTac und .408 CheyTac im Größenvergleich (v.l.).
Von links: Die Patronen .338 Lapua Magnum, .375 Swiss P, .375 CheyTac und .408 CheyTac im Größenvergleich

Für Scharfschützen bildet die Munition neben Ausbildung, Waffe, Optik und Optronik eine Schlüsselkomponente.

Wie wichtig das Zusammenspiel aus Waffe, Optik, Optronik und Munition für das "System Sniper" ist, zeigt sich auch anhand diverser jüngerer Beschaffungsvorhaben von Behörden. Die Bundeswehr etwa hat mit dem Projekt „Scharfschützenwaffe, kurze Reichweite G26“ erstmals eine eigens auf die Waffe abgestimmte Munition gefordert. SIG Sauer erhielt im Januar  2020 einen Zehn-Millionen-Dollar-Auftrag (rund 8,8  Millionen Euro), um die .300-WinMag-Munitionssorten MK248  Mod  1 und Mod  0 zur Nutzung aus den M2010-Scharfschützengewehren zu fertigen. Im April  2021 wiederum teilte die US  Army mit, eine eigene Munitionsfamilie  für das modulare Scharfschützengewehr MK22  Mod  0 beschaffen zu wollen. In allen drei genutzten Kalibern  –  7,62  NATO, .300  Norma Magnum und .338  Norma Magnum  –  sollen leistungsstärkere Geschosse für den Einsatz gegen Personenziele kommen. Gleiches gilt für Unterschall-Laborierungen, die in Verbindung mit Signaturreduzierern den Schützenstandort beim Schuss besser verschleiern. Weiterhin möchte die Army eine eigene Anti-Material-Munition im Kaliber .338  Norma Magnum beschaffen.

Welche Munition und welches Kaliber für welchen Einsatzzweck?

Grob gesagt lässt sich feststellen, dass bei Zielfernrohr- und Scharfschützengewehren mit zunehmender Reichweite auch größere Kaliber zum Einsatz kommen:

  •   die 7,62er (NATO und russisch) auf bis zu 800  Metern und dabei meist aus Selbstladern,
  •  .300  Winchester Magnum und .300  Norma Magnum auf bis zu 1200  Metern,
  •  .338  Lapua Magnum und .338  Norma Magnum auf 1500  Metern,
  •  .50  BMG und stärkere Patronensorten auf bis zu 2000  Meter und mehr sowie gegen technische Ziele.
Tests für „Next Generation Squad Weapon“
Für die geplante „Next Generation Squad Weapon“ evaluiert die US Army derzeit drei Waffen- und Munitionssysteme für das vorgegebene 6,8-mm-Geschoss: SIG Sauer mit einer Hybrid-Metallhülse, General Dynamics (jetzt ersetzt durch LoneStar Future Weapons) mit der von True Velocity hergestellten Munition mit Polymer-Hülsen und Textron/Winchester mit einer teleskopierten Hülsenmunition.

Dies gilt natürlich nur als grober Anhalt. Fast alle namhaften Patronenhersteller bieten eigene Scharfschützenmunition an: Die RUAG-Swiss  P-Produktreihe, die MEN Sniper Line oder die Tactical-Application-Police- beziehungsweise Match-Familien von Hornady sind nur einige wenige Beispiele. Die Entwicklung schreitet stetig voran. So entstehen zum einen neue Geschosskonstruktionen und Patronen in den vorhandenen Kalibern, um die ballistischen Leistungen zu steigern. Zum anderen entwerfen die Hersteller auch neue Laborierungen oder entdecken ältere wieder.

In jüngerer Zeit kam einiges in den Focus, um als Alternative zu eingeführten Kalibern zu dienen. Wichtig erschienen den Konzeptionären dabei Abmessungen ähnlich denjenigen der standardmäßig eingeführten Patronen, dies aber bei größerer Wirkung und Reichweite. Durch diesen Ansatz sollten sich die vorhandenen Waffenarchitekturen weiter nutzen lassen. Bei den Selbstladern fallen .260  Remington, 6,5  Grendel (6,5  x  39  mm) oder auch 6,5  Creedmoor (6,5  x  48  mm) in diese Kategorie. Letztere erachtet das US  SOCOM als „Gamechanger“. Insbesondere bei den Repetiergewehren geht es darum, die Lücke zwischen .338  Lapua Magnum und 12,7  mm, sprich: .50  BMG, zu schließen. Ebenso sucht man nach für den Schützen besser als die „Fifty-Cal“  erträglichen Laborierungen. Jüngere Beispiele sind die .375 sowie die .408 Cheyenne Tactical, kurz CheyTac, die .338  Norma Magnum und eine brandneue europäische Entwicklung, nämlich die RUAG .375  Swiss  P.

Schießversuche mit der .375 Swiss P aus einem PGM Hecate II.
Schießversuche bis 1600 m mit der .375 Swiss P aus einem PGM Hecate II: Die von RUAG Ammotec entwickelte .375  Swiss  P findet sich seit 2018 in der CIP-Liste.

Die im schweizerischen Thun von der RUAG Ammotec entwickelte .375  Swiss  P findet sich seit Mai 2018 in der CIP-Liste (CIP  =  internationale Norm- und Prüfkommission für Handfeuerwaffen und Munition). Im Frühjahr 2021 wurde der neue Patronentyp vorgestellt. Er ist (Stand Dezember  2021) mit Vollmantel- und Hartkerngeschoss verfügbar. Anlass zur Neuentwicklung  –  eine kostspielige und langwierige Maßnahme und daher in Europa eher selten  –  gaben vermehrte Anfragen aus dem Behörden- und Spezialkräftebereich nach einer leistungsstärkeren Patrone als .338  Lapua Magnum. Sie sollte eine Reichweite im Überschallbereich von mindestens 1500  Metern haben und mit Hartkerngeschossen ballistische Westen der Schutzklasse SK4 auf 600  Meter Distanz sicher durchschlagen. Neben diesen außen- und zielballistischen Forderungen sollte die verwendete Waffe jedoch möglichst kompakt und leicht ausfallen. Vorhandene Kaliber in der Leistungslücke zwischen .338  Lapua Magnum und .50  BMG wie .375 und .408  CheyTac oder .416  Barrett (10,6  x  83  mm) fielen aus, da man eine bessere Versorgung mit Waffen und vor allem Sondermunition auf dem europäischen Markt anstrebte. Dies um so mehr, da die beiden CheyTac-Kaliber von der CIP-Kommission aus deren Standardisierung entfernt wurden.

Vergleich Geschossabfall_Entfernung
Das Vollmantelgeschoss der .375 Swiss P zeigt ab etwa 1200 m eine deutlich gestrecktere Flugbahn im Vergleich zu den im Test genutzten .338-Laborierungen.
Grafik Vergleich Energie_Entfernung
Auf 1600 m Distanz bringt das Vollmantelgeschoss der .375 Swiss P rund ein Drittel mehr Energie ins Ziel als das 300-Grains-HPBT-Geschoss der .338 Lapua Magnum.

RUAG Ammotec entschied sich daher für eine Eigenentwicklung. Das neue Kaliber sollte mit den bei vielen Armeen und Behörden eingeführten .338  Lapua-Magnum Waffensystemen kompatibel sein. Um die neue Patrone verschießen zu können, muss man bloß den Lauf austauschen. Verschluss und Magazin bleiben identisch. Dies bietet den Vorteil, dass die Anwender weiterhin mit ihrem vertrauten Waffensystem arbeiten können. Eine aufwendige und langwierige Ausschreibung und Erprobung sowie kostenintensive Neubeschaffungen entfallen.

Schnittbild Gewehrpatronen
Die Masse macht’s: Der Querschnitt zeigt das 350-Grains-Vollmantelgeschoss der neuen Patrone .375  Swiss  P (r.) im Vergleich zu einer .338  Lapua Magnum mit 300-Grains-HPBT (M.) und einer .338 Lapua Magnum mit 250-Grains-HPBT. Die Metallkugel in der Geschossspitze der .375  Swiss  P verlagert den Schwerpunkt des Geschosses in Richtung Heck.
Hartkerngeschoss der .375 Swiss P
Das neue Hartkerngeschoss der .375 Swiss P durchschlägt eine 22 mm dicke Stahlplatte der Härte 367 HB noch auf über 350 m. Ein .50-BMG-Geschoss muss dies nur auf 100 m leisten. Schutzklasse 4-Westen wurden in Tests auf etwa 600 m noch durchschlagen.

Auch bei den Geschosskonstruktionen für Scharfschützen ging der Marktführer RUAG Ammotec neue Wege.
Denn für Scharfschützenanwendungen gibt es in zahlreichen Ländern Vorbehalte betreffend Geschosskonstruktionen des Typs Hollow Point Boat Tail (HPBT) mit Bleikern. Daher galt es, ein Vollmantelgeschoss mit einer gleichwertigen Präzisionsleistung zu entwickeln. Um den Geschossschwerpunkt möglichst weit nach hinten zu verlagern und so eine gute Präzision zu erreichen, setzte die RUAG Ammotec bei ihrem neu entwickelten Vollmantelprojektil eine Metallkugel in die Geschossspitze ein. Diese bildet in der Spitze ein Leervolumen und weist zudem eine geringere Dichte als der Bleikern auf. Zusätzlich wurde ein Verfahren entwickelt, um die Streuung der Geschossspitzengeometrie zu minimieren. So verändern sich die Cw-Werte innerhalb eines Geschossloses nur minimal  –  eine wichtige Bedingung für wiederholbare Schießergebnisse auf weite Distanzen.

Die größenmäßige Beschränkung auf ein Waffensystem in .338  Lapua Magnum unter Nutzung des gleichen Verschlusskopfes und Magazins setzte den Ballistikern aus der Schweiz bei der Entwicklung des neuen Hochleistungskalibers klare Grenzen. Die von RUAG Ammotec angestrebte Leistungssteigerung in der Mündungsenergie (E0) gegenüber der .338  Lapua Magnum sollte rund 40  Prozent betragen. Geht man von einer durchschnittlichen E0 von etwa 6100  Joule bei der .338  Lapua Magnum aus, bedeutete dies für das neue Kaliber eine Mündungsenergie von etwa 8500  Joule. Diese sollte es aus einem 30  Zoll (762  mm) langen Lauf erzielen. Um den deutlich höheren Druck zu ermöglichen, führte bei der Konstruktion der Patrone zum einen eine Hülse mit eingezogenem Rand (englisch „Rebated Rim“) zum Erfolg. Dabei ist der Hülsendurchmesser oberhalb der Auszieherrille größer als der Hülsenbodendurchmesser. So kann das Volumen des Pulverraumes gesteigert und der Bodendurchmesser der Hülse und somit der ursprüngliche Verschlusskopf beibehalten werden. Zum größeren Hubraum kam zum anderen ein optimiertes Treibladungspulver.

Ein Hartkern durchschlägt bei der RUAG .375 Swiss P auch Keramik

Bei ihrem Hartkerngeschoss entschieden sich die Schweizer für eine Konstruktion mit geschlossenem Geschossboden und kleiner offener Hohlspitze. Als Kern wird eine gesinterte Legierung aus Wolframkarbid und Kobalt verwendet. Letzteres dient als Bindemittel für das extrem feine Wolframkarbidpulver. Der Hartkern mit einer Masse von 13,3  g macht knapp 60  Prozent der Geschossmasse aus. Als Bindeglied zwischen Kern und Tombakmantel fungiert ein Kernträgerschuh aus Stahl. Die Kernlegierung wurde speziell auf den maximalen Durchschlag von in ballistischen Schutzwesten verwendeten Keramikeinsätzen abgestimmt. Die Laborierung perforiert eine Schutzweste der Klasse  SK4 unter Normbedingungen bis auf zirka 600  Meter sicher. Aber auch gegen Stahlziele zeigt das Hartkerngeschoss sehr gute Leistungen. 22  Millimeter dicke Stahlplatten mit einer Härte von 367  HB durchschlägt es auf Entfernungen von über 350  Metern.

G25 beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr
Schallgedämpfte Scharfschützensysteme wie hier das G25 beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr gehören zu den Exoten in den militärischen Waffenkammern.

Zu den weiteren in den vergangenen Jahren auffälligen Trends auch im Scharfschützenwesen gehörten reichweitenreduzierte Trainingslaborierungen für die größeren Kaliber. Das bietet den Soldaten die Möglichkeit, auch auf kleineren oder nicht für die Anti-Material-Laborierungen zugelassenen Schießanlagen zu üben.

Nachtschießen mit Signaturdämpfer
Gerade bei Nacht können Signaturdämpfer an den Scharfschützengewehren dazu beitragen, die eigene Stellung zu verbergen.

Inwieweit sich neue Munitionstechnologien auf das Scharfschützenwesen auswirken werden, bleibt abzuwarten. Mit Spannung erwartet die Community die Ergebnisse des US Army-Vorhabens „Next Generation Squad Weapon“. Drei Ansätze sehen vor, Leistung von Waffe und Munition zu steigern und dabei das Gewicht zu reduzieren. Es sind dies die Hybrid-Metallhülse von SIG Sauer, die Polymer-Hülse von True Velocity und die teleskopierte Polymer-Hülse von Olin-Winchester/Textron (gemäß Gerüchten vom November 2021 aber bereits verworfen). Dessen ungeachtet wird im Bereich der Scharfschützenmunition der Schwerpunkt immer bei der präzisen Wirkung auf Distanzen weit jenseits derjenigen von den Standard-Handwaffen liegen  –  und damit bei immer volleren Packungen auf größeren Reichweiten.


Dieser Fachbeitrag stammt aus dem VISIER Special 103 "Scharfschützen III" – mehr über die anderen Artikel in diesem Sonderheft erfahren Sie hier. Direkt kaufen können Sie das Heft im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder auch im VS Medien Online-Shop.

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