Die Masse wiedergeladener Kurzwaffenpatronen läuft über Progressivlader – so heißen die, mittlerweile mit bis zu acht Ladestationen versehenen, kleinen Munitionsfabriken. Ein Zug am Hebel, und die fertige Patrone fällt in den Sammler. Hülsen, Geschosse, Treibladungsmittel und Zündhütchen werden automatisch zugeführt. Die verzwickten mechanischen Abläufe können jedoch anfangs sogar Schrauberprofis mit technischem Geschick überfordern. Dazu kommt ein weiteres Hemmnis: Wer lädt sofort hunderte Patronen und hofft, die Top-Laborierung sei gefunden? In der Regel wird mit kleinen Losen von 20 bis 30 Patronen probiert. Hält die Eigenkreation die Zehn? Den Mindestimpuls, der bei den meisten Verbänden gefordert wird, kurz MIP genannt? Signalisieren ein gekraterter Schlagbolzeneindruck im Zündhütchen und dessen verstrichene Randfuge zu hohen Druck? Sind die Hülsen blank oder verschmaucht, lassen sie sich leicht aus dem Lager ziehen? Es dauert, bis diese Fragen eine Antwort finden.
Wenn endlich große Mengen laufen – hier ein Angebot, dort eine Ausverkaufsaktion, da eine neue Waffe, und schon geht die Probiererei von Neuem los. Gut, wenn statt langwieriger Umstellungen am komplexen Gerät mit der alten Einsteigerausrüstung rasch kleine Probierlose geladen werden können. Unsere Wahl fiel auf das Lee Value Reloading Kit, das gibt es etwa bei Artax für 342,98 Euro. Neben der Presse enthält es ein Füllgerät für das Treibladungsmittel, eine Waage und etwas Hülsenbearbeitungswerkzeug. Bei der als Turret (Revolverkopf) bezeichneten Presse dreht sich das Matrizenmagazin oben statt die Hülsen in der Bodenplatte unten wie bei den meisten anderen Modellen. Daher gleicht der untere Teil einer Einstationenpresse. Bei der Montage ist etwas Freilauf der Druckstange (Ram) nötig. Zu nahe an der Arbeitsplatte montiert, schleift sie daran. Eine dicke Pappe zwischen Kante und Stange schafft bei der Montage den nötigen Freiraum. Ausgestoßene Zündhütchen sammeln sich in einem Hohlraum im Sockel – falls vergessen wurde, dort einen Durchlass zu schaffen, und einen Mülleimer unter die Arbeitsplatte zu stellen. Lee empfiehlt, abzusaugen – nein! Unsere Methode besteht aus einem Marmeladenglas, dessen weitgehend ausgeschnittener Deckel unter dem Loch der Arbeitsplatte verschraubt wird. Ein Griff, und das volle Glas kann abgedreht und dessen Inhalt entsorgt werden.
Lee Value Reloading Kit von Artax – da fehlt doch etwas?
Das Einsteiger-Kit ist nicht komplett. Kann es auch nicht, da der Matrizensatz separat bestellt werden muss. Lee-Matrizen können, müssen aber nicht sein. Ein Lee Carbide 4-fach Premium-Matritzensatz kostet bei Artax 69,98 Euro. Alle Matrizen mit 7 / 8-Zoll Gewinde und markenfremde Hülsenhalter passen, wie die für diesen Test von RCBS verwendeten. Die Hülse wird bei der Aufwärtsbewegung der Druckstange in die Matrize gepresst (rekalibriert). Deren Ausstoßerdorn drückt währenddessen das abgeschlagene Zündhütchen aus. Bei der Abwärtsbewegung erfolgt eine 90°-Drehung, initiiert über die oben im Turret fixierte Spindel.
Fehlschüttungen beim Wiederladen gilt es zu vermeiden!
Ganz unten wird ein neues Zündhütchen gesetzt. Dieses muss vorher in die Aufnahme des Setzers praktiziert werden. Wie es schneller geht, kommt nachher. Jetzt geht es erst wieder hoch, zum Aufweiten des Hülsenhalses und Treibmittel füllen. Das Lee-Abfüllgerät arbeitet im Zyklus des Aufweitens. Das tut es allerdings am besten mit einer Lee-Matrize darunter, deren radiale Bohrung den Durchlauf des Treibladungsmittels erlaubt. Wenn der Hülsenhals angetrichtert ist, muss der Schieber die Lochplatte des Abfüllgerätes bis kurz vor deren Anschlag geschoben haben, sonst sind Fehlschüttungen die Folge. Das AutoDisk-Gerät von Lee polarisiert. Manche lieben es, andere verteufeln es. Um bei den Teufeleien anzufangen: Ein Einsteiger möchte Patronen im Kaliber .38 Special laden. Hierzu gleich eine Top-Laborierung, wie immer ohne Gewähr: 4,6 bis 4,7 Grains Vihtavouri N 320 hinter einem 158 Grains schweren High-Speed-Rundkopfgeschoss von H & N, Hülse CBC (Magtech), Zündhütchen Federal 100. Die Patronenlänge liegt bei 38,5 Millimeter. Die Ladung ist knackig, sie hält aber aus vielen vier- bis sechszölligen Revolvern den Mindestimpuls und zudem die Zehn der Präzisions-Scheibe auf 25 Meter.
Einstellung des Abfüllgeräts beim Wiederladen:
Die Nummern der Kavernen der Lochplatte sind in einer Tabelle gelistet. Sie passt zu Füllmengen verschiedener Treibladungsmittel. Die Tabelle listet für 4,7 Grains N 320 die Kaverne Nummer .57 – Glück gehabt! Denn darunter werden nur 4,4 Grains geworfen, darüber gleich 5,0 Grains. Eine Feinabstimmung ist mit diesem System nicht möglich. Auch die bewegliche Lochplatte des Abfüllgerätes wird kritisiert, sie würde oft klemmen. Das stimmt, wenn die Befestigungsschrauben des Treibmittelbehälters zu fest angezogen wurden oder wenn sie nicht fest genug angezogen wurden. Kein Widerspruch. Gerät der Spalt zwischen Behälterboden und Lochplatte zu groß, rieselt Pulver dazwischen und klemmt. Alternative für Lee: Wer dieses Abfüllgerät meiden möchte, kann das Treibladungsmittel durch den offenen Einlass der Lee-Matrize direkt in die Patronenhülse füllen, zum Beispiel, indem er einen antistatischen Trichter verwendet. Wer sich nicht mit dem Gerät befassen will, bestelle das Einsteiger-Kit mit dem Lee-Auto-Drum-Abfüllgerät. Hier handelt es sich um ein stufenlos einstellbares, zwangsgesteuertes Walzenfüllgerät, es erhöht den Preis um 20,- Euro. Jedes andere Fremdfabrikat mit 7/8-Zoll-Gewinde passt auch. Manche müssen händisch betrieben werden, wie das abgebildete Füllgerät der US-Marke Redding. Falls getrennt aufgeweitet und gefüllt wird, wären alle Stationen besetzt.
Trau, schau, wem: Genauigkeit der LeeAuto-Disk aus dem Kit von Artax
Die geworfenen Chargen aus dem LeeAuto-Disk liegen eher bei 4,6 statt 4,7 Grains N 320. Die – sorry – billig wirkende Lee-Waage zeigt stets richtige Werte. Die Tester haben deren Messungen auf einer zweiten Waage kontrolliert und Eichgewichte genutzt. Geschoss drauf, und nein, noch immer nicht fertig, denn im Turret finden sich ja vier Aufnahmen. Wer die präzisionssteigernde Trennung von Setz- und Crimpvorgang nicht nutzen möchte und mit synchronem Vorgang leben kann, wählt vielleicht einen funktionsfördernden Factorycrimp oder setzt die Prüfmatrize für Treibladungsmittel ein – die Turret ist flexibel. So auch mit der Zündhütchenzuführung, statt jedes einzeln in die Aufnahme zu praktizieren, lässt sich für 32,99 Euro das ebenfalls bei Artax erhältliche, schwerkraft-gesteuerte Zündhütchenmagazin von Lee anbringen. Aber vielleicht erst nach einigen hundert geladenen Patronen.
Trau, schau, wem 2.0: 150 Patronen pro Stunde für den Anfänger
Nach Herstellerangaben schafft die Turret bis zu 250 Patronen in der Stunde. Aha! Dazu soll die Presse auch Gewehrkaliber bis .460 Weatherby Magnum verkraften. Oho! Man dividiere also den Marketing-typischen Zweckoptimismus durch die durchschnittliche amerikanische Produkteuphorie und rechne mit etwa 150 Kurzwaffenpatronen. Damit kann der Einsteiger nach etwas Eingewöhnungszeit zufrieden sein. Versierte Wiederlader werden ihre 200 Patronen in der Stunde schaffen, und bei Hülsen bis Kaliber .30-06 Springfield trauen sich die Tester, der Turret ein langes Leben vorherzusagen. Besonders Gewehrschützen werden sich über den beiliegenden Zündglockenreiniger, den Hülsenhals-Entgrater und -Fräser freuen. Leider ist der Kit immer noch nicht komplett, drei essentielle Dinge fehlen: Der für Einsteiger wichtige Delaborierhammer, ein Messschieber und dazu sollte ein Maulschlüssel mit der speziellen Weite 1/4 Zoll angeschafft werden. Der wird nicht sofort, aber nach einiger Zeit nötig. Falls sich der 90°-Index des Turrets verstellt, sitzt die Matrize nicht mehr exakt über der Hülse. Das Nachjustieren ist simpel, die Spindel muss nur mit dem Maulschlüssel gekontert werden, während der Revolverkopf, bei ganz abgesenkter Druckstange, händisch in die Rast gedreht wird. Die einzige Schwierigkeit darin liegt in der fehlenden dritten Hand.
Fazit: Für wen ist das Artax-Wiederlade-Kit geeignet?
Die Turret von Artax ist ein sehr flexibles, durchdachtes und dabei sehr einfaches System. Alle Wiederladeschritte können in einzelnen Durchläufen erfolgen, aber die Presse kann mittels zwangsgesteuertem Abfüllgerät und Zündhütchenmagazin fast zu einem "richtigen" Progressivlader aufgerüstet werden – Schritt für Schritt. Einsteiger wie auch versierte Wiederlader erwerben eine für alle gängigen Kaliber hinreichend stabile und überraschend funktionale Presse.
Alle im Artikel genannten Ladedaten ohne Gewähr! Jeder Wiederlader handelt in eigener Verantwortung!
Dieser Bericht erschien zuerst in der VISIER, Ausgabe 4/2021. Das Heft können Sie als Print- ebenso wie als Digitalausgabe bequem im VS Medien-Onlineshop bestellen.