ESSF: Kosten für die Weiternutzung von Bleimunition fallen für die Schießstandbetreiber sehr viel höher aus als seitens der ECHA prognostiziert und die Übergangsfrist ist zu kurz

Das Europäische Schießsportforum (ESSF) − dessen Mitglied auch die AFEMS, der Verband der europäischen Hersteller von Jagd- und Sportmunition, ist − hat ein Dokument erarbeitet, in dem die Auswirkungen der von der ECHA vorgeschlagenen Beschränkung auf Freiluft-Schießstände für Lang- und Kurzwaffen in der EU-27 (+ Vereinigtes Königreich, Norwegen und Liechtenstein) bewertet werden.

In dem Bericht, der vor einigen Tagen an die Europäische Kommission (Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, englisches Kürzel GD GROW) weitergeleitet wurde, wird hervorgehoben, dass zum jetzigen Zeitpunkt nur etwa 5 % der Schießstände (außerhalb Deutschlands, Luxemburgs und der Niederlande) die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen bereits erfüllen, während für alle anderen Schießstände viel mehr Zeit und Geld erforderlich sein wird, um die Anforderungen umzusetzen.

In dem Bericht wird insbesondere hervorgehoben, dass die ECHA die mit der vorgeschlagenen Beschränkung von Blei in Munition verbundenen Kosten stark unterschätzt hat, da die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen offenbar ohne Kenntnis der bestehenden Risikomanagementmaßnahmen auf Schießständen in Europa festgelegt wurden.

Fehlende Informationen der ECHA zu den Konsequenzen eines Verbots von Blei in Munition waren der Anlass für eine detaillierte Umfrage der ESSF 

Schießsportarten in geschlossenen Räumen und nicht zivile Anwendungen sind vom Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Beschränkung ausgenommen. Die Behauptung, dass die Verwendung derselben Bleigewehr- und -kurzwaffenmunition auf ein und demselben Schießstand ein inakzeptables Risiko darstellt, wenn sie von Zivilisten verwendet wird, aber ein akzeptables Risiko, wenn sie etwa von Behörden verwendet wird, ist jedoch an sich schon umstritten.

Was die spezifischen Ausnahmebedingungen betrifft, so hat die ECHA vorgeschlagen, dass Bleigeschosse auf zivilen Lang- und kurzwaffenschießständen im Freien verwendet werden können, sofern diese mit folgenden Einrichtungen ausgestattet sind: entweder (1) Kugelfangsystemen oder (2) bestmöglich optimierten Sandkugelfängen, die aus einem Sandwall mit (a) einer undurchlässigen Barriere zum Boden, (b) einem überhängenden Dach oder einer dauerhaften Abdeckung und (c) einem Wassermanagementsystem bestehen.

Aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit von Schießständen für Lang-/Kurzwaffen im Freien, die von der ECHA vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen zu erfüllen, und aufgrund des Mangels an detaillierten Informationen, die der ECHA offenbar nicht vorliegen, beschloss das Europäische Schießsportforum (ESSF), weitere Informationen zusammenzutragen. Die Umfrage, auf die insgesamt 29 Rückmeldungen aus den EWR-Ländern und dem Vereinigten Königreich, sollte Daten über die sozioökonomischen Auswirkungen des ECHA-Vorschlags sammeln (Annex I).

Die Ergebnisse zeigen, dass nur eine sehr geringe Anzahl von Schießständen (weniger als 6 % außerhalb Deutschlands, Luxemburgs und der Niederlande) die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen bereits erfüllen. Die Umfrageergebnisse geben daher Anlass zu ernsten Bedenken hinsichtlich der von der ECHA festgelegten Ausnahmebedingungen für die weitere Verwendung von Bleimunition auf Schießständen.

+++ Insbesondere zeigen die Ergebnisse, dass die aktuellen Vorschläge der ECHA nachteilige Auswirkungen auf europäische zivile Outdoor-Schießstände für Lang- und Kurzwaffen und auf die Schützen haben würden +++

Schauen wir uns einige Zahlen im Detail an: Die Installation von Wassermanagementsystemen kann teuer sein. Norwegen beispielsweise schätzt die Kosten für den Bau eines solchen Systems auf rund 100.000 Euro pro Schießstand. Da sich die Zahl der nicht konformen Schießstände in den antwortenden Ländern (ohne Deutschland, Luxemburg und die Niederlande) auf mindestens 9.000 beläuft und davon ausgegangen wird, dass alle diese Schießstände ein vollständiges Wassermanagementsystem installieren müssen, würden sich die Gesamtkosten für solche Anlagen auf mindestens 900 Millionen Euro belaufen. Norwegen schätzt außerdem, dass die Kosten für den Bau eines Sandkugelfangs mit Dach (ohne Wassermanagementsystem) etwa 1.830 Euro pro Meter betragen, was rund 54.900 Euro für jede 30 Meter lange Schießbahn für den "laufenden Hirsch" (Running Stag)  oder "laufenden Keiler" ausmachen würde. Die Kosten für die Einhaltung des ECHA-Vorschlags würden sich somit auf 114 bis 166 Millionen Euro für den Bau von Sandkugelfängen mit Dach belaufen, die die Anforderungen erfüllen − und das bereits ohne Wassermanagementsysteme.

Was die Kugelfangsysteme betrifft, so schätzt Schweden die Kosten für die Installation von solchen für 20 Schießstände (auf Basis des Systems des schwedischen Herstellers STAPP) auf etwa 200.000 Euro, ohne die Kosten für Aushubarbeiten. Schweden hat außerdem darauf hingewiesen, dass sich die Kosten für den Bau einer militärischen Schießanlage für 20 Schießstände gemäß den Ausnahmeregelungen der ECHA auf 700.000 Euro einschließlich Aushubarbeiten belaufen. Die zusätzlichen jährlichen Wartungskosten belaufen sich auf ca. 10.000 bis 30.000 Euro.

Was die verfügbaren Mittel für die Anpassung von zivilen Outdoor-Lang- und Kurzwaffenschießständen an die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen anbelangt, so gaben fast alle antwortenden Länder an, dass für keine oder weniger als 5 % ihrer Schießstände Mittel für eine solche Maßnahme zur Verfügung stehen (Anhang IV).

Ohne eine Änderung dieser Bedingungen, sprich der Spezifikationen für Kugelfänge und/oder der streng definierten "best möglich optimierten" Sandkugelfänge, werden die meisten Schießstände nicht in der Lage sein, die weitere Verwendung von Bleigeschossen zu ermöglichen, da sie nicht über das Kapital für die dazu erforderlichen Investitionen verfügen.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass durchschnittliche zivile Outdoor-Lang- und Kurzwaffenschießstände Einrichtungen sind, die normalerweise nicht in einem Umfang betrieben werden, der einen gewerbsmäßigen Betrieb ermöglicht.

Ergebnis der ESSF-Umfrage: Die ECHA hat Kosten und Aufwand der Schießstandbetreiber zur Erfüllung der Auflagen stark unterschätzt

Wie in der ESSF-Umfrage hervorgehoben wurde, scheint es offensichtlich, dass die ECHA die mit der vorgeschlagenen Beschränkung verbundenen Kosten stark unterschätzt hat. Es könnte argumentiert werden, dass die Einhaltung der Auflagen für die vorgeschlagenen Ausnahmebedingungen nicht zwingend erforderlich ist, da auf zivilen Schießständen für Lang- und Kurzwaffen im Freien ja weiterhin bleifreie Munition verwendet werden könnte. Ein solches Argument ist jedoch unvollständig. Es gibt, wenn überhaupt, nur wenige einigermaßen funktionierende bleifreie Alternativen in Randfeuer- und kleinen Zentralfeuerkalibern, und die Munitionsindustrie ist weit davon entfernt, solche Munition überhaupt oder in ausreichenden Mengen im Hinblick auf die Marktnachfrage herstellen zu können. 

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, das Bleiverbot für Munition wird so oder so kommen. Aber die Konsequenzen wären verheerend. Wo und womit sollen Jäger und Sportschützen schießen, wenn es keine zugelassenen Schießstände mehr gibt? Wie steht es um die Olympischen Disziplinen (Luftgewehr, KK und Flinte)? Die gesamte Sport-Welt schießt und trainiert mit präziser Bleimunition und die Europäer schauen in die Röhre? Und auch bei der Ausübung der Jagd wird es massive Probleme geben, obwohl es hier speziell im Büchsenbereich funktionierende Alternativen zu Blei gibt. Kritisch wird es dort, wo behauptet wird, Kupfer-Geschosse seien "umweltfreundlich". Wer das im Zuge einer Greenwashing Kommunikationsstrategie behauptet, der vergisst das Thema Aquatoxizität von Kupfer. Und das ist weder korrekt noch klug. 

Bleirisiko: "inakzeptabel" bei Verwendung durch Zivilisten, aber "akzeptabel" bei Verwendung durch Nicht-Zivilisten?

Darüber hinaus wurde die nicht zivile Verwendung von Bleimunition aus dem Beschränkungsvorschlag der ECHA ausgeklammert. Die These, dass die Verwendung derselben Bleimunition für Lang- und Kurzwaffen auf ein und demselben Schießstand ein inakzeptables Risiko darstellt, wenn sie von Zivilisten verwendet wird, aber ein akzeptables Risiko, wenn sie von Militärs oder Behörden verwendet wird, ist an sich schon strittig. Was die weitere Verwendung von Bleigeschossen auf Schießständen für Lang- und Kurzwaffen betrifft, so hat die ECHA vorgeschlagen, dass die Bedingungen für eine Ausnahmeregelung innerhalb von fünf (5) Jahren nach Inkrafttreten der Maßnahme erfüllt sein müssen. Leider können solche Maßnahmen nicht innerhalb des vorgeschlagenen Übergangszeitraums umgesetzt werden. Das Procedere einschließlich Planung, Genehmigung und Bau würde für eine Schießanlage mindestens 1,5 Jahre dauern. In Anbetracht der großen Zahl der umzubauenden Schießstände und der nur begrenzten Verfügbarkeit von Planungsberatern (wie etwa Schießstandsachverständigen), Genehmigungsbehörden und auf solche Projekte spezialisierten Baufirmen ist eine wesentlich längere Übergangszeit erforderlich.

Und zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass ein Bleiverbot in Munition unsere militärische Sicherheit in Europa massiv gefährdet. Da muss man schon sehr fatalistisch sein, um zu glauben, ein Bleiverbot würde in jedem Fall kommen. Es gibt viele Gründe, warum das für die Nutzer, die Industrie und den Handel fatal wäre und warum es bei Weitem noch nicht zu spät ist, die falschen Annahmen der ECHA dazu zu nutzen, damit die EU-Kommission die richtige Entscheidung trifft.


Der vollständige ESSF-Bericht zur Lage der Schießstände ist hier in englischer Sprache verfügbar.

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