Lange galt die Devise, wer auf immer größere Distanzen schießen will, braucht auch immer größere Kaliber. Gemäß dem Spruch aus dem Motorenbau: "Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum". Beispiele hierfür sind etwa die .338 Lapua Magnum, .375 CheyTac, .416 Barrett usw., welche die große Leistungslücke zwischen der .300 WinMag und der .50 BMG schließen sollen. Freilich bringen größere Kaliber mehr Masse und Energie ins Ziel, aber die Waffe an sich und die Munition werden auch immer größer und schwerer. Aus ballistischer Sicht gibt es jedoch noch eine weitere Möglichkeit, um auf große Distanzen zu schießen und zu treffen und dies deutlich unterhalb dem Kaliber .338. Für den Weitdistanzschuss spielt die Außenballistik des Geschosses die entscheidende Rolle. Das Geschoss wird auf dem Weg ins Ziel durch den Luftwiderstand kontinuierlich abgebremst. Je stärker diese Verzögerung ist, desto gekrümmter fällt die Flugbahn aus, vor allem bei großen Distanzen. Je aerodynamischer ein Geschoss ist, desto geringer fällt die Abbremsung durch die Luftkräfte aus. Eine hohe Geschossmasse im jeweiligen Kaliber erhöht die so genannte Querschnittsbelastung, also die Geschossmasse bezogen auf den Geschossquerschnitt im Führungsbereich. Mehr Masse bei gleichem Kaliber bedeutet mehr Querschnittsbelastung, die sich dem Luftwiderstand entgegenstellt. Die Kombination aus guter Aerodynamik und großer Querschnittsbelastung der Geschosse ermöglicht es, auch mit kleinen Kalibern auf weite Distanzen treffsicher zu schießen. Die große Geschossmasse bringt noch den weiteren Vorteil einer geringeren Windanfälligkeit mit sich.
6 mm ARC: Die von Hornady entwickelte Long-Range-Patrone
Auf diesem Prinzip beruhend hat der amerikanische Munitionshersteller Hornady vor drei Jahren sein neues Kaliber 6 mm ARC vorgestellt. "ARC" steht dabei für "Advanced Rifle Cartridge" und wurde für die AR-15-Waffenplattform sowie den Long Range-Bereich entwickelt. Bereits im November 2020 wurde die 6 mm ARC in die CIP aufgenommen. Auch gab es kurz nach der Markteinführung bereits eine große Zahl von Waffenherstellern, die sich der 6 mm ARC in Form von Läufen, Gehäusen oder Büchsen annahmen. Uns diente ein Repetierer in Form der Savage 110 Tactical als Testwaffe. Hornady selbst offeriert bislang drei Fabriklaborierungen, eine jagdliche mit 103 gr schwerem ELD-X-Deformationsgeschoss und zwei Match-Ladungen in den Gewichtsklassen 105 und 108 gr. Zum Zeitpunkt des Testes offerierte ausschließlich Hornady Fabrikmunition. Deshalb entschieden die Tester, aufgrund der großen Auswahl an 6-mm-Geschossen insgesamt 21 Handlaborierungen mit sieben Geschosstypen und jeweils drei Treibladungspulvern herzustellen. Das CIP-Datenblatt der 6 mm ARC nennt als G1 (Geschossdurchmesser) den Wert 6,18 Millimeter (.243 Zoll). In diesem Diameter sind diverse Geschosskonstruktionen im Gewichtsbereich von 55 bis 115 gr (3,56 – 7,45 g) verfügbar.
Mit einer Dralllänge der Testwaffe von 1:7,5“ (191 Millimeter) eignet sich der Lauf vor allem für die schweren respektive langen Geschosse. Mit dem 90 gr leichten Lapua Scenar-L (GB543) wurde das geringste Gewicht ausgewählt und mit der 110 gr Hornady A-Tip (24531) die obere Gewichtsgrenze fast ausgereizt. Der Bezug der Geschosse bei den bekannten Händlern für Wiederladebedarf stellte keine Probleme dar. Viel schwieriger oder in diesem Fall unmöglich war die Beschaffung der Hülsen. Bislang stellt nur Hornady Hülsen in diesem Kaliber her. Alle Anfragen in Deutschland nach dem 6 mm ARC-Messing blieben erfolglos. Freundlicherweise stellte Helmut Hofmann genügend Fabrikpatronen zur Verfügung, sodass nach dem Verschießen ausreichend Hülsen für das Wiederladen bereitstanden. Zum Laborieren bedienten sich die Tester dem Custom Grade Matrizensatz von Hornady, bestehend aus einer Vollkalibrier- und einer Setzmatrize mit geführtem Geschosssetzer. Als Hülsenhalter wird die Nummer 6 benötigt. Forster, Lee und RCBS haben ebenfalls Matrizensätze für die 6 mm ARC im Programm.
Die 6 mm ARC von Hornady im Vergleich zur .308 Winchester und .338 Lapua Magnum
Wie eingangs erwähnt, kommt der Querschnittsbelastung, kurz "q", beim Long Range-Schießen eine große Bedeutung zu. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, soll nachfolgend für das leichteste und das schwerste Testgeschoss q berechnet und in Relation zu den Kalibern .308 Winchester und .338 Lapua Magnum gesetzt werden. Das CIP-Datenblatt gibt für den Querschnitt der 6 mm ARC 29,52 mm² an. Bezogen auf die Geschossmasse ergibt sich somit für die 90 gr schwere Scenar-L (GB543) von Lapua eine Querschnittsbelastung von 0,198 g/mm² und für das 110 gr schwere Hornady A-Tip (24531) eine q von 0,241 g/mm². Bezogen auf die .308 Winchester mit einem Querschnitt von 47,51 mm² ergäbe dies vergleichbare Geschossgewichte von 144,8 gr und 177,0 gr. Bei der .338 Lapua Magnum mit einem Querschnitt von 56,86 mm² würde dies Geschossgewichten von 173,4 gr und 221,9 gr entsprechen. Die Beispiele zeigen deutlich, dass die Querschnittsbelastung der 6 mm ARC im Vergleich zu größeren Kalibern gar nicht so hoch ist, wie es anfangs scheint. 144,8 gr entspricht in etwa dem Standardgeschossgewicht der .308 Winchester, die bis 600, maximal 800 Meter eingesetzt wird. 177 gr entsprechen bereits eher einer auf den Weitschuss hin getrimmten Ladung.
Aufgrund der sehr schlanken und somit aerodynamischen Geschosse im Kaliber .243 hat die 6 mm ARC gegenüber der .308 Winchester dennoch die Nase vorn. Berechnet man für das 90 gr und das 110 gr Geschoss auf Grundlage der jeweils höchsten gemessenen v3 die Distanz, bis zu welcher das Geschoss noch sicher im Überschallbereich (in diesem Fall werden 350 m/s angenommen) fliegt, erhält man folgende Werte: Bei einer v3 von 892 m/s erreicht das Lapua-Geschoss nach knapp 1050 Metern eine Geschwindigkeit von 350 m/s. Bei der Hornady A-Tip mit einer v3 von 767 m/s entspricht dies einer Entfernung von gut 1.200 Metern. Im Vergleich dazu würde eine .308 Winchester mit einem 167 gr schweren Scenar-Geschoss und einer v3 von strammen 820 m/s die 350 m/s-Grenze nach etwa 975 Metern Flugstrecke erreichen. Beim in diesem Fall etwas unfairen Vergleich mit der gut dreimal so starken .338 Lapua Magnum zieht die 6 mm ARC jedoch den Kürzeren. Allerdings sei an dieser Stelle angemerkt, dass aufgrund der verwendeten Geschossgewichte bei der 6 mm ARC mit den Treibladungspulvern RS52, N133 und R902 bereits progressiver abbrennende Treibmittel verwendet werden mussten. Diese Pulver benötigen zur vollen Leistungsentfaltung somit auch längere Läufe. Leider ist der Savage-Repetierer 110 Tactical in 6 mm ARC jedoch nur mit einem kurzen 18-Zoll-Lauf erhältlich. Eine Lauflänge von 550 bis 600 mm würde die Mündungsgeschwindigkeit und somit den effektiven Überschallbereich noch vergrößern.
Wiederladen: Ergebnisse der 6 mm ARC-Handlaborierungen aus der von der Helmut Hofmann GmbH gelieferten Savage 110 Tactical
Die Handlaborierungen wurden mit einem RCBS Match Master im Match-Modus (den Test des Geräts finden Sie auch hier bei all4shooters.com) hergestellt, zum Laden bedienten sich die Tester einer Präzipress. Das Bearbeiten der Hülsen und das eigentliche Laborieren stellte keine Besonderheit dar und ist vergleichbar mit gängigen Kalibern. Alle Handladungen wurden auf die maximale L6 von 57,4 mm geladen, um den rotationslosen Geschossweg zu reduzieren. Um noch den Einfluss eines Schalldämpfers auf die Präzision zu erfassen, wurden alle 24 Laborierungen ohne und mit einem A-Tec Hertz 2 für das Kaliber 6,5 mm geschossen. Die erzielten Streukreise auf die 100-Meter-Distanz mit den zwei Dutzend Laborierungen können durchaus als durchwachsen beschrieben werden. Ohne Schalldämpfer lag der beste Fünf-Schuss-Streukreis bei sehr guten 11 mm (107 gr Sierra MK HPBT) und unbefriedigenden 88 mm mit dem sonst sehr guten 105 grs-VLD Target von Berger. Mit 12 mm lieferte die 105 grs Hornady BTHP in Kombination mit dem A-Tec-Dämpfer den engsten Streukreis. Die schlechteste Präzision mit 70 mm in Verbindung mit dem Schalldämpfer lieferte die Fabrikpatrone Hornady ELD Match (108 gr). Bei 19 der insgesamt 24 Laborierungen blieb der Streukreis mit Schalldämpfer gleich oder verbesserte sich, bei fünf Laborierungen bewirkte der SD das Gegenteil. Sechs der 21 Handladungen lieferten Trefferbilder (teilweise deutlich) unter 20 mm. Mit 11 Laborierungen etwas mehr als die Hälfte blieb unter einer MOA (Winkelminute: 29 mm/100 m).
Unser Fazit: Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass die 6 mm ARC ein hohes Präzisionspotential besitzt. Nimmt man sich die Zeit, entsprechende Ladeleitern und unterschiedliche Setztiefen auszuprobieren, so kann die Präzision sicher noch verbessert werden. Unterm Strich ist die 6 mm ARC eine interessante Patrone für den Weitschuss bis 1.000 Meter und mit der richtigen Abstimmung aller Komponenten auch darüber hinaus. Aufgrund der geringen Pulvermenge von unter zwei Gramm lassen sich aus 1 kg Treibmittel daher gut 500 Patronen laborieren, was die 6 mm ARC zu einer günstigen Weitschusspatrone macht.
Diesen Artikel finden Sie auch in der VISIER 2/2023. Dort finden Sie zusätzlich alle Daten und Schießergebnisse zu 3 Fabrikpatronen und 20 Handlaborierungen in der praktischen Tabelle. Das Heft können Sie als gedruckte Ausgabe oder e-Paper im VS Medien-Onlineshop bestellen.
Weitere Informationen zur Savage 110 Tactical und Patronen gibt es auf den Seiten der Helmut Hofmann GmbH.