caliber: Frau Teufert, Sie sind Veranstaltungsleiterin der Enforce Tac und haben an der Universität der Bundeswehr München studiert. Sie waren anschließend bei der Truppe in verschiedenen Positionen beschäftigt, unter anderem beispielsweise als stellvertretende Leiterin einer militärischen Stabsabteilung sowie als Staffelführer der Einsatzstaffel Print und Soziale Medien. (…) Haben Sie dadurch einen tieferen Einblick in die Welt der behördlichen Sicherheitsorgane und Rüstungsindustrie erhalten? Und wie wirkt sich das auf die Zusammenarbeit mit den Ausstellern der Enforce TAC aus?
Teufert: Es gibt natürlich auch Dienstposten, bei denen man direkt am Beschaffungsprozess beteiligt ist und schon während der Dienstzeit mit der Industrie zusammenarbeiten kann. Diesen Vorteil hatte ich leider nicht. Durch meine lange Dienstzeit bei der Bundeswehr kenne ich natürlich die Arbeitsweise und Ausrüstung der Bundeswehr wie auch die anderer Streitkräfte. Insgesamt hat mich meine Zeit bei der Bundeswehr sehr geprägt und Anwendungsmöglichkeiten und Einsatzvorteile von den Produkten unserer Aussteller erklären sich mir natürlich schneller. Spezielle Begrifflichkeiten oder taktische Vorgehensweisen muss ich nicht erst lernen. Viele unserer Aussteller haben selbst eine militärische Vergangenheit. Dadurch entsteht direkt ein Gefühl von Verbundenheit und gegenseitigem Verständnis. Kameradschaft geht über die aktive Dienstzeit hinaus. In meiner jetzigen Position treffe ich auf Menschen, die so sind wie ich.
caliber: Die Sicherheitslage in Europa hat sich seit der russischen Invasion in der Ukraine massiv verändert. Bedauerlicherweise dauert dieser Konflikt nun schon über ein halbes Jahr an und ein Ende ist nicht abzusehen. Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen unmittelbar auf die europäische Sicherheitsfachmesse Enforce Tac 2023?
Teufert: Eine der Lehren des Ukraine-Kriegs für unsere Gesellschaft lautet meiner Ansicht nach, dass ökonomische Interdependenzen Sicherheit nicht garantieren können. Es ist schade, dass es dafür einen Krieg gebraucht hat, aber diese Erkenntnis ist mehr als überfällig. Gut ausgerüstete Streitkräfte sind ein Garant für ein sicheres, friedliches und prosperierendes Deutschland und Europa. Bisher war das keine sehr populäre Meinung, aber wir erleben besonders in Deutschland einen gesellschaftlichen Wandel, den ich nur begrüßen kann. Mit unserer Fachmesse Enforce Tac möchten wir natürlich auch unseren Teil dazu beitragen und für Behörden mit Sicherheitsaufgaben und die Streitkräfte eine Plattform für den notwendigen Austausch, Produktentwicklungen und natürlich zum ausgiebigen Netzwerken bieten. Dass die Industrie ihre Produkte präsentieren und Beschaffer und Anwender diese erleben können, ist für eine sinnvolle Beschaffung unabdingbar. Daher wird die Enforce Tac 2023 auch das Thema äußere Sicherheit mehr in den Blick nehmen.
caliber: Kritiker befürchten, dass ein Großteil des Sondervermögens für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro von der Bürokratie verschlungen wird. Generell sagt man der Truppe verkrustete Strukturen sowie lange Wege und Zeiten im Beschaffungswesen nach. Findet hier Ihrer Meinung nach ein Umdenken hin zu mehr Dynamik und Praxisnähe statt und was bedeutet das für die Enforce Tac?
Teufert: Ich selbst habe in der Bundeswehr beides erlebt, verkrustete Strukturen genauso wie eine Hinwendung zu einer sehr modernen Ausrichtung. Der bisherige Beschaffungsweg ist lang und sehr kompliziert. Neben den bisher fehlenden finanziellen Investitionen hätte die Bundeswehr sicherlich nicht diesen eklatanten Ausrüstungsmangel, wenn es anders wäre. Von ausländischen Streitkräften werden deutsche Soldaten oft bewundert, dass sie trotz ihrer Ausrüstung so eine gute Leistung erbringen. Ich denke, das sagt viel über den Zustand unserer Streitkräfte aus. Durch das Sondervermögen wollte man den politischen Willen erkennen lassen, daran endlich etwas zu ändern. Allerdings habe auch ich noch nicht gehört, dass von dem Vermögen viel bei der Industrie und dann eben beim Soldaten angekommen ist. Dass der Beschaffungsprozess flexibler und schneller werden muss, wird schon seit so vielen Jahren gefordert, dass ich ehrlich gespannt bin, ob es in dieser Legislaturperiode tatsächlich dazu kommt. Eine solche Veränderung hätte dann sicherlich auch positive Auswirkungen auf die Enforce Tac.
caliber: Der dramatische Personalmangel der Bundeswehr ist ebenso ein offenes Geheimnis. Ende 2020 waren mehr als 20.000 militärische Dienstposten in den höheren Laufbahnen unbesetzt, jede fünfte Kraft fehlte, und die Pandemie hat diese Entwicklung noch verschärft. Wie könnte Ihrer Ansicht nach die Lösung dieses Problems beziehungsweise eine moderne Personalwerbung aussehen?
Teufert: Diese Entwicklung verfolge ich mit großer Besorgnis. Auch die Anzahl an Kriegsdienstverweigerungsanträgen von Bundeswehrangehörigen hat seit dem Ukraine-Krieg deutlich zugenommen. Das Problem liegt meiner Ansicht nach aber nicht an schlechter Personalwerbung. Die finde ich teilweise sogar richtig gut. Das Personalproblem der Bundeswehr ist sehr vielschichtig. Früher hat die Bundeswehr viel Personal durch die Wehrpflicht rekrutiert und hatte einen gewissen gesellschaftlichen Anschluss. Dieser hat sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Der Beruf des Soldaten ist meiner Ansicht nach bisher nicht sonderlich anerkannt. Ich könnte mir auch vorstellen, dass viele Berufseinsteinsteiger eine andere Vorstellung haben, wie viel Platz der Beruf in ihrem Leben haben darf - insbesondere in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die 41 Std/Wo gibt es erst seit 2016. Vorher waren es 46 Std/Wo im Grundbetrieb. Als Offizier wechselt man fast alle zwei Jahre den Standort. Vor allem, wenn in einer Partnerschaft beide berufstätig sind, ist das eine große Belastung.
caliber: Wir haben seit dem Start das kontinuierliche Wachstum der Nürnberger Sicherheitsfachmesse persönlich miterleben können. Was einst als Behördentag ein Tag vor der IWA-Eröffnung mit ein paar Ausstellertischen begann, hat sich seit 2012 als Enforce Tac zu einer Leitmesse mit Strahlwirkung für die Industrie entwickelt. Auch die Enforce Tac 2023 wird größer als die Vorjahresveranstaltung sein. Lässt sich dieser Expansionskurs unaufhörlich fortsetzen oder sind hier aus Gründen der Exklusivität und der Zugangsbeschränkungen auch Grenzen vorhanden?
Teufert: Wenn das Messegelände voll ist, hören wir auf (lacht). Tatsächlich befinden wir uns hier in einem Zwiespalt. Die Enforce Tac ist auch wegen ihrer familiären Atmosphäre bekannt und beliebt. Die Besucher finden eine begrenzte Ausstellung vor und haben viel Zeit zum Fachsimpeln und auch für das ein oder andere Gespräch unter Kollegen und Kameraden. Wir wollen dies trotz unseres Wachstums erhalten und werden auch weiterhin unseren Spezialcharakter beibehalten. Dabei wollen wir neben dem Flächenwachstum vielfältiger werden, z.B. in unserem Angebot an Workshops und Praxisanwendungen. Wir richten uns in dieser Hinsicht an unseren Ausstellern und Besuchern aus. Hier gibt es noch viele Möglichkeiten und Idee, bevor wir trotz unserer strengen Legitimation überhaupt an Grenzen denken. Da wir nun auch den Bereich Verteidigung mehr abbilden wollen, sehe ich noch sehr viele Entwicklungsmöglichkeiten.
caliber: Neben den Big Playern der Branche wie Rheinmetall, Thales, Heckler & Koch, Beretta Defence Technologies oder FN gibt es ja auch viele kleine aber innovative Start Up-Unternehmen. Würde es hier nicht Sinn machen ein spezielles Förderprogramm im Rahmen der Enforce Tac für solche Start Ups zu etablieren?
Teufert: Tatsächlich gibt es bei der Enforce Tac schon seit Jahren den geförderten Gemeinschaftsstand "Innovation made in Germany". Dieser wird von der Nürnberg Messe organisiert und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erstattet bis zu 60 % der Standkosten. Startups und junge Unternehmen erhalten zudem eine kostenlose Exportberatung durch den AUMA, den Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Weitere Informationen auch zu den Voraussetzungen sind hier zu finden: https://www.enforcetac.com/dede/ausstellen/als-startup-teilnehmen
caliber: Zum klassischen Repertoire der Messe gehört die Europäische Polizeitrainer Konferenz (EPTK) des PiD (Polizeitrainer in Deutschland e.V.) mit praxisbezogenen Workshops und aktuellen Fachkonferenzthemen. Auf welche neuen Elemente können sich die Besucher der Enforce Tac 2023 freuen?
Teufert: Neu ist hierbei genau unser Stichwort. Wir werden 2023 erstmals auf die Europäische Polizeitrainer Konferenz (EPTK) des PiD verzichten. Es ist immer ein etwas komisches Gefühl, wenn man sich von Gewohnheiten verabschiedet. Dennoch fühlt es sich für uns unter den aktuellen Entwicklungen richtig an. Für 2023 lassen wir die Demonstration Area wieder aufleben – allerdings mit einem noch größeren Fokus auf praktische Vorführungsmöglichkeiten. Dazu haben wir unsere Aussteller direkt gefragt, was Sie brauchen, um Ihre Produkte bestmöglich präsentieren zu können. Das Schöne daran ist, dass ich dann auch selbst vorab einen Exkurs in den Anwendungsmöglichkeiten erhalte. Das ist immer sehr spannend. Darüber hinaus wird es dieses Jahr die Möglichkeit geben, Wärmebildgeräte, Restlichtverstärker, Taschenlampen, Optroniken, Laserzielgeräte und sonstige passende Produkte einem kleinen, vertraulichen Kreis an Interessenten in einem abgedunkelten Raum zu präsentieren. Unser derzeitiger Plan sieht vor, einen 20-Fuß-Mietcontainer (LxBxH: 6.055x2.435x2.890 mm) in einer der Hallen zu platzieren. Da wir 2023 die 10. Enforce Tac durchführen dürfen, wird es auch eine große Jubiläumsparty geben. Neu ist, dass unsere Aussteller auch einige Besucher einladen können. Außerdem haben wir uns für die Party ein lustiges Rahmenprogramm ausgedacht.
caliber: Bundes- und Landespolizei, Justiz, Grenzschutz, Zoll, Militärpolizei und Streitkräfte sehen sich ganz besonderen Herausforderungen gegenübergestellt. Das Produktangebot der Sicherheitsindustrie wird immer größer und umfasst neben der persönlichen Ausrüstung mit Waffen, Optiken, Munition, Einsatzkleidung, Ballistikschutz auch spezialisierte Fahrzeuge, Schießstand- und Trainingsequipment, Drohnen, Verkehrstechnik sowie einsatzbezogene Elektronik. Zufahrtschutz und Terrorabwehrsperren sind seit dem Attentat vom Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 beispielsweise ebenso ein aktuelles Thema. Macht hier zugunsten der Übersichtlichkeit eine Ausstellerselektion Sinn oder wollen Sie jeden möglichen Bereich der Sicherheitsindustrie komplett abdecken?
Teufert: Wir setzen bereits Schwerpunkte und werden dies auch weiterhin tun. Tatsächlich selektieren wir auch unsere Aussteller. Jeder Neuaussteller wird von uns einzeln überprüft und genehmigt. Vorher ist es gar nicht möglich, einen Stand zu buchen. Und ja, wir selektieren natürlich auch nach dem passenden Produktsortiment. Daher sehe ich beispielsweise Zufahrtsschutz und Terrorabwehrsperren nicht unbedingt auf einer Enforce Tac. Es ist nicht unser Ziel, von jedem sicherheitsrelevanten Produkt etwas anzubieten. Dann verlieren wir unseren Fokus.
caliber: In Europa gibt es beispielsweise mit der DSEI in London oder der MILIPOL und Eurosatory in Paris mitbewerbende Sicherheitsfachmessen. Wodurch unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die Enforce Tac in Nürnberg von diesen Veranstaltungen und wie wollen Sie die Marke Enforce Tac weiterentwickeln?
Teufert: Die MiliPol sowie die Eurosatory habe ich bereits besuchen können. Beide Messen unterscheiden sich erheblich im Produktangebot, ihrer Zielgruppe und Veranstaltungsgröße. Beide Veranstaltungen haben mich sehr beeindruckt. Für die Enforce Tac möchte ich weiterhin eine klare Ausrichtung auf die Spezialkräfte. Zukünftig möchte ich den Bereich Verteidigung mehr in den Fokus rücken und damit innere und äußere Sicherheit in einem Ausstellungsformat verbinden. Sehr interessant finde ich alles um die Thematik der autonomen (Waffen) Systeme, spezielle gepanzerte Fahrzeuge und natürlich Ausbildungs- und Trainingssysteme. Aber neuen Produkten sind wir immer offen gegenüber und lassen uns hier begeistern. Wichtig ist, dass unsere Zielgruppe auf das Angebot trifft, dass sie braucht.
caliber: Wie sehen die Zukunftsvisionen der NürnbergMesse rund um die Enforce Tac nach 2023 aus - beziehungsweise was würden Sie sich wünschen?
Teufert: Ich wünsche mir insgesamt mehr gesellschaftliche Akzeptanz für diesen Bereich und in diesem Sinne für den Austausch von der Industrie mit den Anwendern. Für die Enforce Tac 2023 wünsche ich mir persönlich mehr Besucher in Uniform.
Mehr Informationen zur Enforce Tac finden Sie hier.