Bereits seit längerer Zeit erwartet, startet 2023 eine Modernisierung der Bundeswehr bei den Faustfeuerwaffen, wobei eine Umrüstung zuerst bei den Spezialkräften und anschließend wohl bei der gesamten Truppe auf der Agenda steht. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) veröffentlichte am 1. Februar 2023 den Teilnahmewettbewerb für einen siebenjährigen Rahmenvertrag für die Herstellung und Lieferung des "System Pistole Spezialkräfte". Die zukünftige 9x19-Dienstpistole soll die derzeit verwendeten Pistolen Heckler & Koch P30 und GLOCK G17 (alias P9A1) ersetzen. Beschafft werden sollen eine ausgewachsene Dienst- und eine Kompaktpistole, was im Fachjargon dann "Basiswaffe und Kompaktwaffe des Systems Pistole Spezialkräfte" (abgekürzt: BaWa beziehungsweise KoWa SysPi SpezKr Bw) heißt.
In Aussicht gestellt wird aktuell die Beschaffung von bis zu 3.200 Sätzen der Basiswaffe samt Zubehör und bis zu 3.300 Sätzen der Kompaktwaffe samt Zubehör. Dazu gesellen sich bis zu 820 Sätze Übungswaffen der BaWa inklusive Zubehör und bis zu 1.180 Sätzen KoWa-Übungswaffen samt Zubehör. Komplettiert wird das Ganze durch bis zu 430 sogenannten "Handhabungstrainern" (nicht funktionsfähige Dummys, "Blue"- oder "Red Guns" ohne Feuerwaffeneigenschaft, beispielsweise für das Trockentraining von Handhabungsabläufen oder für die Nahkampfausbildung). Dazu kommen Ergänzungssätze BaWa/KoWa, Ergänzungssätze Übungswaffen BaWa/KoWa, Handhabungstrainer, Sonderwerkzeugsatz, Ersatzteilpakete, Dienstleistungen.
Ausschreibug 2023: Spezialpistolen für Bundeswehr-Spezialkräfte
Zuvor müssen aber von den an der Ausschreibung beteiligten Unternehmen erst 16 Sätze Basiswaffe und 18 Sätze Kompaktwaffe nebst Zubehör (Transporttasche, Magazin) zur Vergleichserprobung und späterer Nachweisführung geliefert werden. Hinzu kommen Ergänzungssätze für BaWa und KoWa. Diese umfassen 20 Signaturdämpfer, 18 Reflexvisiere, 20 Kompensatoren, 30 Magazine BaWa/KoWa, 30 Wechselmagazine groß BaWa/KoWa, 12 Magazintrichter BaWa/KoWa, 12 bzw. 14 Reinigungsausstattungen BaWa/KoWa, 12 bzw.14 Stück Verschluss lang BaWa/KoWa, 12 bzw. 14 Stück Rohr lang BaWa/KoWa sowie Ersatzteile (nach Bedarf). Bei allen Zahlenangaben handelt es sich um unverbindliche Prognosen.
Das BAAINBw gibt folgende Konstruktionsmerkmale in der Ausschreibung vor:
- Basiswaffe und Kompaktwaffe müssen bediengleich ausgeführt sein
- Die Waffen müssen für das maritime Umfeld geeignet sein
- Die Waffen müssen über eine gleiche, geeignete Schnittstelle für Reflexvisiere verfügen
- Die Waffen müssen über eine geeignete Schnittstelle für ein Laserlichtmodul verfügen
- Die Waffen müssen sich mit Kompensator und Signaturdämpfer betreiben lassen
Eine weitere Forderung ist die ITAR-Freiheit, was dazu führt, dass die Waffen und Zubehörteile nicht unter die US-Exportbestimmungen der International Traffic in Arms Regulations (ITAR) fallen dürfen. Ebenso muss der Bieter die Ersatzteilversorgung für die nächsten zwölf Jahre sicherstellen.
Interessierte Bewerber müssen ihre Angebote bis zum 6. März 2023 eingereicht haben. Die Stückzahlen erlauben die Schlussfolgerung, dass nicht nur Kampfschwimmer und Kommandosoldaten zu den Anwendern dieses Systems zählen werden. Analysiert man die bisher bekannten Eckdaten der Ausschreibung, dann wird klar, dass die Bundeswehr ein modulares Systemkonzept anstrebt, um durch lange Verschlüsse, Rohre sowie Zusatzausrüstung wie Minileuchtpunktvisiere, Laser-Licht-Module und Schalldämpfer die Pistolen für verschiedenste Einsatzszenarien um- und aufrüsten zu können. Sicherlich interessant ist auch die Tatsache, dass mehr Kompakt- als ausgewachsene Dienstpistolen benötigt werden.
Technik-Trends, die Erinnerungen wecken und die Favoriten für die Ausschreibung in 2023
Doch was wirklich überrascht, sind die in der Ausschreibung gestellten Anforderungen an eine Kompatibilität mit Kompensatoren. Der Autor ist seit über 30 Jahren mit dem IPSC-Schießsport verbunden. Betrachtet man die aktuellen Wünsche rund um die Dienstpistolen für Spezialkräfte, dann fühlt man sich in frühere Zeiten versetzt, denn schon von 1995 bis 2012 gab es neben der Open Division mit den "Full House Race Guns" eine sogenannte "Modified Division", in der vorwiegend hochgezüchtete 2011er-High Capacity-Pistolen mit Leuchtpunktvisier und Kompensator genutzt wurden, die im Leerzustand, gespannt und gesichert mit eingeführtem Magazin in einen Kasten mit den Maßen 225 mm x 150 mm x 45 mm passen mussten. Allerdings waren die kompakten Pistolen nicht in 9 mm Luger, sondern meistens auch noch im leistungsstärkeren Major-Kaliber .40 S&W eingerichtet. Damals waren wir wohl unserer Zeit voraus, denn die am Griffstück und erst Recht die auf dem Schlitten montierten Leuchtpunktvisiere versagten in der harten Dauerbelastung kläglich. Es gab ausgefallene Elektronik-Bauteile, gerissene Kabel und zerbrochene Linsen. In dieser Hinsicht hat die Technik einen enormen Fortschritt gemacht, denn heutige Mini-Leuchtpunktvisiere der Spitzenhersteller sind den Torturen durchaus gewachsen. Das Aimpoint ACRO-Minileuchtpunktvisier mit geschlossenem Gehäuse ("Closed Emitter Mini Red Dot Sight") beispielsweise übersteht auf dem Schlitten einer Pistole laut Hersteller mehr als 20.000 Schuss in .40 S&W schadlos. Die wirkungsreiche Patrone setzt etwa 30 Prozent mehr Energie frei als eine 9 mm Luger. Während der Schussabgabe wirken enorme g-Kräfte auf die optischen und elektronischen Komponenten ein.
Pro Schuss muss die Visierung für weniger als eine Millisekunde Beschleunigungskräfte aushalten, die das 7.000-fache der Erdanziehung entsprechen. Noch näher mit den nun geforderten BW-Spezialkräfte-Dienstpistolen artverwandt sind die in der jungen IPSC Production Optics Light Division genutzten Sportgeräte. Denn hierbei handelt es sich um die gleichen Polymerrahmen-Dienstpistolen in 9x19 mit Schlagbolzenschloss ("Striker Fire Action") und montiertem Minileuchtpunktvisier, lediglich der aufgeschraubte Kompensator an der Laufmündung fehlt. Um Missverständnissen vorzubeugen, es handelt sich um vollkommen andere Welten beim dynamischen IPSC-Schießsport (mit Betonung auf SPORT) und der harten, militärischen Einsatzrealität.
Doch wenn man es ausschließlich auf die reinen Waffen- und Schießtechniken reduziert, geht es in beiden Fällen darum, in einem dynamischen Szenario multiple Zielmedien auf wechselnden Distanzen möglichst schnell und effektiv zu treffen. Von daher kann man in beiden Einsatzfeldern vergleichbare Tendenzen in der Waffentechnik und Ausrüstung ausmachen. Weil in der BAAINBw-Ausschreibung ausdrücklich eine ITAR-Freiheit definiert wird, darf man wohl spekulieren, dass SIG Sauer USA mit der sehr wandelfähigen P320 (als M17/M18 MHS bei der US Army eingeführt) außen vor ist und vor allem die Hersteller GLOCK, Heckler & Koch sowie Carl Walther im Spiel sein dürften. Ob sich andere europäische Mitbewerber wie beispielweise Beretta oder CZ an der Ausschreibung beteiligen werden, war zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Zeilen nicht eindeutig zu klären.
Wir bleiben bei dieser interessanten Entwicklung natürlich am Ball und sind gespannt, wie die Anforderungen an eine neue, standardmäßige Dienstpistole für die Bewaffnung der ganzen Truppe definiert sein werden. Bleibt auf Empfang!