17 Jahre nach der Markteinführung wird das HECKLER & KOCH G36 (Kaliber 5,56x45 mm NATO) in seinen verschiedenen Varianten in 55 Ländern geführt, davon in 35 NATO oder NATO-alliierten Staaten. Bei dem indirekten Kurzhubimpuls-Gasdruckladesystem („short stroke system“) wird der Verschlussträger mit 6-Warzen-Drehkopfverschluss mittels Gaskolben und Impulsstange angetrieben. Zu den exakten Produktionszahlen schweigt sich der populäre Behördenlieferant aus, doch bekannt ist, dass alleine an die Bundeswehr 180.000 Exemplare geliefert wurden.
Es ist das Sturmgewehr, das von deutschen Soldaten zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte im Auslandseinsatz in Kampfhandlungen genutzt wird. Es besitzt im „Full Auto Modus“ eine theoretische Feuerkadenz von 750 Schuss in der Minute. Wie alle seit 1990 bei HECKLER & KOCH entwickelten Waffen ist das Gewehr nach NATO AC 225 Prüfnorm „Geschossvorlagenfähig“. Dabei wird an drei unterschiedlich definierten Punkten im Rohr ein Geschoss verbracht und das Projektil einer darauf abgefeuerten Patrone darf das Waffensystem nicht zum Bersten bringen, was maximale Sicherheit für den Anwender bei schadhafter Munition gewährleistet.
Die Waffe ist auf eine Lebensdauer von mindestens 10.000 Schuss ausgelegt, zumindest in diesem Zeitraum greift noch die Gewährleistungspflicht, und der Hersteller garantiert eine Ersatzteilversorgung von mindestens 20 Jahren.
Medialer Wirbel
Seit etwa zwei Jahren mehren sich die Negativberichte in TV und Printmedien wie Report Mainz, Frontal 21, Spiegel oder BILD rund um die angeblich mangelnde Leistungsfähigkeit des HK G36 im Kampfeinsatz. Im Kern der Aussagen ging es immer wieder darum, dass ein heiß geschossenes HK G36 so stark streue, dass Gegner nicht mehr sicher bekämpft werden könnten. Die Bundewehr hat im März 2012 eine „Einsatznahen-Beschuss-Zyklus“ (EBZ) als Standard festgelegt, in dem der gesamte Tagesvorrat von 150 Patronen in 20 Minuten verschossen wird. Auf Grundlage des EBZ hat der Hersteller hauseigene Versuche mit zehn verschiedenen G36 aus dem Fertigungszeitraum der Jahre 1996 bis 2008 unternommen.
Der 134-seitige Untersuchungsbericht von HECKLER & KOCH „Sturmgewehr G36-Untersuchung zum Streuungs- und Treffpunktverhalten der Waffe im heißgeschossenen Zustand“ schildert exakt die Rahmenbedingungen, die technische Ausführung sowie die Ergebnisse, die akribisch zusammengetragen wurden. Sicherlich gibt es im heißgeschossen Zustand wie bei jeder anderen Waffe zwangsläufig auch Streukreisvergrößerungen, da macht das HK G36 keine Ausnahme.
Auf der 100 Meter Distanz lagen erwartungsgemäß alle 39 geschossenen Schussbilder auf dem Brustziel einer Mannscheibe, die durch die NATO Norm STANAG 4512 „Man Standing erect“ genau definiert ist. Auf der 200 Meter Distanz zeigte sich das gleiche Bild, so dass auch hier wieder 100% der Treffer im definierten Brustbereich lagen. Erst auf der 300 Meter Distanz wurde es interessant, denn es schafften „nur“ 35 von 39 Schussbildern die Anforderungen. Ein Schussbild wies nur eine Trefferleistung von 80% auf, die anderen lagen bei 94,8%, 96,2% und 97,8%. Hierbei muss man dann auch noch die Differenzen der Anforderungen nach Technischen Lieferbedingungen, nach denen das Sturmgewehr einst zu Friedenszeiten konstruiert wurde, und dem neu geschaffenen EBZ berücksichtigen.
Fest steht allerdings, dass solche Streukreiserweiterungen mit Treffpunktverlagerungen entgegen der tendenziösen Medienberichterstattung eher die Ausnahme als die Regel darstellen.
Fehlerhafte Munition?
Zwei Wochen später sind wir (die Redaktion von CALIBER) wieder Richtung Oberndorf zwecks eigener Recherchen im „Fall G36“ unterwegs, als der Spiegel in seinem Online-Magazin veröffentlicht, dass schadhafte Munition aus Nassau Schuld an der Misere rund um die mangelhafte Präzision des deutschen Bundeswehr-Sturmgewehrs sei. Auf dem Schießstand angekommen, konnten wir selbst ein HK G36 als eine Testwaffe für den EBZ auswählen.
Die Wahl fiel dabei auf ein gebrauchtes Modell mit niedriger vierstelliger Seriennummer, das 1999 gefertigt wurde und zudem den Abnahmestempel des BWB trägt. Der Versuch wurde unter unseren wachsamen Augen von einem HECKLER & KOCH Mitarbeiter auf dem hauseigenen 100 Meter Stand mit vier verschiedenen Munitionssorten geschossen. Bei der MEN DM11 Doppelkernmunition gab es dann eine Überraschung.
Während sie zusammen mit der RUAG DM 11 das beste Kaltschussbild lieferte, gab es beim heißen Rohr tatsächlich drei Ausreißer, die den Streukreis auf 405 Millimeter vergrößerten und somit definitiv außerhalb des zulässigen Bereiches von 200 Millimeter lagen.
Entlastung durch die Truppe
Nun könnte man meinen, dass die Munition von MEN die alleinige Hauptschuld rund um das Dilemma „Wärmeproblematik G36“ trägt. Doch bei MEN hat man die DM 11 genau wie bei RUAG nach den gleichen Technischen Lieferbedingungen (TL) für die Bundeswehr hergestellt. Allerdings sieht die TL keine Munitionsprüfung aus einem heißgeschossenen Lauf oder Prüfungsrohr auf Präzision vor, so dass man seitens der Hersteller vollkommen korrekt gehandelt hat, aber trotzdem ein Problem bei der Truppe entstanden ist.
Mittlerweile hat man den Fehler bei MEN erkannt, der auf die Schichtdicke der Zinnbeschichtung des Geschossmantels zurückzuführen ist. Diese wird auch bei der RUAG DM 11 aufgebracht und verhindert durch Abdampfen des sonst freilegenden Geschosshecks eine Bleiemission der Umgebungsluft. MEN hat daraufhin schnell und kundenorientiert reagiert und wird die nachfolgenden Munitionslose auch auf ein „Heiß-Präzisionsverhalten HK G36“ - so der offizielle Terminus - auslegen.
Übrigens veröffentlichte die Bundeswehr bereits am 21. Februar 2014 die folgende Pressemitteilung zum Gewehr G36 von HECKLER & KOCH:
„Das Sturmgewehr G36 von Heckler und Koch ist seit der Einführung im Jahr 1996 das Standard-Gewehr der Bundeswehr. Seit längerem wird in den Medien über das Verhalten des G36 bei heiß geschossener Waffe berichtet. Auslöser dieser Medienberichte waren weder militärische Forderungen noch Erkenntnisse aus den Einsatzgebieten der Bundeswehr. Um die Ursache des veränderten Treffverhaltens zu ermitteln, wurden unterschiedliche Untersuchungen durchgeführt. Dabei wurde zunächst davon ausgegangen, dass die Ursache bei der Waffe G36 läge.
Dies konnte jedoch durch umfangreiche Untersuchungen eines unabhängigen Sachverständigen, das Ernst-Mach-Institut der Fraunhofer Gesellschaft, eindeutig widerlegt werden. Ursache sind vielmehr einzelne Munitionslieferungen (Lose) eines Herstellers. Die in der Bundeswehr für das G36 genutzte Munition vom Kaliber 5,56mm x 45 DM11 wird von unterschiedlichen Herstellern beschafft. Bei der Herstellung der Munition wird der Geschossmantel verzinnt. Durch verschiedene Fertigungsprozesse der Hersteller ergab sich in einigen Fällen eine unterschiedliche Zinndicke des Geschossmantels.
Diese Zinndicke hat Einfluss auf die Geschossflugbahn bei heiß geschossener Waffe und erklärt das veränderte Treffverhalten. Gleichwohl ist auch diese Munition uneingeschränkt handhabungssicher. Das Gewehr G36 ist technisch zuverlässig und ohne Mängel. Es erfüllt vollumfänglich die Anforderungen der laufenden Einsätze und den Grundbetrieb der Bundeswehr.“
Somit scheint nun endgültig ein Schlußstrich unter das Thema „Wärmeproblematik des G 36 von HECKLER & KOCH“ gezogen zu sein.
Weitere ausführliche Artikel zu diesem Thema finden Sie aktuell in den April Ausgaben 2014 von CALIBER und VISIER.
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