Wie kam es zur Laufaufbauchung der P226 X-Six?
Zur Vorbereitung auf die 2020er PPC-Saison wurden eine 2-kg-Dose Kemira-Pulver und entsprechend viele 125 Grains H&N Kegelstumpfgeschosse beschafft. Die 9 Luger-Hülsen waren gereinigt und eigentlich stand der Produktion nichts mehr im Weg. Bei einer solch großen Menge an Patronen ist es natürlich sinnvoll, vor der Großserie ein kleines Testlos herzustellen und auszuprobieren. Da dazu eine Ransom Rest zur Verfügung stand, wurde auch die Präzision aus der Maschine geprüft. Nach den ersten paar Schüssen wurde eine der Hülsen nicht ausgeworfen. Offensichtlich war die Laborierung doch etwas zu schwach geraten. Nach ein paar weiteren Schüssen passierte dies erneut. Als eine Hülse dann zum dritten Mal im Patronenlager blieb, dämmerte es langsam. Durch das Schießen aus der Maschine fehlte das Gefühl für den Rückstoß. Ein kurzes Prüfen mit dem Putzstock bestätigte die Vermutung. Ein Geschoss steckte im Lauf. Und schlagartig setzte der Argwohn ein, dass dies auch bei den beiden vorangegangenen Schüssen der Fall gewesen sein musste. Nachdem das Geschoss aus dem Lauf gedrückt wurde, herrschte Gewissheit. Die SIG Sauer X-Six hatte zwei unübersehbare Laufaufbauchungen. Welche Gedanken und Emotionen dies auslöste, brauchen wir sicher nicht zu erklären.
Not & Tugend – warum testeten wir die SIG Sauer P226 mit Laufaufbauchung?
Aber manchmal kann man auch aus der Not eine Tugend machen. Nachdem zumindest nach unseren Recherchen noch nie eine Waffe mit Laufaufbauchung getestet worden war, haben wir uns ans Werk gemacht. Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dringend davon abgeraten wird, Waffen zu verwenden, die Laufaufbauchungen haben!!! Unsere Untersuchungen hatten einen rein technisch-wissenschaftlichen Zweck und wurden unter den erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt.
Wenn ein Geschoss in einem Lauf auf ein Hindernis prallt, wird die Laufwandung in diesem Bereich extrem belastet. Je nach Geschwindigkeit, Gasdruck und den aufeinander treffenden Massen kann es von einer leichten Aufbauchung über Risse bis hin zu einer massiven Laufsprengung kommen. Je dünnwandiger der Lauf ist und je näher an der Mündung sich das Hindernis befindet, desto eher wird es auch zu einer Funktionsstörung kommen. Zum Beispiel verklemmt sich dann sehr schnell bei dem klassischen Colt 1911 System die Laufführungsbuchse und der Verschluss lässt sich nicht mehr bewegen.
In unserem Fall waren die beiden leichten Aufbauchungen nur knapp hinter dem Patronenlager und störten die Funktion nicht weiter. Allerdings konnte man sie von außen fühlen. Die Messung zeigte, dass der Lauf in diesen beiden Bereichen um 0,26 beziehungsweise 0,2 Millimeter dicker geworden war. Aufgrund ihrer Unregelmäßigkeiten waren die Längen der Aufbauchungen nur schwer festzustellen. Grob abgeschätzt betrugen sie innen etwa 3 bis 5 Millimeter. Neben der Frage nach der Ursache für das fehlende Pulver bot sich für uns die Chance, mit der Waffe zwei Dinge zu untersuchen: Zum einen, welchen Einfluss diese Aufbauchungen auf die Geschossgeschwindigkeiten haben. Die zweite Frage betraf den Einfluss solcher Aufbauchungen auf die Stabilität der Geschosse und die noch vorhandene Schussleistung.
Unser Testaufbau zur Untersuchung der Geschossgeschwindigkeit/-stabilität:
Für unsere Versuche haben wir Fabrikmunition mit unterschiedlich langen und damit auch unterschiedlich schweren Geschossen verwendet. Mit Geschossgewichten von 95 bis 147 Grains wollten wir sehen, ob Geschosse mit einer größeren Führungslänge möglicherweise die Aufweitungen besser vertragen als kurze Projektile. Und natürlich haben wir auch die Wettkampflaborierung für diese Waffe mitgetestet. Immerhin konnten damit vorher auf 100 Meter (!) Streukreise von 10 Zentimeter geschossen werden. Für unseren Test der etwas anderen Art wurde die Waffe wieder in die Ransom Rest eingespannt und die Messung überraschte. Entgegen der ersten Vermutung waren die Schussgruppen durchwegs noch ansehnlich. Wären da nicht immer wieder einige wenige Ausreißer, würde man sie sogar als gut bezeichnen. Streicht man von den Trefferbildern die beiden schlechtesten Schüsse, so hält man mit den besten drei Laborierungen immer noch die Zehn der Präzisionsscheibe. Nimmt man alle zehn Schüsse, dann hat man auf so einer Scheibe mit acht Zehnen und zwei Neunen immerhin noch 48 Punkte.
Die ursprüngliche Vermutung, dass die Führungslänge des Geschosses einen Einfluss auf die Präzision hat, wurde nicht bestätigt. Immerhin waren unter den besten Drei das 95 Grains MagTech als kürzestes Geschoss und das 142 Grains Winchester Vollmantel TC als längstes Geschoss in unserem Test. Alle Schusslöcher waren einwandfrei rund. Damit kamen taumelnde Geschosse (durch sogenanntes "Tipping") als Ursache für die Ausreißer nicht in Frage.
Zur Prüfung des Geschwindigkeitsunterschiedes wurde die gleiche Munition aus einem weiteren SIG Sauer X-Six-Lauf mit unversehrtem Matchlauf geschossen und gemessen. Auch diese Ergebnisse waren überraschend. Die Geschwindigkeitsverluste waren vernachlässigbar klein. Der Spitzenreiter mit rund 3% Verlust war die leichte 95 Grains MagTech Laborierung, gefolgt von rund 2% mit dem schwersten Geschoss im Test. Auch die Bandbreite der Geschwindigkeit innerhalb der einzelnen Laborierungen änderte sich mit Ausnahme der leichten 95 Grains MagTech nicht signifikant. Wie aus der Tabelle zu entnehmen ist, waren die Patronen mit dem höchsten Verlust auch gleichzeitig die mit den besten Trefferbildern. Die einzelnen Ausreißer waren also weder unterschiedlichen Geschossgeschwindigkeiten noch taumelnden Geschossen zuzuschreiben. Einen Einfluss auf die Präzision hatte der Geschwindigkeitsverlust auf jeden Fall nicht.
Über die genaue Ursache lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise versetzten die Geschosse beim Durchgang an den Aufbauchungen den Lauf in mehr oder minder starke seitliche Schwingungen. Bei einem normalen Lauf bewegt sich das Geschoss linear vom Stoßboden weg. Hat der Lauf jedoch eine Aufbauchung, kann das Geschoss kurzfristig auch zur Seite schlingern, bevor es wieder in den normalen Führungsteil des Laufes eintritt. Ähnlich wie bei einem Auto, das über ein Schlagloch fährt, könnte dadurch ein zusätzliches Schwingen des Laufes erzeugt werden. Geschieht dies unterschiedlich, bewegt sich auch der Lauf anders. Wenn man überlegt, dass eine Abweichung von 0,1°, das entspricht 0,03 mm bei 6"/152 mm Lauflänge, auf 25 Meter das Geschoss um ca. 5 cm aus der Richtung bringt, wäre dies zumindest eine Erklärungsmöglichkeit.
Bitte keine eigenen Experimente mit beschädigten Waffen!
Die Frage, ob man mit einer solchen Laufaufbauchung weiter schießen sollte, ist ganz klar mit "Nein" zu beantworten. Nicht immer gehen solche Beschädigungen glimpflich aus wie in unserem Fall. Befindet sich die Aufbauchung im mündungsseitigen Teil des Laufes, verhindert häufig der Verschluss ein weiteres Schießen. Liegt der Lauf wie zum Beispiel bei Revolvern frei oder befindet sich die Beschädigung kurz vor dem Patronenlager, wird die Waffenfunktion als solche nicht gestört. Es besteht aber immer die Gefahr, dass der Lauf Risse aufweist. Dann können Geschossfragmente austreten oder der Lauf kann bei einer entsprechenden Belastung platzen. Die Gefährdung, die davon ausgeht, brauchen wir sicher nicht zu beschreiben. Selbst wenn der Lauf durch den Verschluss abgeschirmt wird, kann beispielsweise eine entsprechend schwache Verschlussführung durch den schlagartig freiwerdenden Gasdruck abreißen oder ein Kunststoffgriffstück splittern. Und auch sonst ist mit austretenden hochgespannten Gasen nicht zu spaßen.
Woher kamen die Probleme mit der Pulverladung?
Zum Abschluss stellt sich natürlich die Frage, wie es zu den Patronen ohne Pulver kommen konnte. Die Antwort darauf war relativ ungewöhnlich. An unserer Dillon 650 hatte sich am automatischen Pulverfüllgerät die Schraube für den Umsetzer etwas gelöst, der den Dosierschieber hin und her bewegt. Das Pulverfüllgerät wurde zwar beim Laden jedes Mal durch die Hülse angehoben, durch entstandenes Spiel wurde der Schieber aber nicht immer betätigt. Dieser kleine Unterschied und die dann fehlende Treibladung blieben unbemerkt. Durch das Schießen aus der Einspannung fehlte das Gefühl für den Rückstoß und die Erwartung einer möglicherweise etwas schwachen Laborierung mit Auswurfstörungen tat ein Übriges. Die nächsten Anschaffungen werden also ein Pulvercheck und ein neuer Lauf sein!
Bilder von den Streukreisen, Infos zu allen Laborierungen und den Messergebnissen erhalten Sie in der Doppelausgabe caliber 7+8/2020. Oder Sie bestellen caliber 7+8/2020 als E-Paper.
Hier lesen Sie unseren Test zur SIG Sauer P226 X-Six Skeleton – ohne Beschädigung durch falsche Ladung.