Ein Konzept, das bereits seit vielen Jahren in den USA praktiziert wurde: Neben einer großkalibrigen Dienstpistole im Kaliber 9 Millimeter Luger oder .45 ACP bieten viele Hersteller gleich ein in den Abmessungen übereinstimmendes Exemplar für die Kleinkaliberpatrone .22 l.r. an. So fertigt beispielsweise der US-amerikanische Hersteller Smith & Wesson bereits seit vielen Jahren neben seiner erfolgreichen Polymer-Pistolenreihe Military & Police auch eine Fullsize-Variante (mittlerweile gibt es auch eine Compact) namens M & P 22. Aussehen und Abmessungen erinnern dabei an die großkalibrigen Modelle, doch das Verschlusssystem und die Verriegelung sind vollständig neu konstruiert, um der viel schwächeren KK-Munition technisch gerecht zu werden. In den USA ist das Konzept der Wechselsysteme nicht so stark verbreitet wie hierzulande, da man in vielen US-Bundesstaaten nicht auf den Besitz von zwei Kurzwaffen beschränkt ist. Da KK-Pistolen meist auch etwas günstiger sind als Großkaliber-Waffen, greift der Amerikaner daher in der Regel auch direkt zu einer neuen KK-Pistole, anstatt sich mit Wechselsystemen aufzuhalten.
Der Trend, dass Hersteller ebenfalls ein KK-Pendant ihrer Polymer-Pistolen einführen, trifft seit der letzten Dekade auch auf viele europäische Firmen zu. Der württembergische Hersteller Carl Walther offeriert seinen Kunden nun schon länger drei unterschiedliche Versionen (vier Zoll, fünf Zoll und 4,6 Zoll mit Gewindelauf) der eigenen KK-PPQ-Modellreihe. Mit dieser Reihe knüpft der Ulmer Hersteller zumindest im Design und in der Formensprache direkt an seiner eigenen Behördenpistole namens PPQ (Polizei Pistole Quick Defense) an, die bei zahlreichen Polizei-Einheiten auf dem Globus im Einsatz ist. Auch GLOCK geht seit der Vorstellung der G 44 im Dezember 2019 diesen Weg. Zwar entspricht die G 44 von ihren Abmessungen her eher einer GLOCK G 19 im Zentralfeuerkaliber 9 Millimeter Luger als einer Fullsize G 17, doch auch ihre Formgebung weckt bei Betrachtern direkte Assoziationen zu den übrigen großkalibrigen GLOCK G-Modellen. Dass das Design nicht immer der großen Modellreihe folgt, beweist Sturm, Ruger & Co. mit der SR22. Die kleinkalibrige Polymer-Pistole mit Hahnschloss baut zwar auch auf einem Kunststoff-Rahmen auf, doch ihr Äußeres, ihre Griffergonomie, ihre Dimensionen und der zur Schau gestellte Außenhahn unterscheiden sie deutlich von den großkalibrigen striker-fired-Modellen wie der SR9.
Die GLOCK G 44 im Kaliber .22 l.r.
In der Hand des kundigen GLOCK-Schützen fällt die G 44 sofort mit ihrem merklich geringen Gewicht auf. Die Pistole wiegt gerade einmal knapp über 400 Gramm und damit etwas über ein Drittel weniger als eine Großkaliber-GLOCK in vergleichbaren Außenabmessungen. Zieht man eine ähnlich große G 19 heran, so fällt nach einem Baugruppenvergleich schnell auf, woher die Gewichtsersparnis rührt: Der G 44-Verschluss wiegt gerade einmal 134 Gramm, wohingegen der G 19-Schlitten 356 Gramm auf die Waage bringt. Damit ist auch direkt eine der maßgeblichen Innovationen von GLOCKs Kleinkaliber-Pistole angesprochen. Um die Waffe mit der schwächeren KK-Munition funktionstüchtig zu machen, kombiniert das Werk ein anderes Verriegelungskonzept mit einem neuen Hybrid-Verschluss. Dieser patentierte Verschluss besteht aus einer Mischung von Stahl und Kunststoff. Besonders beanspruchte Teile wie der Stoßboden und die Führungen bestehen aus Stahl und vor allem die großflächigen Verschlussregionen werden aus Polymer gefertigt. Dies senkt maßgeblich das Gewicht und verringert damit auch die Masse, die das Verriegelungssystem im Schuss zu bewältigen hat. Hier geht GLOCK den üblichen Weg und setzt auf einen kraftschlüssig verriegelnden Feder-Masseverschluss, der in zahlreichen Kleinkaliber-Selbstladern vorkommt.
Auch in puncto Ausstattung zeigt sich die G 44 auf Höhe mit Großkaliber-GLOCKs. Gen5-Baugruppen wie das neue Polymer-Griffstück ohne Fingerrillen und mit dem angetrichterten Magazinschacht sowie der beidseitige Verschlussfanghebel sind ebenso vorhanden wie der GLOCK Marksman Barrel. Auch eine Zubehörschiene, eine umsteckbare Magazinlösetaste und zusätzliche Durchladerillen am vorderen Bereich des Schlittens bringt die KK-GLOCK ab Werk mit. Das Abzugssystem der GLOCK, das auf die Firmenbezeichnung Safe Action System hört, zeichnet sich durch einen recht gleichbleibenden Abzugswiderstand und drei unabhängig voneinander bestehende Sicherungen aus. Der ermittelte Auslösewert der überprüften Waffe lag im Mittel bei 2800 Gramm.
Die Walther PPQ M2 4“ im Kaliber .22 l.r.
Die PPQ M2 4“ stellt die Fullsize-KK-Version im aktuellen Walther-Sortiment dar. Sowohl die Tactical als auch die PPQ M2 5“ (Test in VISIER 8/2021) haben längere Läufe. Auch hier kommen zum Einsatz: ein Feder-Masseverschluss und ein Polymer-Rahmen, der die Abzugsgruppe beinhaltet. Im Gegensatz zu den großkalibrigen PPQ-Pendants nutzen die KK-Versionen jedoch kein Schlagbolzenschloss, sondern vertrauen auf das bewährte System des Hahnschlosses. Das Hahn-Schlagelement sitzt innen im hinteren Teil des Polymer-Griffstücks. Wie bei nahezu allen KK-Selbstladepistolen, die großkalibrigen Vorbildern optisch gleichen, besteht auch hier der Schlitten aus eloxiertem Aluminium. Dies soll vor allem die Funktion mit deutlich schwächeren KK-Laborierungen sicherstellen.
Abgesehen von den großen technischen Änderungen zeigt sich auf den Gebieten der Ergonomie und der Ausstattung, dass die kleinen PPQs den großen nicht hinterherhinken. Die Vier-Zoll-Ausführung (Lauflänge 102 Millimeter) bringt ebenfalls eine Picatinny-Schiene vor dem Abzug (MIL-STD 1913) mit, zudem einen beiderseitig vorhandenen Verschlussfanghebel und den seitlichen Magazinhalteknopf, der sich auf die rechte Waffenseite umstecken lässt. Auch der Verschluss bietet vorne und hinten griffige Durchladerillen. Das Fiberglas-Lichtsammler-Korn der Fünf-Zoll-Version musste hier einem Polymer-Korn weichen. Die Kimme ist in Höhe und Seite justierbar. Die Ergonomie des Griffes zeigt sich angenehm und die Oberflächenpunzierung ist ausreichend griffig. Leider kommt die KK-PPQ ohne die Funktion von austauschbaren Griffrückenmodulen ab Werk. Damit verzichtet sie auf ein ergonomisch sehr sinnvolles Ausstattungsplus. Der Single- Action-Abzug der PPQ kommt mit einer kurzen Wegstrecke von rund 4 Millimetern und einem ebenfalls sehr kurzen Reset daher. Die Charakteristik ist angenehm trocken und der Auslösewiderstand beträgt im Test rund 2.500 Gramm.
Die Ruger SR22 im Kaliber .22 l.r.
Als einzige Testwaffe bringt die kompakte SR22 ein Double-Action-/Single-Action-Abzugssystem mit. Auch ihr Außenhahn zeigt dem Betrachter sofort, was er hier technisch erwarten darf. Beim Verriegelungssystem arbeitet die amerikanische Selbstladepistole jedoch ähnlich wie die übrigen Prüflinge des Testfeldes. Auch hier wird ein Leichtmetallschlitten eingesetzt, um die Kräfte während des Repetierzyklus besser verwalten zu können. Die Waffe gehört zu den kompakteren Modellen im Test, daher ist auch ihr Griffstück eher für kleinere Hände konzipiert. Besonders erfreulich ist es daher, dass Ruger der SR22 ein weiteres Griffmodul beilegt, das den Umfang etwas erhöht. Damit finden auch größere Handbesitzer mehr Platz. Neben diesem wichtigen Ausstattungspunkt zeigt sich auch die Bedienung der amerikanischen Waffe gelungen. Sowohl die Daumensicherung als auch die Magazintaste sind jeweils beidseitig vorhanden. Einziger Kritikpunkt hier: Die Magazinlösetasten sind sehr klein geraten. Der Verschluss wiederum bietet im Front- und im Heckbereich Repetierrillen an. Auf ihm thront eine mittels Schrauben voll einstellbare Visieranlage samt dreier weißer Rundmarken und einem kleinformatigen Kimmenblatt mit Rechteckausschnitt. Das Double-Action-/Single-Action-Abzugssystem mit außenliegendem Hahn ist gekennzeichnet durch eine recht lange DA-Wegstrecke bei einem ziemlich gleichmäßigen Abzugswiderstand und einem kurzen SA-Modus. Der Reset des Züngels fällt ebenfalls recht kurz aus. Die Abzugswiderstände der SR22 liegen mit 2200 und 4800 Gramm im Klassenrahmen. Wobei der gerade genannte und in der Erprobung von VISIER ermittelte SA-Auslösewert von 2200 Gramm rund 400 Gramm unter dem Testwert einer Ruger SR22 aus dem Jahr 2021 liegt.
Die Smith & Wesson M & P 22 im Kaliber .22 l.r.
Bei der Military & Police 22 handelt es sich um eine KK-Version der mittlerweile in zweiter Baugeneration produzierten Polymer-Dienstpistole von S & W. Eine der Besonderheiten der M & P 22 besteht darin, dass sie nahezu die identischen Außenabmessungen der großkalibrigen Full-Size-Versionen aufweist. Deshalb passt sie auch in deren Holster und bietet sich als wunderbares Trainingsgerät an. In den USA wird sie auch von einigen Einheiten dazu benutzt – nämlich bei solchen, die mit einer M & P in 9 Millimeter Luger oder .40 Smith & Wesson ausgerüstet sind. Ein Unterschied zu den Großen ist, dass die 22er mit einer beiderseitigen manuellen Sicherung ab Werk kommt. Bei den großkalibrigen Versionen weisen nur spezielle Modelle außenliegende Sicherungselemente auf.
Im Inneren hält die M & P 22 es so, wie die ein oder andere Testwaffe: Auch hier handelt es sich um eine Single-Action-Pistole, die nicht mit einem striker-fired-System aufwartet, sondern einen innen liegenden Hahn-Schlagelement-Mechanismus nutzt. Auch der für eine KK-Pistole äußerst materialstarke Verschluss ist aus Leichtmetall gefertigt. Trotzdem ist die M & P 22 mit 647 Gramm Leergewicht die schwerste Testwaffe im Feld. Auf ihrem Verschluss findet sich eine seitlich driftbare und in der Höhe einstellbare Kimme mit Rechteckausschnitt und ein verstiftetes Korn mit einer weißen Rundmarke. Ihr SA-Abzug besticht mit dem niedrigsten Auslösewiderstand im Testfeld (rund 1750 Gramm) und einem für flotte Schussserien förderlichen kurzen Reset. Über einen klaren Druckpunkt verfügt der Abzug hingen nicht. Der Importeur Waimex teilte mit, dass Smith & Wesson die M & P 22 aus dem Programm genommen hat und derzeit nur noch die deutlich kleinere M & P 22 Compact anbietet. Neue M & P 22 in Fullsize sind entsprechend nur noch wenige auf dem hiesigen Markt verfügbar. Wer eine haben möchte, der sollte beim passenden Kurs somit rasch zuschlagen.
Praxis-Test: Auf dem Schießstand mit der Walther, Ruger, Smith & Wesson und GLOCK im Kaliber .22 l.r.
Mit den vier KK-Pistolen geht es auf die 25-Meter-Kurzwaffenbahn. Zunächst schießen die Tester alle Pistolen aufgelegt vom Heymann-Guntester, um die Präzision der Waffen zu ermitteln und gleichzeitig die Geschwindigkeit der Projektile zu messen. Hierbei zeigt sich, dass durch das aufgelegte Schießen die Funktion einiger Waffen nicht mehr zuverlässig gegeben war.
Lediglich die sehr stark geladenen Winchester-Laser-Laborierungen überzeugten alle Pistolen, auch aufgelegt ordentlich zu repetieren. Gerade die schwächeren Patronensorten sorgten für unzählige Auswurf- und Zuführungsstörungen. Im stehenden Anschlag sollte sich die Funktion während des Schießens dann später merklich entspannen. Wobei auch hier gerade die schwachen Patronen zumindest für vereinzelte Störungen sorgten. Am wenigsten empfindlich zeigte sich hier noch die Ruger SR22. Sie lief mit den langsameren Sorten noch am zuverlässigsten. Mit nahezu jeder KK-Pistole waren kleinste Streukreisgruppen von unter 50 Millimetern möglich. Die kleinste Gruppe von 41 Millimetern (umschlossen) erzielte die M & P 22. Von Seiten der Bedienergonomie, der Magazinverriegelung und der Auswurffunktion gibt es an allen vier Pistolen nichts auszusetzen. Hier überzeugten sie voll und ganz.
Technische Eigenschaften und Preis von GLOCK, Walther, Ruger und Smith & Wesson im Kaliber .22 l.r.
Model: | GLOCK G 44 | Walther PPQ M2 (4 Zoll) | Ruger SR 22 | Smith & Wesson M & P 22 |
Kaliber: | .22 l. r. | .22 l. r. | .22 l. r. | .22 l. r. |
Kapazität: | 10 Patronen | 12 Patronen | 10 Patronen | 10 Patronen |
Maße (LxBxH): | 185 x 32 x 129 mm | 179 x 34 x 135 mm | 165 x 31 x 134 mm | 199 x 40 x 139 mm |
Lauflänge: | 102 mm | 102 mm (4 Zoll) | 3,55 Zoll (89 mm) | 104 mm (4,1 Zoll) |
Visierlänge: | 157 mm | 155 mm | 135 mm | 155 mm |
Abzugsgewicht: | 2.800 Gramm | 2.500 Gramm | DA: 4.800 Gramm / SA: 2.200 Gramm | 1.750 Gramm |
Gewicht | 421 Gramm | 629 Gramm | 494 Gramm | 647 Gramm |
Preis: | 604,- Euro | 519,- Euro | 679,- Euro (schwarz) 719,- Euro (stainless) | 651 ,- Euro |
Unser Test-Fazit zu den vier Selbstladepistolen von Walther, Ruger, Smith & Wesson und GLOCK im Kaliber .22 l.r.
Wer im KK-Bereich Pistolen mit Behördenoptik sucht, wird bei diesen vier Kandidaten fündig. Die Bedienung aller vier Waffen verlief einwandfrei. Bei der Verarbeitung wirken die europäischen Fabrikate etwas hochwertiger, da sich weniger Spritzgussreste an den Polymer-Baugruppen zeigten. Beim Thema Ergonomie haben viele KK-Polymer-Pistolen noch Nachholbedarf. GLOCK zeigt, wie es gehen kann: Die G 44 kommt mit einem ganzen Satz Griffrücken (SF, M, L). Die Ruger bringt indes noch einen einzelnen Adapter mit. Walther und Smith & Wesson verzichten gänzlich auf diesen Ausstattungspunkt. Die Ruger wird ab Werk in einem Pappkarton ausgeliefert, wohingegen die anderen drei Pistolen mit schwarzen Kunststoffkoffern ihren Weg zum Käufer finden.
Dieser Test ist aus Visier 4/2022. Diese Ausgabe können Sie im VS Medien-Onlineshop kaufen. Die Ausgabe ist auch digital als e-Paper verfügbar. Dort finden Sie auch eine umfangreiche Tabelle mit allen Schießergebnissen der vier Polymer-Pistolen im Kaliber .22 l.r.
Weitere Informationen zu den vier Selbstladepistolen finden Sie bei Carl Walther, GLOCK, Ruger und Smith & Wesson.