Der schlichte Name erscheint irreführend: WALTHER brachte die ersten Pistolen des neuen Typs P99 nicht 1999, sondern bereits 1996 auf den Markt. Also ähnlich wie beim Vorgänger - die P88 erschien auch nicht 1988, sondern zwei Jahre zuvor. In den 90ern erkannte man dann auch bei WALTHER, dass Waffen mit den damals noch einigermaßen neumodischen Griffstücken aus Plastik die Zukunft gehören würde.
GLOCK eilte seit Jahren von einem Verkaufserfolg zum nächsten. Mitbewerber wie HECKLER & KOCH oder SMITH & WESSON hatten mit Modellen wie USP und Sigma seit gut zwei Jahren eigene „Eisen“ im Feuer. Mit der P 88 hatte WALTHER zwar erstmals eine Waffe mit dem beliebten Browning-Verschluss entwickelt. Aber die P88 und deren Kompaktmodell waren bei solider Grundkonstruktion und bester Qualität vor allem teuer und konnten nichts wirklich besser, was die damals bestens etablierte Konkurrenz mit Duralgriffstücken von SMITH & WESSON, SIG SAUER oder BERETTA nicht auch leistete.
Gegen den Stress
1996 kombinierte die P99 einige Merkmale ihrer direkten Konkurrenz im Polymer-Bereich: Wie die GLOCK-Pistolen arbeitet auch die P99 mit einem hahnlosen Schlagbolzenschloss. Der beidseitige Magazinlösehebel hinter dem Abzug fand sich ähnlich erstmals bei der P 7 M8 von HECKLER & KOCH und wurde seitdem in Oberndorf in jedes neuere Pistolenmodell integriert. Beim Abzug orientierte sich WALTHER aber nicht an GLOCKS teilvorgespanntem Safe-Action- System, sondern am bewährten und damals noch absolut gängigen Double-/Single-Action-System. Bei dem wird nur der erste Schuss bei komplett entspannter Waffe abgegeben.
Aus heutiger Sicht ist der „Anti-Stress-Abzug“ (AS) der P99 aber so etwas wie eine Kuriosität. Im Gegensatz zu traditionellen Double-/Single-Action-Abzügen läuft das Züngel nach jedem Schuss trotz nunmehr gespannter Schlagfeder praktisch wieder in die DA-Ausgangsstellung zurück, solange es nicht vom Abzugsfinger daran gehindert wird. Dieser überlange SA-Abzugsweg soll auch bei gespannter Waffe die Gefahr reduzieren, dass man die gespannte P99 AS „aus Versehen“ durch kurzes Antippen des Züngels abfeuert.
Zweite Besonderheit des AS-Abzuges - der extrem kurze Rückstellweg für den nächsten Schuss: Für die erneute Feuerbereitschaft reichen beim AS etwa drei Millimeter Rückstellweg. Dieser extrem kurze „Reset“ gehört seit ein paar Jahren zu den eigens hervorgehobenen Vorzügen diverser Pistolen. Aber in den 1990ern wurde der kurze Reset kaum diskutiert, obwohl die P99 AS ihn immer besaß und auch ältere Semester wie etwa die DA/SA-Ganzmetallpistolen der dritten SMITH & WESSON-Generation darüber verfügten. Um nach dem Durchladen nicht mit gespannter Waffe herumzulaufen, integrierten die Ulmer eine Entspanntaste oben im Verschluss. Über den Zustand des Schlagbolzens informiert eine kleine Sichtöffnung in der Schlagbolzenhalteplatte. Aus der tritt das rot markierte Ende des Zündstiftes bei gespanntem System sichtbar hervor.
Mit der P99 führte WALTHER erstmalig ein Detail ein, das heute bei Vollpreis-Polymerpistolen unverzichtbar erscheint: Wechsel-Griffrücken in verschiedenen Größen. Am Verschlussprinzip selbst findet sich aus heutiger Sicht nichts aufregend Neues. Die P99 verfügt wie die meisten modernen Großkaliberpistolen über einen verbesserten Browning-Verschluss, bei dem der Lauf direkt im Auswurffenster verriegelt. Der Schlitten wird auf ins Griffstück eingegossenen Schienen geführt, die Schließfeder lässt sich bei der Demontage als komplett gekapselte Einheit leicht entfernen.
Neben der klassischen P99 AS legte der Hersteller weitere Modelle auf, deren Fertigung aber inzwischen teilweise wieder eingestellt wurde. Dies betrifft etwa die Baureihen „DAO“ mit reinem Spannabzug oder die „Quick Action“ mit ihrem stets teilgespannten Abzug. Auch deren kompakte „C“-Versionen finden sich nicht mehr im Programm, wohl aber die reguläre P 99C mit Anti-Stress-Abzug. WALTHER fertigt die kompakten Versionen in 9 mm Luger und .40 Smith & Wesson.
Auf dem Behördenmarkt war die P99 AS bislang alles andere als ein durchschlagender Erfolg. Vor der groß angelegten Modellpflege vor etwa acht Jahren kamen die einzigen größeren Aufträge aus Finnland; dort wird die Waffe als „Pistooli 2003“ geführt. Freilich konnte sich der Hersteller mit der Polizei Nordrhein-Westfalens einen Großkunden für die P99 DAO sichern. Das Bundesland orderte 2005 insgesamt 41.000 Stück, die in Ausstattung und Technik dem aktuellen Stand der P99 entsprechen.
Generationenkonflikt
Bei WALTHER lassen sich die einzelnen Fertigungsperioden nicht so klar umreißen wie etwa bei GLOCK oder SMITH & WESSON‘s DA-Pistolen. Eine P99 AS von 1996 unterscheidet sich dennoch von einer P99 AS aus aktueller Produktion - die Modifikationen wurden über einen längeren Zeitraum implementiert, ohne dass es zu einer neuen Modellbezeichnung gekommen wäre - der Übergang verlief fließend.
2004 und 2005 kamen Änderungen vor allem zugunsten von Ergonomie und Bedienbarkeit. Beim Griffstück trennte man sich vom ungeliebten, nach unten geschwungenen Griffhorn. Auch der Buckel innen im Abzugsbügel entfiel. Eigentlich sollte er verhindern, dass der Finger versehentlich unter das Abzugszüngel geriet - hauptsächlich irritierte er aber nur. Die eigentümliche Montageschiene vorn im Rahmen machte einer „echten“ Picatinny-Schiene nach MIL-STD 1913 Platz.
Statt der „Combatnase“ am Abzugsbügel setzte man auf einen nach vorn verrundeten Bügel mit groben Querrillen. Schade ist es darum nicht, der Zeigefinger der schwachen Hand gehört dort eh nicht hin. Die Magazinhebel blieben zwar im Abzugsbügel. Aber die nach vorn stark verlängerten Tastflächen reichen jetzt bis auf Höhe des Abzugs. Und da heute alle Welt beidseitige Bedienbarkeit fordert, staffierte WALTHER die P99 auch rechts am Griffstück mit einem Verschlussfanghebel aus. Dessen Tastflächen wurden tüchtig verlängert und ihre Form so modifiziert, dass sie sich leicht herunter- und hochdrücken lassen.
Neuerungen auch am Schlitten: Hinten wurde die Greiffläche der Spannrillen massiv vergrößert, ebenso das Rillenmuster der Slide Serrations selbst. Üblicherweise tragen die aktuell in Deutschland verkauften P99 eine Visierung aus Stahl. Bei den älteren Versionen bestand sie regulär aus Kunststoff.
Die Walther P99 Q: Nur für den Dienstgebrauch
Um die P99 gemäß den Wünschen der deutschen Polizei auf neuesten Stand zu bringen, lancierten die Ulmer vor fünf Jahren das Modell P99 Q. Es geht nur an Behörden und Streitkräfte. Im Prinzip handelt es sich um eine komplett neu konzipierte P99 Quick Action: Auch bei der P99 Q bleibt der Abzug mit mittellanger Wegstrecke vom ersten bis zum letzten Schuss in Widerstand, Charakteristik und Abzugsweg stets gleich. Die P99 Q hat aber anders als viele teilvorgespannte Systeme einen Abzug mit „Restrike“-Funktion. Sollte mal eine Patrone nicht zünden, kann man flugs ohne Durchladen den Abzug als DA-System betätigen - das hilft bei Zündversagern oft. Zudem sparte WALTHER sich die winzige Entspanntaste der Quick Action.
Die teilgespannte WALTHER P99 Q wird zwecks Demontage entspannt, indem man den Schlitten rund einen Zentimeter nach hinten zieht. Neben mehreren für die P 99-Serie gängigen automatischen Sicherungen bekam die P99 Q zusätzlich eine interne Fallsicherung hinten am Schlitten.
Der augenfälligste Unterschied zu den älteren Modellreihen liegt in dem neu geformten Griffbereich. Er erhielt ein neuartig angerautes Oberflächenmuster. Es verbessert die Rutschfestigkeit, ohne empfindliche Hände zu beißen. Das Muster ist deutlich griffiger als die Kombination von kleinen Noppen und breiten Rillen der WALTHER P99 - dennoch gerät es spürbar glatter als die entsprechenden Muster bei GLOCK, SIG-SAUER oder den neueren HECKLER & KOCH Modellen. Auch die Griffstückform wurde überarbeitet: Seitliche Mulden und Wölbungen im Bereich der Fingerwurzelknochen sorgen für eine Top- Handlage. Und im Inneren des Griffrückens entstand noch Platz für einen Transponder. Der Abzugsbügel wurde an seiner Vorderseite schlicht begradigt.
Oben herum unterscheidet sich das Behördenmodell nicht groß von der aktuellen P99, es erhielt aber zusätzliche Greifrillen vorn. Die Magazine schützt nun eine abriebfeste Gleitbeschichtung statt einer Brünierung gegen Rost. Die Kapazität schrumpfte von 16 auf 15 Patronen in 9 mm Luger. Die P99 Q zeigt sich national wie international erfolgreich: Sie wurde von Rheinland-Pfalz, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein beschafft. Nicht schlecht - so furchtbar viel mehr Ausschreibungen deutscher Behörden gab es ja seit der Modelleinführung nicht.
Auch im Ausland läuft es nicht sxchlecht für die P99 Q: Finnlands Polizei orderte die Pistole ebenso wie die von Malaysia. Auch die holländische Polizei wird ihre Bestände an alten WALTHER P5 durch 45.000 Exemplare des neuen Modells aus Ulm ersetzen.
WALTHER PPQ
Vor zwei Jahren vorgestellt, berücksichtigte man bei der PPQ laut Werk vor allem die Wünsche von Sportschützen und Spezialeinheiten. Das Merkmal ist der Abzug. Technisch ein reiner SA-Abzug -bei jedem Repetieren spannt sich die Schlagfeder komplett. Für den Schießfinger fühlt sich das System aber nicht an wie ein typischer vorgespannter Abzug. Durch den mittellangen, leicht belasteten Vorweg erinnert die Konstruktion mehr an teilgespannte Konzepte, etwa GLOCKS Safe-Action-Abzug. Das Besondere des PPQ-Abzuges liegt im verblüffend sauberen Druckpunkt, im geringen Nachzug und im extrem kurzen Rückstellweg des Züngels von weniger als drei Millimetern - alles bei einem Abzugsgewicht von zirka 2.500 Gramm. Dies lässt sich zwar bei manchen Polymerpistolen mit Schlagbolzenschloss ähnlich umsetzen - aber nur durch das (manchmal teure) Auswechseln von Teilen und/oder via Tuning. Ab Werk hat die PPQ unter den Plastikpistolen mit Schlagbolzenschloss den komfortabelsten Abzug. Da kommen nicht einmal die meisten Polymerwaffen mit Schlaghahn heran. Gleichgültig, ob teilvorgespannt oder mit traditionellem DA/SA-Abzug.
Griffstück und Schlittenkontur übernahm man von der P99 Q. Innen geht es schlichter zu als beim Behördenmodell: Die PPQ ist WALTHERS erste Großkaliberpistole, die zur Demontage zunächst per Druck auf den Abzug entspannt werden muss - sicherheitstechnisch ein Rückschritt. Aber es vereinfacht den Entwurf, spart Kosten - selbst viele Behörden und Militärs scheinen sich daran nicht zu stören. Die PPQ wird so zerlegt, wie es beim großen Konkurrenten aus Österreich schon immer war.
Wie die P99 Quick Action hat auch die PPQ ähnlich der GLOCK in der Züngelmitte als Abzugssicherung eine schmale Taste. Sie reduziert die Gefahr, dass der Abzug versehentlich gedrückt wird, falls man die Fingerkuppe nicht komplett auf dem Züngel hat. In erster Linie sorgt diese Sicherung aber dafür, das sich bei schwerem Schlag oder Stoß das Züngel nicht selbstständig macht und rückwärts marschiert. Die PPQ wird hierzulande wie abgebildet ausgeliefert. In den USA gilt diese Variante inzwischen als PPQ M1 - dort gibt es auch eine „M2“. Die unterscheidet sich durch ihren klassischen, seitlichen Magazindruckknopf von der M1, braucht aber ihre eigenen Magazine.
Unwahrscheinlich, dass WALTHER nicht weiter fleißig an der P99-Baureihe arbeitet: 2013 kam ein Prototyp einer PPQ mit verlängertem Lauf und Schlitten. US-Fans wollen zudem eine kompakte PPQ im Stil der P99C. Es wäre nett, wenn WALTHER auch von der P99 Q ein Kompaktmodell offerieren würde. Und überhaupt: Die P99 Q ist zu schade, um nur an Polizisten und Soldaten zu gehen.
Technische Daten der WALTHER P99 Pistolen:
Modell: | P99 AS | P99 C AS | P99 Q | PPQ | PPX |
Preis: | € 869,- | € 869,- | – / –* | € 899,- | € 569,- |
Kapazität: | 15 + 1 Patronen | 10 + 1 Patronen | 15 + 1 Patronen | 15 + 1 Patronen | 16 + 1 Patronen |
Maße (mm): | 180 x 34 x 136 | 168 x 34 x 110 | 180 x 34 x 136 | 180 x 34 x 136 | 186 x 34 x 143 |
Lauflänge (mm): | 102 | 89 | 102 | 102 | 102 |
Visierlänge (mm): | 156 | 142 | 156 | 156 | 160 |
Abzug: | DA/SA | DA/SA | teilgespannt | SA | teilgespannt |
Abzugsgewicht (g): | 4.000 / 2.000 | 4.000 / 2.000 | 2.500 | 3.200 | 2.900 |
Gewicht (g): | 685 | 620 | 690 | 695 | 765 |
Ausführung: | Anti-Stress-Abzug, Entspanntaste, beidseitige Bedienhebel, Stahlvisier, Picatinny-Schiene, auswechselbare Griffrücken | Anti-Stress-Abzug, Entspanntaste, beidseitige Bedienhebel, Stahlvisier, Picatinny-Schiene, auswechselbare Griffrücken | Teilgespannt, Restrike-Funktion, Stahlvisier mit Phosphoreinlagen, HiGrip-Griffoberfläche, Picatinny-Schiene * Dieses Modell ist nicht auf dem Zivilmarkt | Quick Defense- Abzug, Stahlvisier mit Phosphor-einlagen, HiGrip-Griffoberfläche, Picatinny-Schiene, Spannrillen vorn | Hahnschloss, teilgespannter Abzug, einseitige Bedienhebel, Magazinhalter umsteckbar, Stahlvisier |
Schießtest: WATHER P99 Q
Nr. | Fabrikpatronen (grs) | SK | V2 | E2 | Fakto |
1 | 95
grs Magtech JSP | 46 | 394 | 478 | 123 |
2 | 120
grs Lapua CEPP | 46
(32) | 353 | 484 | 139 |
3 | 123
grs Fiocchi FMJ | 84 | 364 | 528 | 147 |
4 | 124
grs Hornady XTP | 42 | 344 | 475 | 140 |
5 | 147
grs Magtech JHP | 54
(20) | 287 | 392 | 138 |
Schießtest: WALTHER PPQ
Nr. | Fabrikpatronen (grs) | SK | V2 | E2 | Fakto |
1 | 115
grs GECO JHP | 85
(52) | 351 | 459 | 132 |
2 | 115
grs PMC Bronze | 88
(67) | 340 | 431 | 128 |
3 | 123
grs Fiocchi FMJ | 39 | 341 | 463 | 138 |
4 | 124
grs GECO FMJ | 55
(32) | 330 | 438 | 134 |
5 | 124
grs TopShot FMJ | 57 | 327 | 430 | 133 |
Schießtest: WALTHER PPX in 9 mm Luger
Nr. | Fabrikpatrone (grs) | SK (mm) |
1 | 115
grs Sellier & Bellot JHP | 69 |
2 | 115
grs GECO JHP | 80
(63) |
3 | 115
grs Remington JHP | 84 |
4 | 115
grs Magtech JHP | 122
(52) |
5 | 120
grs Lapua CEPP Super | 70
(42) |
6 | 124
grs Remington Golden Saber | 57
(21) |
7 | 124
grs PMC FMJ | 84 |
8 | 125
grs Hornady Steel Match JHP | 89 |
9 | 140
grs Sellier & Bellot FMJ | 114 |
10 | 147
grs Speer Lawman FMJ | 99 |
11 | 154
grs GECO FMJ | 176 |
Anmerkungen / Abkürzungen: SK(mm) = Streukreise in Millimetern auf 25 Meter , Fünf-Schuss-Gruppen, ermittelt sitzend mit aufgelegter Waffe. Werte in Klammern nach Abzug eines Ausreißers. JHP = Jacketed Hollow Point (Mantel-Hohlspitz). CEPP = Controlled Effect Police Projectile (ein laut Hersteller kontrolliert aufpilzendes Mantelprojektil). FMJ = Full Metal Jacket (Vollmantel).