Wer zum ersten Mal eine stramm geladene .357-Magnum-Patrone aus einem leichten, kurzläufigen Revolver wie dem Smith & Wesson M 19mit 2,5 Zoll (63,5 Millimeter) langen Lauf schießt, macht eine besondere Erfahrung. Und diese gehört nicht unbedingt zu den angenehmen Waffenbekanntschaften im Leben eines Schützen.
Schnell fallen einem die Erzählungen der Altvorderen wieder ein: “Wenn wir nach dem Klingeln in der Klasse noch quatschten, schlug uns der Lehrer zur Strafe mit dem Rohrstock auf die Handflächen.” Auch die dachten bestimmt: Ein schönes Gefühl, wenn der Schmerz so langsam nachlässt.
Nutzer solcher als “Snubbies” (Stupsnasen) bekannten kurzen Revolver waren früher entweder echte Verteidigungsprofis oder führten sie als Polizisten, weil ihr Dienstherr es vorschrieb. Viele dieser Waffenträger verzichteten auf das Aha-Erlebnis mit ihrem 357er und bestückten ihre Trommel aus gutem Grund nur mit der schwächeren .38 Special. Wer professionell ausgiebig mit einem Medium-Rahmen-Revolver und den strammen Laborierungen gearbeitet hat, dürfte die Einführung der angenehmeren Selbstladepistolen begrüßt haben. Schließlich trug die unangenehme Kombination von wenig Gewicht mit extremem Rückstoß bei solchen Revolvern ja wohl auch zur Verbreitung von Polymerpistolen bei. Größere Magazinkapazitäten bei Modellen in 9 mm Luger oder größere Kalibern
verhalfen solchen modernen Pistolen nicht nur in den USA zusätzlich zum Siegeszug über die Schießgeräte mit Double-Action-Abzug und ausschwenkbarer Walze. Aufgrund ihrer langen Präsenz am Markt gelten DA-Revolver auch oft als veraltet und überholt. Die ersten Modelle wurden schließlich schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt; auch Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es — abgesehen von einigen Ausnahmen — keine großen Neuerungen. Denn bis heute weichen nur wenige Modelle vom bisherigen Funktionsprinzip ab.
Der Rhino-Revolver ist definitiv neu (das gilt für die beiden bisher gebauten Produktionsreihen). Und dies in zweierlei Hinsicht: in Technik und Design. Der Italiener kommt mit ungewöhnlichem Erscheinungsbild und durchdachtem Innenleben. Zudem verspricht er ein spektakuläres Ergebnis im Blick auf die bereits genannten Widrigkeiten beim Verschießen strammer 357er Patronen.
Viele Betrachter bezeichnen den Rhino als “up side down”, also auf den Kopf gestellten Revolver. Grund: Der Rhino schießt aus der unteren Kammer seiner Sechs-Schuss-Trommel und nicht wie sonst üblich aus der oberen. Folglich sitzt die Ausstoßerstange über dem Lauf, — genauer: in dessen Mantel. Aus demselben Grund liegen die meisten Innereien tiefer im Rahmen als bei herkömmlichen Modellen. Die Idee zu dieser Anordnung hatte in den 1980er Jahren Emilio Ghisoni, dessen Mateba Revolver sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Die Begründung der Konstrukteure für das tief liegende Rohr leuchtet ein. Revolver kämpfen seit ehedem mit der Hebelwirkung, die den gefühlten Rückstoß zusätzlich verstärkt, sprich: mit dem Hochschlag.
Ein bisschen Physik. Der Rückstoß resultiert aus der Gegenkraft, die bei der Beschleunigung des Geschosses entsteht. Diese wirkt axial zur Laufbohrung geradewegs nach hinten. Die Erfahrung hat gelehrt: Verringert man bei Kurzwaffen den Abstand zwischen der Lauf-Seelenachse und der gedachten Verlängerung der Handgelenk-Unterarmlinie, dann nimmt auch der gefühlte Rückstoß ab. Bei Pistolen positionieren die Konstrukteure daher in der Regel den Lauf so, dass er so tief wie möglich in der Hand des Schützen liegt. Dadurch kann dieser die Waffe wesentlich besser im Schuss kontrollieren. Beim für insbesondere für Colt Single Action Revolver typischen, rundgeschwungenen Plow Handle (Pflug-Griff) kann der Griff auch bei starken Laborierungen durch die Hand rollen. Dabei reduziert sich der gefühlte Rückstoß auch hier.
Anders bei DA-Revolvern mit ihrem Rückenhöcker oben am Griffansatz. Auch hier liegt konstruktionsbedingt die Laufachse relativ hoch über der Handgelenk-Unterarm-Line. Doch Spannabzüge erfordern einen relativ festen und sicheren Griff. Dabei überträgt der Rückstoß entsprechend mehr Energie in die Hand des Schützen.
Auch beim Rhino decken sich die genannten theoretischen Linien nicht. Aber sie liegen hier wohl dichter zusammen als bei allen erdenklichen Revolvern und Pistolen mit Ausnahme einiger Sportpistolen im Kaliber .22 kurz.
Äußerlichkeiten. Schon der Griffrücken ist anders — weder rundgeschwungen noch höckrig, statt dessen schmiegt sich ein Sporn in die Beuge zwischen Daumen und Zeigefinger. Ebenso ergonomisch: die à la Golt M 1911 A1 beidseitig in den Rahmen gefrästen Finger- respektive Daumenrillen, über die der Schütze bequem den Abzug erreicht. Dann wartet auch die Trommel dank ihrer sechseckigen Kontur mit einem unverkennbaren Äußeren auf. Sie dreht sich, aus Sicht des Schützen rechtsherum, also so wie die meisten Colt-DA-Revolver. Zum Öffnen der Walze dient ein flacher, sichelförmiger Schieber mit Daumenauflage links am Rahmen direkt unter dem Hahn. Eine eher ungewöhnliche Position, weil der Entriegelungsschieber meistens in Verlängerung der Trommelachse sitzt.
Zum Öffnen zieht man den Entriegler einfach per Daumen zirka fünf Millimeter abwärts. Das Ausschwenken der Trommel funktioniert übrigens nur bei entspannter Waffe. Der zur Trommel gehörige Schwenkkran rastet mittels Kugelarretierung oben im Rahmen und nicht vorn am Ejektor ein. Solche Ball Crane Locks tauchten bereits vor Jahrzehnten bei schweren PPC-Revolvern auf. Die Trommel verriegelt mittels eines federbelasteten Stiftes. Dieser sitzt am hinteren Ende der Auswerferstange zentrisch im Ejektorstern.
Die Funktionskontrolle offenbart weitere für einen Revolver ungewöhnliche Details. Denn das, was wie ein herkömmlicher Revolverhahn aussieht, ist ein reines Spannstück. Das eigentliche Schlagelement liegt verdeckt tief im Inneren der Mechanik. Nach dem Spannen schnappt der mit einer griffigen Längsfräsung an der Oberseite versehene Sporn wieder in seine Ausgangsposition zurück. Der Revolver besitzt drei automatische Sicherungen: Der Abzug funktioniert nur bei komplett geschlossener Trommel. Die Waffe schießt nur, wenn der Trommelstop exakt in die korrespondierende Aussparung im Zylinder greift.
Das gewährleistet das Trommel- und Laufbohrung genau übereinstimmen. Das Schlagstück verfügt über eine Fallsicherung. Und die neueste Produktionsreihe verspricht noch mehr Sicherheit. Denn da verrät ein roter Signalstift links neben der Kimme, dass die Waffe im Single-Action-Modus gespannt ist. Im Double-Action-Betrieb hebt sich der Anzeiger beim Spannen und fällt nach dem Schuss wieder zurück.
Chiappa liefert seinen Rhino in mehreren Lauflängen von zwei bis sechs Zoll. Das kürzeste Modell namens 20DS besitzt keine verstellbare Kimme. Hier ist ein in den Hahn gefräster rechtwinkliger Ausschnitt die hintere Zielvorrichtung. Das Pendant dazu bildet ein mit zwei Spannhülsen im Sockel befestigtes Rampenkorn. Dieses kann durch eines mit integriertem rotem Lichtsammler ersetzt werden. Bei Modellen mit längeren Läufen finden sich in Höhe und Seite justierbare Mikrometer-Kimmen.
Diese gibt es alternativ auch mit zwei neongrünen Lichtsammelstäben neben der Rechteckkimme. Beim Vier- und Fünfzöller arbeiteten die Konstrukteure überdies eine Picatinny-Schiene mit fünf Quernuten aus der Unterseite des Laufmantels heraus. Und der Sechszöller besitzt zusätzlich eine solche Rail oben im vorderen Drittel der Visierlinie. Diese erlaubt die Montage einer optischen Zielvorrichtung.
Für die in Deutschland vom Technischen Großhandel Franz Müller vertriebenen Rhino-Modelle stehen verschiedene Griffvarianten zur Verfügung. Der 20DS kommt für 920 Euro serienmäßig mit einem grauen Weichgummigriff, die anderen Modelle mit Walnussgriff. Die optionale Zubehörpalette umfasst aber auch welche aus Oliven- oder buntem Schichtholz in den Größen klein, mittel und groß. Der Verkaufspreis für das Vierzoll-Modell liegt bei 1064 Euro, die Sportmodelle mit fünf und sechs Zoll Lauflänge rangieren bei 1168 und 1294 Euro. Anders als beim 20DS ist hier kein Holster inbegriffen. Aber Müller hat diverse Futterale als optionales Zubehör im Programm.
Ladeclips für sechs Patronen und sogenannte Performance Kits zur Reduzierung des DA-Widerstands runden das Portfolio ab. Die Arbeiten am Abzug bleiben dabei dem Büchsenmacher vorbehalten.
In der Praxis. Um die angepriesenen Vorzüge in Sachen Hochschlag und Rückstoß des Rhinos auf die Probe zu stellen, konzentrierten sich die Tester auf das nur 700 Gramm schwere Modell mit dem kürzesten Lauf. Wenn es damit funktioniert, sollte dies bei den schwereren Modellen auch klappen. Der kleine Revolver röhrte und spuckte zwar immer noch genauso Feuer wie ein herkömmlicher Snubby. Aber der gefühlte Rückstoß war relativ gering. Mit einer 357er Ladung (125 Grains Teilmantel) schoss er sich so angenehm, dass der Schütze quasi eifrig darauf drängte, den nächsten Schuss heraus zu lassen.
Überraschenderweise war der relativ hohe DA-Abzugswiderstand von — gemessenen — 5500 Gramm einfacher zu überwinden als erwartet. Auch verrieten die Schussgruppen einen präzisen Revolver. Eine Sechs-Schuss-Gruppe aus gut siebeneinhalb Metern (25 Fuß) Distanz blieb innerhalb der Zehn der PPC-Scheibe (10 mm x 150 mm), drei Schuss sogar im X (50 mm x 75 mm). Wohlgemerkt, aus dem Zweizöller mit 125 Grains .357 Magnum-Hohlspitzmunition von Black Hills. Die anschließend probierten 38er Laborierungen fühlten sich da fast schon an wie sonst 22er KK-Patronen. Hierzu trug der weiche Gummigriff allerdings seinen ordentlichen Teil bei. Eine zum Vergleich probierte 357er mit 158 Grains Teilmantelflachkopfgeschoss boxte aus dem 40DS mit Schichtholzgriff dagegen ziemlich heftig in die Hand. Dafür hielt sich auch hier der Hochschlag in Grenzen. Die Waffe lag sehr viel ruhiger im Schuss als die gewohnten Revolvertypen.
Wie es eine ganze Palette von “So-Nicht-Fotos” in der Bedienungsanleitung demonstriert, sollte man beim Schuss tunlichst weder beide Daumen parallel unter der Trommel anlegen noch den Zeigefinger der Nichtschusshand gestreckt an den Rahmen stützen. Dabei riskiert man nämlich eine schwarze — wenn nicht gar angesengte — Fingerspitze. Der Rhino bläst durch den Trommelspalt so einiges an Flammen und Schmauch heraus. Das landet dann durch den tiefliegenden Lauf unmittelbar auf dem darunterliegenden Finger.
Die Waffe wirkt da etwas unausgegoren. Denn sie erzwingt beim beidhändigen Feuern einen unvorteilhaften Anschlag, sonst gibt’s verbrannte Finger. Dabei könnte ein Funkenableiter das Problem sicher lösen.
Fazit. Die Rhino-Modelle kommen mit wesentlich weniger Hochschlag daher als ihre Mitbewerber. Ob daneben der Rückstoß durch den tiefliegenden Lauf wirklich vermindert wird, stellt zumindest der Blick auf den Energie-Erhaltung-Satz in Frage. Hier ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Dennoch zeigt der Rhino, dass die Entwicklung des DA-Revolvers noch Raum für clevere Innovationen lässt.
Das Schießen mit ihm macht allemal Spaß. Und treffen kann man damit mindestens ebenso gut wie mit herkömmlichen Verteidigungs- und Sportrevolvern: Etwas für jeden, der vom gängigen Revolver-Einerlei abweichen will.
Die Vorgänger. Beim ersten Betrachten denken viele, der Rhino sei eine Kopie des über 20 Jahre alten Mateba-Revolvers. Dies verwundert nicht. Gehen doch beide Modelle auf den gleichen Konstrukteur zurück: Emilio Ghisoni.
Ghisoni entwicklete das Konzept des auf den Kopf gestellten Revolvers stetig weiter und brachte nach dem 357er Ursprungsmodell Mateba 2006 M und der siebenschüssigen Sportversion 2007 B (VISIER 3/1991) Mitte der 1990er das “Pistolver”-Model Unica heraus. Dieser Revolver arbeit als Rückstoßlader mit automatischem Trommeltransport und gleichzeitiger Hahnspannung (VISIER 11/2004). Während die Modellreihe 2006 noch einen geschlossenen Rahmen besaß und die Trommel nach oben ausschwenkte, kamen die Unicas mit offenen Rahmen und zur Seite klappender Walze. Dafür aber auch in .44 Magnum und sogar in .454 Casull. Als Erfinder Ghisoni im April 2008 verstarb, nahm sein Geldgeber Antonio Gudazzo das Projekt mit zu Chiappa, wo es fortgeführt und überarbeitet wurde. Heraus kam der Rhino. Der Blick auf den Vornamen des dortigen Firmenchefs, Rino Chiappa, verrät, woher das aktuelle Modell seinen Namen bekam — ein augenzwinkerndes Wortspiel, denn Rhino ist ja auch die Kurzform von Rhinozeros.