Maschinenpistole – oder vollautomatische Selbstladepistole mit Schulterstütze? Diese Frage stellt sich, wer die gut 55 Jahre alte polnische PM-63 Rak betrachtet. Die nämlich passt weder in die eine noch die andere Schublade, dafür aber locker in ein Hüftholster – dank nur 33 Zentimetern Länge und 1,8 Kilogramm Gewicht. Auch die Modellbezeichnung beantwortet die Frage nicht. Zwar steht das Kürzel "PM" für "Pistolet maszynowy", zu Deutsch "Maschinenpistole". Doch "Rak" steht im behördlichen Sprachgebrauch für "Reczny Automat Komandosów", zu Deutsch "Handautomat der Kommandokräfte". Zudem könnte Konstrukteur Piotr Wilniewczyc (1887-1960) seine eigene Intuition gehabt haben.
Manche behaupten, der Pole habe mit dem Namen auf das ungewöhnliche Äußere der Waffe abgezielt. Denn in gespanntem Zustand sieht sie aus, als halte man sie verkehrt herum. Deshalb habe er sie scherzhaft "Rak" (zu Deutsch: "Krebs") genannt, in Anlehnung an die Eigenart von Krebsen, sich rückwärts "vorwärtszubewegen". Andere Waffenhistoriker behaupten, Wilniewczyc habe sie "Rak" getauft, weil er schwer an Krebs erkrankt war und ahnte, dass er die Fertigstellung der Waffe kaum erleben würde. Wie dem auch sei: Wilniewczycs "stählerner Krebs" lohnt einer eingehenden Betrachtung.
PM-63 Rak: ein Kind aus Polens 1950ern
Ab Mitte der 1950er Jahre suchte Polens Armee nach einer handlichen Serienfeuerwaffe. Sie sollte Fahr- und Flugzeugbesatzungen, Fallschirmjägern, Kanonieren und Militärpolizisten als Seitenwaffe dienen, im Hüftholster Platz finden und die von Boris V. Svemin kreierte neue Standardpatrone des Warschauer Paktes verschießen: 9 x 18 mm Makarow. Mit dem Entwurf beauftragte man Wilniewczyc, den Vater der Pistole Vis wz.35 Radom.
Der war zuvor bereits in die Entwicklung der Maschinenpistole Mors wz.39 involviert und präsentierte 1957 mit der WiR wz.57 schon eine halbautomatische Pistole in 9 mm Makarow im fortgeschrittenen Prototypen-Stadium. Trotz seiner Erkrankung machte sich Wilniewczyc mit Eifer ans Werk. Wohl wissend, dass ihm wenig Zeit bleiben würde, schaute er zunächst, was andere Konstrukteure erdacht hatten.
Fündig wurde er bei der tschechischen Samopal vzor 23/25 der Brüder Frantisek und Josef Koucky. Diese war die erste MPi mit laufumfassendem Verschluss, baute daher extrem kurz und hatte einen im Pistolengriff integrierten Magazinschacht. Zudem gefielen Wilniewczyc die Klappschulterstütze, deren Endplatte in eingeklapptem Zustand als Vordergriff diente, und der zweistufige Progressivabzug. Mit diesem sparte der Techniker die Zeit zum Ersinnen eines echten Feuerwahlhebels.
Außerdem darf – ohne dass es dafür Beweise gäbe – als sicher gelten, dass Piotr Wilniewczyc auch die von Uziel Gal (geboren als Gotthard Glas) ersonnene Uzi inspizierte. Immerhin galt sie als wegweisend: Auch sie hatte einen Magazinschacht im Pistolengriff sowie einen teils den Lauf umgreifenden Verschlussblock.
Für die PM-63 Rak bei den Kouckys und Gal gespickt
Wilniewczyc verschmolz die Essenz seiner Recherchen mit eigenen Ideen und präsentierte Ende der 1950er-Jahre eine erste funktionsfähige Studie der PM Rak. Die ließ aufhorchen. Statt des MPi-typischen üblichen Gehäuses, in dem der Verschluss vor- und zurückläuft, gleitet er bei der PM-63 RAK in Führungsschienen des Griffstücks – wie bei einer konventionellen Selbstladepistole. Allerdings feuert Wilniewczycs stählerner Krebs aus dem offenen Verschluss (zuschießendes Prinzip) und der von fünf Rippen gehaltene Lauf steht starr im Rahmen.
Bis zum 23. Dezember 1960 tüftelte Wilniewczyc an seiner letzten Waffe – dann raffte ihn der Krebs dahin. Der Rest seines Teams, Marian Wakalski, Grzegorz Czubak und Tadeusz Bednarski, vollendeten sein Werk und präsentierten 1962 eine seriennahe Version der RAK. Diese baute sehr kompakt, überzeugte mit unkonventioneller, aber robuster Technik, unverwechselbarem Aussehen und sechs verblüffenden Detaillösungen:
PM-63 Rak – Detail 1: Mit Fingerspitzengefühl
Die PM-63 verfügt wie die tschechische Samopal vzor 23/25 über einen zweistufigen Progressivabzug. Wird dieser nur moderat gedrückt, schießt sie Einzelfeuer. Wird er kraftvoll bis zum Anschlag durchgezogen, gibt es Dauerfeuer. Interessant: Die polnische Kopie der tschechischen Idee ist technisch eigenständig – und funktioniert tadellos, sogar mit Handschuhen.
PM-63 Rak – Detail 2: Mit Absicht eingebremst
Ebenso simpel wie wirkungsvoll ist der Feuerratenbegrenzer, konstruiert aus einem federgedämpften Gewicht im Verschluss und einer federgespannten Klinke im Griffstück. Die Funktion: Gleitet der Verschluss nach dem Abfeuern einer Patrone rückwärts, folgt ihm das Gewicht. Während der Schlitten in seiner hintersten Stellung ansteht, gleitet das Gewicht gegen den Druck seiner Feder noch weiter zurück.
Dabei gibt es einen Schlitz in der Verschlussunterseite frei. Durch den kann die federgespannte Klinke in den Verschluss eingreifen und ihn so lange offenhalten, bis das Gewicht – von seiner Feder wieder nach vorne beschleunigt – mit seiner konischen Spitze die Klinke wieder niederdrückt.
Erst jetzt kann der Verschluss wieder nach vorne gleiten und die nächste Patrone wird gezündet. Dieser einfache Mechanismus reduziert die Kadenz von theoretisch 900 bis 1.000 auf 600 bis 650 Schuss/Minute. Wird der Abzug voll durchgezogen, also Serienfeuer geschossen, bleibt der Unterbrecher inaktiv. Zieht der Schießfinger den Abzug indes nur halb durch (Einzelfeuer), hält der Unterbrecher den Schlitten solange offen, bis der Abzug wieder losgelassen wird (Trigger reset).
Anfangs bestand das Gewicht der Kadenzbremse aus einem Stück Wolfram. Dieses ging hinten in eine Stange über, welche die Feder führte. Aufgrund der hohen Kosten verlangte das Militär aber billigere Stahlgewichte. Doch weil Stahl leichter ist als Wolfram, mussten diese länger sein. Die Folge: Die Stahlgewichte verspannten sich – und brachen. Erst zweiteilige Stahlgewichte lösten das Problem.
PM-63 Rak – Detail 3: Der Löffelschnabel
Auffällig ist der Verschluss, da vorn wie ein Löffel geformt, aber schräg nach oben ausgefräst. Dessen Hohlkehle fungiert einerseits wie ein Kompensator, drückt unter Einwirkung der aus dem Lauf austretenden Gase die Waffenfront bei Serienfeuer nach unten. Andererseits dient der Löffel als Durchladehilfe: Drückt man die PM-63 mit der Front gegen eine harte Oberfläche (Boden, Wand, Fahrzeug), kann man sie leicht, fix und vor allem einhändig (!) spannen.
PM-63 Rak – Detail 4: Mehr als ein Magazin
Während der Auszieher ganz konventionell rechts im Schlitten sitzt, sucht man den Auswerfer zunächst vergebens. Kein Wunder, dient doch bloß ein kleiner Vorsprung am hinteren Ende der linken Magazinlippe als Hülsenauswerfer. Das funktioniert tadellos – solange die Magazine sorgsam behandelt werden.
PM-63 Rak – Detail 5: Klappen, schieben, klappern
Sehr modern für ein rund 55 Jahre altes Design mutet der klappbare Vordergriff an. Er wurde wie der Löffelschnabel aus der Not geboren: Den Radom-Ingenieuren erschien die Urvariante der PM-63 als zu gefährlich. Der Grund: Diese trug, ähnlich wie die AKS, einen beidseitig geführten, unter die Waffe klappbaren Metallschaft mit U-förmiger Schulterstütze. Damit konnte die Waffe wie eine MPI aus dem Schulteranschlag, mit eingeklapptem Schaft einhändig wie eine Pistole, aber auch beidhändig aus dem freien Anschlag geschossen werden. Dabei wurde die Schulterstütze aufgestellt und als Vordergriff genutzt.
Doch wäre da bei der PM-63 die Schützenhand unter und sogar leicht VOR der Mündung zu liegen gekommen! Die Radom-Ingenieure ersannen daher die löffelförmige Verschlussverlängerung, die gleich zwei Probleme löste: Sie schützte die Hand und reduzierte den Hochschlag. Freilich zwang der Schnabel den Schützen, die Waffe zu spannen, ehe sich der Klappschaft aufschwingen ließ. Dabei hätte die Hand wieder vor dem Lauf durchgeführt werden müssen. Deshalb erdachten die Radom-Ingenieure den beidseitig geführten Schubschaft mit (weitgehend nutzloser) Schulterstütze und ersetzten den anfangs hölzernen Vorderschaft durch eine Kunststoffversion mit Klapphaltegriff.
Beide Verbesserungen ergaben Sinn – und finden sich heute in ihrer grundsätzlichen Idee, wenngleich langlebiger und stabiler, an der HK MP7 wieder. An der PM-63 Rak sind Schulterstütze und Vordergriff nur bedingt nutzbar: zu filigran, zu klapprig und mit zu viel Spiel versehen.
PM-63 Rak – Detail 6: MPi fürs Hüftholster
Bei Maßen und Gewicht muss die PM-63 Rak den Vergleich zur MP7 nicht scheuen. Mit 33 Zentimetern Länge und 1,6 Kilogramm Gewicht (ohne Magazin) ist sie kaum länger und schwerer als eine klassische Vollstahl-Vollformatpistole und passt in ein Oberschenkelholster. Allerdings nur mit 15- statt 25-Schuss-Magazin.
Die PM-63 Rak Serienfeuerwaffe wird in den Dienst übernommen
Nach umfassenden Tests akzeptierte die polnische Armee 1963 die Waffe als "9 mm pistolet maszynowy wzór 1963 (PM-63)". 1964 entstanden in Radom die Produktionsstätten, doch erst 1967 lief die Produktion richtig an. Die Soldaten beäugten den stählernen Krebs kritisch – und deckten Schwachpunkte auf. So zerstörte der nach hinten sausende Schlitten manches Gasmaskenglas und demolierte nicht wenigen im Umgang mit der Waffe unerfahrenen Schützen das Gebiss – daher der Spitzname "Polens Zahnarzt".
Auch wurde der große Magazinauslösehebel hinten unten am Magazinschacht oft unbeabsichtigt betätigt, woraufhin das Magazin aus der Waffe fiel. Ab 1969 gab es daher einen kleineren Magazinauslösehebel, wenig später gar nur noch ein Blechhebelchen, das mit Handschuhen de facto nicht mehr bedienbar ist.
Auch der oft klemmende Arretiermechanismus für den Schubschaft musste optimiert und ein Wegbegrenzer für die Klinke der Kadenzbremse eingebaut werden. Denn montierten Soldaten beim Zusammenbau der zerlegten Waffe den Schlitten aufs Griffstück, ohne erst die Klinke sauber positioniert zu haben, wurde diese beschädigt.
Des Weiteren kamen Änderungen bei der Verschlussfeder. Anfänglich lief sie auf zwei teleskopartig ineinanderlaufenden Federführungsstangen in einem tiefgebohrten Kanal. Als Ersatz gab‘s eine einfachere Feder, nur von einer Stange geführt und in einem zum Lauf hin offenen Kanal platziert. Das sparte zwar Geld in der Produktion, machte aber das Zerlegen und Montieren komplexer und langwieriger. Ebenfalls nur den Kosten diente der Ersatz des bei den ersten Modellen außen und innen hartverchromten Laufs gegen ein Rohr aus gebläutem Stahl. Bei dem waren nur Zuführrampe, Patronenlager und Laufinnenseite verchromt.
Zwischen 1967 und 1977 entstanden in den Radom-Waffenwerken rund 70.000 PM-63 Rak. Zudem schuf man eine 9-Para-Version, dies auf Wunsch der Firma Cenzin Foreign Trade Office, welche die PM-63 ab den frühen 1970er Jahren exportierte. Bei der Variante fiel der Schlitten mit 550 Gramm deutlich schwerer aus, auch wich das Griffdesign von der PM-63 ab. Es gab davon aber nur rund 20 Stück.
Für weitere Varianten sorgten Spezialläufe. Einer erlaubte es, mit Platzpatronen Dauerfeuer zu schießen. Der andere – für Spezialeinheiten – war länger und trug ein Gewinde zur Montage eines Schalldämpfers. Der trug Korn und Kimme, denn er verdeckte die normale Visierung.
PM-63 Rak: beliebt bei "Gut und Böse"
Außer dem polnischen Militär nutzte keine andere Armee die PM-63 RAK. Wohl aber taten dies die SWAT-Teams der polnischen Polizei, die polnische Bahnpolizei und darüber hinaus private Sicherheitsdienste. Auch erfreute sich die "Klein-Maschinenpistole PM-63" bei der Volkspolizei der DDR (VoPo) großer Beliebtheit. Sie stand bei dem paramilitärischen Wachregiment Feliks Dzierzynski ebenso in Dienst wie bei der Volkspolizei-Bereitschaft (VBP) und einigen Anti-Terror-Einheiten.Nach dem Fall der Berliner Mauer vertraute die Polizei des Freistaates Sachsen eine Zeitlang noch auf derartige PM-63 aus VoPo-Altbeständen.
Ebenfalls beliebt war die PM-63 Rak bei Gesetzlosen und Terroristen. Mitglieder der RAF nutzten vermutlich über Kanäle aus der DDR/Palästina illegal beschaffte PM-63. Belegbare Anwender waren 1977 die Entführer von Hanns Martin Schleyer, die Palästinenser im Kampf um Beirut, iranische Anti-Khomeini-Dissidenten beim Überfall auf die iranische Botschaft am Princess Gate (London, 1980), General Noriegas irreguläre Truppen in Panama sowie einer der Terroristen, die am 4. Juli 1976 in Entebbe den Flug 139 kidnappten. Auch der PLO-Führer Yasser Arafat ließ sich in den 1990er Jahren mit einer geholsterten PM-63 ablichten. Leider wurde nirgendwo dokumentiert, ob Polens Zahnarzt auch dem einen oder anderen Bösewicht wenigstens ein zahnloses Lächeln verpasst hat ...
Zum Schluss etwas, das wohl eher auf die Schweiz als auf Deutschland zutrifft: Sammler mit entsprechender Bewilligung für den Erwerb von Serienfeuerwaffen können bei der Glarner Waffen Manufaktur und Handels AG ungeschossene oder nur leicht gebrauchte PM-63 Rak aus polnischen Armeelagerbeständen erwerben.
Text: Dr. Jörg Rothweiler und Matthias S. Recktenwald
Dieser Test erschien zuerst in der VISIER, Ausgabe 08/2020. Dieses Heft ist noch über den VS Medien-Shop zu beziehen. Es ist sowohl als Print- wie auch als Digitalausgabe verfügbar.
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