Zuerst sei das Technische behandelt: Die Pistolen haben das Kaliber 12,3 mm, ihre Lauflänge beträgt jeweils 242 mm bei 400 mm Gesamtlänge. Nummeriert sind sie mit 1 und 2. Die Nummer 1 wiegt 1.011 g, die Nummer 2 fällt mit 1.018 g schwerer aus. Die Waffen verfügen über voll verstellbare Visierungen: Bei beiden lässt sich das Korn seitlich versetzen und die Kimme über einen vor dem Abzugsbügel sitzenden Drücker in der Höhen verstellen. Beim Korn handelt es sich um ein Neusilberelement, in der seitlichen Ansicht halbkreisartig, aus Sicht des zielenden Auges balkenförmig. Die Kimme verfügt über einen breiten wannenförmigen Ausschnitt. An deren tiefster Stelle gibt es eine rechteckige Vertiefung, die mit dem Korn korrespondiert. Aus den technischen Details ergibt sich auch der Zweck: Diese Pistolen stehen von ihrem Laufprofil und ihrer Visierung her am Übergang zwischen Duell- und Scheibenpistole.
Die Griffe des Duos bestehen aus Nussbaumholz, gefirnisst und mit halbreliefartigen Schnitzereien versehen. Vorn zu sehen sind Ranken, Blüten und ein wappenartiges Feld. Die eigentliche Handhabe hat weitere Ranken mit einem kreuzschraffierten Feld in der Mitte. Die Schlossgegenseite trägt die im Englischen als "C-Scroll" bekannten Schnörkel- und Rankenelemente. Die Achtkantläufe sind auf Hochglanz poliert und prunken mit einer Bläuung in dem Farbton, den die Fachwelt unter der Bezeichnung "Mitternachtsblau" kennt. Die Patentschwanzschraube ist wie das restliche Metall im Farbton "French Grey" gehalten, also blank belassen und leicht mattiert; sie tragen feine Rankenornamentgravuren. Die Läufe haben im Lauf der Jahre gelitten und tragen Feuchtigkeitsspuren, an den Stellen sieht die Bläuung aus wie weggewischt, so dass das blanke Metall darunter zu erkennen ist. Die Schnitzereien an den Griffen der Waffen zeigen sich ähnlich wie die zwecks besseren Halts mit feinen Kreuzschraffuren versehenen Hahnsporne scharf und nicht abgegriffen. Auch die Partie an Abzugsbügel und -blech, an denen der Zeigefinger beim Zielen und Feuern anliegt, ist nicht anders im Farbton als der Rest des Metalls. Beides deutet darauf hin, dass die einstigen Eigentümer mit den Waffen wenig oder gar nicht geschossen haben.
Soweit die schnöde Beschreibung, doch wird die diesem Duo nicht gerecht. Denn das ist deshalb außergewöhnlich, weil es hier eine Kombination von überbordendem Detailreichtum, handwerklicher Ausführung und sorgfältig ausgewähltem Material gibt: Seit 1854 – das ist die auf den Waffen zu findende Angabe – hat das Holz der Manceaux-Pistolen kaum gearbeitet, die Passungen von Metall zu Holz erscheinen immer noch brillant. Wie außen am Kastendeckel finden sich an den Waffen keine spürbaren Ritzen oder Fugen, es sind etwa vom Schloss zum Holz keine ertastbaren Übergänge festzustellen. Und Details allerorten: Die Schlossplatte hat rundum reichlich kleine, sichelartig geschwungene Zacken und am hinteren Ende einen terrassenartigen Absatz – derlei will aber sauber ins Holz eingepasst sein. Kann man machen, indem man großzügiger arbeitet und die Leerräume mit Kitt oder Harz auffüllt. Man kann aber auch wie der namenlose Schäfter diesen Bereich mit der Präzision eines Herzchirurgen ausstechen, so dass das Metall perfekt passgenau im Holz ruht und nirgends fühlbare Kanten hochstehen. Nimmt man mal das Schloss heraus (Schweißtropfen und erhöhter Puls inklusive), sieht man, dass die Ecken an der Schlossplatte schräg hinterschnitten sind. Damit so etwas aber sauber passt, muss das Holz ja exakt korrespondierend ausgestochen werden: "Das ist so akkurat gemacht wie sonst nur bei chirurgischem Werkzeug", so Büchsenmachermeister Jarzombek, der aktuelle Besitzer der beiden Perkussionspistolen. Auch innen zeigte sich das Holz ganz und präzise ausgestochen und fein geschichtet – sogar papierdünne Zwischenstege wurden ausgearbeitet. Und dann wies Claus Jarzombek noch auf etwas hin: "Gucken Sie mal genau hin – man sieht innendrin selbst den Abdruck der Schlitzschrauben unten im Holz."
Das Zubehör der Perkussionspistolen Manceaux à Paris:
Außer den Pistolen gehören zum Zubehör: Ladehammer, Ladestock, Krätzer, 2 Döschen, alles aus Ebenholz angefertigt. Dazu eine Patentladezange, ein Pulverschöpfmaß, ein Kombielement aus Holzgriff und umsteckbarem Schlitzschraubendreher und Pistonschlüssel. Und bei alldem regiert wieder die Versessenheit aufs Detail: Die 2 runden Pflaster- oder Zündhütchen-Schachteln haben je einen Deckel mit Bajonett-Verschluss; jeder davon schließt 2020 noch so dicht und sauber wie anno 1854. Dann die zu dem Set gehörende Patentzange zum Geschossgießen – jeder Vorderladerfan hat schon mit Kokillen hantiert, deren Gelenkverbindung zwischen den Bedienarmen mehr oder minder schlackerig läuft. Nicht so hier: Nicht nur, dass eine zusätzliche Gelenkverbindung die Bewegung der Zangenelemente stabilisierte, sondern auch, dass die Zangenteile leise und seidenweich liefen. War die Kokille geschlossen, sah das Auge zwar eine Ritze zwischen den 2 Teilen, welche die eigentliche Form bildeten. Aber auch hier konnte der Tastsinn absolut keinen Übergang fühlen: Feinmechanik vom Allerfeinsten. Jarzombek: "Diese Hebelübersetzung an der Gussform ist eine Spezialität, ich kenne sie so nur vom Hersteller dieser beiden Waffen."
Der Hersteller – Joseph-François Manceaux:
Auf der Schlossplatte steht in einem Bogen eine Aufschrift, die auf die Büchsenmacher hinter diesen Waffen hindeutet: "J. MANCEAUX A PARIS". Und das war nicht irgendwer. Wer im "Neuen Støckel", dem "Internationalen Lexikon der Büchsenmacher, Feuerwaffenfabrikanten und Armbrustmacher von 1400 bis 1900", nachschlägt, findet darin den Namen Jules Manceaux, nachgewiesen 1838 bis 1872. Tatsächlich gab es aber mindestens 2 Generationen der Manceaux‘ – das belegen die Recherchen des renommierten niederländischen Antikwaffenhändlers und -fachmanns Peter Dekker vom Haus Mandarin Mansion. Dekker nennt Joseph-François Manceaux und als Sohn François Jules Manceaux und schreibt, die Familie stamme ursprünglich aus Versailles, habe aber 1806 ihr Geschäft in Paris eröffnet. Der Senior hat demnach eine Vertretung der im elsässischen Klingenthal ansässigen und anno 1730 als "Manufacture Royale d‘armes blanches" gegründeten Manufaktur inne. Dekker: "Sowohl Vater wie auch Sohn beantragten erfolgreich verschiedene Patente zum Design von Waffen und Rüstungen, von Scheiden bis zu Hinterladerwaffen und Helmen. François Jules Manceaux allein hatte um die 20 Patente inne." Laut Støckel gehören dazu eine Laufziehmaschine (1854) und das Perkussionssystem für Hinterlader des Typs Manceaux-Vieillard (2 Patente 1856 und 1858). Zudem leitete der Junior außer dem eigenen Unternehmen noch 1838-45 die staatliche Manufaktur in Tulle und war wohl in Corrèze tätig.
Namentlich François Jules Manceaux fertigte, so Dekker, diverse Präsentationswaffen, eine aufwändiger und prächtiger als die andere. Dazu gehören diverse Säbel, Messer und Dolche im osmanischen Stil, jedoch in einer deutlich aufwändigeren Arbeitsweise. Zudem fertigte er diverse Präsentations-Schusswaffen: 1843, so Dekker, lieferte er das Pistolenpaar, das der französische König Ludwig Philipp I. (der "Bürgerkönig", 1773-1850) dem aus Schottland stammenden Marinehelden Thomas Cochrane, 10. Earl of Dundonald (1775-1860), überreichte. Wie Jarzombek anmerkt, war da zwar der Zierrat kostspieliger, aber es gab noch nicht die "heidenmäßig aufwändigen" Passarbeiten wie bei dem hier gezeigten Pistolenpaar, etwa um deren Schlossplatten mit den erwähnten vielen spitzen Zacken und dem zum Griff hin abgewinkelten Ende. 1852, so Dekker, folgte vom damaligen Prinzen Napoléon ein Set Präsentationspistolen für Si Mohammed bel Heidie, ebenfalls von Manceaux unter Verwendung von Schlossen aus der Werkstatt von Jean Frédéric Monier hergestellt.
Was war der Zweck der beiden Perkussionspistolen von Maceaux?
Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei dem Set um ein Präsent aus höchsten Kreisen: Der Lauf jeder Waffe trägt auf der oberen Fläche in Gold eingelegt die Kaiserkrone und den Buchstaben "N" für Napoleon, gefolgt von den in kursiv stehenden Versalien ausgeführten Worten "Donné par l‘empereur". Auf Deutsch: "Gestiftet vom Kaiser". Auch Zweck und Datum sind vermerkt: "Ecole Normal de Tir 1854 / 2e Prix d‘ensemble", damit bildete das den 2. Preis beim Wettkampf einer Schießschule. Und der Name des Gewinners wurde ebenfalls eingraviert: "Mr. Fages (J. H.) / Lieutent au 44e de Ligne". Also Leutnant Fages, der zum 44. Linieninfanterieregiment gehörte. Eine Einheit mit langer Tradition: Gegründet 1642 von dem damals in Frankreich tonangebenden Kardinal Jules Mazarin (den der Schriftsteller Alexandre Dumas auch im 2. Teil seiner Reihe um D‘Artagnan und die 3 Musketiere beschrieben hat). Unter verschiedenen Bezeichnungen wurde die Einheit von wechselnden Regimentsinhabern (bis 1793) und danach Befehlshabern kommandiert. Sie sah Gefechtseinsätze seit dem Französisch-Spanischen Krieg (1635-59) über die Erbfolgekriege des 18. Jahrhunderts, die Napoleonische Ära und Mitte des 19. Jahrhunderts bei Kolonialeinsätzen in Algerien. Die 44er kämpften im 70/71er Krieg, 1914 verzeichneten sie mit Korporal Jules-André Peugeot gar den ersten französischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Im Zweiten Weltkrieg waren sie bei Dünkirchen eingesetzt, nach dem Krieg wieder in Algerien. Die Einheit besteht heute noch, trägt die Bezeichnung "44e régiment d’infanterie (44e RI)". Wie gesagt, ein traditionsreicher, vielfach ausgezeichneter Verband, der heute bei der Stabsunterstützung eingesetzt und mit Auslandsaufklärung befasst ist.
Soweit die schnöde Beschreibung, die weder der Geschichtsträchtigkeit noch der Qualität der Waffen gerecht wird. Um mit dem darin steckenden Aufwand anzufangen: "Zirka 800 Arbeitsstunden", so schätzt Claus Jarzombek, der das als Büchsenmachermeister bestens beurteilen kann. Nimmt man nun einmal an, dass damals pro Arbeitsstunde ein Betrag angefallen ist, der heute einem Gegenwert 100,- Euro entspricht, kann man sich ausrechnen, was das Pärchen derzeit kosten würde. Und auch, dass das seinerzeit Luxus der Oberklasse war. Freilich sei auch angemerkt, dass es bei Waffen wie diesen Nobelstücken nicht unbedingt darum ging, sie hinterher auf Heller und Pfennig bezahlt zu bekommen. Viel eher war der damit verbundene Auftrag eine Sache des Prestiges. Das Ergebnis diente als Ausweis der eigenen Fähigkeiten. Das Ganze fiel also im weitesten Sinne unter Werbung.
Alldem zum Trotz bleibt das schiere Staunen über den Detailreichtum dieser Pistolen, über den Sinn für Ästhetik und Linienführung und über die lehrbuchmäßige Genauigkeit, mit der das alles ausgeführt ist. Passend dazu sei zum Schluss noch die Frage eines Kollegen aufgegriffen: "Wenn das bei diesem Wettkampf bloß der Preis für den Zweitplatzierten war, was hat dann eigentlich der Sieger bekommen?"
Kasten und Pistolen stammten von: Waffen-Design Claus Jarzombek, vielen Dank!