Stück für Stück stehen sie aneinandergereiht. Silbrig schimmernd. Roh, leer, unfertig. Es sind scheinbar Teile zur Fertigung des Griffstücks für ein Sturmgewehr 44. Noch fehlt ihnen die Oberflächenbehandlung, noch haben sie kein Innenleben. Es ist ein Bild, wie man es zu kennen glaubt. Aus der einschlägigen Fachliteratur, wo auf schwarzweißen Fotos Fertigungslinien aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen sind. Aber hier ist der Eindruck in Farbe und ganz real. Eine Kunststoffbox ist das sichtbare Zeichen der Moderne. Wie passt das zusammen? Des Rätsels Lösung ist einfach. Was wie eine Fertigungsstraße für das revolutionäre Gewehr aus der Endphase des Krieges wirkt, ist in Wahrheit eine Fertigungsstation für den zivilen halbautomatischen Nachbau des Sturmgewehrs mit der einfachen, aber einprägsamen Modellbezeichnung BD 44.
Replikate, Kopien oder Nachbauten von historischen Waffen?
Die Modellkennzeichnung ist schnell erklärt: BD steht für Bernd Dittrich, den Schöpfer dieser Art von Waffen. Die Zahl 44 stammt von der einstigen vollautomatischen Militärwaffe, die das Vorbild für das BD 44 ist – dem deutschen Sturmgewehr 44. In der Kombination gibt das eine ungewöhnliche Kreation, für die es gar nicht so leichtfällt, eine geeignete Bezeichnung zu finden. Replikat, Kopie oder Nachbau? Irgendwie treffen diese Bezeichnung Bernd Dittrichs Werk nur ungenau. Das BD 44 ist ein halbautomatisches Gewehr. Gefertigt in Blechprägetechnik wie das Vorbild. Mit dem gleichen technischen Aufbau, dem gleichen Verschlusssystem, sogar dem gleichen Material. Aber eben nicht als Militärwaffe, nicht als Vollautomat, nicht in Großserie.
14 Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin beschäftigt Dittrich aktuell am Standort Kulmbach. Neben Waffen und Waffenteilen entstehen in dem kleinen Betrieb auch Teile für Maschinen. Aktuell machen die Fertigungsaufträge aus dem Bereich des Maschinenbaus sogar das Gros der Fertigung aus. Nur rund 20 Prozent der Kapazität werden durch die Herstellung von Waffen beansprucht. Das war nicht immer so. „In den Anfangsjahren“ so resümiert Bernd Dittrich, „waren es annähernd 100 Prozent!“ Das kam seinerzeit nicht von ungefähr. Denn gerade der Wunsch, Waffen zu fertigen war Dittrichs Antrieb zum eigenen Unternehmen. Dass heute auch Aufträge aus dem klassischen Maschinenbau bedient werden, ist eher der aktuellen Lage auf dem Waffenmarkt geschuldet.
Wie kam Bernd Dittrich zum Bau von Waffen?
„Schon als kleiner Bub hab´ ich mich für Waffen interessiert“ bekennt sich der Firmeninhaber zu seinen Motiven, Büchsenmacher hätte er schon damals werden wollen. Aber die Suche nach einer Lehrstelle blieb erfolglos und so absolvierte Dittrich zunächst eine Lehre zum Schreiner. Als er arbeitslos wurde, sah er die Chance seines Lebens: das Hobby zum Beruf machen. Er wollte seltene Waffen nachbauen, so nah am Original wie eben möglich. So nah, wie es der Gesetzgeber eben zulassen würde. Das bayerische Werder-Gewehr und die deutsche Maschinenpistole 38 hatten es ihm besonders angetan. Beide Waffen hatte er eingehend studiert, für beide Waffen hatte er sich Pläne für eine Neufertigung gemacht – die MP 38 freilich nicht wirklich als Maschinenpistole, sondern als Halbautomat. Als im Jahr 2003 der sogenannte Anscheinswaffenparagraph aus dem Waffengesetz gestrichen wurde, war die Entscheidung schnell gefallen. Der Nachbau der MP 38 sollte der Start seiner Waffenfertigung werden. Ein Deko-Teilesatz bildete die Vorlage für seine erste eigene Waffe. Nach einiger Suche war auch ein Geldgeber für das Projekt gefunden. Ein Projekt, das es in sich hatte. Bernd Dittrich ist Perfektionist. Von der Idee bis zur Realisierung heißt es für ihn Originale sichten, Pläne und Zeichnungen studieren, Fertigungsabläufe nachvollziehen. Daraus wird dann letztlich sein Projekt. Rechtliche Rahmenbedingungen klären, technische Änderungen planen, sich mit den Behörden abstimmen, um ein legales Produkt schaffen zu können. Ganz nebenbei ist Dittrich so zum Waffenhistoriker geworden.
SSD Weapons – Maschinenpark und Fertigungstiefe
Schwer liegt sie in der Hand, als wir sie aus dem Gewehrständer nehmen. Die linke Hand greift auf Höhe des Magazinschachts zu, hebt die BD 38 an. Dann folgt die rechte Hand, greift um das Griffstück und liegt jetzt tatsächlich auf Bakelit. Dieser Kunststoff – in den 1920er- und 1930er-Jahren weit verbreitet, ist heute vom Markt verschwunden. Einen modernen Kunststoff für die Griffschalen und die Verkleidung des Gehäuseunterteils zu nutzen kam für Dittrich aber nicht in Frage. Seine Waffen sollen auch in Fertigungsart und Materialauswahl dem Original entsprechen. Deshalb entstehen heute bei SSD Weapons nicht nur Metall- sondern auch Kunststoffteile. Der Zeit entsprechend eben aus Bakelit. Die Fertigungstiefe tendiere bei seinen Waffen in Richtung 99 Prozent schätzt Dittrich. Nur Laufrohlinge und Spiralfedern werden zugekauft, Brünier- und Phosphatieraufträge zuweilen nach außen vergeben.
Diese enorme Fertigungstiefe ist dem Betrieb auch anzusehen. In den bereits erwähnten blauen Kunststoffboxen finden sich Waffenteile in diversen Bearbeitungsstufen – vom Rohling bis zum montagefertigen Bauteil. Eine ähnliche Bandbreite zeigt der Maschinenpark. So finden sich in den unauffälligen Räumlichkeiten eine moderne 5-Achs-CNC-Fräsmaschine genauso wie eine aus einem alten Pressbetrieb gerettete Bakelit-Presse oder eine Blechpräge-Presse. Gerade die Blechprägetechnik hat es Bernd Dittrich besonders angetan – und kam auch schon bei einem weiteren Projekt zur Anwendung – dem eingangs bereits erwähnten BD 44, dem halbautomatischen Nachbau des Sturmgewehrs 44. Natürlich verfügt das Unternehmen über seinen eigenen Werkzeugbau, der gerade für den Bereich des Prägens unerlässlich ist. Ganz nebenbei: als Dittrich den Werkzeugsatz für sein BD 44 kalkulierte, kam er auf die Summe von 800.000 Euro. Zu den Mitarbeitern zählen neben Werkzeugmachern und Fräsern auch ein KFZ-Mechaniker und natürlich Büchsenmacher. Bernd Dittrich hat sich vom ursprünglichen Lehrberuf Schreiner ausgehend zum Schreinermeister, Feinmechanikermeister und Büchsenmachermeister weiterqualifiziert. In der Meisterausbildung hat er dann auch Konstruktion gelernt und nutzt heute, obwohl er sich für althergebrachte Fertigungsmethoden interessiert, ein modernes CAD-System zur Gestaltung der einzelnen Teile.
SSD Weapons: BD 38, BD 44, BD 42, Sten-MP und MP 38
Zu den bereits realisierten Projekten zählen neben den bereits erwähnten BD 38 und BD 44 auch das BD 42 – Nachbauten des Fallschirmjägergewehrs 42. Warum der Plural? Weil Dittrich gleich mehrere Modelle nachgebaut hat. Neben dem zwar bekannten aber extrem seltenen ersten Modell mit dem ungewöhnlich flach stehenden Pistolengriff auch das in etwas größeren Stückzahlen gefertigte dritte Modell mit eher konventionellem Griff. Auch eines Nachbaus der als „Gerät 3008“ bekannt gewordenen deutschen Nachahmung der britischen Sten-MP hat sich Dittrich bereits angenommen oder einer kaum bekannten Variante der MP 38 mit Gehäuse aus Leichtmetall – leicht erkennbar an der fehlenden Bakelit-Verkleidung.
In der Vergangenheit stehen geblieben ist Dittrich mit seiner Waffenproduktion allerdings nicht. So entstanden, angelehnt an den Nachbau des Fallschirmjägergewehrs, auch moderne Selbstladebüchsen. Es gibt eine Neuinterpretation der einst von Steyr in Österreich gefertigten Pistole GB 80 mit gasgebremsten Masseverschluss, und vor wenigen Jahren präsentierte er zusammen mit einem Entwicklungspartner seine Vorstellung von einem kampfwertgesteigertem Maschinengewehr MG 3. Gerade dieses Gerät mit seinem aufwändig im Blechprägeverfahren hergestelltem Gehäuse hat es ihm besonders angetan. Deshalb kennt er heute fast alle Probleme, die sich in der langjährigen Nutzung dieser Waffe zeigten und kann sogar mit konkreten Verbesserungsvorschlägen aufwarten.
Zum Ende unseres Besuchs schweift der Blick noch einmal über die vielen blauen Boxen mit rohen Waffenteilen. Es ist wie ein Paradoxon: hier finden sich Produktionsmethoden der Großserienfertigung in der Kleinserienfertigung. Aber nur so kann der Wunsch von Bernd Dittrich in Erfüllung gehen – die perfekte Kopie. Spuren vom Prägewerkzeug inklusive.
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