Gerade freie Waffen aus den mittlerweile nicht mehr existenten Erma-Werken haben unter Sammlern auch heute noch einen fast schon legendären Ruf: so etwa die Gaspistole Erma EGP 75 (Nachbau der Walther PPK) oder ihre kleine Schwester, die EGP 55 (kleinere Version der 75, ähnlich der Walther TPH). Auch die Selbstladebüchse EGG1, als eine der wenigen Schreckschussbüchsen mit Zulassung durch die PTB, hat einen hohen Bekanntheitsgrad. Erma verdankt diesen Status vor allem ihrem Ruf, dass die freien Waffen nah an den schussbereiten beziehungsweise EWB-Waffen gefertigt worden sind. Zudem wurden zum Teil Stahlkomponenten aus der Serienfertigung für die Schreckschussvarianten verwendet. Das führte zu einem höheren Qualitätsstandard, als dies bei anderen Schreckschusswaffen üblich war und insbesondere heute noch der Fall ist.
Weniger im Rampenlicht stehen die scharfen Waffen von Erma, zu der auch – zumindest inzwischen – die ERP 74 zählt. Denn diese Waffen waren lange Zeit frei zu erwerben, heute sind sie jedoch WBK-pflichtig, wenn auch mit einigen Besonderheiten.
Die Äußerlichkeiten der Erma ERP 74
Wie erwähnt, kommt die ERP 74 im Look der hinlänglich bekannten Walther PPK. Die Abmessungen entsprechen dabei mit 155 mm Gesamtlänge und einer Höhe ohne Magazin von etwa 100 mm im Wesentlichen der PPK. Ebenso wie beim Original verfügt sie dabei über ein komplett brüniertes Finish. Die Griffschalen des Belegexemplars von all4shooters.com bestehen zudem aus Holz, ob dies allerdings Originale aus der Erma-Produktion sind und diese separat erworben wurden, ließ sich nicht klären. Dafür spräche, dass der Waffe noch ein Satz Kunststoffschalen beilag, die definitiv die originalen Stücke von Erma sind, mit welcher die Waffe ausgeliefert wurde.
So funktioniert die Repetierpistole von Erma
Die Visierung auf dem Verschluss der ERP lässt sich nicht verstellen. Das Korn sitzt dabei fix, während die Kimme in einem Schwalbenschwanz befestigt wurde und nicht ohne weiteres justiert werden kann. Die Sicherung arbeitet nach dem bekannten PPK-Prinzip: Liegt der Hebel unten, kann man nicht schießen. Dies sichert eine Walze, die das Auftreffen des Hammers auf den Schlagbolzen zuverlässig verhindert. Schiebt der Schütze den Hebel nach oben, macht er die Pistole damit schussbereit, indem er den Schlagbolzen für den Hammer freigibt. Um den Sicherungshebel herum sind Riffelungen angebracht. Das System arbeitet dabei prinzipiell Single-Action-Only (SAO). Aufgrund der Repetiermechanik fehlt Double-Action. Das bedeutet, durch das Fertigladen spannt der Schütze die Waffe. Ein Schlittenfanghebel fehlt der Pistole, der Verschluss wird stattdessen nach dem jeweils letzten abgegebenen Schuss durch das Magazin in geöffneter Position gehalten. Dieses kann dabei durch einen Hebel direkt neben dem Magazinschuh entnommen werden.
Bei geöffnetem Verschluss der ERP lastet dabei der Druck der Vorholfeder darauf und es kann entsprechend nur schwer entnommen werden. Hierbei sei zu einiger Vorsicht geraten: In dem Konvolut des Belegstücks lagen einige Magazine bei, denen der Magazinschuh fehlte. Es kann also durchaus passieren, dass bei unvorsichtigem Entnehmen des Magazins der Schuh abreißt. Zerlegt wird die Waffe über den Abzugsbügel. Wird der nach unten geschwenkt, lässt sich der Verschluss nach hinten ziehen und nach oben hin lösen, um ihn dann nach vorne über den Lauf abzuziehen.
Den Lauf hat Erma fest verbaut. Das ergibt bei dieser Version im Kaliber 4 mm M20 insbesondere auch deshalb Sinn, weil es verbotene Basteleien an der Waffe deutlich erschwert. Über dem, selbstredend relativ dünnen, Lauf liegt die Vorholfeder. Der Aufbau der ERP 74 präsentiert sich also verhältnismäßig einfach.
Bis an diese Stelle könnte es sich bei der Pistole auch um eine normale PPK im Kaliber 6,35 mm Browning oder 9 mm kurz handeln. Das ändert sich jedoch wenn die Waffe dann tatsächlich praktisch geschossen werden soll.
Alle technischen Daten zur 4mm-Erma auf einen Blick
Modell: | Erma ERP 74 |
Preis: | Nur gebraucht |
Kaliber: | 4 mm M20 |
Kapazität: | 7 + 1 Patronen |
Maße (L x B x H): | 155 x 25 x 115 mm |
Lauflänge: | 83 mm |
Visierlänge: | 106 mm |
Ausschnitt Kimme: | 2,65 mm |
Kornbreite: | 1,85 mm |
Abzugsgewicht: | 1820 g1 |
Gewicht: | 540 g |
Ausstattung: | 1 ohne Repetiervorgang. Bedürfnisfreie Pistole in Ganzmetallbauweise. Repetierfunktion durch das Abzugszüngel. "F" und "PTB im Quadrat". |
Die ERP 74 im Feuer
Dazu müssen als erstes die kleinen 4-mm-Patronen in die beiliegenden Ladehülsen im Kaliber 6,35 mm Browning geladen werden. Die so bestückten Patronen werden dann – wie üblich – in das Magazin gesteckt und die Waffe kann fertig geladen werden. Durch das Entsichern macht der Schütze die Waffe schussbereit. Wurde ein Schuss abgegeben, reicht die Ladung der kleinen 4 mm M20 selbstredend nicht, um den Verschluss der Pistole auch nur im Ansatz zum Repetieren zu bringen. Und hier kommt die größte Besonderheit und das namensgebende Detail der ERP 74 ins Spiel: Zieht der Zeigefinger den Abzug nach dem Schießen weiter durch, wirkt dieser auf einen kleinen Hebel im inneren, rechten Teil der Pistole. Der treibt dann den Verschluss nach hinten, repetiert die Ladehülse samt der leeren 4 mm M20-Hülse aus und spannt den Hahn. Lässt der Schütze den Abzug dann los, gleitet der Schlitten wie gewohnt zurück und lädt eine neue Ladehülse mit frischer Patrone nach. Natürlich müssen die leeren Hülsen mit Hilfe des beiliegenden Ausstoßers aus der Ladehülse verbracht werden. Zwar muss klar sein, dass hiermit keine schnellen Schussfolgen realisiert werden können. Allerdings macht das die Erma ERP 74 zu einer einzigartigen Konstruktion und auch mit Sicherheit – abseits der Revolver – dennoch zu der Waffe mit der schnellsten Schussfolge im 4 mm-Bereich.
Nachteile der ERP − besonders des Kalibers 4mm M20
Bei aller Begeisterung für die Technik hat das Schießen mit der Pistole natürlich auch seine Nachteile, die im Besonderen im Kaliber begründet liegen: Als erstes sind die Patronen im Kaliber 4 mm M20 im Prinzip nicht mehr neu zu bekommen. Als sie noch erhältlich waren, ließ man sich für sie schon einiges zahlen, auf dem Gebrauchtmarkt sind sie nun noch ein gutes Stück teurer. Als zweites geht es hier um eine Waffe, die auch wegen des kurzen Laufes deutlich unter einer Energie von 7,5 Joule liegt. Die ideale Schussentfernung würde der Autor hier bei etwa 5 bis 7 m sehen. Darüber kommt fast nichts mehr im Ziel an. Sofern selbiges überhaupt getroffen wird, denn drittens werden durch den erwähnten kurzen Lauf Rundkugeln verschossen. Das bedeutet, dass diese hier nicht im gleichen Maße wie ein Langgeschoss stabilisiert werden, Züge und Felder hin oder her. Wirklich enge Streukreise sind mit der Waffe also nicht zu erreichen. Der Vergleich lässt sich etwa mit einer Airsoft-Ausführung ziehen. Der letzte Nachteil der Pistole zeigt sich praktisch-monetär: Die Waffe an sich kann relativ günstig im Gebrauchtmarkt erworben werden. Der Behörde ist das jedoch herzlich egal. Das bedeutet, dass der Preis der Waffe schon relativ nah an den Behördengebühren liegen kann.
Fazit:
Bei allen Nachteilen der Waffe: Es dürfte sich um die vermutlich aufregendste Konstruktion dieser vergangenen Ära des Waffenbaus handeln. Denn Neuentwicklungen in den 4 mm-Kalibern wird es vermutlich nicht mehr geben. Das alleine macht sie schon sammelwürdig. Trotz des Preises macht das Schießen auch eine Menge Spaß. Der Autor wird sein Exemplar in jedem Fall nicht mehr so schnell hergeben!
Exkurs: 4mm M20 und das Waffenrecht
Die vorgestellte Waffe gehört mit ihrem Kaliber 4 mm M20 zu einer Gruppe von Waffen, die durch das Waffengesetz in gewissem Maße privilegiert sind: Für ihren Erwerb ist zwar eine Erlaubnis – ergo eine Waffenbesitzkarte mit entsprechendem Voreintrag – erforderlich, aber es muss kein Bedürfnis nachgewiesen werden. Das regelt Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 WaffG. Hier heißt es: "Erwerb und Besitz ohne Bedürfnisnachweis (§ 4 Abs. 1 Nr. 4); 1.1 Feuerwaffen, deren Geschossen eine Bewegungsenergie von nicht mehr als 7,5 Joule erteilt wird und die das Kennzeichen nach Anlage 1 Abbildung 1 der Ersten Verordnung zum Waffengesetz vom 24. Mai 1976 (BGBl. I S. 1285) in der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes geltenden Fassung oder ein durch Rechtsverordnung nach § 25 Nr. 1 bestimmtes Zeichen tragen." Mit dem Kennzeichen ist das durchaus bekannte "F im Fünfeck" gemeint, welches auch etwa auf frei erwerbbaren Druckluftwaffen angebracht sein muss. Zudem verfügen alle Waffen dieses Typs über eine Kennzeichnung der Physikalisch- Technischen-Bundesanstalt, also das "PTB im Quadrat". Dies ist notwendig, da die Waffen nach § 7 Absatz 1 Nr. 1 Beschussgesetz keinem einzelnen Beschuss unterzogen worden sind, sondern über eine Bauartzulassung verfügen. Dieses Kennzeichen darf dabei nicht mit der Kennzeichnung "PTB im Kreis" (§ 8 BeschG) verwechselt werden! So ist das Führen dieser Waffe auf kleinen Waffenschein nicht erlaubt! Eine weitere Besonderheit dieser Waffenklasse ist die Tatsache, dass sie nach § 12 Absatz 4 Nr. 1 im befriedeten Besitztum geschossen werden darf. Voraussetzung hierfür ist eine maximale Bewegungsenergie von 7,5 Joule oder eine Bauartzulassung nach § 7 BeschG. Natürlich dürfen auch hier die Geschosse das Grundstück nicht verlassen können. Neben Waffen im Kaliber 4 mm M20 gibt es auch Pistolen und Revolver in den Kalibern 4 mm Rand lang sowie 6 mm Flobert. Wobei die beiden letzteren in aller Regel über Entlastungsbohrungen verfügen, da das Geschoss ohne diese über die Energiegrenze von 7,5 Joule kommen würde. Nach aktuellem Stand wurden seit Jahren keine neuen Waffen in diesen Kalibern mehr zugelassen. Eine Übersicht, was jemals abgenommen wurde, gibt die Zulassungsliste der PTB.
Dieser Artikel erschien zuerst in der VISIER, Ausgabe 4/2020. Das Heft ist noch im VS Medien-Shop zu erwerben und auch als digitale Version verfügbar.