Konstrukte wie den Anscheins-Paragrafen gab es um 1975 nur in der damaligen BRD. Andere Staaten hatten klare Verbote – oder erlaubten Anscheinswaffen. Ausgerechnet im damals von links-terroristischen Anschlägen gebeutelten Italien wurden kriegswaffenähnliche Selbstladegewehre gefertigt und vertrieben. Das spricht für ein solides, demokratisches Vertrauen gegenüber dem italienischen Bürger. Im Gegensatz zu ... – aber zurück zu dem Anscheinsgewehr.
Auf den ersten Blick lässt die kleine Schusswaffe an eine verunglückte Kopie des AR-15 denken. Dieses Muster war in den 1960er Jahren Pate der Colt-Entwicklung M 16, musste doch die US-Firma Armalite wegen Geldmangels die Patente des AR-15 an Colt verkaufen. Vor rund 50 Jahren war das AR-15 längst nicht so bekannt wie heute und es stand auch nicht allein: Armalite hatte schon in den 1960er Jahren eine günstige Alternative zum AR-15 entwickelt, das AR-18. Dieses wurde in Prägetechnik gefertigt, nutzte ein konventionelles Piston statt des schmutzigen, direkten Gasantriebs und hatte weder die charakteristische Schließhilfe noch den Hülsenabweiser des AR-15 respektive Colt M 16. Dazu konnte am AR-18 – im Unterschied zum Colt M 16 – der Schaft abgeklappt werden. Einen Klapp- statt Festschaft gab es auch für dieses italienische Möchtegern-Gewehr.
Gemeinsamkeiten zwischen Armi Jager AP 75 und AR-18?
Rasch werden, im Vergleich zum AR-18, weitere Ähnlichkeiten an dieser Anscheinswaffe sichtbar. So die auffälligen, hohen Korn- und Visierschutzbacken, aber auch der dem AR-15 entliehene zentral sitzende Durchladehebel. Die recht großzügigen Spaltmaße lassen sofort das vorbildgetreue, zweiteilige Systemgehäuse erkennen, welches auch mit einer Scharnierschraube am vorderen Ende verbunden ist. Selbst die typische Staubschutzklappe fehlt nicht. Unstimmig zu beiden Vorbildern wirkt der hintere Abschluss des oberen Systemgehäuses: Es handelt sich um einen langen, dicken Hohlzylinder mit einer großen Rändelmutter. In dieser Röhre verbergen sich die Schließfeder und ein Teil des Verschlusses. Dieser funktioniert nach dem Feder-Masseprinzip, ist also nicht verriegelt – bei den Kräften einer 7,65 mm Browning reicht eine Spiralfeder als Steuerelement der Verriegelungsdauer auch völlig aus.
Die Sicherung der AP 75-Replika besteht aus einem Druckstift statt eines Schwenkflügels auf einer Welle. Bei näherer Beschäftigung mit dem Magazin wird rasch klar, dass es sich lediglich um einen angegossenen Körper handelt. Auch der scheinbar an gewohnter Stelle befindliche Auslöseknopf ist nur eine wirkungslose, weil angegossene Struktur. Das eigentliche (Pistolen-)Magazin fasst 10 Patronen 7,65 mm Browning und sitzt innerhalb des Quasi-Magazins. Der Auslöser ist der profane Kopf einer Schlitzschraube. Systemgehäuse und Magazinkasten bestehen aus einem Stück, es ist NE-Metall, wahrscheinlich Aluminium-Guss. Die Oberfläche wurde schwarz lackiert statt brüniert. Nach Demontage des Hinterschaftes vermittelt das verwendete Holz den Eindruck Buche, Typ Besenstiel, lieblos gebeizt. Der optische Gesamteindruck der nur 77 Zentimeter langen Waffe könnte, selbst zeitgenössisch betrachtet, auch einem Spielzeuggewehr entsprechen.
Warum entschied sich Armi für das Kaliber 7,65 mm Browning?
Für ein Freizeitgewehr war die 7,65 mm Browning um 1975 eine anspruchsvolle Wahl, kostete sie doch deutlich mehr als die sonst für diese Zwecke üblichen Randfeuer-Patronen Kaliber .22 l.r. Auch im Jahr 2021 wird etwa der vierfache Betrag fällig, falls 50 Patronen Kaliber 7,65 mm Browning statt .22 l.r. gekauft würden. Warum Armi Jager einige seiner Repliken – es gab Modelle der Kalaschnikow AK 47, des FAMAS, der Colt M 16 und sogar des englischen SA 80 – in diesem Zentralfeuerkaliber fertigte, ließ sich leider nicht feststellen. Vielleicht war manchen Käufern eine wirksamere Terminalballistik wichtiger als günstige Trainingsmunition, kommen mit der 7,65 mm Browning doch mehr als 250 Joule zusammen.
Wie viele Armi Jager AP 75 wurden gefertigt?
Trotz der im hohen fünfstelligen Bereich liegenden Seriennummer ist dieses Gewehr eine Rarität – und zu Recht Bestandteil einer Sammlung. Auch kann Armi Jager durchlaufende Seriennummern für alle Produkte verwendet haben, so dass die Stückzahl der AP 75 wesentlich niedriger liegt. Ein großer Anteil der Waffen wird für die USA bestimmt gewesen sein. Leider lagen bis zum Redaktionsschluss keinerlei Angaben des Nachfolgers von Armi Jager, der Firma Nuovo Jager, zur damaligen Produktion und deren Varianten vor.
Technische Daten des Armi Jager AP 75:
Modell: | Armi Jager AP 75 |
Preis: | Verhandlungsbasis |
Kaliber: | 7,65 mm Browning |
Kapazität: | 10 Patronen |
Länge: | 770 mm |
Lauflänge: | 300 mm |
Dralllänge: | 406 mm |
Abzugsgewicht: | ca. 2.400 g |
Gewicht: | 2.150 g |
Links-/Rechtsausführung: | Unbekannt |
Ausstattung: | Feder-Masseverschluss, Buchenschaft, 11 mm Prisma-Schiene, Druckknopf-Sicherung (Abzug), zweifache Diopter-Klappkimme, Korn höhenverstellbar. |
Wie schießt sich der Selbstlader von Armi in 7,65 mm Browning?
Auf dem Schießstand zahlte sich die 11-mm-Prismenschiene der AP 75 aus – und ein seit vielen Jahren in der Redaktion liegendes einfaches Zielfernrohr der Marke Norconia. Da sich auch eine für Luftgewehr-Prismen passende Montage fand, konnte die Schussleistung optisch unterstützt ermittelt werden. Zur allgemeinen Überraschung schlug sich die kleine Pistolenpatrone sehr gut. Mit der GECO-Laborierung (Nr. 3) gelangen der engste Streukreis und die höchste Leistung. Weder in der Patronenzuführung noch beim Hülsenauswurf gab es Probleme. Ohne Zielfernrohr wären einige Abstriche in der Präzision fällig, die Rastung der Diopter-Klappkimme ist relativ grob. Für welche Entfernung die beiden Klappen konfiguriert sind, verhüllt sich mangels Markierungen im geschichtlichen Dunkel. Das Korn ist durch seinen Schraubsockel stufenlos höhenverstellbar, die AK 47 lässt grüßen.
Test-Fazit zur Armi Jager AP 75:
Von der Verarbeitung rangiert die Waffe unter: Na, ja … Optisch passt sie zur Kategorie: Nun, hm … Technisch wird sie durch ein bei Langwaffen selten verwendetes Kaliber und die im Detail eigenwillige Konstruktion interessant. 1978 entführten und töteten die Roten Brigaden Aldo Moro, die Mafia ermordete über Jahre Staatsanwälte, Richter und Politiker. Im historischen Kontext ist dieses Gewehr daher ein Meilenstein: Ein Beweis in das Vertrauen eines Staates in die Masse seiner Bürger – statt Anscheinsparagrafen und Verboten.