Die Derya N-100 erblickte zwar bereits vor fünf Jahren das Licht der Welt, ist aber erst jetzt wieder erhältlich (siehe Vorstellung bei all4shooters.com). Sie gehört aber einer seltenen Spezies der Waffenwelt an, was einen "harten Test" allemal rechtfertigt: Bullpup-Selbstladeflinten gibt es wahrlich nicht viele auf dem Markt, etwa die Hatsan Escort BTS 12 und die Uzkon UNG 12, beide ebenfalls aus der Türkei, sowie die israelische IWI Tavor TS 12.
Die Derya N-100 besteht weitgehend aus Polymerkunststoff und 7075er-Aluminium, was zu einem leichten Gesamtgewicht von rund 3,5 kg führt (bei eingesetztem Kastenmagazin mit Kapazität für 5 Patronen im Leerzustand). Bei dem Gasdrucklader mit unter dem Lauf angeordneten, wechselbaren Gaskolben (Piston) sind besonders beanspruchte Teile, wie Verschluss und der 50-cm-Lauf, selbstverständlich aus Stahl gefertigt. Der innen hartverchromte Lauf ist mit einem Innengewinde versehen und kann mit bündig mit der Mündung abschließenden Chokes ausgerüstet werden. Hierbei sind Cylinder-, Modified- und Fullchoke bereits im Lieferumfang enthalten. Eine feldmäßige Demontage ist einfach auszuführen, weil nur die überdimensionierte, ventilierte Handschutzpartie aus Polymer entfernt werden muss. Aufgrund der Konstruktion mit hinter dem Abzug gelagertem Verschluss und Magazin ist ein Bullpupsystem/Hinterschaftlader im Vergleich zu einer konventionellen Waffe bei identischer Lauflänge und ballistischer Leistung weitaus kompakter. Dieser Vorteil birgt aber einen Nachteil, denn konstruktionsbedingt mit einer langen Abzugsstange ausgerüstet, besitzen Bullpups aufgrund erhöhter Reibungswiderstände und längerer Wege oft bescheidene Abzugsqualitäten.
Vorteile und Nachteile von Bullpup-Systemen wie der Derya N-100
Da macht die Derya N-100 keine Ausnahme, denn das Abzugsgewicht unserer Testwaffe betrug satte 5,2 kg. Doch nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kann man auch mit diesem Abzug arbeiten. Das im Schulterstützenbereich gelagerte Auswurffenster ist mit einem im Schuss automatisch aufklappbaren Staubschutzdeckel (Dust Cover) versehen, wie man es auch vom AR-15 her kennt. Gefüttert wird die führige, halbautomatische Flinte mit durchaus sauber gemachten, soliden Kastenmagazinen aus Stahlblech mit Kapazitäten für zwei, fünf oder zehn Patronen. Alle drei Magazintypen sind ebenfalls im Lieferumfang enthalten. Das Nachladen vollzieht sich im Vergleich zu Halbautomaten mit unter dem Lauf angeordneten Röhrenmagazinen bei einer Bullpup-Flinte wesentlich schneller und einfacher. Selbst wer nicht unter Zeitdruck steht, findet diese Art des Nachladens oftmals komfortabler.
Zwar kann man bei Selbstladeflinten mit Röhrenmagazin die Nachladegeschwindigkeit durch spezielle, manuelle Ladetechniken oder Schnelllader erhöhen. Wer aber den Magazinwechsel vom Gewehr kennt, braucht sich nicht umzugewöhnen und ist konstruktionsbedingt ohnehin fixer. Zudem lassen sich die diversen Munitionssorten, die aus dem Glattläufer in Form von Flintenlaufgeschossen (Slugs), Postenschrot (Buckshot) oder Schrot (Birdshot) verschossen werden können, schneller wechseln, wenn geladene Reservemagazine bereit stehen. Ein Umstand, der Flinten mit Kastenmagazin auch für den Behördenbereich interessant macht. Der im Schuss nicht mitlaufende Ladehebel mit kurzem Bedienweg befindet sich auf der linken Handschutzseite, Magazinauslöser und Verschlussfanghebel sind im Hinterschaft/Magazinschacht-Bereich angeordnet.
Die Gestaltung der Bedienelemente erinnert, ebenso wie der freistehende Pistolengriff und die beidseitige Sicherung, an das AR-15-System, was die Gewöhnung an die Bullpup-Flinte für AR-Nutzer denkbar einfach macht. Auf der Oberseite der Flinte thront eine MIL-STD- 1913-Optikmontageschiene, die ab Werk mit einer durchaus brauchbaren Klappvisierung aus Kunststoff ausgestattet ist. Hervorzuheben ist, dass der Hinterschaft der Derya N-100 mit einer höhenverstellbaren Wangenauflage bestückt ist und eine Längenanpassung (LOP; Length of Pull) mit Distanzstücken erfolgen kann. Vorn gehört eine klappbaren BUIS-Visierung (Back Up Iron Sight) dazu, hier als seitenverstellbare Lochkimme und mit höhenverstellbarem Dachkorn
Test: Auf dem Schießstand mit der Derya N-100 Selbstladeflinte
Wer im Umgang mit Bullpupwaffen wenig Erfahrung hat, wird gerade bei Magazinwechseln eine gewisse Eingewöhnungsphase benötigen, bis Magazinwechsel intuitiv und flüssig erfolgen. Durch die Platzierung des Magazins im Hinterschaft verlagert sich das Gewicht der Flinte, vor allem bei Nutzung des 10er Magazins, stark nach hinten. Diese Hecklastigkeit fühlt sich beim ersten Kontakt mit der Derya N-100 ein wenig befremdlich an. Hat man aber erst einmal ein paar Magazine verschossen, gewöhnt man sich ganz schnell an das neue Handling und die Gewichtsverlagerung fällt im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr ins Gewicht.
Das lange, gebogene Magazin mit Fassungsvermögen für 10 Patronen ragt weit aus der Waffe hervor und bei jedem Schuss/Rückstoß schlägt das Magazin an das Handgelenk, was doch unangenehm auffällt. Jeder, der mit Handschuhen schießt, wird in diesem Augenblick sofort den Vorteil erkennen, dass die Handschuhe dort das Handgelenk schützen. Bei den kürzeren Magazinen mit Kapazitäten für 2 oder 5 Patronen tritt dieses Phänomen nicht auf. Die beidseitig ausgelegten Bedienelemente Sicherung und Magazinauslöser sind nicht nur für Rechts- und Linkshänder, sondern auch für das taktische Arbeiten, beispielsweise beim Schießen hinter Deckungen mit wechselnden Anschlägen (rechte, linke Schulter), ein großer Vorteil. Alle Bedienelemente sind leicht zu erreichen und auch leicht zu bewegen – keine scharfen Kanten, die Sicherung rastet deutlich ein, was die Freude beim Arbeiten mit der Waffe erhöht. Der montierte Pistolengriff ist hinten gewölbt und hat vorne Griffrillen, was der Hand schmeichelt.
In der Praxis haben sich die Vorteile des langen Laufes recht schnell gezeigt. Aus 25 m Entfernung konnten wir kniend ohne Probleme eine enge Gruppe schießen. Für das Schießen mit Flintenlaufgeschossen hatten wir uns, wie in der Bedienungsanleitung angegeben, für den Zylinderchoke entschieden. Das Trefferbild hätte schlechter sein können, vier Treffer berührten sich, einer lag knapp darunter, was auch auf einen Schützenfehler zurückzuführen sein könnte. Hinsichtlich des Rückstoßverhaltens arbeitete die Waffe recht hart, jeder Schuss war deutlich zu spüren, selbst Vorladungen von 24 und 28 g erwarteten vom Nutzer eine feste Hand und eine stabile Schulter. Bei Verwendung von jagdlichen Flintenlaufgeschossen erhöhten sich der Rückstoß und der Druck auf die Schulter nochmals deutlich. Mit jagdlicher Munition konnten wir selbst auf 50 und 100 m sehr akzeptable Treffer erzielen. Frank Thiel von Baltic Shooters nutzte da gerne aus praktischer Sicht Stahlziele, durch die man auf 100 Meter jedes Mal ein kleines Erfolgserlebnis hatte, wenn das Ziel den zu erwartenden Ton abgab. Ging man mit Schrot in die nahe Distanz auf die 15 m-Fallplatte, waren für schnelle Durchgänge eine sehr konsequente Griff- und Körperhaltung erforderlich. Jede Nachlässigkeit im Anschlag quittierte die Flinte sofort mit einem erhöhten Hochschlag, was schnelle und präzise Durchgänge schwer ermöglichte. Durch ein leichtes Kippen der Waffe vor das visierende Auge, rechte Hand/rechte Schulter in Richtung 5 vor 12, konnte die Flinte stabiler in der Schulter fixiert werden. Das Schießen mit der linken Hand/linken Schulter vor dem linken Auge absolvierten wir dann dementsprechend in 5 nach 12-Waffenposition. In Sachen Zuverlässigkeit überzeugte die Derya N-100 im Test.
Mit Munition mit 28 g Vorladung ereignete sich im Test keine Fehlfunktion, nur bei den 24 g Schrotladungen wurde eine leere Hülse nicht korrekt ausgeworfen. Bei rund 250 verfeuerten Patronen halten wir das für ein sehr vernünftiges Ergebnis.
Einen weiteren Abschnitt über einen Zusatz-Schießtest für Behördenzwecke mit "Breaching"-Munition (mit Zink- oder Edelstahlstaub als Vorladung) aus der Derya N-100 finden Sie nur in der gedruckten caliber-Ausgabe 10/2022, die Sie direkt hier kaufen können.
Technische Daten und Preis: Bullpup-Selbstladeflinte Derya N-100
Modell: | Derya N-100 |
Hersteller: | Derya Arms (Vertrieb über RWS GmbH) |
Preis: | 699 Euro |
Kaliber: | 12/76 |
System: | Gasdrucklader |
Magazinkapazität: | 2, 5 oder 10 Patronen |
Lauflänge: | 500 mm, wechselchokefähig |
Visierung: | seitenverstellbare Lochkimme und höhenverstellbares Dachkorn |
Sicherung: | beidseitige Drehhebelsicherung am Griffstück |
Abzugssystem und -gewicht: | SA: Mittelwert 5.190 Gramm |
Abstand Schaftkappe-Abzug (min.-max.): | 395 - 425 mm |
Gesamtgewicht: | 3.365 Gramm ohne Magazin |
Länge: | 790 - 815 mm |
Zubehör: | 3 Kastenmagazine (2, 5 und 10 Patronen), 3 Chokes (Cylinder-, Modified-, Fullchoke), Wechselvorderschaft, 3 Distanzstücke für Schaftkappe, Gaspiston für unterschiedliche Laborierungen, Werkzeug, Reinigungstuch |
Unser Testfazit: Die Bullpup-Selbstladeflinte N-100 von Derya Arms
Alles in allem ist die Bullpup-Selbstladeflinte N-100 von Derya Arms gut verarbeitet, handhabungsfreundlich und funktionssicher. Die Flinte in 12/76 besitzt einen Stahlschrot-Beschuss und wird für einen Preis von 699 Euro in einem erstaunlich umfangreichen Komplettset (ohne Transportkoffer) ausgeliefert. Im Lieferumfang enthalten sind drei Kastenmagazine (2/5/10 Patronen), ein wechselbares Handschutzunterteil mit kurzer MIL-STD-1913-Montageschiene, drei Wechselchokes sowie Werkzeug und Reinigungstuch.
Nun der Wermutstropfen zum Schluss: Leider ist die in technischer Hinsicht ungewöhnliche Derya N-100 in Deutschland wegen der kurzen Bullpup-Konstruktion nicht für das sportliche Schießen zugelassen. Ein Erwerb kann hier nur mit einem Jagdschein oder mit einer WBK für Sachverständige erfolgen.
Viele Infos zum Hersteller Derya Arms und seinen Flintenmodellen finden Sie hier auf der Webseite des Unternehmens.
Den Vertrieb der Derya-Modelle an den Fachhandel hat die RWS GmbH inne (vormals RUAG Ammotec), die auch die Testwaffe lieferte.