Das erste Mal erblickten wir dieses imposante Gewehr von Ruger auf dem "Industry Day at the Range" in der Wüste Nevadas einen Tag vor dem Messestart der SHOT Show im Januar 2019 und nun stand es also in unserem Waffenschrank, um es auf 100 und 300 m ausführlich testen zu können. Neben der Ruger M77 Hawkeye LRT, die es auch in 6,5 PRC und .300 Winchester Magnum gibt, offeriert der prominente US-Hersteller auch eine 1,7 kg leichtere Ruger M77 Hawkeye Long-Range-Hunter-Ausführung.
Bewährter Verschluss beim Ruger M77 Hawkeye LRT
Das Gewehr baut wie alle Modelle der M77-Baureihe auf einem massiven, dickwandigen Systemkasten auf, der im Wachsausschmelzverfahren aus einer Stahllegierung gegossen wird. Im Systemkasten mit MIL-STD-1913-Optikmontageschiene mit 20 MOA Vorneigung auf der Oberseite wohnt ein Zylinderverschluss mit 2 Verriegelungswarzen am Verschlusskopf sowie langem, seitlichem Auszieher nach Mauser-Bauart.
Der komplette Verschluss samt Kammer, Kopf und Stängel besteht aus einem einzigen Stück rostträgen Stahls, so dass sich der Kammerstängel auch bei härtester Beanspruchung nicht lösen kann. Im Systemkasten lagert ein kaltgeschmiedeter, freischwingender Matchlauf aus 4140 Chrommolybdänstahl mit einer Länge von 26"/660 mm und einem 5-Rinnenprofil mit 1-8"-Drall. Auf dem 5/8"x24 UNEF-Mündungsgewinde sitzt die Hybrid-Mündungsbremse mit multiplen, umlaufenden Gasentlastungsbohrungen und Expansionskammer, wie man sie von der populären RPR (Ruger Precision Rifle)-Serie kennt.
Ruger M77 Hawkeye LRT: Lackiertes Holz und schräge Schraube
Der Target-Schaft mit breiter Vorderpartie mit planer Unterseite, voluminösem Pistolengriff und einem Kolben mit in der Höhen- und Längsachse verstellbarer Wangenauflage aus Kunststoff bietet viel Komfort im Schuss. Eine in der Vorderschaftunterseite bündig eingesetzte M-LOK-Leichtmetallschiene ermöglicht die Anbringung von Zusatzausrüstung wie einem Zweibein. Wer Trageriemen einsetzten möchte, hat die Möglichkeit, den QD-Halter rechts oder links an der Waffe zu montieren.
Da sich die Buchse für den Schnellwechsel-Riemenbügel aber sehr weit vorne befindet, könnte sie beim Einsatz einer Benchrest-Auflage störend sein. Aus diesem Grunde haben wir die QD-Riemenbügel-Buchse beim 300-m-Test auch abgenommen, weil wir probeweise wechselnd mit Auflage und Zweibein schossen. Notwendig wäre der Einsatz der Benchrest-Auflage nicht gewesen, weil schon mit Zweibein gute Resultate auf die Scheibe gebracht werden konnten.
Bei der Demontage der Testwaffe in unserer Werkstatt begutachteten wir die Systembettung im Holzschaft, die sauber und toleranzarm ausgeführt war. Die vordere Systemschraube zieht das System schräg nach unten in den Schaft hinein, um im Vergleich zu gerade ausgeführten Systemschrauben so das Spiel zwischen System und Schaft besser reduzieren oder eliminieren zu können.
Ruger M77 Hawkeye LRT: Einfacher, aber guter Abzug
Die an der Systemkastenunterseite angebrachte Abzugseinheit war schon ab Werk ordentlich eingestellt. Somit sparten wir uns Justierarbeiten an dem einfach aufgebauten, verstellbaren Druckpunkt-Matchabzug, der nach der Überwindung eines Abzugsgewichts von 1.060 g bei gleichmäßiger Charakteristik trocken auslöste. Kombiniert wird der Abzug mit einer Dreistellungssicherung am Schlösschen, die Sturm, Ruger & Co. im Jahr 2006 bei der im Vergleich zur M77-Serie im Detail verbesserten M77 Hawkeye-Baureihe einführte.
Neben der Feuerstellung kann in der 2. Stufe der Abzug gesperrt und in der 3. Stufe zusätzlich noch der Schlagbolzen und Kammerstängel blockiert werden. So kann der Verschluss beim Transport im Gelände gegen unbeabsichtigtes Öffnen verriegelt oder das Gewehr im gesicherten Zustand geladen und entladen werden. Das Kastenmagazin aus Kunststoff im AICS (Accuracy International Chassis System)-Stil besitzt eine Kapazität für 10 Patronen.
Passendes Zielfernrohr: Sightron SIII Long Range Tactical 8-32x56
Der Ruger-Importeur Heinz Henke aus Werlte lieferte uns die Ruger M77 Hawkeye LRT in einem ansehnlichen, fix und fertig für den Schießstandeinsatz bereiten Komplettpaket mit Spuhr SR-3000-Montageringen und einem Sightron Zielfernrohr SIII Long Range Tactical 8-32x56. Dieses 750 g schwere und 39 cm lange Glas mit 30 mm Mittelrohrdurchmesser und Parallaxenausgleich auf der linken Seite gegenüber dem Seitenverstellturm hat für relativ kleines Geld erstaunlich viel Leistung zu bieten.
Die griffigen, leicht ablesbaren Justierelemente des Höhen- und Seitenverstellturms sind auch ohne Abdeckkappen absolut wasserdicht und arbeiten mit feinen ¼-MOA (7,5 mm)-Schritten pro Klick. Der zentrale Zielpunkt des MOA-2-Absehens verdeckt bei 32facher Maximalvergrößerung gerade einmal 7 mm auf 100 m. Das ab 36 m parallaxenfreie Glas besticht aber auch durch die optische Leistungsfähigkeit mit gestochen scharfem Bild und der durchdachten "Zero Stop"-Mechanik.
Bei anderen Herstellern ist diese Funktion oftmals nur ein einfacher Anschlag, um zu verhindern, dass man nach dem regulären Einschießen über diesen Punkt hinaus drehen kann. Doch bei dem Sightron-Glas ist diese "Zero Stop"-Funktion exakt einstellbar. Ein unter dem Höhenverstellturm gelagerter Ring muss nach dem Lösen von drei Schrauben lediglich hochgedreht werden, bis er als Anschlag fungiert. Weil sich der Ring exakt positionieren lässt, kann man bestimmen, wie viele Klicks man auch unter die Null gehen kann. Somit ist man bei einem Positions- oder Laborierungswechsel auch in der Lage, noch Korrekturen vorzunehmen.
Eine weitere Besonderheit der Sightron "Zero Stop"-Mechanik ist die Tatsache, dass sich mit dem Anschlag auch die Skala nach oben dreht, so dass die Skala immer wieder bei "Null" anfängt. Das Sightron SIII Long Range Tactical 8-32x56 für schlappe 1.376,- Euro half uns auf jeden Fall dabei, die Leistungen des Testgewehrs beim 300-m-Test in Philippsburg auf die Zielscheibe umzusetzen.
Der Ruger M77 Hawkeye LRT Repetierer auf dem Schießstand
Im ersten Erprobungsteil wurde die Ruger M77 Hawkeye LRT erst einmal auf 100 m eingeschossen und die ersten Streukreise ermittelt. Es standen uns 9 Munitionssorten, davon 4 Handlaborierungen, mit Geschossgewichten von 120 bis 147 Grains im angesagten Kaliber 6,5 Creedmoor zur Verfügung. Hierbei gelangen uns mit 5 von 9 Laborierungen bereits Streukreise unter der 0,5-MOA/15-mm-Marke.
Das beste Einzelergebnis von 8 mm realisierten wir mit der Hornady 120 Grains ELD Match-Fabrikmunition. Dicht auf folgte mit 10 mm unsere Handladung, bestehend aus 42,0 Grains Hodgdon Superformance-Treibladungsmittel und dem 140 Grains Hornady ELD Matchgeschoss. Diese guten Resultate steigerten nur unsere Erwartungshaltung für den anstehenden 300-m-Test.
Auch hier wurden wir nicht enttäuscht. Eine 4er-Gruppe von hervorragenden 16 mm wurde durch einen vermeidbaren Schützenfehler leider auf 61 mm geöffnet. Hierbei kam eine Handlaborierung mit 43,0 Grains Hodgdon Superformance und 136 Grains Lapua Scenar-Geschoss zum Einsatz.
Alle Handlaborierungen wurden mit Hilfe der Hornady Messlehren "OAL Gauge" und "Bullet Comparator" (siehe genaue Erläuterung in caliber 9/2019, Wiederladen für Fortgeschrittene – Teil 28) individuell auf den minimalsten rotationslosen Geschossflugweg in der Testwaffe angepasst, wobei die Patronen sogar noch ins Magazin passten.
Preis und Fazit zur Ruger M77 Hawkeye LRT Rebetierbüchse
Kein Zweifel, für gerade einmal 1.713,- Euro bei Ruger-Importeur Heinz Henke Jagd- und Schießsport erhält man mit der Ruger M77 Hawkeye LRT eine grundsolide Repetierbüchse mit praxistauglicher Ausstattung, die auch in Funktion und Schussleistung zu überzeugen weiß. Die 300-m-Resultate zeigen, dass sie auch für den Long-Range-Einsatz taugt, wo sich das vergleichsweise junge Kaliber 6,5 Creedmoor schon bestens bewährt hat.
Wer leistungsmäßig noch eine Schippe drauflegen möchte, dürfte mit der ebenfalls von Hornady entwickelten 6,5 Precision Rifle Cartridge (PRC) bestens bedient sein, die eine um 60 m/s höhere Anfangsgeschwindigkeit aufweist. Alles in allem ist die Ruger M77 Hawkeye LRT unserer Meinung nach jeden Cent wert.
Weitere Informationen zur Ruger M77 Hawkeye LRT finden Sie direkt auf der US-Webseite des Unternehmens.
In caliber 11+12/2019 finden Sie den kompletten Test mit detaillierten Ergebnissen und weiteren Bildern.
Hier kommen Sie zum E-Paper von caliber 11+12/2019.
