Bisher war der Trend klar: Mehr Schienen und Befestigungsysteme für Zubehör und Optiken, bessere Abzüge, Skelettierung und modernste Technik. Zunehmend besinnen sich Hersteller und Kunden jedoch auf die Anfänge der AR-Plattform zurück. Überblickt man den Markt von Waffen der AR-15-Plattform, findet man in erster Linie moderne Selbstladebüchsen, die wenig mit dem ursprünglichen Design der AR-Plattform zu tun haben. Das beginnt bei variablen Hinterschäften mit allerlei Features, geht über den mittlerweile fast immer fehlenden Tragegriff, die Bedienelemente wie Sicherung und Abzug, welche fast immer vom Werk optimiert wurden, und endet bei Handschutzsystemen für freischwingende Läufe, die nichts mehr mit den ursprünglichen Griffen gemein haben. Dadurch entfällt natürlich im Regelfall auch das auffällige Frontsight der AR-Plattform, welches ebenfalls als Gasentnahme dient. Letztere verschwindet dann ebenso unter dem mit mannigfaltigen Rails sowie M-Lok & Co. bestückten Handguards. Dieser Trend im Sektor der modernen Halbautomaten setzte sich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren immer weiter fort. Nun scheint es zu einer Gegenbewegung zu kommen: Immer mehr Hersteller haben halbautomatische Büchsen der AR-Plattform im Programm, die nicht nur gewisse Epochen der AR-Entwicklung berücksichtigen, sondern zum Teil dem "Ur-AR" entsprechend nachgebaut wurden. Das Anwendungsgebiet dieser Büchsen erklärt sich damit schon: Es handelt sich um Waffen für Liebhaber und Fans der Technik moderner Selbstlader – eben richtige Gefühlswaffen, die einfach Spaß machen, um sie zu besitzen und mit ihnen schießen zu gehen. Sportlich gesehen können sie im Regelfall mit den beschriebenen modernen Modellen ihrer Art nicht mithalten.
Troy: My-Service-Rifle-Serie − Das GAU-5/A/A und M16A2
Bekanntheit hat der US-Hersteller Troy-Industries bei den meisten Schützen eigentlich mit den eingangs beschriebenen Anbauteilen erlangt, welche die modernen AR-15-Büchsen ausmachen: Handschutzsysteme für freischwingende Läufe mit Montageoptionen für eine mannigfaltige Auswahl an Zubehör. Nun geht es mit der "My Service Rifle"-Serie jedoch genau in die andere Richtung: Hier werden AR-15-Büchsen produziert, die an die Dienstwaffen bestimmter Konflikte der US-Amerikanischen Geschichte erinnern sollen. all4shooters.com hat zwei Modelle dieser Serie getestet: Das GAU-5/A/A sowie das Modell M16A2. Ersteres ist eine Replik aus der Vietnam-Ära, genau genommen die Dienstwaffe einer Spezialeinheit der US-Luftwaffe. Bekannt wurde die Büchse durch ihren Einsatz bei der Befreiung von Kriegsgefangen im Son-Tay-Lager – "Operation Ivory Coast". Bei der zweiten Waffe im Troy-Bunde handelt es sich um eine AR-Version vom Anfang der 90er-Jahre, Verwendung fand sie ebenfalls bei Spezialeinheiten und wurde durch ihren Einsatz in Somalia bekannt – Stichwort: "Black Hawk Down". Eine Gemeinsamkeit beider Modelle und dabei gleichzeitig das Unterscheidungsmerkmal zu neueren ARs stellt der feste Tragegriff dar. Das bedeutet, dass eine Optik nicht so einfach auf der Pica-Rail des Uppers montiert werden kann, da diese nicht vorhanden ist. Das Modell M16 A2 kommt mit einer Rail zum Aufschrauben auf den Griff. Diese Montagen lassen – ebenso wie beim Original – jedoch nicht besonders gut fixieren, hält sie doch nur eine einzige Schraube. Das macht nach Einschätzung der Tester jedoch nichts: Nah am Original ist besser. Das GAU-5/A/A kommt zudem mit einer festen Schalldämpfer-Attrappe der damals üblichen Bauform sowie einem klassischen 2-Positionen Schubschaft. Das M16 A2 verfügt dagegen über einen bereits weiter entwickelten Schaft mit insgesamt 5-Positionen. Beide Modelle verfügen jedoch über dieselben inneren Werte: Bei beiden handelt es sich selbstredend über Direct-Impingement-Systeme. Besonders ist zudem das Zubehör, welches Troy beilegt: Beim GAU befinden sich neben dem klassischen Webgurt auch Nachdrucke der originalen Anleitung sowie der bekannten comicartigen Wartungsanweisung im Lieferumfang der Waffe. Zwar handelt es sich um keine Originale, doch fanden wir diese Beigabe bei einer Waffe dieser Art besonders charmant.
Die Retro-Modelle von Brownells: BRN-601 und BRN-16A1
Mit dem BRN-601 bietet Brownells eine Replika der frühsten AR-15-Versionen an. Das Modell stammt zeitlich aus den frühen 1960er Jahren und war bereits bei der US-Armee eingeführt. Es verfügt noch über einen festen Hinterschaft sowie den trapezförmigen Vorderschaft. Ähnlich der Typen von Troy ist der Tragegriff fest mit dem Upper-Receiver verbunden, besitzt aber ebenfalls eine Durchbohrung zum Anbringen einer Optikschiene. Das BRN-M16A1 ist im Prinzip "das M16" beziehungsweise die zivile Version davon. Es handelt sich dabei um das Modell, welches im Jahre 1967 bei der US-Armee eingeführt wurde und dort bis in die 1980er Jahre gedient hat. Es geht daher um die AR-Version, die in den regulären Streitkräften während des Vietnamkriegs ausgegeben und genutzt wurde. Diese Ausführung erinnert vom Design schon stark an das, was die Fachwelt heute mit einem AR-15 in Verbindung bringen, da Brownells es komplett in schwarz gehalten hat. Dennoch verfügt auch diese Version noch über einen Festschaft, den trapezförmigen Vorderschaft sowie einen fest mit dem Gehäuseoberteil verbundenen Tragegriff. Bei diesen beiden Modellen hat der Kunde also die Wahl zwischen einem früh eingeführten Modell und dem Klassiker.
Der Brownells Prototyp: BRN-Proto
Im Gegensatz zu den Modellen von Troy und den bereits genannten Büchsen von Brownells geht es mit dem BRN-Proto nicht zurück in die Entwicklungsgeschichte der ARs, sondern direkt bis an den Anfang: Namentlich in das Jahr 1954. Hier trafen sich 2 Waffentüftler auf einem Schießstand im Süden des US-Bundesstaates Kalifornien. Ihre Namen: George Sullivan und Eugene Stoner. Sullivan hatte gerade ein Unternehmen mit dem Namen "ArmaLite" gegründet. Nach seinen Vorstellungen sollte das Unternehmen Waffendesigns entwickeln, die sodann an größere Firmen verkauft werden sollten. Wie der Zufall spielte, testete Stoner gerade eines seiner Designs auf dem Schießstand. Die Entwicklung gefiel Sullivan derart gut, dass Stoner kurz danach als Chefentwickler bei ArmaLite arbeitete. Aus dieser Zusammenarbeit resultierte – mit einigen Zwischenschritten – das AR-10 im Kaliber .308 Winchester. Das große Kaliber stieß aber gerade im militärischen Bereich auf keine große Gegenliebe, so dass ein Jahr danach das Modell AR-15 entwickelt wurde – diesmal im Kaliber .223 Remington. Auf den Designs dieser Periode basiert das Brownells BRN-Proto. Das erkennt man bei dem Selbstlader auch sofort: Das Schaftdesign unterscheidet sich noch stark auch von den klassischen Designs der genannten Modelle. Das hat seine Ursache nicht nur in der braunen Farbe, sondern auch darin, dass der Handschutz für eine Waffe im Kaliber .223 Remington ungewöhnlich dick ausgeführt wurde. Das liegt darin begründet, dass Eugene Stoner für seinen AR-15 Prototypen kurzerhand den Handschutz des vorher entwickelten AR-10s benutzte. Auch ein anderer Punkt fällt direkt ins Auge: Der Durchladehebel ("charging-handle") des Proto befindet sich nicht am hinteren Teil des Upper-Receivers, unterhalb des Tragegriffs. Es findet seinen Platz stattdessen im Tragegriff. Dies konnte sich bei späteren Modellen jedoch nicht durchsetzen. Bei allen 3 ARs von Brownells bleibt jedoch ein Wermutstropfen: Die Testwaffen sind ausschließlich Vorab-Versionen von Brownells Deutschland. Beziehen kann man die Büchsen auf dem deutschen Markt bisher noch nicht. Nach Auskunft von Brownells Deutschland wird allerdings mit Hochdruck daran gearbeitet, sie so schnell wie möglich anbieten zu können.
Fazit: Welches Retro-AR kaufen?
Abschließend müssen 2 Fragen beantwortet werden: Für welche Kundengruppen eignet sich der Erwerb eines Retro-ARs und welches Modell darf es denn dann sein? Die Retros sind allesamt keine Präzisionsmaschinen. Dies liegt schon an der offenen Visierung und der Montage von Optiken. Konstruktionsbedingt zeigt sich diese nicht besonders stabil und führt deshalb schon zu weniger guten Streukreisen, als dies mit einer modernen Montage der Fall wäre. Um ein Manko handelt es sich jedoch aus Testersicht nicht, denn dafür wurden die Retros auch nicht gemacht. Gedacht hat man sie für Käufer, die Spaß an älterer Technik und Entwicklungsgeschichte haben. Aber auch militärhistorisch interessierte Schützen können sie durchaus reizen. Welches Modell man sich nun im Einzelnen zulegt, kommt darauf an, was überhaupt den Beweggrund für den Erwerb darstellt. Interessiert der Käufer sich für bestimmte Modelle aus der US-Militärgeschichte, dann werden ihn die Modelle von Troy mit Sicherheit begeistern. Ist das Interesse eher technischer Natur oder möchte man gerne die Replika eines allgemeinen Teils der Waffengeschichte sein Eigen nennen, so raten die Tester eher zu den Modellen von Brownells. Insgesamt macht man als historisch und technisch interessierter Mensch mit keiner der vorgestellten Büchsen etwas falsch – hier gilt dasselbe wie bei so vielem im Leben: Im Zweifel am ehesten auf den Bauch hören.
Weitere Informationen zu den vorgestellten Retro-Büchsen gibt es auf der Seite der Hersteller beziehungsweise Importeure: Bei Brownells Deutschland und der Helmuth Hofmann GmbH.
Dieser Test erschien zuerst in der VISIER, Ausgabe 11/2019. Diese ist im VS Medien-Shop bestellbar und auch ganz bequem digital verfügbar.