Offiziell machte am 17. Januar des Vorjahres die Nachricht die Runde, dass der englische Hersteller Accuracy International (AI) durch ihren deutschen Repräsentanten POL-TEC den Auftrag zur Umrüstung der G22-Scharfschützengewehre der deutschen Armee erhalten hat. AI rüstete im Rahmen dieses Kontrakts die G22 und G22A1-Präzisionsgewehre auf die neue G22A2-Plattform auf, wobei die Gewehre das Kaliber .300 Winchester Magnum (7,62x67 mm) beibehielten. "Vielen Dank an das BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, salopp auch Beschaffungsamt genannt), dass es uns mit der Aufrüstung ihrer Scharfschützengewehre zum G22A2, einem überlegenen Gewehr mit hervorragenden Fähigkeiten, beauftragt hat", sagte Tom Irwin, Direktor von Accuracy International. "Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unserem deutschen Repräsentanten POL-TEC und dem BAAINBw, um diese Gewehre wieder auszuliefern." Die Bundeswehr beauftragte die Umrüstung von 780 Waffen, die bis 2020 ausgeliefert werden.
Das G22A2 kommt in einem riesigen Rollkoffer
Wir staunten nicht schlecht, als bei uns ein riesiger, rund 20 Kilogramm schwerer Kunststoff- Hartschalenkoffer mit Rollen und Handgriff des italienischen Herstellers Explorer Cases ankam. Im Inneren befand sich neben dem G22A2 auch reichlich Zubehör, denn wir erhielten das Scharfschützengewehr in Komplettausstattung, so wie es an die Bundeswehr ausgeliefert wird. Schon auf den ersten Blick offenbart sich, dass die neue dienstliche Präzisionsmaschine aus England nicht mehr dem heutzutage nostalgisch anmutenden Artic Warfare Magnum Folding Stock (AWM-F)-Konzept entspricht, sondern nach dem weitaus moderneren AX-Baumuster auf den aktuellen Stand der Technik gebracht wurde. Besonders markant ist auch der Wechsel der Zieloptik vom Hensoldt 3-12x56 (G22) respektive Schmidt & Bender 3-12x50 (G22A1) auf das Steiner-Zielfernrohr M5Xi 5-25x56 MTC LT LPF mit TreMoR3-Absehen. Diese leistungsstarke Optik thront ja auch auf dem Scharfschützengewehr G29 Mittlere Reichweite (alias Haenel RS9) in .338 Lapua Magnum. Dies führt in der Summe der Eigenschaften zu einer erheblichen Kampfwertsteigerung und einem erweiterten Long-Range-Einsatzspektrum bei Erhöhung der Erstschusstrefferwahrscheinlichkeit. Die Optik ist mit der Recknagel ERATAC-Blockmontage mit 30 MOA Vorneigung relativ hoch montiert, damit der bereits vorhandene Nachtsichtvorsatz NSV80 weiterhin genutzt werden kann.
Das G22A2: Bundeswehr-Scharfschützenwaffe im Detail
Die Dienstgewehre wurden beim Hersteller in Großbritannien umgerüstet. Hierbei wurden die wesentlichen Baugruppen Systemkasten, Zylinderverschluss, Lauf sowie Abzugseinheit (bis auf modifizierte, nun geradere Abzugszunge) vom G22/G22 A1 übernommen. Bekanntermaßen verriegelt der Verschluss mit 6 in 2 Reihen angeordneten Warzen in einem Verriegelungsgegenlager im Systemkasten. Der in den Systemkasten eingeschraubte, freischwingende, kannelierte 66-Zentimeter-Lauf mit vier Zügen/Feldern im Rechtsdrall bei einer Dralllänge von 1-10" ist mit einem Zweikammer-Mündungsfeuerdämpfer mit Frontgewinde für die Montage eines Accuracy International-Signaturdämpfers ausgestattet. Er wird von einem achtkantigen Leichtmetall-Handschutz mit umlaufendem Key-Slot-Befestigungssystem für die Anbringung von Zusatzausrüstung umkleidet. Das hauseigene, eigenständige AI Key-Slot-System ist nicht mit dem KeyMod-System kompatibel. Es wurde übrigens dieses aufwendige "Upgrade"-Projekt anstatt einer kompletten Neubeschaffung durchgeführt, weil ein neues Ausschreibungsverfahren einfach zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte und noch teurer geworden wäre. Zudem werden durch das "Upgrade" auch Versorgungsprobleme hinsichtlich erforderlicher Ersatzteile gelöst.
Matchgewehr-typische Modifikationen am AI G22A2
Die größte Veränderung hat das Bundeswehr- Scharfschützengewehr im Bereich des Chassis und Schaftes durch den Wechsel vom AWM-F- auf den modernen AX-Stil erfahren. Das Leichtmetallchassis ist mit zwei Schrauben mit dem Systemkasten verbunden und zusätzlich verklebt, was dem G22A2 wie auch allen anderen Accuracy International-Gewehren maximale Stabilität und Robustheit verleiht. Die klappbare Schulterstütze mit ihren zahlreichen Justiermöglichkeiten macht lange Einsatzzeiten für den Scharfschützen so komfortabel wie möglich. So wurde beispielsweise auch der kalte Kunststoff der Wangenauflage mit einem Kunstlederüberzug versehen, was gerade bei Minustemperaturen für einen angenehmeren Kontakt zwischen Mensch und Maschine sorgt. Wenn das Gewehr eine Zeit lang ungenutzt in der Kälte stand und der Scharfschütze dann in den Anschlag geht, kann die Kontaktaufnahme recht unangenehm sein. Die Schaftbacke kann stufenlos in der Höhe und im Winkel verstellt werden, was im harten militärischen Einsatz eher ungewöhnlich ist. Weil hier teilweise im Anschlag mit sehr viel Druck gearbeitet wird, könnte es passieren, dass eine stufenlose Justiermechanik nachgibt und sich versehentlich verstellt. Das ist bei Accuracy International zuverlässig ausgeschlossen, denn die Klemmflächen der Feinverstellung sind mit einem Anti-Rutsch-Belag beklebt, wodurch die Justiermechaniken schussfest sind. Die gummierte Schaftkappe kann stufenlos um 40 Millimeter in der Länge verstellt werden, wobei bei Bedarf eine weitere Längenanpassung durch 10 oder 20 Millimeter starke Zwischenlagen gewährleistet ist.
G22A2 in .300 WM: Alle Daten auf einen Blick
Modell: | Accuracy International G22A2 |
Kaliber: | .300 Winchester Magnum |
System: | Zylinderverschluss mit 6 Verriegelungswarzen in zwei Reihen, die im Systemkasten verriegeln |
Lauf: | 660 mm langer kannelierter Matchlauf mit 1-10"-Drall, Mündungsfeuer- und Signaturdämpfer |
Schaft: | AX-Leichtmetallchassis mit nach rechts klappbarer Schulterstütze mit höhen- und winkeljustierbarer Schaftbacke, längen- und höhenverstellbarer Schaftkappe, freistehendem Pistolengriff und Leichtmetall- Handschutz mit Key-Slot -Schlüssellöchern für die Anbringung weiterer Montageschienen und Zubehör. Zweibein und Erdsporn von B&T Industries runden Schaftausstattung ab. |
Magazin: | einreihiges Stahlblech-Kastenmagazin mit einer Kapazität für 5 Patronen |
Abzug: | justierbarer Druckpunktabzug, gemessenes Abzugsgewicht 1.678 Gramm |
Sicherung: | Drei-Positionen-Sicherung am Schlösschen, wirkt auf Schlagbolzen |
Länge: | eingeklappt: 103 cm, ausgeklappt: 120 bis 125 cm |
Gewicht: | 9,3 kg mit Komplettausrüstung |
Mit dem Accuracy International G22A2 auf dem Schießstand
Soviel vorab: In der Vergangenheit hat uns die praxisnahe Funktionalität und Leistungsfähigkeit der britischen Scharfschützengewehre auf dem Schießstand stets überzeugt. Und auch diesmal wurden wir vom G22A2 in .300 Winchester Magnum (7,62x67 mm) nicht enttäuscht. Besonders beeindruckt waren wir wieder einmal mehr von den Verstellmöglichkeiten des AX-Aluchassis, was für ideale Anpassungsmöglichkeiten an die individuellen Körpermaße und Präferenzen des Schützen sowie für Wiederholgenauigkeit im Anschlag sorgt. Der Autor wird sich auf die Schaftbacken seiner Gewehre auch solch eine Kunstlederauflage kleben, weil sie deutlich zum Schießkomfort beiträgt. Dienstlich werden Munitionssorten wie DM 121 und DM 11 mit Vollmantelweichkerngeschoss für den Einsatz gegen Weichziele und DM 131 (AP; Armor Piercing) mit Hartkerngeschoss für den Einsatz gegen leicht gepanzerte Fahrzeuge und Technikziele sowie DM 19 mit Kegelspitzgeschoss eingesetzt. Deren Geschossgewicht liegt bei 13 Gramm/200 Grains, sodass wir in unserer Erprobung auch keine Munition mit Geschossgewichten über 200 Grains eingesetzt hätten. Doch wir erhielten den Tipp eines Bundeswehr-Scharfschützen, dass auch Munition mit höheren Geschossgewichten problemlos bei überragender Präzision nutzbar ist. Das bestätigte sich auf der 300-Meter-Schießbahn dann auch, denn unser Bestresultat von 24 mm realisierten wir auf dieser Distanz mit der Sellier & Bellot 220 Grains HPBT-Munition. 33 Millimeter produzierten wir mit der RWS 190 Grains Target Elite Plus und 34 Millimeter mit der leichten MEN 154 Grains Sniper Line mit Schrägflächenscharfrandgeschoss. Mit letztgenannter Munition mit moderater Geschwindigkeit gelang uns auf der kurzen 100-Meter-Bahn das Topergebnis von 7 mm. Mit Streukreisen von 11 Millimetern und 12 Millimetern schenkten sich die RWS 190 Grains Target Elite Plus und Sellier & Bellot 168 Grains Match auf 100 Meter nicht viel. Was die Präzision angeht, war MEN mit der 154 Grains SFC Sniper Line-Patrone schon in der Vergangenheit auf der kurzen Distanz in der Regel immer vorne mit dabei, da die Munition offensichtlich speziell hierfür ausgelegt ist. Allerdings ist sie aufgrund der gemütlichen Geschwindigkeit nicht langdistanztauglich, denn der Treffpunktabfall war praktisch identisch mit dem der Matchmunition aus Tschechien, die aber mit einem 220 Grains schweren Geschoss verladen war. Die grandiose Charakteristik des Druckpunktabzuges erleichterte die Präzisionsarbeit erheblich. Nachdem man einen Vorzugsweg von rund 1.400 Gramm hinter sich gebracht hatte, warteten dann nur noch 280 Gramm auf den Abzugsfinger für die eigentliche Schussauslösung, die mühelos und ohne Gewichtstoleranz überwunden werden konnten. Chapeau!
Fazit zum Scharfschützengewehr in .300 Winchester Magnum
Das auf den AX-Standard aufgerüstete G22A2 der Bundeswehr ist ein leistungsfähiges, modernes Scharfschützengewehr in üppiger Komplettausstattung, das zu überzeugen weiß. Natürlich kann es nicht von Zivilisten erworben werden, doch ein nahezu baugleiches Accuracy International AX-Modell kann man durchaus sein Eigen nennen. Immer wieder beweist der englische Hersteller, dass er in der internationalen "Sniper Rifle"-Welt der goldene Standard ist, an dem sich alle anderen messen lassen müssen.
Text: Stefan Perey und Michael Fischer
Dieser Test erschien zuerst in der caliber, Ausgabe 9/2020. Hier sind auch alle Schießergebnisse im Detail enthalten. Das Heft ist im VS Medien-Shop erhältlich und dort auch als e-Paper erfügbar.