Wie kann man dem Vorurteil, dass Schießen viel zu kompliziert ist, entgegenwirken? Wie könen wir die Begeisterung der Jugend für den Sport wieder entfachen? Ein Mann hat es versucht – und zwar über das Airsoft-Schießen. Vielleicht macht sein Beispiel ja Schule.
Roger Merkle, so der Name des Mannes mit den neuen Ideen, lebt am äußersten Rande unserer Republik. Genauer gesagt in Selb in Bayern. Bislang ist hier in der bayerischen Provinz alles sehr überschaubar – trotz der "Jugendlichkeit" der Veranstaltung konnte Roger Merkle ein weites Netz von Kontakten knüpfen, die ihn in seinem Vorhaben unterstützten.
Das ist auch immens wichtig, denn "ohne Nachwuchsarbeit haben viele Schützenvereine ein Zukunftsproblem. Außerdem muss man die Jugendlichen in der heutigen Zeit abholen. Einfaches Luftgewehr- oder Luftpistolenschießen ist für viele unattraktiv geworden", wie Merkle selbst ausführt.
Zukunftsperspektiven im Schießsport:
Als Sportleiter und Jugendtrainer im "Schützenclub Einigkeit Buchwald-Längenau 1911 e.V." erkannte Roger Merkle schon früh: "Das Fortbestehen des Schießsports in den Vereinen hängt an der Heranführung der jungen Menschen!". Aber wie sollte das konkret umgesetzt werden, sprich: Wie kann die Attraktivität des Sports gesteigert werden? Bei seinen Recherchen stellte er schnell fest, wie weit die gesetzlichen Regelungen der Entwicklung von Schießnachwuchs Daumenschrauben anlegen. Da müssen die Erziehungsberechtigten eingebunden werden, es muss eine besondere Befähigung erworben werden, um mit Kindern und Heranwachsenden trainieren zu können, und vieles mehr.
Rechtlich einfacher ist der Schießsport mit Airsoft-Waffen:
Abhängig von der Mündungsenergie unterliegen Waffen unter 0,5 Joule keinerlei Altersbeschränkungen. Doch so simpel war es natürlich auch wieder nicht: Es gibt "Airsofts", die scheinbar Spielzeug sind und trotzdem unter den Paragrafen der Anscheinswaffen fallen. Der Transport unterliegt ähnlichen Reglementierungen wie für Sportschützen, womit sich ein Jugendlicher oder ein Elternteil schnell nur durch eine Unachtsamkeit strafbar machen können. Und ein "ich habe das nicht gewusst" schützt selten vor einer Strafe.
Gegen die Konvention:
Doch auch bei den Schützenbrüdern und Verbänden galt es, Mauern einzureißen, wenn auch nur im übertragenen Sinn. Denn das Arbeiten und Werben gestaltete sich schwierig. So herrscht immer noch die weitverbreitete Angst vor dem langen und oft wirr rudernden Arm der Politik. Der Gedanke dahinter: "Wenn alle Disziplinen mit Airsoft-Waffen im sportlichen Vergleich schießbar sind, dann – ja dann ist Großkaliber an sich doch vollkommen unnötig!" Oberflächlich betrachtet ist diese Aussage durchaus plausibel – aber nur, wenn man keine Ahnung von der Materie hat. Denn z.B. die olympischen Schießdisziplinen haben mit den Airsoft-Varianten so viel gemeinsam wie im Fußball die Champions League mit der Kreisklasse. Rückstoß, Distanzen, Präzisionsverhalten der Pistolen, Revolver und Gewehre gestalten sich im Großkaliber-Bereich vollkommen anders als bei den Federdruck-, Gas- oder Elektro-Waffen. Die Handhabung ist so gut wie identisch, die Herausforderung an den Sportler, sein Equipment und seine Performance aber definitiv nicht.
Wie dem auch sei, jedenfalls fand Roger Merkle im Jahr 2013 den einzigen öffentlich ausgeschrieben Airsoft-Wettbewerb in Deutschland. Der Landesverband 4 (NRW) des Bundes Deutscher Schützen (BDS) veranstaltete seine Landesmeisterschaft in der Disziplin "Action-Air-IPSC" offen für Jedermann. Denn der BDS hatte sich damals schon entschlossen, auf eine Verbandsmitgliedschaft und einen Sicherheits- und Regeltest zur Teilnahme an Airsoft-IPSC-Veranstaltungen zu verzichten. Eine zukunftsorientierte und innovative Geste, die vieles möglich macht. Auf jeden Fall zeigt der BDS sich damit als innovativ und offen. Merkle erlebte in Düsseldorf so hautnah, was im Airsoft-Bereich möglich ist. Und für ihn stand eines schnell fest: Hier bot sich eine neue Möglichkeit, um Jugendliche an den Schießsport heranzuführen. Noch im gleichen Jahr sollte so etwas deswegen in Selb passieren.
Für den 9. und 10. November 2013 war die Veranstaltung in Bayern geplant. Damit blieb noch ein halbes Jahr Zeit, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Da Roger Merkle, geprägt vom Schießsport, nur die Innenzehn zählen lässt, machte er sich umgehend an die Entwicklung eigener elektronischer Timer (Stopp-Plates), baute eine Fallscheibenanlage für seine Bedürfnisse um, entwickelte eine eigene Einschießscheibe, konstruierte eigene Popper und Plates, eine elektronische Magnetauslösung für Flipp- und Klappziele und passte die vorhandenen Scheiben den Airsoft-Erfordernissen an. Alles hätte entspannt seiner Wege gehen können, doch bald zogen am Horizont erste dunkle Wolken auf. Das Bundesverwaltungsamt schaltete sich ein. Da keine genehmigte Sportordnung für dieses Schießen vorliege, habe die Veranstaltung zu unterbleiben. Doch so einfach wollte der Enthusiast nicht aufgeben … und konnte sich schlussendlich durchsetzen!
Neue Strukturen für das Airsoft-Event:
Ein kompletter Umbau der Matchstruktur, neue eigene Scheiben und eine andere Schirmherrschaft ermöglichten schließlich doch noch den Event. Roger Merkle fungierte dabei als Alleinausrichter und sein Verein leistete nur logistische Unterstützung. Aus dem ersten "Match" entstand so das "1. Offene Selber Softair-Schiessen" – eine Informationsveranstaltung der Schützenjugend zu sportlichem Schießen und für die Mitglieder-Akquise unter Verwendung von Airsoft-Pistolen. Die helfenden Hände von Freunden, aber auch die vorausschauende Unterstützung von German-Sport-Guns (GSG) und Höppner & Schumann (H&S), motivierten Merkle und seine Unterstützer wie der oft zitierte Amerikaner sagt: "against all odds!" weiter zu machen. So bestand am Ende der Veranstaltung 2013 der Erfolg darin, es geschafft zu haben, sieben Jugendliche und eine Handvoll Erwachsene begeistert zu haben. Alle nahmen die Airsoft-Waffen in die Hand und liefen die drei Parcours mit einer spartanischen Ausstattung ab. Ein Probelauf, der, und da waren sich alle Teilnehmer einig, 2014 eine Fortführung erfahren musste.
Roger Merkle hat sich seit diesem Match den Beinamen "Softair-Terrorist" eingefangen. Er sprach jeden möglichen Kandidaten an und jede Teilnahme an Wettbewerben nutze er, um sein Selber-Softair-Schießen zu bewerben. Der stete Tropfen höhlt bekanntlich den Stein und die so allseits Angesprochenen konnten sich nur schwer dieser "Guerillataktik" entziehen. Die Früchte waren im nächsten Jahr nicht zu übersehen. 2014 konnte Roger ein dem IPSC Level II vergleichbares, sechs Stages umfassendes Match mit 40 Teilnehmern auf die Beine stellen.
Für die Anreisenden stand wieder ein Ferienhaus zur Verfügung, in dem ein gemeinsames Frühstück und Abendessen veranstaltet wurde. Diese Gemeinsamkeit und das Einbinden aller Teilnehmer ist ein wichtiger Baustein des ganzen Modells, das in Selb aufgebaut wird: Stageaufbau, Scoring, Helfertätigkeiten und Organisation werden von allen zusammen geleistet und Verantwortung wird auch den Jüngsten übertragen. Hier liegt die größte Schwierigkeit eines solchen Events. Anfängern und gerade auch jungen Menschen muss der sichere Umgang mit den Airsoft-Waffen in Fleisch und Blut übergehen. So gab es samstags für die Neulinge eine komplette Einweisung, die mit der Theorie begann und sich dann im Anfassen und Handhaben von sogenannten Blueguns fortsetzte. So vergingen schnell gut zwei Stunden, in denen gerade die Jugendlichen voller Ungeduld dem Schießen entgegen fieberten.
Da ja Hunger bekanntlich der beste Koch ist, sind die jungen Sportler konzentriert und aufmerksam. Selbstgemachte Einschießscheiben und die Fallplattenanlage machen es ihnen einfach, Haltepunkt, Druckpunkt und Zielerfassung zu üben. Die begleitenden Mütter haben es sich bisher auch nie verkneifen können, auch den einen oder anderen Schuss zu probieren. Sonntags gingen die "Newbies" dann in zwei "Squads" (hier: Schützenrotten) auf die Stages, wobei ihnen immer zwei erfahrene Sportler als Mitteilnehmer zur Seite standen. Da leider montags wieder Schule oder Arbeit auf dem Plan stand, verfiel nach der Siegerehrung alles in hellen Aufruhr. 50 Bauzäune, 52 Stellklötze, etwa 60 Stellwände, 150 Betttücher, 30 Popper, 20 Plates und sechs Timeranlagen mussten wieder verstaut, die Jahnturnhalle fertig gefegt und jede BB aus den hinteren Ecken gesaugt werden – nicht, dass noch Klagen kommen!
Roger Merkle hat in Selb etwas ins Leben gerufen, mit dem er zeigt, dass Jugendarbeit im Schießsport gerade und besonders dann, wenn sie verbandsübergreifend und international orientiert ist, Früchte tragen kann.
Doch ohne großflächige und vorurteilsfreie Unterstützung wäre das "Selber Softair-Schiessen" nie über die Grenze des Ortes gekommen. Die Vernetzung war der zentrale Schlüssel für das Gelingen und Wachsen einer solchen Veranstaltung. Dabei nimmt der Ausrichter die Vernetzung selbst ebenso ernst und lebt sie seinen Jugendlichen auch vor. Allein zu vier Wettbewerben hat er seine Junioren ins umliegende europäische Ausland begleitet – vorbildlich! "Wir versuchen über das Airsoft-Schießen die Attraktivität des Schießsports wieder zu steigern. Gerade die geringen Anschaffungs- und Folgekosten, der hohe Spaßfaktor mit sportlichem Anspruch, das einfache Erlernen der schießtechnischen Grundlagen sorgen für mehr Bereitschaft, sich dem Thema zu öffnen. So ist ein späterer Umstieg auf Kleinkaliber- oder Großkaliber-Disziplinen leichter."
Bekanntlich wächst nur derjenige, der sich neue Ziele steckt. Daher steht eine Sache für 2015 schon fest: Das "3. Offene Selber Softair-Schiessen" soll auf dem Niveau des IPSC-Levels III ablaufen, zwölf Stages sollen angeboten werden, in Verbindung mit der German-Rifle-Association (GRA) ist ein Jugendarbeitstag mit Seminaren und Vorträgen geplant, so dass ein weiterer Tag als terminliche Erweiterung dazu käme. Ja, und asiatische Airsoft-Schützen haben bereits Interesse bekundet, auch einmal einen solchen Event besuchen zu wollen – wenn er auf IPSC-Level III Niveau ist. Die Arbeit von Roger Merkle in Selb zeigt Folgendes: Der Bereich Airsoft ist dynamisch und publikumswirksam. Zudem mutet er nicht so statisch an wie die meisten "normalen" Schießdisziplinen. Wer in diesem Jahr das Glück hatte und die IWA OutdoorClassics 2015 in Nürnberg besuchen konnte, der hat da fraglos auch gesehen, wie groß diese Branche mittlerweile geworden ist. Deswegen sollten viele ihre Einstellung dem Thema Airsoft gegenüber vielleicht überdenken und es als eine Chance für die deutsche Vereinskultur betrachten.
Um in dem Zusammenhang das letzte Wort an Roger Merkle zu geben: "Airsoft bietet die Möglichkeit, Jugendliche im Rahmen des Waffengesetzes an anspruchsvolle dynamische Schießsportdisziplinen heranzuführen."
Kontaktmöglichkeiten für Interessierte:
roger@german-rifle-association.de oder oliver@german-rifle-association.de
Hinweise:
Im VISIER Special 77 "Airsoft" möchten wir alle Facetten des Airsoft-Sports unter die Lupe nehmen. Neben einem umfangreichen Glossar mit Fachbegriffen haben wir auch verschiedene Spielvarianten ausprobiert. Natürlich darf ein Blick auf die Technik nicht fehlen. Hier finden Sie das komplette Inhaltsverzeichnis in digitaler Form.
Die VISIER Special 77 "Airsoft" ist im Handel oder hier im VS Medien Onlineshop erhältlich.
Auf all4shooters.com finden Sie weitere Informationen zur German Rifle Association (GRA).