Ein altes Jägersprichwort besagt, „wenn der Wind jagt, bleibt der Jäger zu Hause”. Bestimmt hast du dich schon mal gefragt: Ist dem tatsächlich so und wenn ja, warum? Grundsätzlich ist zu sagen, dass jedes Sprichwort, jede Lebensweisheit und auch viele Zitate zumindest einen gewissen Anteil an Wahrheit in sich tragen. Dies gilt natürlich auch bei dieser alten Jagdweisheit. Allerdings wird dieses Zitat auch schon seit dutzenden von Jahren von einer Jägergeneration zur nächsten weitergeben. Doch ist die Jagd, wie wir sie heute kennen, mit all ihren Rahmenbedingungen und Facetten, noch genauso wie unsere Altvorderen vor etlichen Jahrzehnten gelebt haben? Ich denke, gerade die heutigen technischen Hilfsmittel sind in waidmännischen Händen ein echter Mehrwert für die Jagd. Daher sollten wir auch solche Jahrzehnte alten Jagdsprüche in neuem Kontext bewerten. Meiner Erfahrung nach gilt das Sprichwort „wenn der Wind jagt, bleibt der Jäger zu Hause” primär für den Ansitz, nicht aber in gleichem Maße für agilere Jagdarten wie beispielsweise die Pirsch auf unser heimisches Schwarzwild.
Bei Wind kommt es auf die richtige Jagdstrategie an
Ich habe damals mein erstes Stück Schwarzwild erlegen können, als ich im Wald an der Kirrung saß und der Wind so stürmisch fegte, dass ich ehrlicherweise ernsthafte Bedenken hatte, dass nicht doch vielleicht ein Baum umstürzen und die Kanzel samt mir unter sich begraben würde. Ich beschloss also aus Eigensicherung abzubaumen − also runter vom Hochsitz und möglichst schnell zum Auto zurück. Zwischen der Kanzel, auf welcher ich saß und meinem in rund 200 Meter Entfernung geparkten Wagen, sah ich plötzlich einige Meter links von mir eine Rotte Sauen, welche den Waldboden vergnügt umdrehte. Eine sehr aufregende Situation, die wie gesagt letztendlich in meinem ersten Schwarzwild-Waidmannsheil endete und sehr gut veranschaulicht, dass gerade bei aktivem Pirschen auch unter stürmischen Bedingungen durchaus gute Aussichten auf jagdlichen Erfolg bestehen. Denn die Sauen waren trotz des heftigen Sturms unterwegs.
Ich bin der festen Meinung, dass ein Ansitz, bei welchem sich der Jäger oder die Jägerin einige Stunden bei starkem Wind auf der gleichen Stelle befindet, weniger sinnvoll ist. Denn, wenn der Wind stark weht, beziehungsweise stark wechselhaft dreht, dann wird auf der Fläche um einen herum wohl tendenziell mehr menschliche Witterung auf weitere Distanzen verteilt und der Ort des Ansitzes „verwittert“. Folglich treten tendenziell eher keine Sauen aus, da diese wie wir alle wissen über einen extrem guten Geruchssinn verfügen. Dass die Wildschweine so gut winden (Jägersprache für riechen) können, gepaart mit der beachtlichen Intelligenz der Schwarzkittel, erschwert den Jagderfolg immens.
Wenn man aber nach dem in meinem Buch „Die nächtliche Pirsch auf Schwarzwild” beschriebenen Prinzip der Pirsch jagt, bei welchem sich der Jäger oder die Jägerin an weit entfernten Aussichtspunkten aufhalten, dann spielt der Wind und dessen Richtung erst einmal keine signifikante Rolle, denn die Distanz zwischen den Sauen und einem selbst ist so groß (z.B. 500 Meter), dass keine Witterung vom Jäger verteilt beziehungsweise von den Sauen aufgenommen werden kann. Man hat als Jäger also alle Zeit der Welt, um die Rotte zu beobachten und einzuschätzen, um dann unter Berücksichtigung der Windrichtung eine geeignete und funktionierende Pirschroute auszuwählen. Dabei solltest du aber auch das etwaige Vorhandensein von Rehwild berücksichtigen, da die Sauen auch beim Brechen das warnende Schrecken eines Rehes vernehmen und dadurch abspringen könnten.
Jetzt könnte man aber meinen: „Halt! Warte mal! Wenn ich mich an die Sauen anpirsche, dann bekommen die doch trotzdem Wind von mir, wenn ich dann in Schussdistanz vor ihnen stehe!” Und das stimmt natürlich auch. Dennoch springt eine Rotte selbst dann, wenn sie Wind vom Jäger bekommen hat, meist nie sofort ab, sondern sie ver(sichern) sich meist erst einige Male, bis dann zum finalen Abspringen geblasen wird. Tendenziell kann man sagen, dass Bachen mit kleinen Frischlingen oder erfahrene Einzelstücke wie Keiler schneller das Weite suchen werden. Dahingegen verzeihen Frischlings- oder Überläuferrotten doch den einen oder anderen „Hauch" menschlicher Witterung und der Jäger hat mehr Zeit zum Angehen der Sauen. Auch konnte ich schon bei dem einen oder anderen Pirschgang beobachten, dass bei Wind, der kreuz und quer weht, so gut wie gar keine vergrämende Wirkung bestand. Vermutlich werden die Geruchspartikel bei solchen Bedingungen dermaßen zerstreut, dass sie für die Sauen nicht mehr wahrnehmbar sind, oder von ihnen zumindest nicht mehr als konkrete Bedrohung erachtet werden.
Somit hast du natürlich nicht ganz unrecht, denn wenn man sich vor den Sauen befindet, dann spielt der Wind natürlich schon eine gewisse Rolle. Dennoch hätte man diese vor sich befindliche Rotte höchstwahrscheinlich niemals in den Anblick bekommen, wenn man bei starkem Wind schon vorher an der Wiese gesessen hätte. Die Stelle wäre, wie schon erwähnt, verwittert gewesen wäre. Dabei ist es natürlich auch entscheidend, an welcher Stelle im Revier sich Jäger und Rotte gegenüberstehen. Ist dies eine Wiese mit angrenzendem Wohngebiet, dann wird die menschliche Witterung dort als nicht so große Gefahr angesehen, wie auf einer Wiese, bei der weit und breit keine menschliche Witterung sein dürfte, da die Wiese umgeben von Wald ist.
Bei Wind und Regen vernimmt das Schwarzwild schlechter
Beim Anpirschen unter starkem Wind sollte die Devise immer lauten, zügig in eine waidgerechte den eigenen Fähigkeiten angepasste Schussdistanz zu gelangen, ohne sich selbst unter Druck zu setzen. Denn unter Druck passieren Fehler und das ist es nicht wert. Beim Thema „zügig Anpirschen“ hat der Wind aber auch wieder einen entscheidenden Vorteil, denn starker Wind ist nämlich laut! Er weht nicht nur uns um die Ohren und verteilt unsere Witterung in alle Richtungen, sondern er weht auch den meist sowieso schon lauten Sauen (Kommunikation untereinander, Brechen, Frasgeräusche), um die Teller, wodurch es auch für da Schwarzwild schwerer wird, den sich annähernden Jäger zu vernehmen. Des Weiteren bewegen sich Bäume, Sträucher und hohes Gras ebenfalls sehr lautstark, wenn deren Blätter vom Wind in Bewegung versetzt werden. Somit können wir diesen akustischen Vorteil nutzen, um das teilweise nicht so ganz leise Anpirschen des Jägers, wenn er schnell auf eine Rotte zupirscht, zu kompensieren.
Bei Gewittern besteht im Revier Lebensgefahr durch Blitzschläge
Zum Abschluss noch ein wichtiges Sicherheitsthema: Oftmals kann es sein, dass sich zu einem starken Wind und dem bewölkten Himmel ein Gewitter dazugesellt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Sauen selbst bei Gewitter unterwegs sind, dennoch solltest du trotz den interessanten Möglichkeiten schnellstmöglich ins Auto und dann ab nach Hause fahren, oder zumindest im sicheren Auto abwarten, bis sich das Gewitter wieder verzogen hat. Denn deine mittels Gewehrgurt auf dem Rücken getragene Büchse fungiert im ungünstigsten Fall wie ein Blitzableiter, welcher den Blitz quasi "anziehen" und durch deinen Körper in den Boden leiten würde. Dieses Risiko ist zu hoch und steht in keiner Relation zum Jagderfolg!
Wie schon in meinem hier verlinkten Bericht zum Thema Jagd bei Vollmond erwähnt, kannst du nicht jagen, wenn du als Jäger zu Hause auf dem Sofa sitzt. Daher solltest du dich von dem alten Spruch "Wenn der Wind jagd, bleibt der Jäger zu Hause" nicht abschrecken lassen, und sofern du pirschtechnisches Equipment wie ein gutes Fernglas sowie eine Wärmebildkamera und einen Pirschstock besitzt, den Weg ins Revier antreten, damit auch du deine erste Sturmsau erlegen kannst!
Waidmannsheil
Dein Jungjägerguide − Christian Seif