Im Grunde genommen interessiert es die ECHA offenbar nicht, welches Feedback die mehrmonatige Public Consultation gebracht hat. Man schert sich nicht um die Relevanz von angreifbaren Daten, und man schert sich nicht um die Folgen für Menschen und Wirtschaft, man ignoriert offenbar die Realität und die fehlende Alternativen zu Blei in Munition. Wie üblich treibt die ECHA zusammen mit der EU Kommission einfach einen weiteren ideologischen Kreuzzug voran, ohne Rücksicht auf die Einhaltung von Demokratie und die Meinungen und Interessen der europäischen Bürger. Ungeachtet der vielen fundierten Einwände, der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der laufenden Debatte haben die beiden ECHA-Ausschüsse für sozioökonomische Analyse und Risikobewertung verkündet, dass sie die vorgeschlagene Beschränkung der Verwendung von Blei in Munition für die Jagd, das Sportschießen im Freien und das Angeln befürworten. Am 30. November 2022 verabschiedete der Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) seine endgültige Stellungnahme, nachdem der Ausschuss für Risikobewertung (RAC) bereits im Juni 2022 seine Stellungnahme zu demselben Vorschlag abgegeben hatte. "Der RAC war der Ansicht, dass die Verwendung von Blei bei diesen Tätigkeiten Risiken für Wildtiere, Menschen und die Umwelt birgt, die nicht hinreichend kontrolliert werden", heißt es in einer Pressemitteilung der ECHA. "Beide Ausschüsse waren sich einig, dass eine Beschränkung im Rahmen der REACH-Verordnung die geeignetste EU-weite Maßnahme sei, um die Risiken anzugehen. Der SEAC kam zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene Beschränkung nach Abwägung der Kosten und des Nutzens für die Gesellschaft als verhältnismäßig angesehen werden kann. Er betonte auch, dass einige der Vorteile nicht quantifiziert wurden, aber wahrscheinlich erheblich sind − zum Beispiel der Nutzen der Vermeidung der Vergiftung von Raubvögeln."
In den Augen der ECHA ist also alles in Ordnung - oder "angemessen" und "verhältnismäßig" - mit dem "Bleiverbot" bei Munition. Aber ist das wirklich so? Schauen wir uns das mal im Detail an:
ECHA: Falsche Annahmen und stark übertriebene Zahlen in Bezug auf die angenommenen Auswirkungen von Blei in Munition
"Wir haben die Auswirkungen der Beschränkung von vielen Seiten betrachtet, nicht nur die potenziellen Kosten für Schützen und Angler. Wir haben analysiert, ob die Jagd als Aktivität betroffen sein wird und erwarten keinen langfristigen Rückgang", bekräftigt María Ottati, die Vorsitzende des SEAC.
Dazu können wir nur sagen: Das ist einfach nicht wahr. Laut einer von FACE durchgeführten europaweiten sozioökonomischen Umfrage unter einer repräsentativen Stichprobe von Jägern im Europäischen Wirtschaftsraum (mit über 18.000 Antworten) wird das Bleiverbot jeden vierten Jäger dazu zwingen, die Jagd ganz aufzugeben, und mindestens 30 % werden nicht mehr so oft jagen wie bisher.
"Wir haben die Verfügbarkeit von Schießständen für die militärische Ausbildung, das Angebot an Bleimunition für nicht zivile Zwecke und die wirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Bleieinschließungsmaßnahmen auf Schießständen untersucht. Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen halten wir die vorgeschlagene Beschränkung für verhältnismäßig und für das geeignetste Mittel, um den Risiken zu begegnen", so Frau Ottati weiter. Leider vergisst (oder ignoriert) sie, dass 34 % der Schusswaffen, die von den 7 Millionen Jägern in Europa verwendet werden, nicht mit bleifreier Munition kompatibel sind, und dass sich die einmaligen Kosten für den Ersatz dieser Schusswaffen auf bis zu 14,5 Milliarden Euro belaufen könnten. Und da die ECHA selbst schätzt, dass das durchschnittliche jährliche Jagdbudget eines Jägers 3.000 Euro beträgt, würde der wirtschaftliche Verlust für die EU aufgrund der Einstellung und Verringerung der Jagdtätigkeit mindestens 5,7 Milliarden Euro betragen. Ist das "verhältnismäßig"?
Sprechen wir über die Risiken, die von Blei (Bleimetall) in Munition ausgehen. "Wir haben uns die Daten der EFSA und alle Konsultationsbeiträge noch einmal gründlich angesehen und sind der Ansicht, dass der Verzehr von bleiverseuchtem Wildfleisch für Kinder in Jägerfamilien ein mittleres bis hohes Risiko darstellt", sagt Tim Bowmer, der Vorsitzende des RAC. Auch hier handelt es sich um eine Fehleinschätzung − um nicht zu sagen Mystifizierung, die auf unrealistischen/unzutreffenden Daten beruht. Wie wir in einem anderen Artikel hier auf all4shooters.com ausführlich dargelegt haben, sind die Schlussfolgerungen der ECHA über die Bleikonzentration in Wildfleisch, das mit bleihaltigen Geschossen erlegt wurde, äußerst fehlerhaft. Erstens, weil die berücksichtigten Proben nur aus dem Wundkanal stammen (was von der ECHA bestätigt wurde) und damit von einem Fleisch, das nicht in die Nahrungskette gelangt; zweitens, weil angenommen wird, dass Kleinkinder 75 % ihres jährlichen Fleischkonsums mit Wildfleisch abdecken, was ebenfalls völlig unrealistisch ist; drittens, weil die ECHA davon ausgeht, dass 27 % des von europäischen Erwachsenen jährlich verzehrten Fleisches von Wildfleisch stammt, das mit bleihaltigen Schrotkugeln oder Geschossen erlegt wurde, was wiederum keine empirische Annahme für eine Risikobewertung darstellt; Schließlich stützt die ECHA ihre Annahmen auf die fehlende Unterscheidung zwischen Bleimetall wie in Munition und löslichem Blei, und da der Unterschied und die mögliche toxische Wirkung von Blei von der Partikelgröße abhängt, führt dies zu völlig überhöhten Zahlen bezüglich der sogenannten Bioverfügbarkeit von Blei aus Munition.
Dann gibt es weitere realitätsferne Behauptungen wie: "Wenn die Beschränkung angenommen wird, würden die Bleiemissionen in die Umwelt in den 20 Jahren nach ihrer Einführung um ca. 630.000 Tonnen reduziert. Das ist eine Verringerung um 72 % im Vergleich zu einer Situation ohne Beschränkung. Dies würde die Vergiftung von Wildtieren, einschließlich vieler gefährdeter Arten, verhindern und Kinder und schwangere Frauen in Jägerfamilien vor der Bleiexposition schützen." Diese Aussagen lassen sich sehr leicht als völlig realitätsferne Annahmen und stark übertriebene Zahlen von der Hand weisen. Falls Sie wissen wollen, warum, sollten Sie diesen Artikel lesen, während wir hier erläutern, warum die "Umwelt"-Argumente für das Verbot von Blei in Munition fehlerhaft auf allen Ebenen sind. In Wirklichkeit handelt es sich hier wohl um reaktionäre und surrealistische Entscheidungen, die die Jagd und den Schießsport für die Bürger noch schwieriger und teurer machen sollen, ohne Raum für reale Daten und Zahlen.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das "Bleiverbot bei Munition" ist nicht nur ein Problem für Jäger und Sportschützen, sondern auch eines für die gesamte Waffen- und Munitionsindustrie und somit auch für einen Teil der Volkswirtschaft. Das Europäische Schießsportforum (ESSF) hat versucht zu berechnen, wie hoch der Preis für Arbeitnehmer und Unternehmen sowie für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt sein wird: Wenn das nahezu vollständige Verbot der Verwendung von Bleimunition ohne eine sinnvolle Übergangsfrist in Kraft tritt, würden sich die sozioökonomischen Auswirkungen auf die Munitions- und Waffenindustrie und die damit verbundenen Branchen auf bis zu 4 Mrd. EUR belaufen und mehr als 16.000 Arbeitsplätze verloren gehen. Die dadurch verursachten Kosten für das Soziale System innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) würden sich auf insgesamt 1,4 Mrd. EUR belaufen.
Aber wir wissen ja, dass sich die ECHA, ihre Ausschüsse und wohl auch die EU- Kommission nicht darum scheren. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn Argumente einer Public Consultation ohne jegliche Wirkung auf das Verhalten und die Empfehlung an die EU-Kommission bleiben.
Verbot von Blei in Munition: Wie geht es weiter?
Die politisch Verantwortlichen sagen uns, was die nächsten Schritte sind: Nach der der Billigung der Stellungnahme des SEAC und der ergänzenden Stellungnahme des RAC wird die ECHA die Stellungnahmen der beiden Ausschüsse und die vorgeschlagene Beschränkung an die Europäische Kommission weiterleiten. Dies wird Anfang 2023 der Fall sein. Die Kommission wird dann entscheiden, ob die seitens der ECHA vorgeschlagene Beschränkung politisch von der EU Kommission umgesetzt wird. Wenn ja, wird sie einen Vorschlag zur Änderung der Liste der Beschränkungen (Anhang XVII der REACH-Verordnung) vorlegen. Der Vorschlag wird dann von den EU-Mitgliedstaaten im REACH-Ausschuss abgestimmt und vom Europäischen Parlament und dem Rat vor der Verabschiedung als Gesetz geprüft. Was denken Sie, wie das Ergebnis wohl aussehen wird?
Weitere Informationen zu den Aktivitäten und Aussagen der Europäischen Chemikalienagentur in Sachen Bleiverbot finden Sie auf dieser Webseite der ECHA.