Aus Schweizer Perspektive: Bleifreie Munition – eine Frage der Vernunft? Oder ist das Thema weit komplexer?

Ein laufend zunehmender Anteil des Schalenwilds wird weltweit und auch in der Schweiz, seit Jahren frei von Zwang und aus verschiedensten Gründen, ohne Blei erlegt. Die Auswahl an Bleifreimunition ist groß, viele Produkte sind langjährig bewährt und gelten als besonders ökologisch. Bleifreie Jagdgeschosse haben jedoch andere Eigenschaften als Bleigeschosse und sind dadurch nicht für alle Anwendungen geeignet oder verfügbar. Materialbedingt ist besonders die erhöhte Gefahr durch erheblich energiereichere Abpraller zu beachten.

Je älter die Waffentechnik ist, desto untrennbarer ist sie auf die Verwendung von Blei angewiesen. Im Gegensatz zur Kugelmunition ist der Ersatz von Bleischrot in Flinten keine konstruktive Weiterentwicklung. Es ist ein technischer und politischer Spießrutenlauf, der nachfolgend näher betrachtet werden soll.

Bleiverbote in Munition: Was hat das mit AEWA und ECHA zu tun?

Lilie als Beschussprägung am Schrotlauf.
Nur mit der Lilie als Beschussprägung am Schrotlauf darf leistungsstarkes Stahlschrot verschossen werden (CIP).

Bereits im Jahr 1998 hat die Schweiz die Verwendung von Bleischrot in Feuchtgebieten und Flachwasserzonen verboten, als sie dem UN-Abkommen zur Erhaltung der afrikanisch-eurasisch wandernden Wasservögel (AEWA) beigetreten ist. Seit vielen Jahren sind praktisch alle europäischen Nationen Mitglieder. Das Verbot von Bleischrot zur Wasserwildjagd dient dem Schutz des Wasserwildes. Es ist vielfach dokumentiert, dass Wasserwild beim Gründeln Bleischrot aufnehmen und daran verenden kann. Nach langjährigen Konsultationsverfahren ist seit dem 16. Februar 2023 ein zusätzliches Bleischrot-Verbot in Feuchtgebieten im gesamten EU-Raum durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) in Kraft. Der neueste und noch anstehende Antrag der ECHA beinhaltet, die Verwendung und den Verkauf von Bleischrot und die Verwendung von Bleigeschossen grundsätzlich zu verbieten.

Doch es stellt sich an dieser Stelle die Frage: Gibt es in der Schweiz Probleme in der Umwelt und Gesundheit, die ein proaktives Handeln erfordern?

Zwei Stahlschrotpatronen im Kaliber 12/70.
Zwei Stahlschrotpatronen im Kaliber 12/70, aber Achtung: Die rechte Patrone (>740 bar und >3.25 mm) darf nur in Waffen mit Stahlschrotbeschuss verwendet werden. Für Kaliber 16/70 und 20/70 mit Normalbeschuss gelten max. 3 mm.

Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation des Bundes hat 2020 in der Vernehmlassung zur Revision des Jagdgesetzes indirekt Stellung genommen und wollte Bleimunition größtenteils auf die Verbotsliste setzen. Dem kritischen Betrachter fiel auf, dass bleifrei nicht wie erwartet mit «ungiftig» und «umweltfreundlich» gleichgesetzt werden kann. Kupfer- und Zinkschrote sollten gemäß dem Bund für die Wasservogeljagd ebenfalls verboten werden, da sie für Gewässer sehr schädlich seien.

Doch welche Tragweite hat die Erkenntnis, dass ein Bleiverbot allein nicht alle Probleme löst? Gibt es eine umfassende Risikoanalyse aller Ersatzstoffe?

Die Antwort ist einfach und kurz: Nein! Im «Restriction Report» von der ECHA zum Bleischrot, wird Zink gar nicht und Kupfer nur einmal bei den Munitionskosten erwähnt. Wie in der Schweiz werden Weicheisenschrot, Bismut und Tungsten (Wolfram) als Ersatz vorgeschlagen, ohne auf die restlichen Optionen einzugehen. Die Thematik beschäftigt diverse Nationen seit langem und so sind einige Erkenntnisse auffindbar. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bis auf Weicheisenschrot alle Ersatzstoffe Schwermetalle sind, die ähnliche Probleme wie Blei aufweisen und teilweise auch verboten wurden. Sie können beim Verschlucken tödlich sein, stehen im konkreten Verdacht krebserregend zu wirken (Steckschüsse) oder belasten die Gewässer. Tungsten und Bismut haben gemein, dass sie bis vor wenigen Jahren relativ wenig genutzt wurden und dadurch bis heute kaum erforscht sind. Als umweltfreundliche und nur wenig toxische Wunder-Schwermetalle erfuhren sie in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Boom. Die zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen der US-Umweltbehörde (EPA) und diverser Forscher zeigen, dass bisherige Annahmen kritisch hinterfragt und die Auswirkungen für Mensch und Umwelt erforscht werden müssen. 

Weicheisenschrot: "Stahlschrot" und seine ballistischen Eigenschaften. Ist das eine gleichwertige Alternative zu Bleischrot?

Das Kaliber 12/76 im Vergleich zu 12/70.
Das Kaliber 12/76 ist aufgrund der besseren Deckung gerade bei gröberem Stahlschrot sinnvoll. (l,r: 12/70, 12/76)

Anhand der internationalen Verkaufszahlen kann gesagt werden, dass sich für die Wasserwildjagd nur Stahlschrot mit großem Abstand durchgesetzt hat. Um mit Stahlschrot eine ausreichende Wirkung zu erhalten, wird als Faustregel empfohlen, das Schrot 0.5 mm grösser zu wählen. Das grundsätzliche Problem dabei ist, dass die Deckung dadurch erheblich schlechter wird. Das größere Stahlschrot ist zwar etwas schwerer als das Bleischrot, aber durch die größere Oberfläche wird das Schrot in der Luft schneller abgebremst. Dieser physikalische Nachteil (tiefere Querschnittsbelastung) führt zudem dazu, dass es selbst mit der gleichen Auftreffenergie deutlich schlechter eindringt. Mit beiden Nachteilen verbleiben weniger Treffer, die schlechter töten. In Nordamerika wird trotz dessen erfolgreich mit Stahlschrot auf Wasserwild gejagt. Deren langjährige Praxis zeigt aber, dass für eine vergleichbare Schussweite und Wirkung um 0.75 - 1 mm gröbere Schrote notwendig sind (ähnliche Querschnittsbelastung). Im Gegensatz zu Büchsenkaliber sind für diese vollwertige Nutzung von Stahlschroten neue Schrotkaliber notwendig, die nur in neueren und stärker beschossenen Waffen (CIP) vorhanden sind.

Kurve für Energie und Geschwindigkeit von Schrot.
Bereits auf unter 20 m Schussdistanz dringt das etwa 0.5 mm größere Weicheisenschrot schlechter ein.

Schädlichkeit von Kupfer als Geschossmaterial

Kupfer ist allgegenwärtig, es wird als strategisches Metall der Zukunft gehandelt. Die hohe Nachfrage geht mit Problemen im globalen Rohstoffabbau einher. Umweltverschmutzung und prekäre Arbeitsbedingungen werfen ethische Fragen auf. Aber auch in der lokalen Landwirtschaft geht Kupfer mit Negativschlagzeilen wie "Biobauern spritzen Schwermetalle" durch die Presse. Es ist ein hochumstrittenes Fungizid, das zwar in geringsten Mengen ein Mikronährstoff ist, darüber hinaus aber ein Umweltgift bleibt. Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) möchte es daher schnellstmöglich ersetzen, wodurch es als Pflanzenschutzmittel nur die halbe Zulassungszeit von sieben Jahren erhält. Auch im Wohngebiet sind Grenzwerte für den Gesundheits- und Umweltschutz in Kraft. Trinkwasserleitungen aus Kupfer sollen nicht mehr verbaut werden, besonders Kleinkinder sind gefährdet. Das Regenwasser von großen Kupferflächen darf nur gefiltert ins Erdreich versickern. Die neusten Forschungsergebnisse bestätigen die Maßnahmen. Für die mikrobiellen Gemeinschaften im Erdreich scheint Kupfer, somit nicht nur im Wasser, schädlicher als Blei zu sein. Bisher ging man von einer gleichwertigen Giftigkeit aus. Doch als Metalle sind beide im Boden zunächst unproblematisch, erst durch Korrosion aufgelöst werden sie bioaktiv. Die Archäologie ist direkt mit diesem Prozess konfrontiert und weiß zu berichten, dass Kupferartefakte im Erdreich einer fortlaufenden Zersetzung unterliegen, deren Geschwindigkeit stark von der Bodenbeschaffenheit abhängig ist. Demgegenüber gelten Bleiartefakte grundsätzlich als unproblematisch und sollen nahezu unbegrenzt lange im Erdreich erhalten bleiben. 

Und nun? Das ist die Situation zu Bleimunition in der Schweiz. Oder anders formuliert: Blei ist auch nicht unproblematisch, aber die Risiken sind bekannt und abschätzbar

Die Themen rund um die Problematik von Blei und dessen Alternativen sind sehr vielfältig und überspannen diverse Wissenschafts- und Technikgebiete. Es ist bei vielen Quellen unklar, wie aussagekräftig, relevant und belegt sie sind. Etwas erscheint jedoch sicher: Es gibt keine problemlose und ökologische Alternative, welcher Blei vollumfänglich überlegen ist und dieses gleichwertig ersetzen kann. Es drängt sich daher die Frage auf, für welche Probleme, abgesehen vom Wasserwild, eine schweizweite Lösung gefunden werden muss.

Ein Geschoss-Restgewicht von 98% in der .444 Marlin.
Ein Geschoss-Restgewicht von 98% in der .444 Marlin. Optimal abgestimmt sind auch einfache Mantelgeschosse ohne Bonding massestabil.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) betitelt die Infoseite zu Blei wie folgt: "Blei – Giftig, aber unvermeidlich". Im einleitenden Absatz wird darauf hingewiesen, dass sich Blei überall in der Umwelt befindet, von der Atemluft bis hin zur Nahrung und Gesetze sowie Verhaltensregeln für eine niedrige und unbedenkliche Bleibelastung sorgen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat 2021 wiederum einen sehr umfassenden Bericht zum Thema "Blei in der Schweiz – Verwendung, Entsorgung und Umwelteinträge" veröffentlicht. Der Bericht betrachtet die Verwendung von Blei und dessen Gefahren seit Anbeginn der Menschheit bis zur heutigen Zeit inkl. der heutigen Jagd. Blei ist ein natürliches Abbauprodukt und kommt so natürlich im Erdreich vor. Allein im letzten Jahrhundert gelangten in der Schweiz mehr als 55.000 t Blei, zu Spitzenzeiten >1300 t/a (Tonnen pro Jahr), über Abgase in die Luft und anschließend zu einem großen Teil in die regionalen Böden und Gewässer. Besonders in Siedlungsgebieten, neben Straßen und in der Nähe von Industriegebieten, sind hohe Bleibelastungen als Altlasten im Erdreich vorhanden. Dadurch haben Zürcher Stadtfüchse noch immer höhere Blutbleiwerte als ihre Verwandten auf dem Land. Da Blei im Boden gebunden ist und von Pflanzen kaum aufgenommen wird, kann sich die Belastung nicht abbauen, nur durch Auswaschung in Gewässer oder durch die Luft als Staub abgetragen wird der Bleigehalt gesenkt. Heute gelangen noch immer rund 27 t/a Blei durch diverse Emissionen in die Luft und Gewässer, wobei sich davon rund 5 t/a auf Landwirtschaftsflächen niederschlagen. Rund 10 t/a Blei gelangen zusätzlich durch Dünger auf die Äcker (1990 waren es 90 t). Gemäß der Verordnung zum Register über die Freisetzung von Schadstoffen (SR 814.017), müssen Industriebetriebe ihre Blei-Emissionen lediglich melden, wenn sie jährlich mehr als 200 kg Blei in die Luft, >20 kg ins Wasser oder >20 kg in den Boden abgeben. Der jagdliche Bleieintrag in den Boden wurde anhand der Eidg. Jagdstatistik mit diversen großzügigen Annahmen abgeschätzt. Daraus resultiert ein angenommener Bleieintrag von 2.9 t/a, davon rund 0,9 t durch Büchsenmunition. Dem gegenüber stehen 24 t/a Blei die auf Waffenplätzen im Gelände und weitere 76 t/a durch Schießübungen über natürliche Kugelfänge ins Erdreich gelangen. 

+++ Der Unterschied zwischen dem Geschossblei und allen anderen Bleiemissionen ist die Bleiart +++ Die üblichen Bleiemissionen geraten als feinste Partikel und als Bleiverbindungen in die Umwelt, wodurch die gesamte Bleimenge direkt bioverfügbar ist. Das Geschossblei verbleibt demgegenüber als massiver Metallkörper im Erdreich und kapselt sich über eine Oxidationsschicht ab, wodurch nur ein Bruchteil des jährlichen Bleieintrags überhaupt eine Wirkung haben kann. Diverse Schweizer Monitoringprojekte zeigen, dass die Bleiwerte in den Landwirtschafts- und Waldböden, aber auch in der Luft und in den Gewässern gut und konstant bis abnehmend sind. Im Grundwassermonitoring (NAQUA) konnten bisher, im Gegensatz zu Kupfer, nur in urbanen Gebieten zwei Messwerte leicht über der Bestimmungsgrenze festgestellt werden. Der Blut-Bleigehalt der Europäischen Bevölkerung ist von hohen Werten in den 1980er Jahren seit 2010 auf konstant tiefe Werte gesunken. Die Zahlen und Fakten decken sich mit den Angaben des BAG. Trotz der historischen Altlasten und noch allgegenwärtigen Bleiemissionen bestehen aktuell keine allgemeinen Probleme in der Umwelt oder für die Bevölkerung.

Fazit zum Umgang mit bleihaltiger und bleifreier Munition

Blei darf keinesfalls verharmlost werden, es ist ein allgegenwärtiger Stoff, dessen Gefahren erheblich sein können, die aber ebenso gut bekannt und somit sehr abschätzbar und vermeidbar sind. Durch einen sorgsamen Umgang und punktuelle Maßnahmen sind die Risiken für Mensch, Tier und Umwelt sehr gering. Der jagdliche Bleieintrag in das Erdreich ist unproblematisch und weniger relevant als bei Kupfer. Für gründelndes Wasserwild in Flachwasserzonen oder lokal gefährdete Arten sind lokale Schutzmaßnahmen wirksam und ausreichend. Es wirkt fragwürdig, wenn die Politik und selbst die Wissenschaft "bleifrei" pauschal als ungiftig und harmlos bezeichnen, obwohl keine umfassende Risikoanalyse und Gegenüberstellung aller Geschossmaterialien vorhanden sind. Die Kritik an der Jagd wird nie verstummen und so ist es auch für die Jagd eine existenzielle Frage, ob ein umfassendes Bleiverbot ein realer Mehrwert oder nur eine Scheinlösung ist. Die Jägerschaft trägt eine sehr hohe Verantwortung für die Sicherheit im Jagdbetrieb, für die Gewinnung von gesunden Nahrungsmitteln und für die Vermeidung von Tierleid. Diese Faktoren sollten auch zukünftig individuell und nach den regionalen Umständen gewichtet und mit den jeweils bestmöglichen Mitteln und größter Sorgfalt persönlich verantwortet werden können. Es ist vernünftig sich auf neue Möglichkeiten einzulassen und deren Mehrwert zu nutzen. Es ist aber ebenso vernünftig, wie bereits bisher, für lokale Probleme auch lokale Lösungsansätze zu verfolgen. Ob man sich glücklich schätzt oder nicht, die Entscheidung über die Zukunft von Blei wird in jedem Fall in Brüssel auf politischer Ebene ausgefochten. Es wird sich noch zeigen, ob die letzten Wahlen des neuen EU-Parlaments die Stimmungslage und die Mehrheiten nachhaltig verändert haben und nun wieder eine sachliche und zweckmäßige Betrachtung der Thematik einkehrt.


Der Autor Oliver Truninger, Fachredaktor für JAGD & NATUR.

Zum Autor: Oliver Truninger ist 33 Jahre alt und seit jüngsten Jahren Kurzwaffenschütze, Angler und VISIER-Leser, seit 2012 stehen die Jagd und das Wiederladen im Fokus. Als langjähriger Präsident des Vereins Schaffhauser Jagdaufsicht ist er mit dem jagdpolitischen Geschehen vertraut, widmet sich der jagdlichen Aus- und Weiterbildung und neu auch dem Hundewesen mit seiner Deutschen Wachtelhündin Lili. Mit dem kürzlich abgeschlossenen TGA-Ingenieurstudium ist er beruflich in der Gebäudetechnikbranche als Technischer Entwickler und als Fachredaktor für das Magazin JAGD & NATUR tätig.

Dieser Artikel erschien in der Juni-Ausgabe 2024 von JAGD & NATUR. JAGD & NATUR ist das einzige unabhängige Schweizer Jagdmagazin, seit über 25 Jahren das Sprachrohr von Jägern für Jäger. Es umfasst in monatlichen Ausgaben die Themenbereiche: Jagd & Gesellschaft, Wildbiologie, Revierpraxis, Hundewesen sowie Jagdausrüstung. Wir bedanken uns beim Verlag und der Redaktion, dass wir diesen interessanten Artikel übernehmen durften.

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