Unterhebelrepetierer von Marlin: Die Modelle 1895 ABL in .45-70 Govt. und 336 W in .30-30 Win. im Test

Jeder weiß, Unterhebelrepetierer (kurz: UHR) sind etwas für Cowboys. Sie müssen zum Beispiel vom Pferd aus Kojoten und anderes lästiges Getier von den Rinderherden vertreiben – soweit eine weit verbreitete Meinung. Doch die Einsatzmöglichkeiten dieser Art von Waffe reichen viel weiter. Besonders effizient nutzbar zeigen sich die UHR, da der Schütze das Gewehr nach dem ersten Schuss nicht zum Repetieren absetzen muss. Der Repetierhebel am Systemgehäuse kann aus fast jeder Situation betätigt werden, ein Durchladen der Waffe findet statt und der nächste Schuss kann unmittelbar abgegeben werden. Und die Geschichte des Systems reicht weit zurück. Der erste serienmäßig hergestellte Unterhebelrepetierer (englisch: lever action gun) stammte aus dem Hause Colt im Jahre 1837. Verschiedene Weiterentwicklungen folgten, so von Walter Hunt (Hunt & Jennings), Horace Smith (späterer Partner von Daniel Wesson) oder Benjamin Tyler Henry. Der letztliche Durchbruch gelang vor allem über die Firma von Oliver Winchester mit den Konstrukteuren Henry, Nelson King (seitliche Ladeöffnung) und John M. Browning (verbessertes Verschlusssystem) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heutzutage bauen Firmen wie Uberti Kopien der historischen Stücke, moderne Versionen gibt es unter anderem von Sturm, Ruger & Co., Pedersoli sowie von Marlin Firearms – von diesem Werk kamen zwei UHR auf unseren Schreibtisch.

Das sind die Test-Unterhebler von Marlin Firearms

Eine der beiden Testbüchsen komplett von links. Unter- und Hintergrund mit Holz und Laub.
Metall und Holz in einer anmutigen Komposition, das vereinen die beiden Marlins in sich.

Die zur Verfügung gestellten UHR im Kaliber .30-30 Winchester (Win.) und .45-70 Government (Govt.) der Firma Marlin erweisen sich als optische Highlights. Im Kaliber .30-30 beträgt die Lauflänge 50 Zentimeter, bei einer Gesamtlänge von 97 Zentimetern. Das Modell im Kaliber .45-70 hat eine Lauflänge von 47 Zentimetern mit einer Gesamtlänge von 94 Zentimetern. Beide bringen jeweils etwa 3200 Gramm auf die Waage. Werksseitig sind der Unterhebel, der Lauf sowie das röhrenförmige Magazin unterhalb des Laufes brüniert. Die Waffe im Kaliber .30-30 fasst sechs Patronen, die in .45-70 sechs plus eine weitere Patrone. Vorder- und Hinterschaft bestehen aus schwarzblauem Schichtholz. Der Hinterschaft schließt mit einer etwa zwei Zentimeter breiten Gummischaftkappe ab und weist einen geraden Schaftrücken auf. Weiter in Richtung Lauf umfasst man den geriffelten Pistolengriff. Sehr hübsch gearbeitet: die Verschneidungen mit rautenförmiger Verzierung. Der Kolbenhals präsentiert sich sehr lang und schmal. Auf ihm findet der Schütze den Hahn. Unterhalb des Kolbenhalses mit Pistolengriff befindet sich der Unterhebel. Ganz selbstverständlich finden drei Finger Platz in dem Bügel, der Zeigefinger platziert sich sofort in Richtung Abzug und der Daumen umfasst den Pistolengriff. Die Bügel des Unterhebels sind hier in der großen Ausführung verbaut. Auf dem äußersten Rand des Systemkastens befindet sich die Druckknopfsicherung, die sich zwischen den Hahn und den Schlagbolzen schiebt. Etwas ungewöhnlich, obwohl die Sicherung greift, kann der Abzug betätigt werden und auch der Hahn schnellt nach vorn. Allerdings legt dieser nicht den gesamten Weg zurück, sondern wird ein kleines Stück, bevor die Patrone ausgelöst würde, von der Sicherung eingefangen. Der Hahn hat drei Stellungen: 1. abgeschlagen, 2. halb gespannt und 3. gespannt. In der 2. Stellung ist die Waffe vorgespannt, weder der Abzug noch der Repetierhebel kann betätigt werden. Zieht man den Hahn aus Raste 2 in Raste 3, passiert dies mit etwas Übung nahezu lautlos. Aus der gespannten Stellung kann die Schussabgabe erfolgen. Der Flintenabzug steht sehr hart, was aber durch einen entsprechenden Büchsenmacher respektive mit einem ganz anderen Abzug geändert werden kann. Ansonsten steht der Abzug trocken und kriecht nicht. Nur das Abzugsgewicht ist für deutsche Verhältnisse gewöhnungsbedürftig. Auf der rechten Seite des Systemkastens liegt im unteren Drittel die seitliche Ladeöffnung. Hier werden die Patronen in Laufrichtung eingedrückt. Im oberen Drittel befinden sich der Patronenauswurf sowie der Verschluss.

Kimmen der beiden Testbüchsen von Marlin.
Picatinny-Schienen mit klappbarer Buckhorn- kimme haben beide Marlins an Bord.

Auf dem Systemkasten thront eine Picatinny-Schiene. Dieses System ermöglicht sehr preisgünstig den Aufbau von jeglichen Zieleinrichtungen. Die hier zur Verfügung gestellten Waffen waren mit den von Leupold vorgesehenen Ringen ausgestattet, die mittels zweier Hebel die Schwalbenschwanz-Klemmung auf der Schiene hielten. Der Vorderschaft besteht ebenfalls aus schwarzblauem Schichtholz. Es findet sich hier auch die geschnittene Fischhaut für den besseren Grip. Aus dem Vorderschaft heraus ragt das Röhrenmagazin, welches bis fast zur Laufmündung reicht. Auf dem Lauf verbaut sind die Visierhilfen bestehend aus klappbarer Buckhornkimme sowie einem Perlkorn mit Schutztunnel. Aufnahmen für Riemenbügel sind am unteren Teil des Hinterschaftes sowie an einer extra Aufnahme vor dem Vorderschaft verbaut.

Alle Daten zu den Testwaffen von Marlin auf einen Blick

Modell:
Marlin 336W
Marlin 1895 ABL
Preis:
999,- Euro
1299,- Euro
Kaliber:
.30-30 Winchester
.45-70 Government
Gewicht:
3200 g
3200 g
Länge:
97 cm
94 cm
Lauflänge:
50 cm
47 cm
Abzug:
einstellbar
einstellbar
Laufdicke
14 mm (Durchmesser)
20 mm (Durchmesser)
Drall
1:10
1:20
Kapazität
6 Schuss
6 + 1 Schuss
Laufprofil
Züge/Felder
Züge/Felder
Material:
Metall, Holz
Metall, Holz
Sicherung:
Handspanner
Handspanner
Ausführung:
klappbare Buckhornkimme, Schichtholzschaft, vergrößerter Unterhebel, Pica-Rail, Gummischaftkappe
klappbare Buckhornkimme, Schichtholzschaft, vergrößerter Unterhebel, Pica-Rail, Gummischaftkappe
Die zwei Test-Zielfernrohre von Leupold.
Die zur Verfügung gestellten Gläser aus dem Hause Leupold, einmal das VX-5HD 2-10 x 42 sowie das VX-5HD 1-5 x 24.

Die Test-Zielfernrohre von Leupold

Auf beiden Marlin-UHR wurden Zielfernrohre der Firma Leupold montiert. Die  Marlin 336W in .30-30 war ausgestattet mit dem VX-5HD 2-10 x 42, die Marlin 1895 ABL in .45-70 mit dem VX-5HD 1-5 x 24. Das VX-5HD 2-10x42-Zielfernrohr des amerikanischen Herstellers eignet sich für Drück-, Pirsch- und Tagjagd. Der Vergrößerungsbereich liegt zwischen 2- und 10-fach. Das Zielfernrohr hat ein Duplexabsehen mit einem beleuchteten Punkt. Besonders praktisch ist der Batteriesparmodus. Der Leuchtpunkt muss mittels Tastendruck eingeschaltet werden. Nach fünf Minuten schaltet sich das Absehen selbständig aus. Wird die Waffe aber wieder in den Anschlag genommen, schaltet sich der Leuchtpunkt sofort wieder ein. Das Gewicht des Zielfernrohres liegt bei 465 Gramm. Das VX-5HD 1-5x24 spielt seine Vorteile auf Drück- und Pirschjagd aus, was insbesondere durch den Vergrößerungsbereich zwischen 1- und 5-fach begründet ist, eine 1-fache Vergrößerung ist bei der Bewegungsjagd ein nicht zu unterschätzender Vorteil, ähnlich zu einem Leuchpunktzielgerät oder aber einem Holosight. Das Duplexabsehen hat einen Leuchtpunkt. Ebenso wie das andere Zielfernrohr verfügt auch dieses über den Batteriesparmodus. Besonders hervorzuheben ist das geringe Gewicht mit nur 379 Gramm. Die Montage der Zielfernrohre ist auf beiden Waffen sehr tief, was besonders bei der .30-30 und der 2-10x42-Optik auffiel.

Unterhebelrepetierer von Marlin: Die Modelle 1895 ABL in .45-70 Gov. und 336 W in .30-30 Win. im Test
Die Marlin 336W im klassischen Kaliber
.30-30 Winchester.

Die 336W und 1895 ABL auf dem Schießstand

Für den Gang auf den Schießstand suchten die Tester je drei Sorten Munition aus, die durch die beiden Gewehre gehen sollten. Dies waren bei der Marlin im Kaliber .30-30 Sorten der Firma Hornady (160 Grains), Federal (150 grs) und Winchester (150 grs). Für die Marlin im Kaliber .45-70 schließlich Hornady (325 grs), Federal (300 grs) und WM Bullet (295 grs). Auf 100 Meter Distanz sollten die beiden Unterhebler dann zeigen, was sie leisten können. Gemessen wurde die Geschwindigkeit drei Meter vor der Mündung. Die Auswahl der Munition er folgte hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt, dass mit einem Jagdgewehr auch jagdliche Munition verschossen werden soll. Weiterhin sollte getestet werden, ob die Läufe vielleicht unterschiedlich auf verschiedene Arten von Munition reagieren. Am besten schnitten beide Waffen mit der Munition von Hornady ab. Bei der Marlin in .30-30 zeigte sich das Spektrum der Streukreise extrem groß. Jagdlich sind die Hornady und die Federal (im Kaliber .45-70) durchaus tauglich. Es verwunderte, warum gerade die Munition der Firma Winchester nicht die von den Testern gewünschte Leistung brachte. Auf die Theorie folgte naturgemäß die Praxis. Als aktive Hundeführerin mit besonderer Passion für Schwarzwild fiel die Wahl der Autorin auf die .45-70. Die Stopp-Wirkung bei großen und schweren Stücken sowie die Möglichkeit des einfachen und schnellen Repetierens ebenso wie der großen Magazinkapazität erschienen sehr vorteilhaft.

Der Praxis-Check mit der Marlin 1895 ABL: Auf Drückjagd

So ging es mit drei Hunden gemeinsam auf eine Drückjagd im Dezember. Der Jagdleiter wies bereits in seiner Ansprache darauf hin, dass das Vorkommen von Schwarzwild mehr als wahrscheinlich sei. Er bat die Schützen besonders eindringlich um diszipliniertes Schießen, insbesondere, da so viele Hunde im Treiben unterwegs sein würden. Nach dem Schnallen der Hunde war es sehr lange sehr still im Wald. Weder Schüsse noch das Geläut von Hunden waren zu hören. Schon fast gespenstisch. Kurz vor Ende des Treibens schallten dann doch diverse Salven an Schüssen durch den Wald, verschiedene Hunde stießen auf Wild, welches sie dynamisch durch das Treiben brachten. Beim Passieren eines Standes wies dann der dort angesetzte Jäger darauf hin, er habe einen Frischling beschossen, sei sich aber sicher, dass dieser nicht tödlich getroffen sei und etwas weiter in den Buchen liege. Nach Einweisung in Fluchtrichtung des Tieres bestätigte sich die Vermutung des Jägers. Der Frischling konnte durch einen mit der Marlin angetragenen Fangschuss erlegt werden.

Mündungen der Büchsen, einmal mit abgestreiftem Korntunnel.
Das Korn kommt mit Tunnel, der ist aber von den Führungen im Sockel leicht abzustreifen.

Fazit zu den Lever-Action Büchsen von Marlin

Ob Cowboy oder nicht, die Marlin-UHR überzeugen durch nostalgische Eleganz und arbeiten pragmatisch die an sie gestellten Aufgaben ab. Die Marlin im Kaliber .30-30 und .45-70 wiesen mit der Munition von Hornady einen sehr guten Streukreis auf. Die Verarbeitung der Waffen kann man nur mit dem Wort „solide“ überschreiben. Der Schichtholzschaft mit Fischhaut-Verschneidungen sowie rautenförmigen Verzierungen an Pistolengriff und Vorderschaft sorgt für einen optischen Glanzpunkt dieser Waffen. Die Handhabung erfordert zwar etwas Übung, erfolgt dann aber sehr leicht und flüssig. Bereits nach wenigen Repetiervorgängen geht die Bewegung, die ein Unterhebler nun einmal erfordert, in Fleisch und Blut des Schützen über. Das Einführen von Patronen in den seitlichen Schlitz gestaltet sich anfänglich recht schwergängig und hakelig. Besonders bei den sehr großen Patronen im Kaliber .45-70 erfordert das Laden auch etwas Übung. Die Waffen von Marlin verfügen über eine Handspannung. Das Spannen war bei den zur Verfügung gestellten Testwaffen mit der sehr tiefen Montage suboptimal. Das 42er Zielfernrohr ließ das Spannen des Hebels nur seitlich zu. Zierliche Daumen passten auch in den Zwischenraum von Handspannung und Optik. Glücklicherweise bietet die auf der Waffe verbaute Picatinny- Schiene eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Montage von Optiken, so dass das Problem sehr leicht zu lösen ist.

Die den Hinterschaft abschließende Gummischaftkappe ist sehr weich. Besonders am unteren Rand wird dies wahrscheinlich   bei starker Beanspruchung schnell ausfransen. Das Gummi ist durch ein Waffelprofil sehr rutschfest, dies gilt jedoch auch für die Kleidung. Sitzt die Waffe nicht sofort in der Schulter, ist ein Verschieben schlecht möglich. Der Rückstoß ist kaliberentsprechend: männlich. Die Lautstärke ist aufgrund der Kürze der Läufe etwas höher. Bei Schussabgabe auf einen Wildkörper erzielt man eine hohe Stopp-Wirkung schon allein durch die Schwere und Durchmesser des Geschosses.  Insgesamt zauberten die UHR von Marlin gemeinsam mit den hier getesteten Zielfernrohren ein Lächeln ins Gesicht der Tester. Der Anblick der Unterhebel weckt Kindheitsträume und lässt die Karl-May-Geschichten vergangener Tage Wirklichkeit werden. Jenseits dieser Vergangenheit sind diese UHRs auch für moderne Cowboys oder den Waidmann ein gutes Mittel der Wahl.


Dieser Test stammt aus der VISIER, Ausgabe 2/19. Das Heft ist im VSMedien-Shop erhältlich, auch in digitaler Version. Darin sind die detaillierten Schießergebnisse enhalten.

Mit der Krieghoff Semprio hat das all4hunters-Team eine weitere Drückjagdbüchse mit alternativem Repetiersystem getestet.

Ebenso wurde der Unterhebelrepetierer Pedersoli Boarbuster Mark II dem Praxistest mit Video unterzogen.